Der große, alte Theaterzauberer Roberto Ciulli sitzt im Lichtkreis und erzählt aus Else Lasker-Schülers Leben. Und dann verwandelt sich Ciulli selbst in die Dichterin, mit einem blauen Glitzerkleid und rot geschminkten Lippen wandert er mit einem Kinderwagen über die Bühne, sitzt da, raucht, gießt Papierblumen, macht Feuer, und es ist klar: Alles auf der Bühne entspringt seiner Fantasie. Ciulli hat sich die Dichterin tief einverleibt – so tief, dass sie dem Publikum verrätselt und weit entfernt erscheint. Es ist eine Collage aus bedeutungsschweren Bruchstücken geworden. Wie Spielpuppen lässt er die Figuren aus der "Wupper" auftreten.
Das Stück ist ein soziales Gesellschaftsbild des untergehenden Fabrikantenclan Sonntag und der Arbeiterfamilie Pius. Ciulli stellt die Schauspieler wie Spielfiguren vor und lässt sie wieder abtreten: Die aufstrebende Dienstbotin Marta, der auf kleine Mädchen stehende Fabrikbesitzer Heinrich, Carl, der zum evangelischen Priester werden will. Ein blaues Klavier in einem Meer aus blauen Papierblumen beherrscht die Bühne: Ein berühmtes Gedicht von Lasker-Schüler heißt so. Das blaue Klavier ist die Sehnsucht nach einer Welt der Kunst in einer verrohten Welt. Hinter dem Klavier verschwinden immer wieder die Figuren zum Sex, zum lustvollen Schlagen oder zur Selbstbefriedigung. Das Stück ist auch eins über die Kopulation und Vermischung der Klassen.
Meist stehen die Schauspieler dabei nur da, sie spielen nur in Ansätzen
Sie sprechen dabei kaum. Statt dessen wird die Wupper als Hörspiel (Jörg Schlüter, Thom Kubli) mit Surround-Sound eingespielt, doch aus den Bruchstücken wird die Handlung kaum klar – erschwert zusätzlich dadurch, dass die Schauspieler dabei noch nicht einmal die Lippen bewegen. Das Hörspiel übernimmt ihre Rolle.
Sie sprechen dabei kaum. Statt dessen wird die Wupper als Hörspiel (Jörg Schlüter, Thom Kubli) mit Surround-Sound eingespielt, doch aus den Bruchstücken wird die Handlung kaum klar – erschwert zusätzlich dadurch, dass die Schauspieler dabei noch nicht einmal die Lippen bewegen. Das Hörspiel übernimmt ihre Rolle.
"Ich fahr für mein Leben gern. Ich setz mich auf den Leoparden und Sie auf das Lamm. Was machen wir? Du brauchst doch nicht Herr zu mir zu sagen, Püppchen."
Meist stehen die Schauspieler dabei nur da, sie spielen nur in Ansätzen. Dennoch ist die Szene eindrücklich, als Fabrikant Heinrich die zwölfjährige Nachbarstochter Lieschen (Dagmar Geppert) auf dem Jahrmarkt brutal verführt und anschließend misshandelt, obwohl sie dem schwindsüchtigen Eduard versprochen war – sie entsteht zum großen Teil im Kopf:
"Ist er gar so schön wie ich? Aber so einen langen Schnurrbart hat er doch nicht … Der kommt doch hierhin nicht! Lachen. Lass mich mal von dem süßen Herz beißen!"
Meist stehen die Schauspieler dabei nur da, sie spielen nur in Ansätzen. Dennoch ist die Szene eindrücklich, als Fabrikant Heinrich die zwölfjährige Nachbarstochter Lieschen (Dagmar Geppert) auf dem Jahrmarkt brutal verführt und anschließend misshandelt, obwohl sie dem schwindsüchtigen Eduard versprochen war – sie entsteht zum großen Teil im Kopf:
"Ist er gar so schön wie ich? Aber so einen langen Schnurrbart hat er doch nicht … Der kommt doch hierhin nicht! Lachen. Lass mich mal von dem süßen Herz beißen!"
