Christoph Heinemann: Über Politik zu schimpfen, ist wohlfeil. Mancher Kritiker derer da oben würde vermutlich schlappmachen, wenn er das Arbeitspensum eines Spitzenpolitikers oder das eines der fleißigen Volksvertreter bewältigen müsste. Jetzt beginnt auch für Regierung und Abgeordnete die Urlaubszeit. Bevor sich die Politik in die Ferien verabschiedet, hat der Bundesrat heute noch eine umfangreiche Tagesordnung abzuarbeiten, zum Beispiel Gesetze zur Energiewende.
Mitgehört hat Volker Bouffier, der Ministerpräsident des Landes Hessen, von der CDU. Guten Morgen!
Volker Bouffier: Ja, guten Morgen nach Köln.
Heinemann: Herr Bouffier, werden Sie heute jedes Mal den Gesetzen der Bundesregierung zustimmen?
Bouffier: Also im Ergebnis werden wir als Hessen den Kurs der Bundesregierung unterstützen, weil wir daran interessiert sind, dass wir gemeinsam erfolgreich sind. Die Bundesregierung wird dazu eine Reihe von Erklärungen heute im Bundesrat abgeben, die uns das auch erleichtern, denn es gibt eine Reihe von Interessengegensätzen. Ein ganz klassischer ist die Frage, wie gehen wir damit um, diese Energiewende wird erhebliche Mittel kosten. Zwischen Bund und Ländern gibt es einen massiven Interessenkonflikt nach dem Motto, wer bezahlt eigentlich was. Da niemand genau weiß, wie die einzelnen Maßnahmen sich tatsächlich auswirken, gibt es hier eine Vereinbarung, dass man schauen muss – und die Bereitschaft wird der Bund erklären –, wie wird sich das eine oder das andere auswirken.
Um ein Beispiel zu sagen: Wenn wir die energetische Sanierung vorantreiben wollen, was jeder will, weil es vernünftig ist, dass wir Energie einsparen, dann sind dort zwei Modelle. Das eine heißt, man kann von seiner Steuer entsprechende Abschreibungen vornehmen für die Investitionen. Das bedeutet, wir haben dann weniger Steuereinnahmen. Der Bund und die Länder teilen sich das, wir sind eigentlich der Auffassung, das müsste der Bund alleine tragen. Jetzt sagt der Bund, das glauben wir euch, aber das ist eine gemeinsame Aufgabe, und hält entgegen – und da sehen Sie, keiner weiß ganz genau, was herauskommt –, solche Investitionen, die dann getätigt werden, die lösen ja auch wieder Mehrwertsteuer aus. Die teilen wir uns wieder…
Heinemann: Richtig. Herr Bouffier, ganz kurz: Hätte man das alles nicht vorher klären müssen?
Bouffier: Na ja, Sie müssen schauen: Bei der Fülle – wir haben es ja gerade gehört –, bei der Fülle der Punkte (und das ist ein mehr als anspruchsvolles Programm, was da heute noch zu verhandeln ist) gibt es tausend Einzelheiten, das ist ziemlich aufwendig, und aus meiner Sicht ist es wichtig, dass wir zu einem vernünftigen Ergebnis kommen. Wir wollen…
Heinemann: Unter der Devise "Schnelligkeit vor Gründlichkeit"?
Bouffier: Nein, eben nicht, sondern wir sind uns einig: Wir wollen eine andere Form der Energieerzeugung, und das Entscheidende ist, dass wir unseren Wohlstand behalten, das Entscheidende ist, dass wir sichere Arbeitsplätze haben und dass wir auch in Zukunft versorgungssichere und bezahlbare Energie haben.
Heinemann: Und weil das keiner garantieren kann, verstehen ja viele wegen des Tempos dieser Energiewende die Welt nicht mehr. Zum Beispiel Kurt Biedenkopf, der frühere CDU-Ministerpräsident von Sachsen, sagt in dieser Woche in der Wochenzeitung "Die Zeit": "Die Folgerung, die die Bundeskanzlerin für die Bewertung des Risikos der Kernenergie in Deutschland zieht, kann ich nicht nachvollziehen." Könnten Sie, Herr Bouffier, Herrn Biedenkopf Hilfestellung im Nachvollziehen leisten?
