Dirk Müller: Wie stark sind die Taliban inzwischen? Die jüngsten Angriffe der Extremisten in und um Kabul sowie auch in Pakistan haben demonstriert, dass die selbst ernannten Gotteskrieger ihre Ankündigung, in die Frühjahrsoffensive zu gehen, ernst meinen. Wie soll, wie kann die internationale Schutztruppe darauf reagieren? Der Abzug der Soldaten ist bislang bis zum Ende 2014 vorgesehen. Wie geht es weiter am Hindukusch? Ein Thema der NATO-Beratungen in Brüssel. Ein weiterer Einsatz der deutschen Soldaten steht wieder auf der Agenda der Politik: die Mission Atalanta ist gemeint, also der Einsatz der deutschen Marine am Horn von Afrika. Es geht um den Schutz, um die Sicherheit dieser Meerenge für Hunderte von Handelsschiffen, die jede Woche die Passage in Anspruch nehmen – Kampf gegen die Piraten, Kampf gegen Freibeuter, die zumeist von Somalia aus operieren und an Land nicht mehr verfolgt werden dürfen. Genau dies soll sich jetzt ändern, zumindest in einigen Details. Nein zu diesen neuen Einsatzplänen, das sagen eben auch – wir haben es in unserem Korrespondentenbericht gehört – die Grünen und auch die Sozialdemokraten. SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels ist jetzt bei uns hier im Deutschlandfunk am Telefon. Guten Tag!
Hans-Peter Bartels: Guten Tag.
Müller: Herr Bartels, warum torpedieren Sie jetzt den außenpolitischen Konsens?
Bartels: Wir haben ja einen laufenden EU-Einsatz, im letzten Dezember ist das Mandat erst wieder um ein Jahr verlängert worden, und dieser Einsatz zeigt ja Wirkung. Die Zahl der gekaperten Schiffe geht zurück, die Piraten haben es immer schwerer, ihr unseliges Tun im Indischen Ozean zu entfalten, gehen immer weiter von der Küste weg, die Reeder haben inzwischen Maßnahmen ergriffen, um ihre Schiffe besser zu sichern. Also das, was man eigentlich tun muss, nämlich die Geschäftsgrundlage abgraben, es darf keinen Erfolg mehr haben, Piraterie im Indischen Ozean zu versuchen, das scheint uns, auf einem einigermaßen vernünftigen Weg zu sein. Da jetzt eine militärische Ausweitung an Land in Somalia zu beschließen, ist keine zielführende Maßnahme.
Müller: Wenn die Zahlen, die wir recherchiert haben, richtig sind – ich meine, die Zahlen sind ja sehr umstritten -, dann hat es aber nach wie vor zahlreiche Angriffe der Piraten auf Schiffe gegeben und ohne, dass man die Piraten hinterher dingfest machen konnte.
Bartels: Es gibt immer wieder Angriffe, immer mehr Angriffe sind nicht erfolgreich, weil die Schiffe im Konvoi fahren, weil die Schiffe selbst besser geschützt sind, weil es gesicherte Korridore gibt, die von Kriegsschiffen geschützt werden. Also das Risiko für die Piraten ist deutlich höher geworden, und Sie werden es ja vielleicht verfolgt haben: das Ziel Deutschlands ist ja nicht, Piraten zu töten oder Piraten in großer Zahl gefangen zu nehmen, um sie nach Deutschland zu bringen und dort abzuurteilen, sondern wir müssen versuchen, die Schifffahrtswege so sicher wie möglich zu machen, damit Piraterie nicht funktionieren kann.
Müller: Das heißt, für die SPD reicht es aus, die Piraten abzuschrecken?
