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Die Zeit der Zelte ist vorbei

Auch ein Dreivierteljahr nach dem Beben im italienischen L’Aqulia haben die Bewohner noch mit den Folgen zu kämpfen. Damals versprach Regierungschef Silvio Berlusconi ein gigantisches Aufbauprogramm. Heute prägen kleine Fertighäuser das neue L'Aguila.

Von Karl Hoffmann |
    Als die Hilfsmannschaften am Morgen des 6. April in der mittelitalienischen Bergregion eintrafen, fanden sie zerstörte Orte und verzweifelte Menschen. Nach tagelanger Suche stand die tragische Bilanz fest. In der Stadt L'Aquila und Umgebung waren 300 Menschen ums Leben gekommen, 1500 verletzt und mehrere Zehntausend Obdachlos geworden. Regierungschef Silvio Berlusconi versprach ein gigantisches Aufbauprogramm. Erster und wichtigster Schritt: für alle Betroffenen ein Dach über dem Kopf vor Beginn des bevorstehenden Winters.

    "Neue Häuser für 2500 Menschen bis September und dann nach und dann alle 14 Tage 3000 neue Unterkünfte. Die Unterbringung aller Menschen wird bis Ende November, Anfang Dezember fertiggestellt sein. Die Zahl der obdachlos gewordenen Personen, die in einem neuen Wohngebäude, in komplett eingerichteten Häuschen oder Wohnungen untergebracht werden, wird am Ende 34.000 bis 35.000 betragen."

    Die Regierung ging mit gutem Beispiel voran, Italiens Bürger spendeten daraufhin spontan viele Millionen Euro. Die nächstgelegenen Hotels an der Adriaküste nahmen die Erdbebenopfer bereitwillig auf, noch bevor die Hilfen des Staates flossen.

    Silvio Berlusconi, der zu dieser Zeit heftigen Vorwürfen wegen seines Umgangs mit Prostituierten ausgesetzt war, nahm die Gelegenheit war, sein Image aufzupolieren und verlegte kurzerhand das für Anfang Juli auf Sardinien geplante G8-Gipfeltreffen in eine Kaserne in der Nähe von L'Aquila. Damit lenkte er das Interesse der ganzen Welt auf die italienische Erdbebentragödie.

    Sogar US-Präsident Barack Obama wollte sich einen persönlichen Eindruck vom Ausmaß der Schäden machen und dankte den italienischen Feuerwehrleuten für ihren Einsatz.

    Von diesem Gipfel der Solidarität mit den Erdbebenopfern versprach sich Italiens Regierung zusätzliche Hilfen. Die Organisation des G8-Treffens hatte 50 Millionen Euro gekostet. 300 Millionen, so hatte der Kulturminister Sandro Bondi gehofft, würde die Summe betragen, die durch die Patenschaft der Teilnehmerstaaten für die Restaurierung von mindestens 45 zerstörten Kunstwerken in die Kassen zurückfließen würde. Doch seine Rechnung ging nicht auf. Lediglich Deutschland, Frankreich, Russland und Kasachstan haben bisher mit ein paar Millionen Euro geholfen. In Erwartung besserer Zeiten helfen sich die betroffenen selbst. Wie etwa die Signora Giuseppina, die zusammen mit ihrem Mann ihr beschädigtes Haus notdürftig wieder hergerichtet hat.

    "Auch der Schmied hat mitgeholfen und schließlich haben wir alles wieder getüncht. Dafür habe ich auf eines dieser neuen Häuschen verzichtet."

    Die werden großspurig Villen genannt, sind aber eigentlich nur kleine Fertighäuser. Vor gut einem Monat waren darin 480 Personen untergebracht. Weitere 5313 konnten in den neu gebauten Wohnanlagen außerhalb der Stadt L'Aquila einziehen. Bleiben, nach offiziellen Statistiken, mehr als 20.000 Abruzzesen, die nach wie vor in Hotels, bei Freunden und Verwandten oder angemieteten Ferienhäusern der Umgebung wohnen. Der groß angekündigte Wiederaufbauplan liegt weit hinter den Vorgaben, aber zumindest muss in diesem – für italienische Verhältnisse - außergewöhnlich strengen Winter niemand mehr in Zelten schlafen. Schwierigkeiten gibt es noch immer mit der Krankenversorgung, wie der Gesundheitsreferent von L'Aquila Lanfranco Venturoni bestätigt:

    "Wir wollen ein neues, größeres Krankenhaus bauen. Mit diesen neuen Gebäuden werden wir einen ganzen Komplex für das Gesundheitswesen errichten. Danach wird das jetzige Krankenhaus stillegelegt, dessen Schäden irreparabel sind."

    Das kaputte Hospital war vor weniger als zehn Jahren eingeweiht, aber so schlecht gebaut worden, dass die Staatsanwaltschaft nun wegen Betrugs am Bau ermittelt. Unter anderem gegen den Gesundheitsreferenten, der zusätzlich im Verdacht steht, beim geplanten Neubau Schmiergelder kassiert zu haben. Der Wiederaufbau macht auch der Mafia Appetit. Die Staatsanwaltschaft von L'Aquila ermittelt gegen obskure Baufirmen und ihre Komplizen in öffentlichen Ämtern: kurz vor Weihnachten wurden zwei Regionalpolitiker verhaftet, die den Firmen Millionenaufträge zuschanzten und dafür fette Schmiergelder kassieren wollten. Und das ist nur der Anfang. Etwa fünf Milliarden Euro sollen in den nächsten 20 Jahren investiert werden, um wieder ganz zu machen, was am vergangenen 6. April in wenigen Sekunden zerstört wurde.