Bouffier: Ja, das ist doch völlig klar! Wenn sie zum Beispiel neue Instrumente einführen und eine so gewaltige Veränderung vornehmen, haben wir – und das finde ich das Entscheidende – vereinbart, das steht auch im Gesetz, dass wir ein Monitoring machen und jedes Jahr schauen, was ist denn nun tatsächlich daraus geworden. Nehmen Sie ein Beispiel: Jeder weiß, wir müssen zum Beispiel Leitungen bauen, damit wir die Energie zum Beispiel von der Küste zu uns nach Hessen, nach Baden-Württemberg bekommen. Da gibt es Planungen, wie schnell das geht. Nun werden wir in der Praxis sehen, ob das gelingt. Wenn man dann nicht so schnell vorankommt, dann muss man gegebenenfalls Zeitpläne anpassen, dann muss man überlegen, ob man an anderer Stelle was tut. Sie haben im Vorspann das Thema Zuständigkeit für Raumplanung und Ähnliches angesprochen. Persönlich bin ich der Auffassung, Zuständigkeitsstreite helfen niemand. Es muss gelingen, und wenn es dann – und da haben wir uns drauf verständigt – für bestimmte Leitungen, etwa fünf Prozent derer, die wir brauchen, eine Bundeskompetenz gibt und der Bund in der Lage ist, das angemessen rasch und auch rechtssicher hinzubekommen, dann finde ich das prima. Wenn das nicht gelingt, dann müssen wir dort Nachsteuern.
Heinemann: Zu Lasten der Planungskompetenz der Länder!
Bouffier: Na ja, wir bleiben ja bei 95 Prozent zuständig. Ich habe diesen Streit, den ich fachlich verstehen kann, aber aus meiner Sicht darf man das nicht überbewerten. Es wird am Schluss nur gelingen, wenn Bund und Länder ganz praktisch zusammenarbeiten und übrigens auch die Kommunen vor Ort, denn wir graben ja nicht im Himmel und wir werden diese Leitungen auch nicht irgendwo machen, sondern sehr konkret irgendwo, und da werden wir uns gemeinsam anstrengen müssen, denn die Begeisterung für neue Energie ist meistens mehr allgemein, und wenn es dann konkret wird, wenn sie irgendwo die neuen Windanlagen hinstellen mit 180 Meter Höhe, dann sind die Leute meistens weniger begeistert. Das Gleiche gilt für die Leitungen. Das ist aus meiner Sicht die größte Unbekannte in dem Ganzen, wie schnell es gelingen kann, ganz praktisch bestimmte Dinge voranzutreiben. Und dann müssen wir uns unterhalten – und auch das ist ein wesentlicher Punkt –, wir haben ja die Situation: Für die Menschen, die zum Beispiel keine Steuern zahlen oder nur wenig, wollen wir über den Klima- und Energiefonds auch darauf drängen (und dazu will die Bundesregierung auch eine Erklärung abgeben, und das ist neu), dass eben mit im Zusammenwirken mit den Ländern wir auch entsprechend direkte Zuschüsse geben, und von daher, glaube ich, hat sich die Diskussion, auch die Debatte, bis in den gestrigen Abend gelohnt.
Heinemann: Sie haben eben über die Belastungen gesprochen, die dann irgendwann kommen werden: höhere Strompreise vielleicht, oder auch nicht jeder möchte einen Strommast oder ein Windrad hinter seinem Gartenzaun haben. Wenn die Belastungen kommen, dann werden die Bürger fragen, wer hat uns das eingebrockt, und Sie werden dann nicht sagen können, das war der Tsunami in Japan. Deshalb noch mal die Frage: Hätte man sich nicht ein bisschen mehr Zeit lassen müssen?
Bouffier: Ich glaube, dass wir in einem Monat in diesen Fragen oder in zweien nicht schlauer sind. Die Grundentscheidungen sind gefallen, und niemand sollte den Menschen eine Illusion vorgaukeln, dass das umsonst zu haben ist und dass das ohne Anstrengungen zu haben ist.
Heinemann: Aber Sie hätten heute im Bundesrat die Möglichkeit, eben das noch mal in den Vermittlungsausschuss zu schicken und zu sagen, kommt, lasst uns noch mal drübergucken.
