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Die Welt des Werner Schroeter

Mit Filmen wie "Palermo oder Wolfsburg" wurde der Regisseur Werner Schroeter bekannt. Seine melodramatische, exzessive Filmsprache war unter anderem Thema einer Werkschau im deutsch-italienischen Kulturzentrum am Comer See.

Rüdiger Suchsland im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich |
    Burkhard Müller-Ullrich: Ein Frankfurter Kaufmann mit Namen Heinrich Mylius, übrigens ein Freund Goethes, reüssierte in Mailand und schenkte seinem Sohn eine Villa am Comer See. Der Sohn starb früh, seine Witwe verheiratete sich neu, mit einem Herrn Vigoni, und dessen Familie schenkte - ein paar Generationen später - das Anwesen der Bundesrepublik Deutschland, damit ein deutsch-italienisches Kulturzentrum daraus werde.

    An diesem Locus amoenus fand nun eine Tagung statt, die Rüdiger Suchsland für uns verfolgt hat, woran wir schon sehen können, dass es um Film gegangen sein muss, genauer gesagt, es ging um den Regisseur und Filmemacher Werner Schroeter, einen Liebhaber der klassischen Kunst. Er hat auch Opern inszeniert, er hat seinen ersten Film der Callas gewidmet und ist auch als Fotograf hervorgetreten. Schroeter ist jetzt 64 Jahre alt und eigentlich, Herr Suchsland, gibt es gar keinen wirklichen Grund für die Tagung, oder?

    Rüdiger Suchsland: Ich denke, dass ein Anlass für diese Tagung - außer, dass es immer gut ist, über so einen Regisseur zu reden - auch war, dass er letztes Jahr so ein bisschen zurückgekehrt ist in die Filmwelt. 2008 hat er in Venedig einen Film im Wettbewerb gehabt, "Nuit de Chien", der ist dann auch unter dem Titel "Diese Nacht" ins deutsche Kino gekommen, und er hat auch gleich einen Preis gewonnen, den Preis für sein Lebenswerk.

    Und da ist man wieder darauf aufmerksam geworden, dass Werner Schroeter immer noch da ist, und dass er eigentlich - so wie Herzog, wie Wenders dieser Generation angehören - so ein bisschen in der Versenkung verschwunden ist, aber eigentlich ein toller Filmemacher ist. Die Viennale in Wien, die haben dann gleich eine Retrospektive zu seinen Ehren gemacht, ziemlich viele Filme gezeigt, und plötzlich ist Schroeter wieder auf dem Schirm.
    Müller-Ullrich: Die französische Zeitung "Libération" hat also anlässlich dieses Films über ihn die Formulierung gefunden: "Das ist der Cocteau unserer Zeit." Können Sie mit der Formulierung was anfangen?

    Suchsland: Ja, kann ich. Es geht sicher bei Schroeter immer um zwei, drei Dinge. Das eine sind Mythen. Ihn interessiert Film nicht so sehr als Abbild der Realität, jedenfalls nicht der äußeren Realität. Es gibt ja so die klassische Vorstellung vom Kino, Kracauer hat das genannt "die Errettung der äußeren Wirklichkeit". Bei Werner Schroeter müsste man eher von der Errettung der inneren Wirklichkeit sprechen.

    Ihm geht es also darum, Bilder zu finden für die Seele, für das, was da passiert, und gleichzeitig auch ein bisschen - weil Schroeter von der Jung'schen Psychoanalyse herkommt -, ein bisschen auch so Bilder für das kollektive Unbewusste zu finden. Und insofern interessiert ihn die Wirklichkeit schon, aber nur die Wirklichkeit, insofern sie ein Abbild von solchen Seelenschichten und von dem Unterbewussten sein kann.

    Die Filme sind immer sehr melodramatisch, sie wirken ein bisschen wie Kino-Opern, sie sind sehr gestisch, sie sind also nah dran eigentlich am Stummfilm. Es läuft fast immer Musik und manchmal wird ganz lange nicht gesprochen. Umso ausdrucksvoller ist das Spiel der Schauspieler und Schroeter hat auch immer so sein festes Team gehabt, zumindest in den 70er-, 80er-Jahren, die festen Leute, mit denen er zusammengearbeitet hat, und er hat natürlich auch große Erfolge gehabt. "Palermo oder Wolfsburg", 1980 hat dieser Film den Goldenen Bär der Berlinale gewonnen.

    Müller-Ullrich: War Schroeter denn eigentlich auf dieser Tagung da am Comer See dabei, oder war das ein Gespräch im Hause Vigoni über den abwesenden Herrn Schroeter?

    Suchsland: Nein, Schroeter war dabei, Schroeter hat natürlich auch Auskunft gegeben über sein Werk. Er hat auch ein bisschen, glaube ich, die Leute ausgesucht, die da hinkamen.

    Es war also eine sehr bunte Mischung. Es kamen natürlich Filmwissenschaftler, es kamen aber auch Philosophen, es kamen Leute vom Theater. Er hat ein paar Schauspieler mitgebracht, die man vor allem von der Bühne kennt. Er hat Leute mitgebracht, mit denen er schon zusammengearbeitet hat, zum Teil vor 20, 30 Jahren, eine Kamerafrau aus Frankreich, und er hat auch ein paar junge Filmkritiker eingeladen, zum Beispiel jemanden von den "Cahiers du cinéma", der dann einen Vortrag gehalten hat über die Ekstase im Kino Werner Schroeters.

    Müller-Ullrich: Sie haben Schroeter also erlebt und nicht nur über ihn gesprochen. Sie kennen sein Werk, Rüdiger Suchsland, aber was ist er denn für ein Mensch? Hat er ein Fluidum, dass Sie irgendwie beschreiben möchten?

    Suchsland: Ja, er hat ein großes Charisma. Er ist so ein bisschen ein verschrobener Mensch und er ist immer ganz besonders sorgfältig gekleidet, also eine "drakonische Eleganz", hat jemand gesagt in Comer, immer ganz in Schwarz, immer einen Hut auf, einen langen Bart und lange Haare, die ihn ein bisschen so wie einer der Musketiere wirken lassen. Und er hat auch ein paar Edelsteine an den Händen, das ist angeblich Schmuck von seiner Mutter und seiner Großmutter, sagt er.

    Man ist vielleicht im ersten Moment ein bisschen eingeschüchtert oder denkt, was ist denn das für einer, weil er schon wie ein Unzeitgemäßer wirkt, und das ist er von seinem Werk her tatsächlich auch. Er ist aber ungemein zugänglich, wenn man dann mit ihm spricht. Er ist ein sehr netter, liebenswürdiger, auch charmanter Mann, der in dem Moment, wo er anfängt zu reden, ein großes Charisma ausstrahlt. Und das hat zu dem Spannendsten gehört in Como.

    Man hat da mehrere Filme von ihm gezeigt und immer vor den Filmen hat Werner Schroeter eine kurze Einführung gebracht und hat ein bisschen erzählt, keine Anekdoten, sondern das, was ihn an dem Werk wirklich interessiert hat. Er hat diese Einführungen in fließendem Italienisch gehalten. Er ist unbedingt auch ein Weltbürger, der eben nicht nur in Italien und in Deutschland, auch in Frankreich zu Hause ist. Seine Filme wurden zum Teil auch in den Philippinen gedreht, in Argentinien, in den USA, und in vielen dieser Länder kennt man ihn. Der letzte Film ist übrigens in Portugal gedreht worden.

    Müller-Ullrich: Rüdiger Suchsland, vielen Dank für diese Auskünfte über eine Tagung mit und über Werner Schroeter in der Villa Vigoni.