Juliane Reil: Die digitale Revolution verändert massiv unsere Gesellschaft. Nicht nur Kommunikationsformen haben sich ja in den letzten Jahren dramatisch gewandelt, sondern auch unsere Arbeitswelt. Der Steuerberater wird durch ein Programm ersetzt, das Reisebüro ist im Prinzip schon obsolet. Wir buchen unsere Flüge ganz einfach selbst im Internet. Wie sieht die Zukunft der Arbeit aus? Das fragen wir den Philosophen Christoph Quarch, der dem Büro als kreative Keimzelle eine besondere Funktion zuschreibt. Herr Quarch, guten Tag zum Corso-Gespräch.
Christoph Quarch: Ich grüße Sie, Frau Reil.
Reil: Vielleicht einmal ganz grundlegend: Was bedeutet Arbeit für den Menschen?
Quarch: Nun ja, Arbeit kann sehr vieles für den Menschen bedeuten. Und es ist zum Glück so, dass wir auch auf einen gewissen philosophischen Diskurs zurückblicken können, der das Thema Arbeit sehr ausführlich traktiert hat. Arbeit kennen wir einerseits als die Form des reinen Broterwerbes, also die Tätigkeit, mit der der Mensch sich quasi seinen Lebensunterhalt erwerben muss. Das ist die Form der Arbeit, die über Jahrhunderte hinweg die menschlichen Kulturen und Gesellschaften geprägt haben. Wir haben da in etwa seit 200 Jahren also eine neue, dominant gewordene Form der Arbeit, das, was man Herstellung oder Produktion nennen könnte, also Tätigkeiten, bei denen es darum geht, Dinge oder auch Dienstleistungen herzustellen.
Und wir kennen dann aber auch darüber hinaus auch noch eine weitere Form menschlicher Tätigkeit, die die Philosophin Hannah Arendt mal als das Handeln bezeichnet hat. Das ist eher eine kreative, eine schöpferische Arbeit, eine Arbeit, die den Menschen die Möglichkeit gibt, sich in der Welt zu zeigen, Entscheidungen zu treffen, Prozesse anzustoßen. Und ich denke, diese Form der Arbeit ist es, die vor dem Hintergrund der Digitalisierung in den nächsten Jahren zunehmend an Bedeutung und Wichtigkeit auch in den Büros gewinnen wird.
"Viele Büros sind nicht auf schöpferische und kreative Tätigkeiten vorbereitet"
Reil: Das Büro ist ja auch der zentrale Begriff, mit dem Sie sich auseinandergesetzt haben. Ich muss sagen, für mich ist das ein relativ unattraktiver Begriff, ich denke da eher an graue Ablagen, Kafka und, naja, irgendwie verwaiste Orte.
Quarch: Vollkommen berechtigerweise.
Reil: Ja, es scheint so ein bisschen die Realität zu sein. Sie sprechen aber vom 'Gewächshaus menschlicher Schöpferkraft'.
Quarch: Ja, in der Tat. Wenn ich das so sage, dann meine ich allerdings nicht unbedingt das Büro, wie es heute in vielen Bürogebäuden tatsächlich der Fall ist, sondern eher an das, was das Büro seiner Idee und seinem Wesen nach sein könnte. Denn wie Sie es schon richtig sagen: Büros, so wie sie sich heute - gerade auch in großen Konzernen - oft darstellen, sind häufig rein funktional eingerichtete Räume, die dafür gemacht worden sind, dass darin bestimmte Prozesse möglichst reibungslos und effizient vollzogen werden können, die aber wenig Raum geben für diese Form der Arbeit, von der ich gerade gesprochen habe, von der ich denke, dass sie eben vor dem Hintergrund der Digitalisierung an Wichtigkeit gewinnt. Denn - Sie haben es ja in Ihrer Eingangsmoderation gesagt - wir müssen uns nicht vor der Realität verschließen.