Bouffier: Ja mit welchem Ergebnis denn? Die unterschiedlichen Interessen sind doch bekannt, und es macht auch keinen Sinn, wenn wir jetzt zwei Monate hin- und herdiskutieren über die spannende Frage, was glaubt ihr, ist es richtig, davon auszugehen, dass wir in zwei Jahren zehn Gigawatt hinzubauen oder nicht. Das ist eine praktische Frage, die sich an vielen, vielen Dingen erweisen wird. Nehmen Sie das schöne Beispiel: Wir brauchen für die Planung und Instandsetzung beziehungsweise Umsetzung eines Radweges in der Bundesrepublik schon Jahre. Deshalb bin ich sehr skeptisch für diese sehr ambitionierten Zeitplanungen. Aber da sind wir Ende September genauso weit wie heute, und deshalb ist es wichtiger, dass wir was anderes machen, dass wir den Mut haben, neue Wege zu gehen, aber auch den Mut haben, Wege zu korrigieren, wenn sich herausstellt, dass es so nicht geht, und das muss man aus meiner Sicht haben, und deshalb ist ja das, was im Gesetz steht, jedes Jahr dieses Monitoring nach dem Motto, wie weit sind wir gekommen und müssen wir gegebenenfalls was ändern, ohne dass wir den Grundsatz in Frage stellen, das ist aus meiner Sicht der entscheidende Punkt.
Heinemann: Eine Restskepsis bleibt, sagen Sie, wegen des Zeitplans. Vielleicht auch bei einem anderen Thema: Die Koalition hat jetzt Steuersenkungen für das Wahljahr 2013 beschlossen. Die meisten CDU-Ministerpräsidenten halten das nicht für finanzierbar, wenn ich es richtig verstanden habe, Sie auch nicht. Wieso zählt das Wort der Länderregierungschefs in Berlin nicht mehr?
Bouffier: Ich glaube, das zählt sehr viel. Ohne uns wird es nichts werden. Und ich halte für richtig…
Heinemann: War das eine Drohung?
Bouffier: Ja langsam! Dass man die Enteignung der Bürger beendet in der Weise, dass die kalte Progression dazu führt, dass einer, der Lohnerhöhung hat und anschließend über Inflation und Tarifsteuererhöhung weniger als vorher, das ist Unsinn. Konkreter Vorschlag: ab 2013 in kleinen Stufen hier anfangen, dass man das korrigiert. Aber das muss der Bund stemmen. Der Bund hat andere Möglichkeiten als die Länder. Die Länder sind diejenigen, die Haushalte haben, die zur Hälfte schon mal Personalkosten ausmachen. Das heißt, selbst wenn man wollte, kann man kaum dort große Veränderungen vornehmen. Und das ist beim Bund ein bisschen anders, und dort, bin ich ganz sicher, werden wir uns auch finden. Und deshalb: Wer jetzt vorschlägt, dass er diesen richtigen Punkt angehen will, der muss die Finanzierung mitliefern.
Heinemann: Herr Bouffier, der FDP-Vorsitzende Philipp Rösler meint sogar schon, dass man auch 2012 schon niedrige Lohnnebenkosten und auch eine Entlastung der Sozialabgaben stemmen könnte. Sehen Sie das auch so?
Bouffier: Also, da wäre ich vorsichtig. Wenn es gelingt, ist es schön. Bei den Sozialabgaben zu reduzieren, finde ich vernünftig, weil wir die Kosten des Arbeitsplatzes dann runternehmen und auch die Menschen direkt etwas davon haben. Das ist im Übrigen eine Geschichte, wo die Länder keine Interessengegensätze zum Bund haben, denn die Sozialabgaben gehen entweder in die Rentenversicherung, Krankenversicherung oder Arbeitslosenversicherung. Das wird man sich anschauen. Ich bin kein Freund von ständigen veränderten neuen Ankündigungen und dem Wettlauf, wer ist der schnellste. Das gilt bei der Energiewende; der Wettlauf um den schnellsten Ausstieg ist Unsinn. Aber der Wettbewerb um die klügste Lösung, da sind wir immer dabei.
