"Ich glaube, diese Debatte kann eigentlich nichts anderes sein als eine hoffentlich im Positiven bemerkenswerte Etappe im Ringen um das höchsterreichbare Maß von Übereinstimmung für die Bewältigung der deutschen Lebensfragen."
Herbert Wehner, stellvertretender Vorsitzender der SPD, am 30. Juni 1960 im Bonner Bundestag. Seine vielbeachtete Rede markiert eine historische Zäsur in der Politik der Sozialdemokratie: die Akzeptanz der Einbindung der Bundesrepublik in das westliche Bündnissystem.
"Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands geht davon aus, dass das europäische und das atlantische Vertragssystem, dem die Bundesrepublik angehört, Grundlage und Rahmen für alle Bemühungen der deutschen Außen- und Wiedervereinigungspolitik ist."
Wehners Auftritt galt auch politischen Gegnern als rhetorisch und strategisch geglückter Coup. Der CSU-Politiker Karl Theodor zu Guttenberg, der Großvater des heutigen Verteidigungsministers, im Parlament:
"Ich stehe nicht an zu sagen, dass ich diese Rede meisterlich gefunden habe, und ich gestehe vor allem, dass ich diese Perfektion des Charmes bewundert habe, die Herr Wehner hier entwickelt hat und die ich selber gewiss nicht erreichen werde."
Ein vergiftetes Lob für den Sozialdemokraten, der im Bundestag nichts geringeres verkündet hatte als die Abkehr der SPD von ihren neutralistischen Vorstellungen. Die SPD, so erklärte Wehner, werde loyal zu den Westverträgen und den Bündnispflichten der Bundesrepublik stehen. Statt "Wiedervereinigung durch Bündnisfreiheit", wie die SPD noch 1959 in ihrem "Deutschlandlandplan" gefordert hatte, das Angebot zur Zusammenarbeit mit den regierenden Christdemokraten unter Kanzler Adenauer.
"Innenpolitische Gegnerschaft belebt die Demokratie. Aber ein Feindverhältnis, wie es von manchen gesucht und angestrebt wird, tötet schließlich die Demokratie, so harmlos das auch anfangen mag. Das geteilte Deutschland, meine Damen und Herren, (...) kann nicht unheilbar miteinander verfeindete christliche Demokraten und Sozialdemokraten ertragen. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld."
Der Grund für die Wandlung der Sozialdemokraten lag im Scheitern der Viermächtediplomatie: Im Mai 1960 hatte der sowjetische Regierungschef Chruschtschow die Pariser Gipfelkonferenz platzen lassen, da kurz zuvor ein amerikanisches Spionageflugzeug über dem Ural abgeschossen worden war. Den Sozialdemokraten machte der Eklat von Paris deutlich, dass ihre Politik eines "dritten Weges" zwischen West und Ost in der Sackgasse gelandet war: Die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung von sowjetischen Gnaden hatte sich aufgrund der unberechenbaren Kreml-Politik als Illusion erwiesen. Adenauer allerdings kam das abrupte Ende der Pariser Konferenz sehr gelegen, da er Konzessionen der Briten und Amerikaner befürchtete, vor allem in der Berlinfrage.
"Wir haben nochmals fies Jlück jehabt",
bekannte der Kanzler im Gespräch mit seinem Staatssekretär Felix von Eckardt. Die SPD vollzog nach der Revision ihrer gesellschaftspolitischen Vorstellungen auf dem Godesberger Programmparteitag vom November 1959 nun auch in der Außenpolitik eine tiefgreifende Wandlung. Ausgerechnet Herbert Wehner, der als ehemaliger Kommunist von der Regierung stets mit Verdächtigungen überzogen worden war, erläuterte dem Bundestag die neue Politik. Punkt für Punkt ging Wehner in seinem 50-seitigen Redemanuskript auf Forderungen ein, die Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß als Voraussetzung für eine Zusammenarbeit genannt hatte. Die wichtigste lautete, die SPD müsse sich in Wort und Tat zur Landesverteidigung bekennen. Und so geschah es. Kanzler Adenauer aber misstraute den Sozialdemokraten weiterhin:
"Das Ganze war ein schlechtes Theater (...) Das war eine rein kommunistische Dialektik."
Öffentlichkeit und Presse jedoch - allen voran Springers "Bild"-Zeitung - nahmen Wehners Rede mit Begeisterung auf:
"Endlich: CDU und SPD auf gleichem Kurs."
