Vor "Reichsbürger"-Prozess
Diese Mythen spielten bei den Verschwörerinnen und Verschwörern eine Rolle

Am Montag beginnt vor dem Oberlandesgericht Stuttgart der erste Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder des Reichsbürgernetzwerks. Im Hintergrund spielen dabei zahlreiche Verschwörungserzählungen eine Rolle. Wir geben einen Überblick über die wichtigsten dieser Mythen.

    Bei einer Razzia gegen sogenannte "Reichsbürger" führen vermummte Polizisten Heinrich XIII Prinz Reuß (2.v.r.) zu einem Polizeifahrzeug.
    Bei der Razzia gegen die Reichsbürger-Szene wurde am 7. Dezember 2022 in Frankfurt Heinrich XIII Prinz Reuß verhaftet. (picture alliance / dpa / Boris Roessler)
    Das Gericht in Stuttgart verhandelt über die Vorwürfe gegen insgesamt neun Angeklagte der so genannten "Gruppe Reuß". Ihnen wird zur Last gelegt, Mitglied einer terroristischen Vereinigung gewesen zu sein und ein sogenanntes hochverräterisches Unternehmen vorbereitet zu haben. Laut Staatsanwaltschaft folgten die Männer und Frauen einem "Konglomerat aus Verschwörungsmythen". Diese Begriffe spielen dabei eine Rolle:

    "Deep State"

    Der Verschwörungsmythos wurde zunächst in den USA von sogenannten QAnon-Anhängern verbreitet. Demnach werden die USA von einer kriminellen Elite beherrscht. Dem Bundesamt für Verfassungsschutz zufolge findet dieser Mythos auch im deutschsprachigen Raum Verbreitung. Auch in der "Gruppe Reuß" soll dies eine Rolle gespielt haben. Der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft zufolge waren die Angeklagten davon überzeugt, dass auch Deutschland derzeit von Angehörigen eines sogenannten Deep State regiert werde.

    "Allianz"

    Eine Befreiung aus dieser Lage erhofften sich die Angeklagten den Ermittlern zufolge von einer sogenannten Allianz. Dabei handle es sich ihrer Überzeugung nach um einen technisch überlegenen Geheimbund von Regierungen, Geheimdiensten und Militärs verschiedener Staaten wie Russland und den USA. Diesen Geheimbund gibt es nicht - die Gruppe soll aber so fest daran geglaubt haben, dass sie sogar einen Verbindungsoffizier für die "Allianz" ernannt habe. Marco van H. steht in Stuttgart vor Gericht.

    "Tag X"

    Laut Anklage propagierte die Gruppe eine Zusammenarbeit mit dem nicht existierenden Geheimbund "Allianz". Demnach war vorgesehen, dass die "Allianz" ein Zeichen für den "Tag X" geben sollte. Das sollte gleichzeitig das Signal für das Eingreifen der Gruppe sein. Die Idee soll gewesen sein, dass die "Allianz" die obersten staatlichen Institutionen angreifen sollte. Danach habe die Gruppe die übrigen Institutionen und Amtsträger auf Landes-, Kreis- und kommunaler Ebene beseitigen wollen.

    "Feindeslisten"

    Für die Beseitigung der staatlichen Institutionen und Amtsträger soll die Gruppe bereits sogenannte Feindeslisten erstellt haben. Laut Anklage war den Mitgliedern bewusst, dass bei ihrer geplanten Machtübernahme Menschen sterben würden. Neben den Plänen für "Tag X" sei auch geplant worden, mit einer bewaffneten Gruppe in das Reichstagsgebäude in Berlin einzudringen, um dort Bundestagsabgeordnete festzunehmen und so das freiheitlich-demokratische System zu stürzen.

    "Rat"

    Den Ermittlern zufolge wollte die Gruppe nach dem Umsturz die politische Neugestaltung Deutschlands übernehmen. Zentrales Gremium sei ein sogenannter "Rat" gewesen, der sich - ähnlich wie ein Regierungskabinett - aus verschiedenen Ressorts zusammengesetzt habe. Für die Justiz war demnach beispielsweise Birgit Malsack-Winkemann verantwortlich, eine frühere AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin, der in Frankfurt am Main der Prozess gemacht wird.
    Der "Rat" sollte laut Anklage als Übergangsregierung fungieren und mit den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs die neue staatliche Ordnung Deutschlands verhandeln. Anführer des "Rats" war laut Bundesanwaltschaft Heinrich XIII. Prinz Reuß. Nur er sei in den Plänen der Gruppe als provisorisches Staatsoberhaupt in Betracht gekommen, er allein habe einen Friedensvertrag aushandeln sollen.

    "Militärischer Arm"

    Dieser Teil der Gruppe war der Anklage zufolge an den "Rat" angegliedert und sollte den Umsturz mit Waffengewalt durchsetzen. Dazu habe deutschlandweit ein System von 286 sogenannten Heimatschutzkompanien, militärisch organisierten Verbänden, aufgebaut werden sollen. Die Gruppe soll laut Bundesanwaltschaft Zugriff auf ein "massives Waffenarsenal" gehabt haben, das aus rund 380 Schusswaffen, fast 350 Hieb- und Stichwaffen und fast 500 weiteren Waffenteilen bestanden habe.
    An der Spitze des "militärischen Arms" soll der in Frankfurt angeklagte frühere Bundeswehroffizier Rüdiger von P. gestanden haben, den die Bundesanwaltschaft neben Reuß als Rädelsführer sieht.

    "Verschwiegenheitserklärung"

    Nach außen habe sich die Gruppe abgeschottet, erklärte die Bundesanwaltschaft. Mitglieder und Interessenten hätten eine sogenannte Verschwiegenheitserklärung unterschreiben müssen. Erarbeitet worden sei diese von zwei ebenfalls in Stuttgart Angeklagten, Markus H. und Ralf S., auf Weisung von van H. Verstöße gegen die "Verschwiegenheitserklärung" sollten laut Anklage als Hochverrat mit dem Tod bestraft werden.
    (mit Material der Deutschen Presse-Agentur)
    Diese Nachricht wurde am 27.04.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.