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"Diese Chance sollte man nutzen"

Der Iran hat zugestimmt, angereichertes Uran in der Türkei zu Brennstäben verarbeiten zu lassen. Diese soll das Land dann zurückbekommen. Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, sieht darin eine Chance für weitere Gespräche über Irans Atompolitik.

Rolf Mützenich im Gespräch mit Friedbert Meurer | 18.05.2010
    Friedbert Meurer: Ist das alles wirklich nur Taktik, oder sogar der Anfang des Durchbruchs? Der Iran hat gestern jedenfalls einen Kompromiss im Atomstreit vereinbart, der einerseits der Internationalen Atomenergiebehörde entgegenkommt, andererseits nimmt Teheran damit auch den Befürwortern von Sanktionen den Wind aus den Segeln. Teheran verabredete mit der Türkei und Brasilien, beide im Moment im UNO-Sicherheitsrat, dass angereichertes Uran künftig in die Türkei gebracht wird und dort werden dann daraus Brennstäbe erzeugt und die gehen dann zurück in den Iran. Was das zu bedeuten hat, darüber möchte ich nun reden mit dem außenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich. Guten Morgen, Herr Mützenich.

    Rolf Mützenich: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Erkennen Sie in dieser Vereinbarung des Iran einen Fortschritt?

    Mützenich: Nun, ich hätte mir natürlich mehr gewünscht, aber auf der anderen Seite müssen wir jetzt das beste daraus machen und es ist zumindest ein Hinweis und ein Angebot darauf, dass man möglicherweise den Zeitgewinn dafür nutzt, auch wieder substanzielle Gespräche über das Atomprogramm des Iran zu führen. Ich finde, diese Chance sollte man nutzen, weil man muss dem ja auch entgegensetzen: Was hätten möglicherweise weitere Sanktionen auch in dem Atomstreit geholfen? Das ist eine entscheidende Frage und Sie haben ja auch die Schwierigkeiten angesprochen, die es bisher in den letzten Wochen gegeben hat, dort überhaupt zu einem Kompromiss zu kommen. Also ich sehe keinen unmittelbaren Durchbruch, aber doch wenigstens eine Chance, den Zeitgewinn zu nutzen für wichtige neue Gespräche.

    Meurer: Die Internationale Atomenergiebehörde hat ja genau das gefordert, dass der Iran sein angereichertes Uran im Ausland verarbeiten lassen soll. Das geschieht jetzt. Wie schwer wiegt diese Zustimmung des Iran?

    Mützenich: Es ist insbesondere, finde ich, schon ein wichtiger Hinweis, dass der Iran bereit gewesen ist, einen Teil seines angereicherten Urans jetzt ins Ausland zu bringen und Brennstäbe zurückzubekommen, die dann auch für die medizinische Forschung und Behandlung eingesetzt werden. Das war ja das Kompromissangebot, was damals die US-amerikanische Regierung mitentwickelt hat, aber El Baradei, der frühere Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde, auf den Tisch gelegt hat. Das ist nicht zum Zug gekommen, jetzt ist es erfolgt. Das ist leider eben in einem zeitlichen Verzug auch, aber auf der anderen Seite muss man anerkennen, es gibt Bewegung, und nochmals: ich glaube, wir müssen die Realitäten anerkennen und wir sollten jetzt das beste daraus machen.

    Meurer: Ist es das Problem, dass es nur ein Teil des angereicherten Urans ist, der in die Türkei geliefert wird?

    Mützenich: Ja, auf jeden Fall! Es ist eben nur ein Teil und der Iran ist offensichtlich auch mit neuen Zentrifugen in der Lage, höher anzureichern als 3,5 Prozent. Da gibt es technische Fortschritte und die Internationale Atomenergiebehörde hat in ihren Berichten immer wieder auf Verdachtsmomente hingewiesen. Die sind weiterhin nicht ausgeräumt, das ist richtig, aber darüber muss gesprochen werden. Ich glaube, dazu gibt es keine Alternative, wenn wir diesen Konflikt auch friedlich lösen wollen, und es ist gut, dass offensichtlich andere Staaten, die zurzeit nicht ständiges Mitglied im Sicherheitsrat sind, wie die Türkei und Brasilien, hier auch aktiv werden. Wenn sie einen Zugang zu den unterschiedlichen politischen Akteuren im Iran haben – und das haben wir ja offensichtlich in den letzten beiden Tagen gesehen -, dann müssen wir auch diese Länder in die Diplomatie einbinden.

