Mit einem kleinen Schnitt fängt es an:
"Die Vorgehensweise ist eigentlich immer dieselbe. Es wird in der Regel nachts auf unbeleuchteten Parkplätzen ein sogenannter Sichelschnitt in die Plane gemacht. Dadurch haben die Diebe die Möglichkeit, erst einmal auszuspähen, was sich überhaupt auf dem Lkw befindet. Und wenn die Ware dann attraktiv ist für die Diebe, dann wird halt ein größerer Part der Plane aufgeschnitten."
Und, zack, ist die Ware von hochspezialisierten Banden und unbemerkt vom schlafenden Fahrer auf einen parallel gestellten Lieferwagen umgeladen, erklärt der Speditionskaufmann Andreas Gießler. In seinem dann vor drei Jahren begonnenen Ingenieursstudium wurde er auf einem Uni-Kongress auf das Thema aufmerksam, erinnert er sich:
"Ich hab mir die Frage gestellt, warum es für jeden Pkw eine Alarmanlage gibt, aber für Lkws halt nichts oder nichts sinnvoll Anzuwendendes."
Von Hightech bis Hornhauthobel – wählerisch sind Diebe nicht
Der Warenklau vom Lkw zieht schließlich mit Reparatur- und Standzeiten einen Milliardenschaden nach sich. Im vergangenen Jahr wurden hierzulande rund 26.000 dieser Vorfälle gemeldet. Gemittelte Schadenshöhe: 83.000 Euro. Die Dunkelziffer ist hoch, weil viele Spediteure den Diebstahl wegen hoher Versicherungs-Selbstbeteiligung, aber auch aufgrund von Angst vor Imageverlust nicht melden.
"Es wird alles geklaut, was sich zu Geld machen lässt: hochpreisige Produkte, natürlich werden Fernseher auch gerne geklaut, aber es werden genauso zum Beispiel Hornhautroller, diese Hornhautschaber, so etwas wird genauso gerne geklaut wie Rasierklingen oder Fernseher."
Eben alles, was keine Seriennummer trägt und schnell veräußerbar ist. Wie lässt sich die Ware hinter der dünnen PVC-Plane also schützen, fragte sich der heute 33-Jährige. Seine gedankliche Leitplanke:
"Wenn man auch nur minimale Ahnung davon hat, wie ein Lkw aufgebaut ist, dann weiß man: Planen-Lkw haben eine flexible Plane, und diese Plane muss flexibel bleiben. Und da ist natürlich auch die Schwierigkeit dann ein System zu entwickeln, das trotz dieser hohen Flexibilität dauerhaft genutzt werden kann."
Ohne Leiter keine Chance
Damit schieden armierte Gewebe aus, Infrarottechnik und Lichtschranken ebenso. Ein anderes Konzept kristallisierte sich heraus. Auf die Lkw-Planen ein Netzwerk von Kupferfäden aufbringen. Würde dieses durchtrennt, gäbe es Alarm. Die komplette Lkw-Haut? Nein. Warum schließlich die gesamte Fläche vernetzen, wenn der untere Bereich der Plane, vielleicht einen Meter hoch, bereits ausreichen würde? Und es müsste ein System sein, das nachträglich, preiswert und schnell eingebaut werden könnte, sagt Andreas Gießer:
"Der Ladeboden des Lkw, wenn man davorsteht, ist auf circa 1,30 Meter Höhe. Die Diebe schneiden in der Regel in Sichthöhe. Es bringt sich kein Dieb mal eben auf die Schnelle eine Leiter mit. Wenn wir die 1,30 Meter zugrunde legen, dann noch ein Meter Planesegment drauf, dann ist der Bereich bis 2,30 Meter geschützt, und das reicht in der Regel, um das Blickfeld von dem durchschnittlichen Dieb abzudecken."
Bereits vier Monate später war ein Prototyp fertig. Bis zum reifen Produkt dauerte es dann nur noch ein weiteres halbes Jahr.
"Die einzelnen Segmente sind so aufgebaut, dass wir eine zusätzliche PVC-Schicht nehmen, auf diese wird in einer rasterförmigen Struktur ein Leitungsdraht aufgebracht."
Fest verstickter Draht ist die Lösung
Fest verstickt in engmaschigen Rauten. Beim Standardauflieger werden pro Seite elf dieser 1,25 Meter breiten Segmente gebraucht. Die werden von außen unsichtbar mit der Lkw-Plane verschweißt und miteinander zu einem geschlossenen Stromkreis verbunden. Dann noch die Steuerbox, und das gerade mal 22 Kilo leichte und ab 2.300 Euro erhältliche System ist komplett. Und ganz unabhängig von der Lkw-Bordelektrik. Ein Schnitt, und es schrillt laut wie eine Kettensäge bei Vollgas mit 110 Dezibel. Da nimmt selbst der abgebrühteste Schlitzer Reißaus.
"Also es hört sich nicht an wie eine normale Alarmanlage beim Pkw, wo die Hupe angeht."
Der Vertrieb erfolgt mit vier Beschäftigten aus Bremerhaven. Hergestellt wird die Plane aber im sächsischen Auerbach bei der Firma TFP Technology.
"Wir sind praktisch ein technischer Sticker", sagt Produktionsleiter Steven Müller und erklärt mit heimischem Dialekt, was da in der überdimensionierten, grau lackierten Halle an der zwölf Meter langen Maschine geschieht. Auf ebener Fläche liegt die PVC-Plane.
Gut gefüllte Auftragsbücher
Darüber zuckt der bewegliche Metallarm, der den Draht positioniert und gleichzeitig überstickt.
"Wir haben einmal als Zuführung den speziellen Draht, der aus mehreren Kupferfäserchen besteht und Kevlar-verstärkt zur Signalübertragung. Da sind auf einer Rolle 20 Kilometer Draht drauf. Die gehen praktisch runter und werden per CNC-Daten gesteuert und an Punkten dort abgelegt, wo sie hin sollen. Also man kann das Raster frei definieren, man kann die Drahtlänge definieren. Und da wird dann praktisch dieser Draht auf das Trägermaterial fest verstickt."
Vier Segmente gleichzeitig sind in knapp 20 Minuten fertig, betont Steven Müller:
"Die Maschine stickt praktisch diesen Draht fest in Zickzackform. Die Wellenform deswegen, damit das flexibel bleibt beim Auf- und Zusammenschieben."
2.500 Lkw hat Gießler bereits ausgestattet, sogar bis nach Neuseeland. Die Auftragsbücher sind gut gefüllt, sagt er, Umsatzzahlen will er nicht nennen. Mit einem Schweizer Transportversicherer läuft nun eine Kooperation. Dessen Kunden erhalten Prämienvorteile, wenn sie sich für die Plane entscheiden. Und Gespräche mit anderen Versicherern laufen.
Das Studium muss nun erst einmal warten, sagt der Jungunternehmer. Denn es zeigen sich auch neue Anwendungsfälle. Etwas abgewandelt als Schutz für einzelne Paletten, aber auch für hochwertige Gartengeräte, Zweiräder, E-Bikes. Die Sirene wird bald wohl nicht mehr allein auf Lkw-Parkplätzen schrillen.