Bartels: Ja! Das Mandat, das wir jetzt haben, reicht aus und es zeigt auch Erfolge. Jetzt auszuweiten an Land, das bringt neue Risiken, und wie das operativ gehen soll, zu zielen auf Infrastruktur, von der man dann vom Hubschrauber aus denkt, das ist Piraten-Infrastruktur, also Boote, Waffen, Lager, und gleichzeitig Kollateralschäden, also Schäden an Personen, auch unbeteiligten Personen vermeiden will, wie das gehen soll, ist uns auch bisher vom Verteidigungsministerium und im Verteidigungsausschuss nicht wirklich erklärt worden.
Müller: Reden wir, Herr Bartels, einmal über das Stichwort Wiederholungstäter. Wir hören von verantwortlichen Militärs vor Ort, oder die es dann eben weitergeben nach Deutschland, immer wieder, dass es immer wieder dieselben sind, dass es immer Wiederholungstäter gibt, die versuchen, Schiffe zu überfallen, die dann nicht gefangen genommen werden können, weil sie beispielsweise es schaffen, an Land, an diese Strände zu kommen, und dann sind sie weg und am Tag später tauchen sie wieder auf. Macht das militärisch, politisch Sinn?
Bartels: Das wäre aber ein anderes Problem. Damit hat diese Mandatsausweitung ja nichts zu tun. Es werden ja Piraten in Gewahrsam genommen, gelegentlich werden sie dann auch wieder in ein Boot gesetzt und fahren, nachdem ihre Waffen zerstört sind, zurück an Land. Das Problem ist, dass kaum ein Land Piratenprozesse führen will, die Piraten im eigenen Land verurteilen und dann über Jahre in Gefängnisse stecken will, und deshalb soll das auch nicht unser Ziel sein. Das Ziel muss sein, die Schwelle so hoch wie möglich zu legen für Piratenangriffe. Wir werden nicht an Land bessere Ergebnisse erzielen, als wir jetzt auf See haben.
Müller: Wäre das ein bisschen so wie ein Dieb, der im Kaufhaus tätig ist und danach im Haus zwar verfolgt werden darf, aber sobald er den Parkplatz betritt, dann bleiben die Sicherheitskräfte stehen und tun nichts?
Bartels: Na ja, der Parkplatz ist schon ein anderes Land und der Parkplatz ist auch bevölkert mit ganz anderen Leuten und der Dieb soll ja nicht ergriffen werden, sondern es geht hier ja darum, mit Waffen an Land zu wirken, mit Waffen aus Hubschraubern an Land zu wirken. Wir denken, das ist eine militärische Eskalation, ohne dass dafür wirklich ein Gegenwert erreicht wird. Das macht die Schifffahrt am Horn von Afrika vermutlich nicht sicherer. Es sind im Wesentlichen Großbritannien und Frankreich gewesen, die darauf gedrängt haben, dass die EU hier eine Erweiterung des Mandats vornimmt. Dem hat Deutschland ja auch zugestimmt. Ob Deutschland selbst sich an diesem erweiterten Mandat beteiligen muss, das ist ja das, was im Bundestag dann zur Abstimmung gestellt wird, und da sagen wir Nein, da sehen wir keine Notwendigkeit.
Müller: Herr Bartels, es gibt eine lange Tradition in der deutschen Politik, in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, dass dort keine Spielchen gespielt werden zwischen Opposition und Regierung, dass es dort nicht um Profilierung geht, sondern dass man dort an einem Strang zieht. Ist dieses kleine Detail, also möglicherweise Intervention am Strand, wenn auch nur aus der Luft, wie auch immer, ist es das wert, diesen Konsens zu brechen?
