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Die wankende Anna

Während Helgolands Bewohner sich Gedanken machen sollen, ob sie ihre Insel verlängert haben möchten, um mit einer längeren Landebahn mehr Besucher anzulocken, kümmert ihr Wahrzeichen stumm vor sich hin. Die lange Anna, zumindest bei Anfahrt mit dem Schiff schon von weitem am Horizont zu sehen, hat tiefe Risse. Noch hält sie den tosenden Fluten stand. Das könnte sich aber ändern.

Von Eberhard Schade |
    Die lange Anna ist ein Sandsteinklotz, der steil aus der Nordsee ragt. 48 Meter hoch, knapp 25.000 Tonnen schwer und dennoch porös wie Weihnachtsgebäck. Die Hohlräume bieten inzwischen Nistplätze für Tausende von Vögeln. Möwen, Basstölpel, Lummen.

    Jedes Jahr kommen eine halbe Million Touristen, bewundern das Wahrzeichen Helgolands in der Deutschen Bucht. Längst prangt das Bild der langen Anna von Briefmarken und Kaffeebechern. Der Fels - der übrigens so heißt, weil angeblich in einem Tanzlokal an der Nordwestspitze der Insel eine große Bedienung namens Anna gearbeitet haben soll - ist unser Markenzeichen, sagt auch Helgolands Bürgermeister Frank Botter. Innerlich hat er sich jedoch schon von ihm verabschiedet.

    "Wir haben Erkenntnisse aus 99/2000, die haben dort Fachleute mit dem Hubschrauber abgesetzt und der hat Klüfte vorgefunden, die so groß sind, dass jede mechanische Gewalt, die man diesem Felsen antun würde, dazu führen würde, dass er zusammen fällt. Und aus dem Grunde gibt es keine technische Lösung, diesen Felsen zu halten, es sei denn, sie gießen ihn in Beton und das kann ja wohl in dieser Welt niemand wollen. "

    Eine Mauer schützt den Fels vor der Brandung, genauso Stützen aus Stahl. Dennoch: der Verfall scheint nicht zu stoppen. Wie verwundbar die Insel ist, zeigte zuletzt die große Sturmflut am 9. November vergangenen Jahres. Da rissen Wasser und Wind einen Großteil des Strandes der kleinen Schwesterinsel Düne ins Meer. Auch auf der Hauptinsel bröckelte mehr Gestein als bei vorangegangenen Sturmfluten ins Meer. Die lange Anna blieb stehen:

    "Wenn die alte Dame sich irgendwann hinlegt, dann legt sie sich hin, weil sie aus statischen Gründen nicht mehr haltbar ist - ja, das wäre ein bitterer Tag für Helgoland, aber dann müssten wir da auch mit leben. Das ist ein Prozess, wie wollen sie ihn denn aufhalten?"

    Rund 170 Kilometer weiter südöstlich. Technische Universität Hamburg, Raum 1039. Hier sitzt ein Mann, der nicht so schnell aufgeben und die lange Anna retten will. Erik Pasche, Leiter des Instituts für Wasserbau. Pasche sagt, er wisse, was für Kräfte auf den Fels wirken und mahnt deshalb zu schnellem Handeln:

    "Hier könnte man technologisch etwas anstoßen und das ist das, was wir sehen sollten. Wir benutzen quasi die Herausforderung, die uns der Naturprozess gibt und gucken, wie können wir unsere Techniken einsetzen, um unseren Lebensraum zu sichern. "

    Pasche überlegt, Epoxid-Harz in die Hohlräume zu gießen, ein Verfahren, das im Denkmalschutz angewandt wird. Den instabilen Sockel will er dagegen mit Steinen sichern, die er mit einem Kleber fixiert:

    "Das ist ein Kleber, den kennen viele, Polyurethan. Wird heute sehr viel im Fahrzeugbau eingesetzt, die ganzen Armaturen sind aus Polyurethan. Und wenn dieser Kleber aushärtet, dann gibt es eine sehr feste Verbindung zwischen den Auflagerungspunkten. Kommt jetzt die Welle und schlägt aufs offenporige Deckwerk, dann dringt sie in das Deckwerk ein, aber die Energie wird gedämpft, das ist wie eine Schallschluckwand. "

    Der Professor weiß, dass das sehr viel Geld kosten würde. Inklusive Bauabsicherung zehn bis fünfzehn Millionen Euro schätzt Frank Botter, Helgolands Bürgermeister. Geld, das er lieber anders investieren würde:

    "Wir haben ein Riesenproblem, dass wir keine vernünftige Verkehrsanbindung haben. D.h, die Gefahr, dass irgendwann mal hier kein Mensch mehr herkommen kann, die lange Anna anzugucken, ist viel größer, als dass das Ding umfällt. Und wenn ich zehn bis 15 Millionen in einen Felsen stecke und ein Schiff kostet 30 Millionen, das ich dringend brauche, dann stecke ich das Geld lieber in ein Schiff. Das ist meine persönliche Meinung, da können mich die Helgoländer gerne in den Hintern treten für diese Aussage, da bleibe ich aber bei. "

    Ein Felsen, zwei Meinungen. Ähnlich gespalten das Stimmungsbild vor Ort, in der Nähe der längst aus Sicherheitsgründen abgesperrten Aussichtsplattform:

    "Ich glaube, es ist so ein wichtiges Merkmal für die Insel, dass man Bemühungen unternehmen sollte, es zu erhalten. Es gibt für alles mögliche in unserem Land Spendenaktionen, man könnte es ja mal versuchen. / Ich würde der ganzen Sache einfach den Lauf lassen. Sicherlich ist es ein Wahrzeichen, aber es ist irgendwo ein Stück Zeitgeschichte, die auch vergehen kann. Wenn sie umfällt, fällt sie um, ich denke, die Leute würden trotzdem kommen, mit Sicherheit."