Heinemann: Herr Bouffier, die Sommerzeit ist Zeit für Zeugnisse. Viele Schülerinnen und Schüler erhalten jetzt ihre Leistungsnachweise in diesen Wochen. Wenn Sie die Arbeit der Bundesregierung benoten sollten, welche Zensur zwischen 1 und 6 würden Sie vergeben'
Bouffier: Ich würde die Bundesregierung versetzen.
Heinemann: Das ist ja schon mal was!
Bouffier: Und würde ausdrücklich sagen, Kameraden, die Performance und der Eindruck muss besser werden. Wir müssen nicht darum herumreden, das hat erheblich gestresst die letzten Monate. Das liegt teilweise an Umständen, die vor einem Jahr noch keiner kannte. Aber richtig ist doch auch, wir werden bei den Bürgerinnen und Bürgern nur dann größere Zustimmung bekommen, wenn wir klar, wenn wir geschlossen und überzeugend auftreten, und da haben wir noch Zuwachsmöglichkeiten.
Heinemann: In Hessen gibt es, glaube ich, noch Kopfnoten für Arbeits- und Sozialverhalten. Welche Zensuren hätte die Regierung verdient?
Bouffier: Das ist wie in jeder Klasse. Da gibt es welche, da bin ich sehr zufrieden, und bei anderen muss man, glaube ich, noch nacharbeiten.
Heinemann: Wer ist zufriedenstellend und wer nicht?
Bouffier: Ich bin nicht der Zensor der Bundesregierung. Die Bundesregierung weiß selbst, erfolgreich werden wir nur sein, wenn Dissonanzen, gegensätzliche Stellungnahmen und sich überholende ständig neue Ankündigungen, wenn wir das in Zukunft vermeiden, und ich glaube, das ist die Arbeitsagenda, die die Bundesregierung am besten weiß.
Heinemann: Letzter Versuch: Gesamtnote?
Bouffier: Ich würde mal sagen, unter den gegebenen Umständen würde ich das mit Befriedigend bezeichnen, und das liegt dann so mitten drin. Und wenn Sie mir erlauben: Man muss ja immer vergleichen können. Wenn ich dann die Parallelklasse nehme bei Ihrem Vergleich und schaue mir mal die Opposition an, dann, würde ich sagen, ist Befriedigend in Ordnung.
Heinemann: Volker Bouffier (CDU), der Ministerpräsident des Landes Hessen. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Bouffier: Auf Wiederhören!
Die Äußerungen unserer Gesprächspartner geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Mitgehört hat Volker Bouffier, der Ministerpräsident des Landes Hessen, von der CDU. Guten Morgen!
Volker Bouffier: Ja, guten Morgen nach Köln.
Heinemann: Herr Bouffier, werden Sie heute jedes Mal den Gesetzen der Bundesregierung zustimmen?
Bouffier: Also im Ergebnis werden wir als Hessen den Kurs der Bundesregierung unterstützen, weil wir daran interessiert sind, dass wir gemeinsam erfolgreich sind. Die Bundesregierung wird dazu eine Reihe von Erklärungen heute im Bundesrat abgeben, die uns das auch erleichtern, denn es gibt eine Reihe von Interessengegensätzen. Ein ganz klassischer ist die Frage, wie gehen wir damit um, diese Energiewende wird erhebliche Mittel kosten. Zwischen Bund und Ländern gibt es einen massiven Interessenkonflikt nach dem Motto, wer bezahlt eigentlich was. Da niemand genau weiß, wie die einzelnen Maßnahmen sich tatsächlich auswirken, gibt es hier eine Vereinbarung, dass man schauen muss – und die Bereitschaft wird der Bund erklären –, wie wird sich das eine oder das andere auswirken.
Um ein Beispiel zu sagen: Wenn wir die energetische Sanierung vorantreiben wollen, was jeder will, weil es vernünftig ist, dass wir Energie einsparen, dann sind dort zwei Modelle. Das eine heißt, man kann von seiner Steuer entsprechende Abschreibungen vornehmen für die Investitionen. Das bedeutet, wir haben dann weniger Steuereinnahmen. Der Bund und die Länder teilen sich das, wir sind eigentlich der Auffassung, das müsste der Bund alleine tragen. Jetzt sagt der Bund, das glauben wir euch, aber das ist eine gemeinsame Aufgabe, und hält entgegen – und da sehen Sie, keiner weiß ganz genau, was herauskommt –, solche Investitionen, die dann getätigt werden, die lösen ja auch wieder Mehrwertsteuer aus. Die teilen wir uns wieder…
Heinemann: Richtig. Herr Bouffier, ganz kurz: Hätte man das alles nicht vorher klären müssen?
