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Die Wiederkehr des Völkischen

Der Antisemitismus blüht in Ungarn wieder auf und mit ihm auch der Kult um Miklós Horthy. Horthy ist der Star der Rechtsextremen. Nach ihm werden jetzt Plätze benannt, es werden Gedenktafeln aufgehängt und Statuen aufgestellt.

Von Stephan Ozsváth | 02.12.2012
    Eine Handvoll Abiturienten des Ferenc Deák-Gymnasium im Budapester Bezirk Kispest steht rauchend vor der Schule. Der Name ist als Graffito an die graue Betonwand gesprüht. Sie erzählen, welche ungarischen Schriftsteller sie in der letzten Schulklasse durchnehmen. Petöfi, Ady, Krúdy – die großen Namen der ungarischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Und der einzige ungarische Literaturnobelpreisträger Imre Kertész – der Holocaustüberlebende ?

    Kennen wir nicht, sagen die meisten. Einem Mädchen fällt ein: Das war doch ein Jude, oder?

    Mehr wissen die 17-jährigen Schüler nicht über Imre Kertész. Kein Wunder: Im neuen Lehrplan kommt er nur noch vor als Preisträger - unter ferner liefen. Pflichtlektüre sind jetzt andere: Albert Wass, ein Siebenbürger Großgrundbesitzer, der bei der Erschießung von Juden mitgewirkt haben soll, in Rumänien gilt er als Kriegsverbrecher. Oder der Blut-und-Boden-Dichter József Nyirö, ein Hitler-Fan und Antisemit, der von den ungarischen Pfeilkreuzlern auch ins Parlament entsendet worden war. László Mendrey ist der Vorsitzende der liberalen Lehrergewerkschaft PDSZ.

    "Beim Lehrplan gibt es ideologische Bestimmungen: Zum einen wird das Denken der sogenannten Heimattreuen in den Vordergrund gerückt. Und die Kirche bekommt eine große Rolle. Und das bestimmt stark, was in diesen nationalen Kanon hineinkommt. So kam Nyirö da rein, und auch Albert Wass, und so geriet Imre Kertész an den Rand."

    Was wollt Ihr im Westen?, sagt dagegen László Simon. Der groß gewachsene, belesene Mann ist quasi der ungarische Kulturminister im Rang eines Staatssekretärs. Der konservative Politiker sagt zu den Debatten um Nyirö und Wass.

    "Wahrscheinlich kennt im Westen keiner ein Buch von ihnen. Ich habe gestern erst den Jesus-Schnitzer von Nyirö gelesen. Eine kleine, achtseitige Novelle. Ich habe das nicht wie die Schrift eines extremistischen Abgeordneten gelesen. Sondern wie die Schrift eines ungarischen Autors. Ich wollte wissen, welchen Platz er in unserer Literaturgeschichte hat.

    "Wenn man alles durch die Brille der Politik vereinfacht, gibt es auch ein Wass-Problem, den viele in Ungarn für einen guten Schriftsteller halten. Wenn sie darüber in West-Europa streiten, kennen sie weder die Schriftsteller, noch ihr Lebenswerk, noch die Umstände."

    Die sterblichen Überreste József Nyirös waren im Sommer dieses Jahres von Spanien in die Siebenbürger Heimat überführt worden. An der feierlichen Umbettung nahm auch der Budapester Parlamentspräsident teil. Die rumänische Regierung tobte. Ellie Wiesel, Schriftsteller und Holocaustüberlebender gab deshalb einen ungarischen Verdienstorden zurück.

    Kranzniederlegung in Kenderes, am Mausoleum der Familie Horthy im Osten Ungarns. Der Reichsverweser Miklós Horthy – autoritärer Herrscher der Zwischenkriegszeit - ist der Star der Rechtsextremen. Garden sind aufmarschiert. Und Ungarn in den Uniformen der gefürchteten Landgendarmerie der Zwischenkriegszeit - mit Hahnenfedern am Hut. Aus dem nahen Karcag ist eine Abordnung der rechtsextremen Jobbik-Partei gekommen. András Andrássy ist ihr Sprecher.

    "Heute täte Ungarn ein Horthy gut. Denn er würde es aus der unglaublichen wirtschaftlichen, politischen und moralischen Krise führen. "

    Horthy hatte in den 20er-Jahren bereits Anti-Juden-Gesetze eingeführt. Und er ließ sich auf einen Pakt mit Hitler ein, um die ungarischen Gebiete wieder zu bekommen, die nach dem Ersten Weltkrieg verloren gegangen waren: zwei Drittel des Territoriums. Nach Horthy werden jetzt Plätze benannt, es werden Gedenktafeln aufgehängt und Statuen aufgestellt.
    Auch der Kossuth-Platz vor dem Budapester Parlament wird historisch auf Linie gebracht. Ursprünglich sollte sogar das Denkmal für den Dichter Attila József am Donauufer weichen – weil der "Dichter der Armen" sich mit den Kommunisten sympathisiert hatte. Dafür wurde eine andere Statue geschleift: Die des ehemaligen Ministerpräsidenten Mihály Károlyi. Endre Bojtár ist Chefredakteur der linksliberalen Wochenzeitschrift "Magyar Narancs".

    "Mihály Károlyi war ein Adliger, der einer der Anführer der bürgerlichen Nachkriegsrevolution 1918 war. In der rechten ungarischen Mythologie ist er der Verantwortliche für den verlorenen Krieg und die Zerstückelung Ungarns. "

    Reichsverweser Horthy stempelte ihn zum "Landesverräter". In diese Tradition stellt sich die Regierung Orbán. Kulturstaatssekretär László Simon, sagt über Károlyi, der seinen eigenen Grundbesitz im Zug einer Bodenreform aufgeteilt hatte.

    "Die Kommunisten haben seine politische Verantwortung maskieren wollen: Der Großgrundbesitzer, der sein Land verteilte, der Präsident der ersten Republik. Das stellen wir richtig."