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Die wiederkehrenden Momente des Lebens

Mit dem Albumtitel "Turbines" will die britische Folktronica-Band Tunng nicht auf maschinell klingende Musik verweisen, sondern auf das Wiederkehrende im Leben und die Möglichkeit, sich weiter zu entwickeln.

Von Andreas Zimmer |
    Die wahrscheinlich einschneidenste Änderung zu bisherigen Tunng-Veröffentlichungen ist: An "Turbines" hat erstmalig die gesamte Band, sprich alle verbliebenen fünf Musiker, an den Schreib- und Produktionsprozessen mitgearbeitet. Von Anfang an.

    Ashley Bates freut sich, dass sich jetzt jedes Bandmitglied mit jedem Song persönlich identifizieren kann. Nach knapp 10 Jahren Tunng ein ganz neuer Aspekt für die Gruppe, lag das Songwriting bisher doch fast ausschließlich bei Mike Lindsay und Sam Genders, der sich aus der Band verabschiedet hat.
    Aber wie bekommt man fünf ausgewachsene und kreative Individuen unter einen Hut? Das wäre vergleichbar mit dem Hüten eines Sacks voller Flöhe. Findet auch das verbliebene Mastermind Mike.

    In London hätte das gemeinsame Komponieren wohl nicht so gut funktioniert, weil jeder nicht fokussiert genug gewesen wäre, sinniert der Mittdreißiger. Zuviel Ablenkung durch Freunde und Partys. Also hätten große Teile der Schreibsessions in Island stattgefunden, wo Mike seit ein paar Jahren wohne. Der Einsamkeit wegen. Der Landschaft wegen. Und der tollen Frauen wegen. Also vor allem seiner Frau wegen, die aus Reykjavik stammt.

    Da "Turbines" nun tatsächlich die erste wirkliche Zusammenarbeit aller ist, überrascht es nicht, dass es sich von den Vorgänger-CDs unterscheidet. Zunächst einmal verabschiedet sich Tunng vom altbekannten Aufbau eines Songs, also Strophe – Refrain – Strophe, oftmals findet sich kein wirklicher Refrain in den Stücken.

    So wirkt jeder einzelne der neun neuen Tracks wie ein kleines Konzeptalbum für sich. Soll heißen: Es gibt große rhythmische, melodiöse und stilistische Brüche innerhalb der Stücke. Dennoch passt alles auf wunderbare Weise zusammen. Einer der verbindenden Aspekte von "Turbines" sind die deutlichen Retro-Rock-Anleihen.

    Und nicht nur die besagten Retro-Zitate seien der Kitt, der die CD zusammenhält, Mike Lindsay hat sich offenbar vor Jahren auch noch ein altes Tonband-Echo-Effektgerät gekauft, das eine große Rolle spielt und den Klang für "Turbines" mitprägt. Ebenso wie zahlreiche Synthesizer aus den späten 70ern. Diese gäben dann dem Album sogar einen leicht psychedelischen Anstrich.

    Wobei Mike sich ein bisschen windet, zuzugeben, dass Tunng mit "Turbines" ein wirkliches Retro-Rock-Album vorlegen. Für ihn ist das immer noch Elektronica-Folk. Und ja, es gibt ein paar zarte Anklänge an beispielsweise Simon & Garfunkel. Aber folkiger als das geht es nirgends zu. Wohingegen die elektronischen Wurzeln nicht zu überhören sind. Die aber sehr gut mit dem Psychedelic-Retro-Rock harmonieren.

    Insgesamt strahlt Tunngs neue CD "Turbines" eine wohlige Wärme aus und wirkt trotz aller technischen Finessen niemals technokratisch kühl. Wie die Band dann auf den doch zunächst etwas spröde und industriell-maschinell klingenden Albumtitel "Turbinen" kommen? Becky Jacobs, die einzige Frau in der Band, spricht von gewissen Kontroversen bei der Titelfindung.

    Nicht alle seien mit dem Titel "Turbines" einverstanden gewesen, aber es sei der einzig richtige. Schließlich würde darin etwas von den immer wiederkehrenden Momenten des Lebens stecken, die jeder durchstehen müsste und woraus sich immer neue Gelegenheiten ergeben würden, die die Triebkraft für die Fortentwicklung des eigenen Lebens seien. Das hat schon fast philosophische Tiefe.

    Weiterhin bleiben Tunng – als Band – so klein, dass sie sich zwar alle Jahre wieder ein neues Album leisten können und wollen. Aber da weder die Verkäufe noch die anschließenden Konzerte genug Geld einbringen, um die fünf Mitglieder der Band zu ernähren, haben alle noch Nebenjobs. Becky bringt das zusammenfassend auf den Punkt.

    Sie meint, dass man schon für eine lange Zeit unglaublich erfolgreich sein müsste, um sein ganzes Leben von der Musik bestreiten zu können. Der positive Aspekt aller Nebentätigkeiten der Tunng-Mitglieder sei aber, dass sich alle wirklich auf die Zusammenarbeit in der Band freuen würden und somit auch persönlich mehr aus der Band mitnehmen könnten. Erneut ein Hinweis darauf, dass sich auch die Auseinandersetzung mit den Texten auf Tunngs neuem Album "Turbines" lohnt.