Bouffier: Na ja, Sie müssen schauen: Bei der Fülle – wir haben es ja gerade gehört –, bei der Fülle der Punkte (und das ist ein mehr als anspruchsvolles Programm, was da heute noch zu verhandeln ist) gibt es tausend Einzelheiten, das ist ziemlich aufwendig, und aus meiner Sicht ist es wichtig, dass wir zu einem vernünftigen Ergebnis kommen. Wir wollen…
Heinemann: Unter der Devise "Schnelligkeit vor Gründlichkeit"?
Bouffier: Nein, eben nicht, sondern wir sind uns einig: Wir wollen eine andere Form der Energieerzeugung, und das Entscheidende ist, dass wir unseren Wohlstand behalten, das Entscheidende ist, dass wir sichere Arbeitsplätze haben und dass wir auch in Zukunft versorgungssichere und bezahlbare Energie haben.
Heinemann: Und weil das keiner garantieren kann, verstehen ja viele wegen des Tempos dieser Energiewende die Welt nicht mehr. Zum Beispiel Kurt Biedenkopf, der frühere CDU-Ministerpräsident von Sachsen, sagt in dieser Woche in der Wochenzeitung "Die Zeit": "Die Folgerung, die die Bundeskanzlerin für die Bewertung des Risikos der Kernenergie in Deutschland zieht, kann ich nicht nachvollziehen." Könnten Sie, Herr Bouffier, Herrn Biedenkopf Hilfestellung im Nachvollziehen leisten?
Bouffier: Ja, das ist doch völlig klar! Wenn sie zum Beispiel neue Instrumente einführen und eine so gewaltige Veränderung vornehmen, haben wir – und das finde ich das Entscheidende – vereinbart, das steht auch im Gesetz, dass wir ein Monitoring machen und jedes Jahr schauen, was ist denn nun tatsächlich daraus geworden. Nehmen Sie ein Beispiel: Jeder weiß, wir müssen zum Beispiel Leitungen bauen, damit wir die Energie zum Beispiel von der Küste zu uns nach Hessen, nach Baden-Württemberg bekommen. Da gibt es Planungen, wie schnell das geht. Nun werden wir in der Praxis sehen, ob das gelingt. Wenn man dann nicht so schnell vorankommt, dann muss man gegebenenfalls Zeitpläne anpassen, dann muss man überlegen, ob man an anderer Stelle was tut. Sie haben im Vorspann das Thema Zuständigkeit für Raumplanung und Ähnliches angesprochen. Persönlich bin ich der Auffassung, Zuständigkeitsstreite helfen niemand. Es muss gelingen, und wenn es dann – und da haben wir uns drauf verständigt – für bestimmte Leitungen, etwa fünf Prozent derer, die wir brauchen, eine Bundeskompetenz gibt und der Bund in der Lage ist, das angemessen rasch und auch rechtssicher hinzubekommen, dann finde ich das prima. Wenn das nicht gelingt, dann müssen wir dort Nachsteuern.
Heinemann: Zu Lasten der Planungskompetenz der Länder!
Bouffier: Na ja, wir bleiben ja bei 95 Prozent zuständig. Ich habe diesen Streit, den ich fachlich verstehen kann, aber aus meiner Sicht darf man das nicht überbewerten. Es wird am Schluss nur gelingen, wenn Bund und Länder ganz praktisch zusammenarbeiten und übrigens auch die Kommunen vor Ort, denn wir graben ja nicht im Himmel und wir werden diese Leitungen auch nicht irgendwo machen, sondern sehr konkret irgendwo, und da werden wir uns gemeinsam anstrengen müssen, denn die Begeisterung für neue Energie ist meistens mehr allgemein, und wenn es dann konkret wird, wenn sie irgendwo die neuen Windanlagen hinstellen mit 180 Meter Höhe, dann sind die Leute meistens weniger begeistert. Das Gleiche gilt für die Leitungen. Das ist aus meiner Sicht die größte Unbekannte in dem Ganzen, wie schnell es gelingen kann, ganz praktisch bestimmte Dinge voranzutreiben. Und dann müssen wir uns unterhalten – und auch das ist ein wesentlicher Punkt –, wir haben ja die Situation: Für die Menschen, die zum Beispiel keine Steuern zahlen oder nur wenig, wollen wir über den Klima- und Energiefonds auch darauf drängen (und dazu will die Bundesregierung auch eine Erklärung abgeben, und das ist neu), dass eben mit im Zusammenwirken mit den Ländern wir auch entsprechend direkte Zuschüsse geben, und von daher, glaube ich, hat sich die Diskussion, auch die Debatte, bis in den gestrigen Abend gelohnt.
