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"Die Wehrpflicht muss sich sicherheitspolitisch begründen"

Aussetzen ja - Abschaffen nein: Jörg van Essen macht die Wehrpflicht von der sicherheitspolitischen Notwendigkeit abhängig - und nennt das US-amerikanische Modell als Beispiel.

    Spengler: Am Telefon begrüße ich nun den Parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Jörg van Essen, der der Bundeswehr auch als Oberst der Reserve verbunden ist. Guten Morgen, Herr van Essen.

    Jörg van Essen: Guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Was ist denn überhaupt eine Aussetzung der Wehrpflicht? Ist das nur ein anderes Wort für Abschaffung?

    van Essen: Nein, das ist schon ein Unterschied. Die Vereinigten Staaten machen das vor. Die Vereinigten Staaten setzen in Friedenszeit ihre Wehrpflicht aus und berufen Wehrpflichtige nur in Kriegszeiten ein. Das heißt, alle gesetzlichen Bestimmungen, die für die Wehrpflicht notwendig sind, beispielsweise der Artikel 12a des Grundgesetzes, bleiben weiter bestehen, es wird nur kein Gebrauch davon gemacht.

    Spengler: Aber würden wir jetzt aussetzen, dann würden doch Liegenschaften aufgegeben werden, Kasernen, ganze Regimente müssten umgestellt werden. Ist denn dann ein Zurück überhaupt denkbar?

    van Essen: Ja, es ist ein Zurück denkbar. Die Bundeswehr hat sich ja in ihrer Organisation eigentlich auf die Aussetzung der Wehrpflicht schon vorbereitet. Viele, die in früheren Jahrzehnten Wehrpflicht geleistet haben, die kennen es noch, dass man als Wehrpflichtiger beispielsweise als Panzerschütze, Panzerfahrer eingesetzt wird. Das ist ja gar nicht mehr der Fall. Ich bin selbst Angehöriger des Heeres, habe ganz viele Jahre als Brigadekommandeur Dienst getan, und wir haben schon seit vielen Jahren unsere Wehrpflichtigen zusammengefasst in den sogenannten letzten Kompanien der jeweiligen Bataillone, also in der 7. oder in der 8. Kompanie, den sogenannten Einsatzunterstützungskompanien, EU-Kompanien. Die könnte man sofort auflösen, ohne dass in die Struktur der jeweiligen Verbände eingegriffen wird.

    Spengler: Wenn jetzt die Frage wäre, Ende der Wehrpflicht, oder nur Aussetzen, dann wären Sie für was?

    van Essen: Ich habe in der FDP ganz intensiv für die Beibehaltung der Wehrpflicht gekämpft, weil das ja eigentlich eine urliberale Idee ist. Der Bürger gibt einen Einsatz für den Staat und kann dann umso selbstbewusster auch Rechte vom Staat verlangen. Das ist ja der Ursprung der Wehrpflicht gewesen. Früher hatten Fürsten immer ihre persönlichen Armeen und es hat dazu beigetragen, dass die Bürger ihre Rechte selbstverständlicher ausfordern konnten, dadurch, dass sie Wehrdienst für den Staat geleistet haben.
    Aber es gilt das, was der frühere Bundespräsident, Professor Herzog, gesagt hat: Die Wehrpflicht muss sich sicherheitspolitisch begründen, sie ist ein starker Eingriff in die Freiheit der jungen Männer, die Wehrdienst leisten müssen. Und die sicherheitspolitische Lage hat sich geändert, der Auftrag der Bundeswehr hat sich geändert, und das, was jetzt beabsichtigt ist, nämlich die jungen Männer nur noch sechs Monate einzuberufen, das erfordert einen immensen Aufwand, Ausbildungsaufwand, beispielsweise bei uns im Heer drei Monate Grundausbildung, und dann sind die Soldaten noch gerade drei Monate bei uns. Das heißt also, beispielsweise die notwendige Sicherheit in bestimmten Tätigkeiten kann in dieser kurzen Zeit gar nicht erreicht werden. Wir haben die Situation eines angebrüteten Eis. Ein angebrütetes Ei ist nicht mehr als Frühstücksei zu benutzen, ist aber auch noch kein Küken.

