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Die Wissenschaft und der Brexit
Bericht vom EuroScience Open Forum 2016 in Manchester

Im Rahmen des EuroScience Open Forum (ESOF) kommen in Manchester derzeit Forscher, Politiker und Wirtschaftsvertreter zusammen. Auf der Konferenz wird traditionell über wissenschaftspolitische Entwicklungen reflektiert. Klar, dass in diesem Jahr die Frage im Raum stand, wie sich der bevorstehende Brexit auf die europäische wissenschaftliche Zusammenarbeit auswirken wird.

Wissenschaftsjournalist Ralf Krauter im Gespräch mit Uli Blumenthal |
    Der britische Wissenschaftsminister Jo Johnson auf dem Weg zu einem Kabinetts-Treffen in London, 21. Mai 2013
    Der britische Wissenschaftsminister Jo Johnson war einer der Redner bei der ESOF 2016. Sein Bruder ist der Politiker Boris Johnson (EPA/FACUNDO ARRIZABALAGA/dpa Picture Alliance)
    Uli Blumenthal: Wie schlägt sich der Brexit auf der Veranstaltung nieder?
    Ralf Krauter: Er spielt zwar keine dominierende Rolle, weil das Programm dieser Veranstaltung ja schon lange im Vorfeld geplant wurde. Aber das Thema ist dennoch sehr präsent, einfach weil es die Forscher hier in Großbritannien ebenso umtreibt, wie all jene, die mit denen kooperieren. Aus aktuellem Anlass hat man am Mittwoch noch eine eigene Session anberaumt, die sicher gut besucht sein wird, nach allem, was man hier so mitbekommt. Titel: "Großbritanniens größtes Experiment: Die Aussichten für wissenschaftliche Zusammenarbeit nach dem Brexit."
    Welche Szenarien dann diskutiert werden, muss man mal sehen. Dass vieles im Argen liegt wurde gestern Vormittag schon klar, als zwei hochrangige Politiker hier auf derselben Bühne standen. Der eine: Carlos Moedas, der EU-Forschungskommissar, aus Brüssel angereist. Der andere: Jo Johnson, der alte und neue britische Wissenschaftsminister. Dessen Bruder Boris Johnson zählte ja mit zur Speerspitze der Brexit-Befürworter.
    Blumenthal: Das klingt nach einer spannenden Paarung. Wie ist die Veranstaltung gelaufen?
    Krauter: Sie war erstaunlich schnell zu Ende. Anberaumt waren eine Stunde und 15 Minuten, doch nach 45 Minuten war Schluss. Zuerst hielt der EU-Kommissar Carlos Moedas eine Rede. Und die war ein starkes Plädoyer dafür, dass Europa zum Vorreiter bei 'open science' werden solle, also beim Bestreben, wissenschaftliche Publikationen und Daten allen frei zugänglich zu machen. Denn Offenheit und Transparenz auf allen Ebenen sei der einzige Weg, um das Vertrauen der Bürger zurück zu gewinnen, so Moedas. Bürger, die sich - wenn man aktuelle politische Strömungen in vielen Ländern verfolgt - ja immer weniger von Expertenwissen beeindrucken lassen und sich gerne mal ihre eigenen Fakten zurechtbiegen.
    Der EU-Kommissar rief die wissenschaftliche Community dazu auf, dagegen zu halten, weil es auch künftig wichtig bleibt, Fakten von Fiktionen zu trennen. Und die EU-Kommission tut auch selber was, um mehr Transparenz zu schaffen. Bei EU-geförderten Forschungsprojekten ist die Veröffentlichung der Ergebnisse in einem Open-Access-Journal ja heute schon Pflicht. Da ist Europa Vorreiter. Und ab sofort müssen die Forscher auch bei allen neu bewilligten Projekten die Daten ihrer Experimente freigeben. Open Data wird ebenfalls Pflicht. Ob diese Standards künftig auch noch für Forscher in Großbritannien gelten, ist allerdings völlig unklar.
    Blumenthal: Welche Botschaft hatte der EU-Forschungskommissar wfür die Briten parat?
    Krauter: Carlos Moedas sicherte den britischen Forschern in diesen unsicheren Zeiten zwei Dinge zu:
    Erstens: "Solange es keinen Brexit gibt, bleibt alles beim Alten, was Fördermittel aus Brüssel und Kooperationen mit EU-Partnern angeht."
    Zweitens: "Für das Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020 bleibt Exzellenz das entscheidende Kriterium, wer Geld bekommt und wer nicht - und nicht die Nationalität."
    Und das haben die britischen Forscher natürlich gern gehört, denn dass es hier an vielen Orten exzellente Wissenschaftler gibt, ist natürlich völlig unbestritten.
    Blumenthal: Und was hat Jo Johnson, der britische Wissenschaftsminister gesagt?
    Krauter: Er hat das gesagt, was man von einem Politiker erwartet: Dass Großbritannien tolle Forschungsreinrichtungen hat, dass man sicherstellen will, dass die auch künftig so finanziert werden, dass das UK ein globales Zentrum für Spitzenforschung ist und bleibt. Und er hat betont, dass es ja auch außerhalb der EU zahlreiche Forschungskooperationen mit britischer Beteiligung gebe, die man nun intensivieren wolle. Das europäischen Teilchenforschungszentrum CERN, die Gravitationswellen-Detektoren von LIGO, die europäische Spallationsquelle, die in Schweden gebaut wird. Das sind europäische bzw. internationale Projekte außerhalb des EU-Rahmens.
    Für mich klang das alles schwammig und unkonkret. Da hätte man gern mehr gewusst, Fragen waren aber keine erlaubt. Nach dem Vortrag war zur Überraschung aller Anwesenden einfach Schluss und der Minister eilte aus dem Saal.
    Blumenthal: Wie haben die versammelten Forscher reagiert?
    Krauter: Während des Vortrags saß neben mir ein Vertreter des Institute of Physics, des britischen Pendants der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Und der sagte: "Es stimmt halt nicht, dass bis auf weiteres erstmal alles beim Alten bleibt. Es ist schon jetzt nichts mehr wie früher."
    Also die Politiker tun so, als gäbe es da einen Status Quo zu halten, der de facto schon längst zerbröckelt ist, so die Wahrnehmung. Und dass sich Jo Johnson keiner Diskussion gestellt hat, fanden viele so überraschend wie enttäuschend.
    Der Physiknobelpreisträger Andre Geim, der Erfinder des zweidimensionalen Kohlenstoffs Graphen, brachte die Stimmung in einer Folgesession so auf den Punkt: "Wenn Mediziner ein neues Medikament erproben, dann testen die seine Wirkung erstmal an Fröschen oder Mäusen. Großbritanniens Politiker dagegen machen ein Experiment ähnlicher Tragweite gerade direkt am Menschen."
    Gefördert durch das Projekt Master Class Wissenschaftsjournalismus des ReporterForums und der Robert-Bosch-Stiftung.