Ciulli lässt dem Publikum kaum Chancen, in sein Universum einzutreten
In golden glitzernde Wärmefolie für Flüchtlinge wird das missbrauchte Lieschen von Heinrich eingewickelt, das an einem Seilzug in die Zwangserziehungsanstalt geschickt wird. Die Szene erinnert an das Leben der Else Lasker-Schüler, die selbst ein jüdischer Flüchtling war, bis sie nach langer Irrfahrt in Israel ankam. Heinrich wird sich später aus Scham umbringen. Doch das ist schon fast die einzige konkrete Geschichte, die aus Ciullis "Performance" untertiteltem Wupper-Abend herauszudestillieren ist.
"Ist das Lieschen bei Ihnen? Aber Eduard. Lassen Sie das Blag lieber links liegen, sonst kommen Sie auch in einen falschen Verdacht. Er hat öfters gefragt ob er das Lieschen berührte … Ich kenne dich doch, Eduard!"
Die getriebenen bürgerlichen Gestalten der Gründerzeit sitzen apathisch in einem Zwangskorsett aus frommer Verklemmtheit und sadistischer Lust. Eine Gegenwelt dazu ist das rätselhafte Stadtstreicher-Trio, der gläserne Amadeus, die Lange Anna und der Exhibitionist Penderfrederich: Verschmiert und verloren geistern sie über die Bühne, machen derbe Witze und sind die einzigen, die real sprechen dürfen – immer wieder auch die berühmten, traumschönen Gedichte von Else Lasker-Schüler. Es ist eine virtuose Verweigerung, die Ciulli hier betreibt. Anarchistisch-verspielt und provokant wie die Dichterin selbst lässt er dem Publikum kaum Chancen, in sein verinnerlichtes Lasker-Schüler-Universum einzutreten - zusehends leeren sich in Düsseldorf die Stuhlreihen. Zum Schluss setzt sich Ciulli sogar provokant mit dem Rücken zum Publikum auf den Stuhl und kommt einfach nicht zum Ende. Bis am Ende ein gefiedertes Wesen doch noch das blaue Klavier erklingen lässt. Ein assoziativer, seltsamer Abend, auf den man sich einlassen kann – aber nur, wen man mit dem Werk der traurigen, großen Dichterin eng vertraut ist.
In golden glitzernde Wärmefolie für Flüchtlinge wird das missbrauchte Lieschen von Heinrich eingewickelt, das an einem Seilzug in die Zwangserziehungsanstalt geschickt wird. Die Szene erinnert an das Leben der Else Lasker-Schüler, die selbst ein jüdischer Flüchtling war, bis sie nach langer Irrfahrt in Israel ankam. Heinrich wird sich später aus Scham umbringen. Doch das ist schon fast die einzige konkrete Geschichte, die aus Ciullis "Performance" untertiteltem Wupper-Abend herauszudestillieren ist.
"Ist das Lieschen bei Ihnen? Aber Eduard. Lassen Sie das Blag lieber links liegen, sonst kommen Sie auch in einen falschen Verdacht. Er hat öfters gefragt ob er das Lieschen berührte … Ich kenne dich doch, Eduard!"
Die getriebenen bürgerlichen Gestalten der Gründerzeit sitzen apathisch in einem Zwangskorsett aus frommer Verklemmtheit und sadistischer Lust. Eine Gegenwelt dazu ist das rätselhafte Stadtstreicher-Trio, der gläserne Amadeus, die Lange Anna und der Exhibitionist Penderfrederich: Verschmiert und verloren geistern sie über die Bühne, machen derbe Witze und sind die einzigen, die real sprechen dürfen – immer wieder auch die berühmten, traumschönen Gedichte von Else Lasker-Schüler. Es ist eine virtuose Verweigerung, die Ciulli hier betreibt. Anarchistisch-verspielt und provokant wie die Dichterin selbst lässt er dem Publikum kaum Chancen, in sein verinnerlichtes Lasker-Schüler-Universum einzutreten - zusehends leeren sich in Düsseldorf die Stuhlreihen. Zum Schluss setzt sich Ciulli sogar provokant mit dem Rücken zum Publikum auf den Stuhl und kommt einfach nicht zum Ende. Bis am Ende ein gefiedertes Wesen doch noch das blaue Klavier erklingen lässt. Ein assoziativer, seltsamer Abend, auf den man sich einlassen kann – aber nur, wen man mit dem Werk der traurigen, großen Dichterin eng vertraut ist.