"Die Erinnerungen an Diego haben mich sonst eigentlich immer aufgeheitert", sagt Jorge Valdano, Weltmeister von 1986 an der Seite Maradonas, bevor es ihm die Sprache verschlägt. Dem heute gestandenen Medien-Profi treibt es im spanischen Fernsehen Tränen in die Augen. Auch Sergio Goycochea zerreißt es das Herz live auf Sendung. "Ein Teil meines Lebens ist von mir gegangen", schluchzt Argentiniens Torhüter der WM 1990.
Tumulte bei Maradonas Totenwache
So wie den beiden ehemaligen Nationalspielern erging es Dutzenden Ex-Fußballern und Journalisten live im TV. Und Hunderttausenden Argentiniern auf den Straßen des Landes. Diese tiefe Trauer und Anteilnahme, die bei einem Todesfall meist nur nahestehende Angehörige empfinden, überwältigte beim Tod von Diego Armando Maradona am vergangenen Mittwoch die Menschen überall in Argentinien. Für Außenstehende mag dies schwierig nachvollziehbar sein, erklärt aber den Mythos Maradona viel besser als nur seine Tore und Tricks.
Die Dramaturgie, die Maradonas Leben auszeichnete, gipfelte in seinem Tod. Drei Tage Staatstrauer, Aufbahrung im Präsidentenpalast. Doch plötzlich fordert die Familie ein abruptes Ende dieser Huldigung durch die Massen. Es folgen Tumulte, Fans stürmen das Gebäude und während ein letztes Mal alle an Maradona zerren, verbreitet der Bestatter Selfies mit dem Leichnam. Selten war der Tod so exzentrisch.
Straßen und Plätze werden nach Maradona benannt
"Diego wird eine jener Persönlichkeiten, die niemals sterben. Denn er war riesig. Diego war ein unermesslicher Mensch. Unermesslich! Unermesslich! Und ich sage es nochmal: Unermesslich." So emotional reagierte selbst der argentinische Staatspräsident Alberto Fernández in einem Interview. Mit jener typisch argentinischen, informellen Art wie Fußballfan aus der Mitte des Volkes. "Welcher vernünftige Argentinier kann Diego irgendetwas vorwerfen? Wenn er uns, mit allem, was er getan hat, nur Freude bereitet hat? Mit welcher moralischen Autorität könnte man über Diego urteilen?"
Fernández' Lieblingsklub ist Argentinos Juniors, jene Talentschmiede aus dem Herzen von Buenos Aires, in der Maradona einst seine ersten Kunststücke zeigte. Das Vereinsstadion von Argentinos heißt schon seit Jahren 'Estadio Diego Armando Maradona' ‒ eine Huldigung zu Lebzeiten, wie sie nun posthum vielfach folgen wird. Mehrere Bürgermeister kündigten schon an, Plätze und Straßen nach dem Superstar benennen zu wollen. Und auch in Neapel, jenem Ort der größten Erfolge Maradonas im europäischen Fußball, wo er bis heute fast wie ein Heiliger verehrt wird, soll das Stadion bald seinen Namen tragen.
Streit um das Erbe Maradonas?
"Das einzige, was ich mir jetzt wünsche, ist, dass sie Maradona nicht weiter ausschlachten." Fürchtet Jorge Burruchaga, der Torschütze des Weltmeister-Treffers 1986 gegen Deutschland und meint dabei gerade nicht die Ehrungen einer Nation, sondern das unmittelbare Umfeld des verstorbenen Weltstars. Eine Schlammschlacht um sein finanzielles und symbolisches Erbe ist innerhalb von Maradonas Ex-Partnerinnen, Kindern, Anwälten und falschen Freunden wohl kaum auszuschließen.
In sozialen Netzwerken erzählen derweil Argentinier aus aller Welt in Anekdoten, wie sehr die Wahrnehmung ihrer Nationalität überall mit Maradona verknüpft war. Auch Staatspräsident Fernández erinnert an die immense internationale Strahlkraft. "Mir haben der Vize-Außenminister von Mexiko oder auch der spanische Präsident geschrieben, um mir ihr Beileid auszudrücken. Diego war Argentinien in der Welt!"
Messi ist kein Maradona
Dabei trifft dies zumindest für die unter 30-Jährigen Fußballfans eigentlich nicht mehr zu. Für sie ist das Synonym für Argentinien längst Lionel Messi. "Die Last für den armen Messi wird jetzt noch viel schwerer werden. Die Last dieser Nummer zehn, die Diego getragen hat, war schon immer ein schweres Erbe."
Vielleicht wird diese Last aber auch geringer. Denn unabhängig von der sportlichen Leistung haben alle Rückblicke auf wundersamen Anekdoten und markigen Zitate, sowie die hochemotionale Anteilnahme am Tod Maradonas aufgezeigt, wie weit weg Lionel Messi doch eigentlich von Maradona ist. Die Argentinier verehren ihre Nationalhelden abgöttisch, umso mehr, wenn diese zu jung verstarben; So wie Tangosänger Carlos Gardel oder die einstige First Lady, die "Präsidentin des Volkes" Evita Perón.
Gerade im letzten Jahr als Trainer des Erstligisten Gimnasia de La Plata war Maradona äußerst präsent in seinem Heimatland. Vor der Pandemie hatten ihm die gegnerischen Fans bei allen Auswärtsspielen riesige Empfänge bereitet, vielfach wurden Plaketten und andere Geschenke überreicht. Es war, wie man nun weiß, die Abschiedstournee.