In den nächsten Jahren, auf absehbare Zeit werden wir beobachten, dass immer mehr klassische Bürotätigkeiten, Speichertätigkeiten, Ablagetätigkeiten, Verwaltungstätigkeiten durch intelligente Maschinen übernommen werden. Aber es wird, nach allem, was wir heute sagen können, doch einen Rest geben, der von Maschinen - auf absehbare Zeit jedenfalls - nicht wird übernommen werden können. Und das ist eben das, was ich eben vorhin als das Handeln bezeichnet hatte, also diese eher schöpferische und kreative Form menschlicher Tätigkeit. Und darauf sind eben unsere Büros gar nicht vorbereitet.
"Unternehmen brauchen Kreativität als Kernressource"
Reil: Das heißt aber auch, dass doch Arbeit dann zum Luxusartikel wird, oder? Also nur wenige das machen können?
Quarch: Es wird sicherlich ein eingeschränkterer Kreis von Menschen sein, der diese Arbeit, diese Form der Arbeit noch verrichten wird, davon müssen wir denke ich ausgehen. Und da ist letztenendes die Gesellschaft im Ganzen, natürlich die Politik im Besonderen gefragt, dass sie auch neue Möglichkeiten, neue Ideen entwickelt, was mit diesen vielen, vielen Menschen geschehen wird, deren Arbeit künftig durch Maschinen übernommen werden wird. Ich glaube, das ist eine Realität, auf die wir zuarbeiten. Wir müssen uns natürlich gesellschaftlich fragen, ob wir das eigentlich wollen. Dieser Diskurs findet für meinen Geschmack viel zu wenig statt bisher, ich glaube, wir verschließen die Augen vor dieser Wirklichkeit.
Aber der Punkt, an dem wir jetzt gerade waren, ist für mich nochmal ein etwas anderer. Denn die Frage ist ja, was wird aus den Büros, werden wir die weiter noch brauchen als - wenn Sie so wollen - als Gehirn oder die Keimzelle von Unternehmen, von unternehmerischer Arbeit. Und da denke ich, ist es weit mehr, als Luxus. Denn Unternehmen werden geradezu vor der Notwendigkeit stehen künftig - gerade auch dann, wenn die Digitalisierung noch weiter voranschreitet - nach kreativen, innovativen Wegen zu fahnden, sie brauchen letztenendes Kreativität als ihre Kernressource, und das Büro ist eben letztenendes der Ort, der - nachdem was wir jetzt sagen können - wohl als Keimzelle für Kreativität wohl am ehesten in Frage kommt. Aber nochmal, dafür müssten die Büros ganz anders aussehen, als sie es heute in den meisten Bürogebäuden tun.
Reil: Das interessiert mich nämlich unheimlich: Wie müsste so ein Büro aussehen?
Quarch: Wenn wir tatsächlich von der Annahme ausgehen wollen, dass die künftige Form der Büroarbeit eben eher eine kreative Arbeit ist, dann wirft das halt die Frage auf, unter welchen Bedingungen kann Kreativität eigentlich wachsen und gedeihen. Und ich verwende nicht zufällig gerne solche - sagen wir so - vegetative, biologische Metaphern aus dem Reich der Pflanzen, von Gewächshäusern ist da die Rede, oder auch von Wachsen und Gedeihen, weil wir tatsächlich beobachten können, dass menschliche Kreativität unter ähnlichen Bedingungen wächst, wie überhaupt auch pflanzliches oder natürliches Wachstum geschieht, nämlich immer in einer Vernetzung mit Anderen.
Kreativität braucht den Dialog, Kreativität braucht immer die Auseinandersetzung, auch die kritische Auseinandersetzung, das sich aneinander reiben, es braucht das Gespräch der Menschen untereinander. Und deswegen brauchen wir Büros, die sehr viel mehr auf dieses kommunikative Miteinander hinzugeschnitten sind.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Christoph Quarch: "Officina Humana: Das Büro als Lebensraum für Potenzialentfaltung"
av edition, Stuttgart 2017. 550 Seiten, 79,00 Euro.
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