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Die Welt zu Gast bei Pina Bausch

Die Verleihung des 2001 ins Leben gerufenen Kurt-Joos-Preises für junge Choreographen war ein Feier-Abend wie so viele in diesen "drei Wochen mit Pina Bausch". Ein diachroner Schnitt durch die Tanzgeschichte, der mehr als drei Jahrzehnte umfasste, von Bauschs "Tannhäuser-Bacchanal" aus dem Jahr 1972 bis zur heutigen Suche nach einer neuen Tanz-Sprache jenseits hektischer Multimediashows. Die Choreographen Renate Graziadei und Arthur Stäldi, neben Johannes Wieland die Kurt-Joos-Preisträger dieses Jahres, laborieren sehr kunstvoll an den Bedingungen von Körpern im Raum. Ergebnis: das tranceartig langsame Solo einer Frau auf einer Bühne, die nur durch Licht abgesteckt ist, so präzise getanzt, dass man die Schwere des Raums auf dem Körper fast spüren konnte.

Von Karin Fischer |
    Präzision war, was dem neuen Stück von Samir Akika, Kurt-Joos-Preisträger von 2001, fehlte. Die Uraufführung von "Globalost Sunday" auf PACT Zollverein begann mit einem merkwürdigen morgendlichen Levée im Halbdunkel und endete als heitere Angelegenheit mit Werbung für einen tanzenden Rasensprenger. Dazwischen wurden biographische Schnipsel und pubertäre Fragen ausgestellt und tänzerisch spielte das Fallen eine große Rolle. Dass das Ganze eine Etude über unsichere Identitäten sein sollte, merkte man am ehesten am exzessiven Einsatz von Video-Stills, die als Vision vom gelingenden Leben auf eine große Leinwand projiziert wurden. Insgesamt ein ärgerlicher Mischmasch ohne Erkenntnis- oder Neuigkeitswert.

    Wie revolutionär Pina Bauschs Wuppertaler Tanztheater damals war, das kann man noch heute in "Ahnen" aus dem Jahr 1987 sehen. Die Choreographin baut – heute würde man sagen: pixelt sich und uns da eine neue Welt zusammen, bestehend aus bunten Vögeln, aus kosmopolitischer Musik und schrägen – heute würde man sagen: trashigen Zutaten: das dicke Walross am Bühnenrand, der Tänzer mit dem Tütü auf dem Kopf, der gefesselte Mann mit der Orange im Mund. Kürzestszenen ohne Thema, dafür mit Sprache, Slapstick, Wiederholungen: ein Gefühls-Sample, in dem Pina Bausch den Alltag hinterfragt, indem sie diesen kleinen surrealen Abstand einbaut. Und sie provoziert Empfindungen: wenn sie einer Tänzerin einen grotesk kurzen Blindenstock in die Hand gibt, so dass diese überhaupt nur gebückt gehen kann. Was für ein Bild für Mit-Leid - und mit wie viel Humor!

    Das Stück ist formal und inhaltlich ein Meilenstein, wie es viele gab in der Geschichte ihres Tanztheaters. Im "Frühlingsopfer", "Le Sacre du Printemps", das sie 1975 für die Wuppertaler Oper machte, ist es die kompromisslos choreographierte Masse in fleischfarbenen Kostümen, die Erregung, Aggression und Leiden auf einen allgemeingültigen Nenner bringt. Dort finden sich auch schon die durchsichtigen Kleider, das Geschlechter-Thema, der andere Boden - hier aus feuchtem Torf -, die später in den ganz anderen Stücken, jenen mit dem revueartig collagierten Pina Bausch-Lebensgefühl, immer eine Rolle spielen.

    Für "O Dido", das sie vor fünf Jahren für das Teatro Argentina in Rom choreographierte, gilt dabei, was Pina Bausch öfter über ihre Arbeit in fremden Städten sagte: "Wir erzählen nicht die Stadt, sondern was wir an Gefühlen aus ihr mitgenommen haben". Ein Stück voll schwebender Leichtigkeit und Italianitá, mit Sommerpromenaden, ein bisschen Machismo und vor allem: der fast kultischen Inszenierung der schönen erwachsenen Frau, deren Flirt mit dem Publikum ebenso zu Bausch-Abenden gehört wie die emanzipierte Rollenverteilung: sie trägt die Perlen-, er die Fußkette.

    Und "Nefés" schließlich, der Ertrag einer Reise nach Istanbul aus dem letzten Jahr, zeigt sogar wieder Tanz: schwerelose Soli und traumschöne Bilder aus Farbe und Licht im fast leeren Raum mit großer Pfütze. Die Bewegungen hier sind weicher, die Stimmung dunkler geworden. Mit der Türkei oder dem Orient hat das nur musikalisch viel zu tun, dafür feiert das Stück die Wiederauferstehung der Tänzer-Persönlichkeit in vielen Facetten.

    Man hat Pina Bauschs letzte Stücke als unpolitisch, ja "zahnlos" kritisiert, und es stimmt, dass manche Szenen irgendwie nach 'neuer Mitte', also alt aussehen. Vielleicht, weil Pina Bausch immer ganz nah bei den Empfindungen geblieben ist. Ihr Programm des Sich-Aussetzens und Nachfühlens ist ähnlich solitär und zeitgemäß wie das von Frank Castorf oder Christoph Marthaler, aber ohne jeden intellektualistischen Zersetzungsfuror. - In einem Interview las ich kürzlich eine Definition von Religion: sie sei "die tiefste Form, die Beängstigung in der menschlichen Natur auszudrücken". Das genau ist der Grund, warum der Besuch von Pina Bausch-Stücken immer so etwas ist wie eine Pilgerfahrt. Die Choreographin hat für die Beängstigungen der menschlichen Natur eine neue Form gefunden. Im Gegensatz zur Religion hat sie den Humor und die Menschenfreundlichkeit dabei nicht vergessen.