Bartels: Wir haben ja ein gemeinsam formuliertes, ein gemeinsam beschlossenes Mandat vom Dezember letzten Jahres, und insgesamt läuft das EU-Mandat ja schon länger. Hier soll es eine Ausweitung geben, die im Übrigen auch bei den Fachleuten von CDU/CSU und FDP eher kritisch gesehen wird. Hier geht man vielleicht in eine europäische Solidarität, nach dem Motto, die Grundsätze, die für andere Staaten gelten, genau die wollen wir auch für uns gelten lassen, aber wir wollen es dann selbst nicht machen. Diese Doppelstrategie müssen wir nicht mitmachen. Wir sagen als Sozialdemokraten, das was beschlossen ist, kann so weiter durchgeführt werden, die Soldaten haben Rechtssicherheit, und ich glaube auch nicht, dass der jetztige Verteidigungsminister die alten "Sea King"-Hubschrauber mit Bordkanone über somalischen Stränden fliegen lassen wird. Das kann ich mir nicht vorstellen.
Müller: Und an Sie, Herr Bartels, oder an andere Mitglieder des Ausschusses, die der SPD, die auch den Grünen angehören, ist noch nie ein deutscher Marineoffizier getreten und hat gesagt, wir brauchen das?
Bartels: Das ist richtig. Das ist keine Forderung, die aus der Bundeswehr kommt.
Müller: Reden wir über ein anderes Thema, was dieser Tage auch wieder ganz oben auf der Agenda steht, nämlich Afghanistan. Wir haben die Angriffe der Taliban gehabt in den vergangenen Tagen, massive Angriffe, eine Frühjahrsoffensive steht dort an. So ist es zumindest auch angekündigt. Kann alles in Afghanistan mit Blick auf Zeitplan, auf Abzug und so weiter so bleiben, wie es ist?
Bartels: Es macht ja keinen Sinn, die Zeitpläne immer wieder neu zu diskutieren. Es gibt jetzt eine gemeinsam festgelegte Strategie und einen Ablauf zwischen NATO und der afghanischen Regierung. Beide Seiten wissen, worauf sie sich einstellen müssen. Die afghanische Regierung ist auch erfreulicherweise mehr und mehr in der Lage, mit eigenen Sicherheitskräften für Verbesserung von Sicherheit zu sorgen. In der NATO hört man ja auch Stimmen, die sagen, diese Angriffe der letzten Tage zeigen ja eher eine gewisse Hilflosigkeit der Taliban, die nicht erfolgreich waren, die viel Unruhe gemacht haben, die die Feuergefechte wieder in Kabul ausgelöst haben, aber letztlich von afghanischen Sicherheitskräften selbst beherrscht werden konnten.
Müller: Also Sie gehen tatsächlich jetzt davon aus, dass die Taliban schwächer sind als früher?
Bartels: Dass die afghanischen Sicherheitskräfte stärker sind. Die Taliban rekrutieren sich ja immer noch aus den pakistanischen Grenzgebieten. Es gibt auch Homegrown-Taliban in Afghanistan, es gibt weitere Gruppen, die nicht selbst Taliban sind, auch nicht El Kaida sind und für Gewalt in Afghanistan sorgen. Also sich immer nur auf die Taliban zu konzentrieren, geht vermutlich auch in die Irre. Denen muss mehr und mehr die afghanische Staatsgewalt selbst gegenübertreten, dafür sind die internationalen Truppen jetzt noch da, um diese Ausbildungs- und Aufbauphase der afghanischen Sicherheitsorgane abzusichern. Das soll 2014 zu Ende sein und ich kann mir nicht vorstellen, dass wir noch mal eine Debatte darüber kriegen, ob wir vier oder acht Jahre länger in Afghanistan bleiben. Wir sind jetzt schon elf Jahre dort.
Müller: Es geht, Herr Bartels, ja auch um die Option, eventuell früher abzuziehen. Das heißt, bis zum Ende 2014 sind Sie als Politiker auch bereit, die deutschen Soldaten dort in Lebensgefahr zu schicken?
Bartels: Ja! Ich denke, wir müssen das, was erreicht worden ist, jetzt nicht abbrechen, sondern den Plan gemeinsam weiter verfolgen. Es gibt keine Garantie auf hundertprozentigen Erfolg, aber sich aus den gemeinsamen Verabredungen rauszuziehen, auch das Versprechen, das man ja nicht nur der afghanischen Regierung, sondern auch der afghanischen Bevölkerung gegeben hat, dass man für einen überschaubaren Zeitraum noch Verantwortung trägt, das jetzt einfach aufzukündigen, kann ich mir als Sozialdemokrat nicht vorstellen und ich sehe es bei den Regierungsfraktionen auch nicht.
