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Dienstpflicht in Frankreich
Jugendliche und die Werte der Republik

Deutschland debattiert noch über die "allgemeine Dienstpflicht" für Jugendliche. Frankreich ist schon weiter. Dort werden junge Frauen und Männer ab dem nächsten Jahr in sozialen Einrichtungen oder der Armee arbeiten, allerdings nur einen Monat lang.

Jürgen König im Gespräch mit Gerwald Herter |
    Zwei junge Männer und eine junge Frau sitzen zusammen in einem Park - aufgenommen in Frankreich, Juli 2018.
    Pflichtdienst ab 16 Jahren für Jugendliche in Frankreich (imago / Odilon Dimier)
    Gerwald Herter: Warum setzt sich der französische Präsident Emmanuel Macron dafür ein?
    Jürgen König: Es geht ihm vor allem um eine Art nationalen Zusammenhalt. Er will, dass Franzosen aus unterschiedlichen Regionen und Gesellschaftsschichten zusammenarbeiten. Jugendliche aus Einwandererfamilien insbesondere sollen sagen wir der moralischen, auch der religiösen Kontrolle ihrer Eltern für vier Wochen entzogen werden, und sie sollen dafür die Werte der Republik kennenlernen. Sie sollen also ein Gefühl dafür bekommen, dass sie Franzosen sind. Und Emmanuel Macron will der Individualisierung etwas entgegensetzen. Wenn die Mitglieder einer Gesellschaft sich zunehmend nur mehr um sich selbst und ihre Interessen kümmern, dann, so Macron, wird diese Gesellschaft auf Dauer zersetzt, sie kann nicht mehr gemeinschaftlich handeln.
    Gemeinschaftsgefühl stärken
    Und also muss man ein Gefühl für das Gemeinschaftliche zurückholen für das große Ganze der Nation, durch einen Pflichtdienst in der Armee oder in sozialen Einrichtungen. Ein Monat für alle Jugendlichen ab 16, zwei Wochen davon wären in den Sommerferien zu leisten, und zwei Wochen dann zu Beginn des neuen Schuljahrs.
    Gerwald Herter: In Deutschland dreht sich die Debatte vor allem um die Wiederaufnahme der Wehrpflicht. Die Bundeswehr hat ja Mühe, genug Frauen und Männer zu rekrutieren. Auch Frankreich hat den Wehrdienst ausgesetzt. Welche Rolle spielt das dort?
    Jürgen König: Im Wahlkampf hat Macron immer von einem Wehrdienst gesprochen, von einem "Rendezvous der Nation" mit den Streitkräften. Einen Monat sollte das dauern. Aber nachdem Macron Präsident geworden war, haben die Generale ihm dieses Rendezvous sehr schnell ausgeredet, einfach mit dem Argument, dass derlei nicht zu organisieren ist, und dass es auch nicht wirklich ertragreich sei, jedes Jahr 700.000 Jugendliche, einen Monat lang in der Armee zu irgendetwas ausbilden zu wollen. Nun hatte Macron auch keine verbesserte Verteidigungsbereitschaft des Landes im Sinn.
    Wehrpflicht ist kein Thema mehr
    Er hält einfach, wie sehr viele Franzosen, die Armee immer noch für den besten Schmelztiegel einer Nation, also wo Herkunftsunterschiede, Arm-reich-Gegensätze und so weiter, sehr gut aufgehoben werden. Aber wie gesagt, diese Idee einer einmonatigen Wehrpflicht ist schon lange vom Tisch, und insofern redet darüber auch keiner mehr.
    Gerwald Herter: Hinter der Idee der CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer steht offenbar auch ein politisches Kalkül. Vor allem konservativen CDU-Wählern will die Parteiführung beweisen, dass ihre Anliegen erhört werden. Wo findet man im politischen Spektrum Frankreichs Anhänger, Befürworter der Wehrpflicht?
    Jürgen König: Die Wehrpflicht ist schon eine sehr französische Idee, die grundsätzlich in allen Lagern auf doch einige Sympathie stößt, also von ganz links bis ganz rechts. Man hat Jahre nach dem Aussetzen der Wehrpflicht, zur Kompensation sozusagen, einen freiwilligen Zivildienst wie auch einen freiwilligen Militärdienst eingerichtet.
    Nach den Terroranschlägen der letzten Jahre haben manche gefordert, die Wehrpflicht wieder einzuführen. Dagegen wurde dann argumentiert, dass die Zeiten der Massenarmeen einfach vorbei seien, sie seien nicht mehr notwendig. Macron setzt ganz auf den Aufbau europäischer Verteidigungsstrukturen. Kurzum, es gibt in Frankreich eine etwas nostalgische Sympathie für die Wehrpflicht, aber ihre Wiedereinführung ist kein Thema und wird es so bald auch nicht werden.