Heinemann: Sie haben eben über die Belastungen gesprochen, die dann irgendwann kommen werden: höhere Strompreise vielleicht, oder auch nicht jeder möchte einen Strommast oder ein Windrad hinter seinem Gartenzaun haben. Wenn die Belastungen kommen, dann werden die Bürger fragen, wer hat uns das eingebrockt, und Sie werden dann nicht sagen können, das war der Tsunami in Japan. Deshalb noch mal die Frage: Hätte man sich nicht ein bisschen mehr Zeit lassen müssen?
Bouffier: Ich glaube, dass wir in einem Monat in diesen Fragen oder in zweien nicht schlauer sind. Die Grundentscheidungen sind gefallen, und niemand sollte den Menschen eine Illusion vorgaukeln, dass das umsonst zu haben ist und dass das ohne Anstrengungen zu haben ist.
Heinemann: Aber Sie hätten heute im Bundesrat die Möglichkeit, eben das noch mal in den Vermittlungsausschuss zu schicken und zu sagen, kommt, lasst uns noch mal drübergucken.
Bouffier: Ja mit welchem Ergebnis denn? Die unterschiedlichen Interessen sind doch bekannt, und es macht auch keinen Sinn, wenn wir jetzt zwei Monate hin- und herdiskutieren über die spannende Frage, was glaubt ihr, ist es richtig, davon auszugehen, dass wir in zwei Jahren zehn Gigawatt hinzubauen oder nicht. Das ist eine praktische Frage, die sich an vielen, vielen Dingen erweisen wird. Nehmen Sie das schöne Beispiel: Wir brauchen für die Planung und Instandsetzung beziehungsweise Umsetzung eines Radweges in der Bundesrepublik schon Jahre. Deshalb bin ich sehr skeptisch für diese sehr ambitionierten Zeitplanungen. Aber da sind wir Ende September genauso weit wie heute, und deshalb ist es wichtiger, dass wir was anderes machen, dass wir den Mut haben, neue Wege zu gehen, aber auch den Mut haben, Wege zu korrigieren, wenn sich herausstellt, dass es so nicht geht, und das muss man aus meiner Sicht haben, und deshalb ist ja das, was im Gesetz steht, jedes Jahr dieses Monitoring nach dem Motto, wie weit sind wir gekommen und müssen wir gegebenenfalls was ändern, ohne dass wir den Grundsatz in Frage stellen, das ist aus meiner Sicht der entscheidende Punkt.
Heinemann: Eine Restskepsis bleibt, sagen Sie, wegen des Zeitplans. Vielleicht auch bei einem anderen Thema: Die Koalition hat jetzt Steuersenkungen für das Wahljahr 2013 beschlossen. Die meisten CDU-Ministerpräsidenten halten das nicht für finanzierbar, wenn ich es richtig verstanden habe, Sie auch nicht. Wieso zählt das Wort der Länderregierungschefs in Berlin nicht mehr?
Bouffier: Ich glaube, das zählt sehr viel. Ohne uns wird es nichts werden. Und ich halte für richtig…
Heinemann: War das eine Drohung?