Müller: SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Bartels: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Weitere Informationen:
Piratenbekämpfung auch an Land - Kabinett für Ausweitung des Bundeswehr-Mandats vor Somalia, Opposition dagegen
Arnold: Ausweitung des Atalanta-Mandats hat überhaupt keinen Nutzen - SPD-Verteidigungspolitiker lehnt Änderung des Einsatzes am Horn von Afrika ab
Hans-Peter Bartels: Guten Tag.
Müller: Herr Bartels, warum torpedieren Sie jetzt den außenpolitischen Konsens?
Bartels: Wir haben ja einen laufenden EU-Einsatz, im letzten Dezember ist das Mandat erst wieder um ein Jahr verlängert worden, und dieser Einsatz zeigt ja Wirkung. Die Zahl der gekaperten Schiffe geht zurück, die Piraten haben es immer schwerer, ihr unseliges Tun im Indischen Ozean zu entfalten, gehen immer weiter von der Küste weg, die Reeder haben inzwischen Maßnahmen ergriffen, um ihre Schiffe besser zu sichern. Also das, was man eigentlich tun muss, nämlich die Geschäftsgrundlage abgraben, es darf keinen Erfolg mehr haben, Piraterie im Indischen Ozean zu versuchen, das scheint uns, auf einem einigermaßen vernünftigen Weg zu sein. Da jetzt eine militärische Ausweitung an Land in Somalia zu beschließen, ist keine zielführende Maßnahme.
Müller: Wenn die Zahlen, die wir recherchiert haben, richtig sind – ich meine, die Zahlen sind ja sehr umstritten -, dann hat es aber nach wie vor zahlreiche Angriffe der Piraten auf Schiffe gegeben und ohne, dass man die Piraten hinterher dingfest machen konnte.
Bartels: Es gibt immer wieder Angriffe, immer mehr Angriffe sind nicht erfolgreich, weil die Schiffe im Konvoi fahren, weil die Schiffe selbst besser geschützt sind, weil es gesicherte Korridore gibt, die von Kriegsschiffen geschützt werden. Also das Risiko für die Piraten ist deutlich höher geworden, und Sie werden es ja vielleicht verfolgt haben: das Ziel Deutschlands ist ja nicht, Piraten zu töten oder Piraten in großer Zahl gefangen zu nehmen, um sie nach Deutschland zu bringen und dort abzuurteilen, sondern wir müssen versuchen, die Schifffahrtswege so sicher wie möglich zu machen, damit Piraterie nicht funktionieren kann.
Müller: Das heißt, für die SPD reicht es aus, die Piraten abzuschrecken?
Bartels: Ja! Das Mandat, das wir jetzt haben, reicht aus und es zeigt auch Erfolge. Jetzt auszuweiten an Land, das bringt neue Risiken, und wie das operativ gehen soll, zu zielen auf Infrastruktur, von der man dann vom Hubschrauber aus denkt, das ist Piraten-Infrastruktur, also Boote, Waffen, Lager, und gleichzeitig Kollateralschäden, also Schäden an Personen, auch unbeteiligten Personen vermeiden will, wie das gehen soll, ist uns auch bisher vom Verteidigungsministerium und im Verteidigungsausschuss nicht wirklich erklärt worden.
Müller: Reden wir, Herr Bartels, einmal über das Stichwort Wiederholungstäter. Wir hören von verantwortlichen Militärs vor Ort, oder die es dann eben weitergeben nach Deutschland, immer wieder, dass es immer wieder dieselben sind, dass es immer Wiederholungstäter gibt, die versuchen, Schiffe zu überfallen, die dann nicht gefangen genommen werden können, weil sie beispielsweise es schaffen, an Land, an diese Strände zu kommen, und dann sind sie weg und am Tag später tauchen sie wieder auf. Macht das militärisch, politisch Sinn?