Es sollte noch sechs Jahre dauern, bis Christ- und Sozialdemokraten erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik eine Große Koalition eingingen.
Herbert Wehner, stellvertretender Vorsitzender der SPD, am 30. Juni 1960 im Bonner Bundestag. Seine vielbeachtete Rede markiert eine historische Zäsur in der Politik der Sozialdemokratie: die Akzeptanz der Einbindung der Bundesrepublik in das westliche Bündnissystem.
"Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands geht davon aus, dass das europäische und das atlantische Vertragssystem, dem die Bundesrepublik angehört, Grundlage und Rahmen für alle Bemühungen der deutschen Außen- und Wiedervereinigungspolitik ist."
Wehners Auftritt galt auch politischen Gegnern als rhetorisch und strategisch geglückter Coup. Der CSU-Politiker Karl Theodor zu Guttenberg, der Großvater des heutigen Verteidigungsministers, im Parlament:
"Ich stehe nicht an zu sagen, dass ich diese Rede meisterlich gefunden habe, und ich gestehe vor allem, dass ich diese Perfektion des Charmes bewundert habe, die Herr Wehner hier entwickelt hat und die ich selber gewiss nicht erreichen werde."
Ein vergiftetes Lob für den Sozialdemokraten, der im Bundestag nichts geringeres verkündet hatte als die Abkehr der SPD von ihren neutralistischen Vorstellungen. Die SPD, so erklärte Wehner, werde loyal zu den Westverträgen und den Bündnispflichten der Bundesrepublik stehen. Statt "Wiedervereinigung durch Bündnisfreiheit", wie die SPD noch 1959 in ihrem "Deutschlandlandplan" gefordert hatte, das Angebot zur Zusammenarbeit mit den regierenden Christdemokraten unter Kanzler Adenauer.
"Innenpolitische Gegnerschaft belebt die Demokratie. Aber ein Feindverhältnis, wie es von manchen gesucht und angestrebt wird, tötet schließlich die Demokratie, so harmlos das auch anfangen mag. Das geteilte Deutschland, meine Damen und Herren, (...) kann nicht unheilbar miteinander verfeindete christliche Demokraten und Sozialdemokraten ertragen. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld."
Der Grund für die Wandlung der Sozialdemokraten lag im Scheitern der Viermächtediplomatie: Im Mai 1960 hatte der sowjetische Regierungschef Chruschtschow die Pariser Gipfelkonferenz platzen lassen, da kurz zuvor ein amerikanisches Spionageflugzeug über dem Ural abgeschossen worden war. Den Sozialdemokraten machte der Eklat von Paris deutlich, dass ihre Politik eines "dritten Weges" zwischen West und Ost in der Sackgasse gelandet war: Die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung von sowjetischen Gnaden hatte sich aufgrund der unberechenbaren Kreml-Politik als Illusion erwiesen. Adenauer allerdings kam das abrupte Ende der Pariser Konferenz sehr gelegen, da er Konzessionen der Briten und Amerikaner befürchtete, vor allem in der Berlinfrage.
"Wir haben nochmals fies Jlück jehabt",
bekannte der Kanzler im Gespräch mit seinem Staatssekretär Felix von Eckardt. Die SPD vollzog nach der Revision ihrer gesellschaftspolitischen Vorstellungen auf dem Godesberger Programmparteitag vom November 1959 nun auch in der Außenpolitik eine tiefgreifende Wandlung. Ausgerechnet Herbert Wehner, der als ehemaliger Kommunist von der Regierung stets mit Verdächtigungen überzogen worden war, erläuterte dem Bundestag die neue Politik. Punkt für Punkt ging Wehner in seinem 50-seitigen Redemanuskript auf Forderungen ein, die Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß als Voraussetzung für eine Zusammenarbeit genannt hatte. Die wichtigste lautete, die SPD müsse sich in Wort und Tat zur Landesverteidigung bekennen. Und so geschah es. Kanzler Adenauer aber misstraute den Sozialdemokraten weiterhin:
"Das Ganze war ein schlechtes Theater (...) Das war eine rein kommunistische Dialektik."
Öffentlichkeit und Presse jedoch - allen voran Springers "Bild"-Zeitung - nahmen Wehners Rede mit Begeisterung auf:
"Endlich: CDU und SPD auf gleichem Kurs."
Es sollte noch sechs Jahre dauern, bis Christ- und Sozialdemokraten erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik eine Große Koalition eingingen.