    Meurer: Wieso waren es eigentlich ausgerechnet die Türkei und Brasilien, die hier ins Spiel gekommen sind?

    Mützenich: Nun, ich glaube, wir müssen uns einfach klar machen, dass die Welt eine andere geworden ist mit dem Ende des Ost-West-Konflikts, aber auch auf der anderen Seite mit der reduzierten Einflussnahme der USA. Sie haben Probleme im Bereich Irak/Afghanistan, das ist ja offensichtlich gewesen, und Barack Obama versucht auch, die internationale Politik neu aufzustellen, und dass andere Länder eben auch die Möglichkeiten suchen, in diesen Nischen Einfluss zu gewinnen, das ist ganz offensichtlich. Brasilien wird ein wichtiger Akteur sein und die Türkei spielt als Nachbar des Iran eine wichtige Rolle. Ob es eine Vermittlerrolle ist, oder vielleicht auch nur im eigenen Interesse erfolgt, sei dahingestellt.

    Meurer: Was wäre denn das eigene Interesse der Türkei?

    Mützenich: Ich glaube, innerhalb dieser Situation der Region, auch Regionalmacht zu sein, das wird ganz interessant sein. In den nächsten Jahrzehnten wird das natürlich dann auch wiederum eine Konkurrenz zum Iran sein und da bin ich gespannt, wie dann die Beziehungen sich entwickeln. Aber zum jetzigen Zeitpunkt ist die Türkei auf dem Weg, eben in dieser Region ein wichtiger Player, ein wichtiger Akteur zu werden, und möglicherweise auch Alternativen zum Integrationsprozess zur Europäischen Union zumindest zu suchen.

    Meurer: Ich spreche mit Rolf Mützenich, dem außenpolitischen Experten der SPD-Bundestagsfraktion. Wie groß ist die Gefahr, dass der Iran mit diesem Angebot nur auf Zeit spielen will und die Sanktionen vermeiden will?

    Mützenich: Nun, ich glaube, das ist genau das Ziel. Er will die Sanktionen vermeiden. Ich glaube, die Sanktionen als solche hätten ihn nicht unmittelbar beeinflusst, aber was den Iran immer beeindruckt hat, war eine internationale Gemeinschaft, die dann zum Schluss im Sicherheitsrat auch gemeinsam abgestimmt hat. Das ist damit natürlich etwas schwieriger geworden für die Länder, die weiterhin für die Sanktionen arbeiten. Auf der anderen Seite müssen wir eben anerkennen, dass der Iran weiterhin Gespräche über das Atomprogramm führen will. Entscheidend wird aber sein, was der Internationalen Atomenergiebehörde in den nächsten Tagen überreicht wird, wie sozusagen der Kompromiss, der jetzt mit der Türkei und Brasilien geschlossen worden ist, aussieht, und der Iran muss volle Transparenz herstellen und insbesondere eben belegen, dass er sein Atomprogramm nicht für militärische Zwecke missbraucht.

    Meurer: Wie sollte sich jetzt der Westen oder auch die anderen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates gegenüber dem Iran verhalten?

    Mützenich: Ich glaube, dass der Westen klug daran tun würde, sich noch mal genau anzuschauen, was jetzt der Iran angeboten hat, auch das Gespräch mit Brasilien und der Türkei in diesem Zusammenhang suchen. Ich glaube, wir sollten nicht sozusagen schmollend uns in eine Ecke zurückziehen und sozusagen damit anderen das Feld überlassen. Man muss gemeinsam in diesem doch sehr schwierigen Konflikt mit dem Iran spielen und deswegen, glaube ich, täten wir gut daran, offen auch mit den unterschiedlichen Akteuren zu sprechen und uns auch zu überlegen, welche weiteren Angebote gemacht werden können. Entscheidend ist, was die Internationale Atomenergiebehörde in den nächsten Tagen von diesem Kompromiss hält.

    Meurer: Rolf Mützenich, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke, Herr Mützenich, auf Wiederhören!

    Mützenich: Danke schön, Herr Meurer. Alles Gute!