Bartels: Das wäre aber ein anderes Problem. Damit hat diese Mandatsausweitung ja nichts zu tun. Es werden ja Piraten in Gewahrsam genommen, gelegentlich werden sie dann auch wieder in ein Boot gesetzt und fahren, nachdem ihre Waffen zerstört sind, zurück an Land. Das Problem ist, dass kaum ein Land Piratenprozesse führen will, die Piraten im eigenen Land verurteilen und dann über Jahre in Gefängnisse stecken will, und deshalb soll das auch nicht unser Ziel sein. Das Ziel muss sein, die Schwelle so hoch wie möglich zu legen für Piratenangriffe. Wir werden nicht an Land bessere Ergebnisse erzielen, als wir jetzt auf See haben.
Müller: Wäre das ein bisschen so wie ein Dieb, der im Kaufhaus tätig ist und danach im Haus zwar verfolgt werden darf, aber sobald er den Parkplatz betritt, dann bleiben die Sicherheitskräfte stehen und tun nichts?
Bartels: Na ja, der Parkplatz ist schon ein anderes Land und der Parkplatz ist auch bevölkert mit ganz anderen Leuten und der Dieb soll ja nicht ergriffen werden, sondern es geht hier ja darum, mit Waffen an Land zu wirken, mit Waffen aus Hubschraubern an Land zu wirken. Wir denken, das ist eine militärische Eskalation, ohne dass dafür wirklich ein Gegenwert erreicht wird. Das macht die Schifffahrt am Horn von Afrika vermutlich nicht sicherer. Es sind im Wesentlichen Großbritannien und Frankreich gewesen, die darauf gedrängt haben, dass die EU hier eine Erweiterung des Mandats vornimmt. Dem hat Deutschland ja auch zugestimmt. Ob Deutschland selbst sich an diesem erweiterten Mandat beteiligen muss, das ist ja das, was im Bundestag dann zur Abstimmung gestellt wird, und da sagen wir Nein, da sehen wir keine Notwendigkeit.
Müller: Herr Bartels, es gibt eine lange Tradition in der deutschen Politik, in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, dass dort keine Spielchen gespielt werden zwischen Opposition und Regierung, dass es dort nicht um Profilierung geht, sondern dass man dort an einem Strang zieht. Ist dieses kleine Detail, also möglicherweise Intervention am Strand, wenn auch nur aus der Luft, wie auch immer, ist es das wert, diesen Konsens zu brechen?
Bartels: Wir haben ja ein gemeinsam formuliertes, ein gemeinsam beschlossenes Mandat vom Dezember letzten Jahres, und insgesamt läuft das EU-Mandat ja schon länger. Hier soll es eine Ausweitung geben, die im Übrigen auch bei den Fachleuten von CDU/CSU und FDP eher kritisch gesehen wird. Hier geht man vielleicht in eine europäische Solidarität, nach dem Motto, die Grundsätze, die für andere Staaten gelten, genau die wollen wir auch für uns gelten lassen, aber wir wollen es dann selbst nicht machen. Diese Doppelstrategie müssen wir nicht mitmachen. Wir sagen als Sozialdemokraten, das was beschlossen ist, kann so weiter durchgeführt werden, die Soldaten haben Rechtssicherheit, und ich glaube auch nicht, dass der jetztige Verteidigungsminister die alten "Sea King"-Hubschrauber mit Bordkanone über somalischen Stränden fliegen lassen wird. Das kann ich mir nicht vorstellen.
Müller: Und an Sie, Herr Bartels, oder an andere Mitglieder des Ausschusses, die der SPD, die auch den Grünen angehören, ist noch nie ein deutscher Marineoffizier getreten und hat gesagt, wir brauchen das?
