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DIe Wurzelgehirne von Pflanzen

Botanik. - Forscher am neu gegründeten Internationalen Laboratorium für Pflanzen-Neurobiologie in Florenz sind bei ihrer Suche nach einer Art Gehirn bei Pflanzen fündig geworden: In den Wurzelspitzen des Ölzweigs entdeckten sie mit Hilfe eines Rasterkraftmikroskops Zellen, die Informationen mit Hilfe von Neurotransmittern zu anderen Zellen weiterreichen und auch speichern können.

Von Thomas Migge |
    Der kleine Olivenbaum mit dem graugrünen Blättern liegt unter dem Mikroskop. Ein Strauch vielmehr. Die Wurzeln des Bäumchens werden von einem so genannten Rasterkraftmikroskop erfasst. Ein hochauflösendes Instrument, das selbst das Innere eines Haares exakt erfassen kann. Der Olivenbaum und das Mikroskop befinden sich in einem metallenen Kasten mit einer Kantenlänge von rund 50 Zentimeter. Das Kunstauge ist an eine Mini-Kamera angeschlossen. Sie projiziert das Innenleben der Wurzeln des Olivenbaums auf den Bildschirm des Computers von Biologe Stefano Mancuso vom Wissenschaftszentrum in Sesto Fiorentino bei Florenz:

    " Mit dem Rasterkraftmikroskop untersuchen wir jenen Teil der Wurzelspitzen von Pflanzen und Bäumen, in denen schon Charles Darwin 1880 eine Art Gehirn vermutet hatte. Doch erst heute haben wir dieses Gehirn entdeckt. Mit dem Mikroskop gelingt es uns, der Funktionsweise dieses Gehirn nachzuspüren, ohne dass die Zellen in den Wurzeln dabei berührt werden."

    Stefano Mancuso leitet das erste internationale Institut zur Erforschung pflanzlicher Neurobiologie. Das Institut ist Teil der Universität Florenz. Es wird durch die Sponsorengelder einer Florentiner Bank finanziert. Unter Mancusos Direktion arbeiten Neurobiologen aus Italien und vom botanischen Institut der Universität Bonn, unter Leitung von Dieter Volkmann und Frantisek Baluska, zusammen. Stefano Mancuso:

    " In den letzten 15 Jahren entdeckte man, dass Pflanzen der gleichen Spezies miteinander kommunizieren und eine Vielzahl von Informationen austauschen. Bestritten wird diese Kommunikation von chemischen Molekülen. Mit Hilfe eines inzwischen erforschten Vokabulars teilen sich die Pflanzen beispielsweise mit, ob Gefahren drohen, etwa durch Insektenbefall. Die, um bei diesem Beispiel zu bleiben, Warnnachrichten in Form von Molekülen werden mit Hilfe der im Erdreich vorhandenen Feuchtigkeit anderen Pflanzen mitgeteilt; von Wurzen zu Wurzel."

    Die bahnbrechende Entdeckung von Mancusos deutsch-italienischem Mitarbeiterteam, die zur Einrichtung des neuen Instituts führte, betrifft die Wurzeln von Pflanzen und Bäumen. Dort nämlich sitzt eine Art Gehirn, eine Zone mit Zellen, die eine eindeutig als solche zu definierende neurale Funktion erfüllen; ähnlich wie die des menschlichen Gehirns. Auch wenn diese Zellen ganz anders aussehen als die Neuronen des Menschen, haben sie eine ähnliche Funktion:

    " Wurzeln bestehen aus drei Zonen: der an der Wurzelspitze liegende Vegetationspunkt, die sich anschließende Wachstumszone und die darauf folgende Zone der Wurzelhaare. Teil der Wachstumszone ist das, wenn Sie so wollen, Gehirn. Es setzt sich aus Zellen zusammen, die zunächst gehirnmäßige Funktionen übernehmen, um dann zu Wachstumszellen der Pflanzenwurzeln zu werden."

    Jede einzelne Wurzelspitze einer Pflanze verfügt über so ein Gehirn. Die einzelnen Wurzelspitzen verständigen sich untereinander mit Hilfe von Neurotransmittern. Das sind biochemische Stoffe, die Informationen von einer Nervenzelle zur anderen weitergeben. Das Rasterkraftmikroskop macht die Kommunikation mit Hilfe von Neurotransmittern sichtbar. Die Wurzelzellen speichern auch Informationen. Stoßen Wurzeln bei ihrem Wachstum auf Steine, lernen sie, dass Steine umwachsen werden können und kein Hindernis darstellen müssen.

    Mancuso und seine Mitarbeiter fanden auch heraus, dass jener Wurzelteil, der als das Gehirn einer Pflanze oder eines Baumes bezeichnet werden kann, unterschiedlich groß ausfällt:

    " Beim Mais zum Beispiel, eine Pflanze mit einer relativ großen Wurzel, ist diese Zone rund einen Millimeter dick. Bei anderen Pflanzen ist sie sehr klein, nicht größer als 100 oder 150 Mikron."

    Hauptziel ihrer Forschungen ist es, Informationen darüber zu gewinnen, wie man die Fähigkeiten der Gehirne von Pflanzen und Bäumen zur Entwicklung anpassungsfähigerer Nutzpflanzen einsetzen kann.