    Spengler: Das heißt, Sie sind für ein Ende der Wehrpflicht, da sie nur noch sechs Monate dauern soll?

    van Essen: Ja, das macht keinen Sinn mehr, denn Sie müssen sich vorstellen, dass wir ja für die Ausbildung dieser Wehrpflichtigen, die dann nur ganz, ganz kurze Zeit in der Bundeswehr sind, einen enormen Aufwand treiben müssen. Wir haben eigene Kompanien, die diese Ausbildung betreiben. Die Ausbilder, die in diesen Kompanien tätig sind, die stehen beispielsweise für die Auslandseinsätze nicht zur Verfügung und das ist etwas, was Bundeswehr ganz stark belastet, weil wir immer wieder merken – ich habe in meiner letzten Wehrübung, bevor ich altersgemäß ausgeschieden bin, beispielsweise die Brigade auf den Afghanistan-Einsatz vorbereitet, und da habe ich auch gemerkt, wie viele dieser Ausbilder wir dann personell ersetzen mussten mit Soldaten aus anderen Verbänden, die nicht organisch im Verband gewachsen waren, und das bringt deshalb auch Vorteile für die Einsätze, die wir nun mal in der Gegenwart fahren müssen, das sind die Auslandseinsätze. Deshalb bin auch ich inzwischen für die Aussetzung der Wehrpflicht.

    Spengler: Also für die Aussetzung, nicht für die Abschaffung?

    van Essen: Nein, selbstverständlich für die Aussetzung, weil sicherheitspolitische Lage sich immer wieder auch ändern kann. Die Vereinigten Staaten, die ja genau dieses Modell auch haben, haben immer wieder erlebt, dass sie die Wehrpflicht auch wieder einführen mussten, und deshalb sollten wir auch in der Sicherheitspolitik vorsichtig sein, Wehrpflicht nicht abschaffen, sondern Wehrpflicht aussetzen.

    Spengler: Würden wir damit es auch vermeiden, dass die Kluft zwischen Gesellschaft und Armee bei einer reinen Berufsarmee, die auf Dauer angelegt ist, größer wird?

    van Essen: Ich glaube, dass das tatsächlich so ist. Wehrpflicht führt dazu, dass jedermann, so wie das bei mir auch war, in die Streitkräfte kommt, und es ist im Übrigen auch eine Einrichtung, die dazu führt, dass man Respekt voreinander hat. Ich kann mich noch daran erinnern, wie wir Abiturienten alle mit ganz hoher Nase in die Grundausbildung gekommen sind, weil wir gerade Abitur gemacht haben, und dann sind wir auf Kameraden getroffen, die schon mitten im Leben standen, die viel weiter waren als wir, von denen wir uns ganz viel abgeguckt haben. Das hat mir persönlich sehr gut getan. Das wird dann natürlich nicht mehr der Fall sein. Aber andere Streitkräfte wie beispielsweise die Franzosen, die Briten, aber auch kleinere Staaten wie die Belgier und die Niederlande, die haben schon lange Berufsarmeen und die machen uns vor, dass man eine solche Armee auch in einer Demokratie sehr gut organisieren kann.

    Spengler: Herr van Essen, wie überzeugend fanden Sie es denn, dass der Verteidigungsminister in der Sparklausur quasi das spontane Sparangebot gemacht hat und darin dieses bewährte Strukturelement Wehrpflicht einfach aufgegeben hat, hopplahopp, ohne jede Debatte?

    van Essen: Ich finde es erstens gut, dass der Minister auch ungewöhnliche Gedanken hat, denn jeder muss dazu beitragen, dass in unserem Lande gespart wird. Aber Wehrpflicht ist kein Punkt, den man unter dem Gesichtspunkt des Sparens oder nicht Sparens betrachten sollte.

    Spengler: Das heißt, Sie fanden es nicht so überzeugend?

    van Essen: Ich hätte mir gewünscht, dass es eine breitere Diskussion schon vorher gegeben hat, wie in meiner eigenen Partei auch, und es hat ja auch frühzeitig warnende Stimmen gegeben, wie etwa die von Roman Herzog, die ich schon angesprochen habe. Trotzdem: der Minister hat meine Unterstützung. Der Minister ist auf dem richtigen Weg. Wir müssen die Bundeswehr zukunftsfest machen, aber das muss natürlich ergänzt werden durch weitere Maßnahmen. Die Bundeswehr ist eindeutig zu kopflastig. Wir haben viel zu viele Stäbe und es muss wieder mehr Truppe und weniger Indianer geben.

    Spengler: ..., fordert der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Jörg van Essen. Herr van Essen, danke für das Gespräch.

    van Essen: Gerne!