Bartels: Das ist richtig. Das ist keine Forderung, die aus der Bundeswehr kommt.
Müller: Reden wir über ein anderes Thema, was dieser Tage auch wieder ganz oben auf der Agenda steht, nämlich Afghanistan. Wir haben die Angriffe der Taliban gehabt in den vergangenen Tagen, massive Angriffe, eine Frühjahrsoffensive steht dort an. So ist es zumindest auch angekündigt. Kann alles in Afghanistan mit Blick auf Zeitplan, auf Abzug und so weiter so bleiben, wie es ist?
Bartels: Es macht ja keinen Sinn, die Zeitpläne immer wieder neu zu diskutieren. Es gibt jetzt eine gemeinsam festgelegte Strategie und einen Ablauf zwischen NATO und der afghanischen Regierung. Beide Seiten wissen, worauf sie sich einstellen müssen. Die afghanische Regierung ist auch erfreulicherweise mehr und mehr in der Lage, mit eigenen Sicherheitskräften für Verbesserung von Sicherheit zu sorgen. In der NATO hört man ja auch Stimmen, die sagen, diese Angriffe der letzten Tage zeigen ja eher eine gewisse Hilflosigkeit der Taliban, die nicht erfolgreich waren, die viel Unruhe gemacht haben, die die Feuergefechte wieder in Kabul ausgelöst haben, aber letztlich von afghanischen Sicherheitskräften selbst beherrscht werden konnten.
Müller: Also Sie gehen tatsächlich jetzt davon aus, dass die Taliban schwächer sind als früher?
Bartels: Dass die afghanischen Sicherheitskräfte stärker sind. Die Taliban rekrutieren sich ja immer noch aus den pakistanischen Grenzgebieten. Es gibt auch Homegrown-Taliban in Afghanistan, es gibt weitere Gruppen, die nicht selbst Taliban sind, auch nicht El Kaida sind und für Gewalt in Afghanistan sorgen. Also sich immer nur auf die Taliban zu konzentrieren, geht vermutlich auch in die Irre. Denen muss mehr und mehr die afghanische Staatsgewalt selbst gegenübertreten, dafür sind die internationalen Truppen jetzt noch da, um diese Ausbildungs- und Aufbauphase der afghanischen Sicherheitsorgane abzusichern. Das soll 2014 zu Ende sein und ich kann mir nicht vorstellen, dass wir noch mal eine Debatte darüber kriegen, ob wir vier oder acht Jahre länger in Afghanistan bleiben. Wir sind jetzt schon elf Jahre dort.
Müller: Es geht, Herr Bartels, ja auch um die Option, eventuell früher abzuziehen. Das heißt, bis zum Ende 2014 sind Sie als Politiker auch bereit, die deutschen Soldaten dort in Lebensgefahr zu schicken?
Bartels: Ja! Ich denke, wir müssen das, was erreicht worden ist, jetzt nicht abbrechen, sondern den Plan gemeinsam weiter verfolgen. Es gibt keine Garantie auf hundertprozentigen Erfolg, aber sich aus den gemeinsamen Verabredungen rauszuziehen, auch das Versprechen, das man ja nicht nur der afghanischen Regierung, sondern auch der afghanischen Bevölkerung gegeben hat, dass man für einen überschaubaren Zeitraum noch Verantwortung trägt, das jetzt einfach aufzukündigen, kann ich mir als Sozialdemokrat nicht vorstellen und ich sehe es bei den Regierungsfraktionen auch nicht.
Müller: SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Bartels: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Weitere Informationen:
Piratenbekämpfung auch an Land - Kabinett für Ausweitung des Bundeswehr-Mandats vor Somalia, Opposition dagegen
Arnold: Ausweitung des Atalanta-Mandats hat überhaupt keinen Nutzen - SPD-Verteidigungspolitiker lehnt Änderung des Einsatzes am Horn von Afrika ab