Bouffier: Ja langsam! Dass man die Enteignung der Bürger beendet in der Weise, dass die kalte Progression dazu führt, dass einer, der Lohnerhöhung hat und anschließend über Inflation und Tarifsteuererhöhung weniger als vorher, das ist Unsinn. Konkreter Vorschlag: ab 2013 in kleinen Stufen hier anfangen, dass man das korrigiert. Aber das muss der Bund stemmen. Der Bund hat andere Möglichkeiten als die Länder. Die Länder sind diejenigen, die Haushalte haben, die zur Hälfte schon mal Personalkosten ausmachen. Das heißt, selbst wenn man wollte, kann man kaum dort große Veränderungen vornehmen. Und das ist beim Bund ein bisschen anders, und dort, bin ich ganz sicher, werden wir uns auch finden. Und deshalb: Wer jetzt vorschlägt, dass er diesen richtigen Punkt angehen will, der muss die Finanzierung mitliefern.
Heinemann: Herr Bouffier, der FDP-Vorsitzende Philipp Rösler meint sogar schon, dass man auch 2012 schon niedrige Lohnnebenkosten und auch eine Entlastung der Sozialabgaben stemmen könnte. Sehen Sie das auch so?
Bouffier: Also, da wäre ich vorsichtig. Wenn es gelingt, ist es schön. Bei den Sozialabgaben zu reduzieren, finde ich vernünftig, weil wir die Kosten des Arbeitsplatzes dann runternehmen und auch die Menschen direkt etwas davon haben. Das ist im Übrigen eine Geschichte, wo die Länder keine Interessengegensätze zum Bund haben, denn die Sozialabgaben gehen entweder in die Rentenversicherung, Krankenversicherung oder Arbeitslosenversicherung. Das wird man sich anschauen. Ich bin kein Freund von ständigen veränderten neuen Ankündigungen und dem Wettlauf, wer ist der schnellste. Das gilt bei der Energiewende; der Wettlauf um den schnellsten Ausstieg ist Unsinn. Aber der Wettbewerb um die klügste Lösung, da sind wir immer dabei.
Heinemann: Herr Bouffier, die Sommerzeit ist Zeit für Zeugnisse. Viele Schülerinnen und Schüler erhalten jetzt ihre Leistungsnachweise in diesen Wochen. Wenn Sie die Arbeit der Bundesregierung benoten sollten, welche Zensur zwischen 1 und 6 würden Sie vergeben'
Bouffier: Ich würde die Bundesregierung versetzen.
Heinemann: Das ist ja schon mal was!
Bouffier: Und würde ausdrücklich sagen, Kameraden, die Performance und der Eindruck muss besser werden. Wir müssen nicht darum herumreden, das hat erheblich gestresst die letzten Monate. Das liegt teilweise an Umständen, die vor einem Jahr noch keiner kannte. Aber richtig ist doch auch, wir werden bei den Bürgerinnen und Bürgern nur dann größere Zustimmung bekommen, wenn wir klar, wenn wir geschlossen und überzeugend auftreten, und da haben wir noch Zuwachsmöglichkeiten.
Heinemann: In Hessen gibt es, glaube ich, noch Kopfnoten für Arbeits- und Sozialverhalten. Welche Zensuren hätte die Regierung verdient?
Bouffier: Das ist wie in jeder Klasse. Da gibt es welche, da bin ich sehr zufrieden, und bei anderen muss man, glaube ich, noch nacharbeiten.
Heinemann: Wer ist zufriedenstellend und wer nicht?
Bouffier: Ich bin nicht der Zensor der Bundesregierung. Die Bundesregierung weiß selbst, erfolgreich werden wir nur sein, wenn Dissonanzen, gegensätzliche Stellungnahmen und sich überholende ständig neue Ankündigungen, wenn wir das in Zukunft vermeiden, und ich glaube, das ist die Arbeitsagenda, die die Bundesregierung am besten weiß.
Heinemann: Letzter Versuch: Gesamtnote?
Bouffier: Ich würde mal sagen, unter den gegebenen Umständen würde ich das mit Befriedigend bezeichnen, und das liegt dann so mitten drin. Und wenn Sie mir erlauben: Man muss ja immer vergleichen können. Wenn ich dann die Parallelklasse nehme bei Ihrem Vergleich und schaue mir mal die Opposition an, dann, würde ich sagen, ist Befriedigend in Ordnung.
Heinemann: Volker Bouffier (CDU), der Ministerpräsident des Landes Hessen. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Bouffier: Auf Wiederhören!
Die Äußerungen unserer Gesprächspartner geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.