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"Diese Zensur kann ich nicht akzeptieren"

Wikileaks ist Angriffen von verschiedenen Seiten ausgesetzt, die Website wird systematisch gesperrt. Freimut Duve, fünf Jahre lang erster Beauftragter für die Freiheit der Medien bei der OSZE, sieht eine neue Qualität in der Veröffentlichung - und verlangt einen verantwortungsvollen Umgang damit.

Freimut Duve im Gespräch mit Anne Raith |
    Anne Raith: Seit einer Woche hält eine Internetplattform die Welt in Atem: Seit Montag werden häppchenweise immer mehr geheime amerikanische Dokumente, Depeschen und Randnotizen veröffentlicht. Über die arabische Welt und den Iran über Nordkorea und zuletzt über Afghanistan, wir haben es eben gehört. Doch dadurch ist nicht nur der Mitbegründer Julian Assange persönlich unter Druck geraten, gestern war auch seine Seite Wikileaks.org nicht mehr zu erreichen. Vom Cyber-War ist die Rede, vom Krieg im Internet.

    Und vor der Sendung hatte ich Gelegenheit, mit dem Politiker und Publizisten Freimut Duve zu sprechen, er war fünf Jahre lang erster Beauftragter für die Freiheit der Medien bei der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Ihn habe ich gefragt, ob das, was wir gerade erleben, Zensur ist?

    Freimut Duve: Es ist keine direkte Zensur, denn das, was Wikileaks da macht, ist etwas global Neues, was in dieser Form den einzelnen Staat nicht direkt betrifft. Aber er kann es versuchen zu machen. Und da es gesetzlich ja noch nicht greift, kann ich es nicht direkt Zensur nennen.

    Raith: Aber warum ist es keine Zensur für Sie, wenn unliebsame Inhalte von Servern verbannt werden? Freiheit der Medien ist das ja auch nicht?

    Duve: Nein, es ist nicht Freiheit der Medien, aber es ist etwas kolossal Neues, was dort passiert ist. Und darüber muss der Gesetzgeber jetzt etwa in einer neuen Form nachdenken. Und das würde ich so noch nicht Zensur nennen.

    Raith: Wie würden Sie diese Vorgänge denn nennen?

    Duve: Ich würde es eine Aufforderung für den Gesetzgeber nennen, mit der elektronischen Technologie, aber auch mit dem Bewusstsein der parlamentarischen Demokratie wirklich neu umzugehen und neu nachzudenken.

    Raith: Ist das für Sie, was Wikileaks tut, gesetzeswidrig, oder das, was jetzt zum Beispiel Frankreich tut?

    Duve: Beides ist oberhalb, oder ich sage mal außerhalb der Gesetzestradition, eine neue Plattform für unser Denken, für unser Bewusstsein und für unsere Kultur. Es hat mich sehr geschockt, was ich gehört habe, was ich gelesen habe, die Inhalte. Und ich glaube, dieser Schock ist eher positiv als negativ.

    Raith: Hat Sie geschockt, was Sie da gelesen haben, oder wie es letztlich an die Öffentlichkeit gekommen ist?

    Duve: Beides. Was ich gelesen habe, hat mich geschockt. Ich habe viele Bürger angesprochen und gefragt, wie finden Sie das. Ich habe zum Beispiel einen meiner Schwiegersöhne gefragt und der sagt, es ist ja toll, dass ich das Mal gelesen habe, aber ist es nicht wahnsinnig, was die amerikanische Geheimverwaltung versucht hat herauszufinden, was in den deutschen Provinzen so im Einzelnen passiert und dafür Beamte ausrichtet, dass sie sich das sagen lassen? Also diese Wahrnehmung, dass deutsche Bürger plötzlich hören und herausfinden, dass es in Amerika Beamte gibt, die sich sagen lassen, was in einzelnen Provinzen ihrer befreundeten Länder vor Ort, also nicht in den Hauptstädten, und zwar ganz langweilige Informationen berichtet werden. Das ist das eine. Und das andere, was mich besonders geschockt hat: In all den Berichten – soweit ich sie gelesen habe, es sind ja nur ganz wenige aus den 200.000 oder 300.000 Informationen, die bisher rausgekommen sind – das Wort Menschenrechte und Verletzung der Menschenrechte taucht überhaupt nirgends auf.

    Raith: Lassen Sie uns noch mal ganz kurz auf den Vorwurf der Zensur zurückkommen, denn diese amerikanischen Behörden sind es ja auch, so unterstellt man Ihnen zumindest, die nun Druck auf Wikileaks ausüben und die Adresse in den USA gesperrt haben. Halten Sie diesen Gedanken der Einflussnahme für fern?

    Duve: Ich halte es für sinnvoll, dass jetzt Wikileaks sagen wir gesperrt, oder jedenfalls, dass dort ein Verantwortungsbewusstsein entsteht. Und dass dort anders umgegangen wird, das glaube ich schon. Das halte ich für unsere Demokratien für wichtig.

    Raith: Aber würde diese Diskussion auch so laufen, wie sie läuft, wenn zum Beispiel die chinesische Regierung eine Enthüllungsplattform wie diese aussperrt, Adressen löscht? Würden wir da nicht eine Lanze für die Freiheit der Medien brechen?

    Duve: Ja, wenn wir Informationen aus dem bekommen, was in Diktaturen los ist, gebe ich Ihnen recht.

    Raith: Aber wir haben doch jetzt letztlich auch Informationen bekommen – nicht in diesem Schwung, aber in den letzten, aus dem Irakkrieg, aus dem Afghanistankrieg –, war das nicht legitim, das auch an die Öffentlichkeit zu bringen?

    Duve: Ja, das sage ich ja. Deshalb muss, mit der Firma, mit dieser Organisation muss ein vertrauliches und verantwortungsbewusstes Verhältnis angefangen werden, mit den Demokratien, wie man künftig mit der Veröffentlichung umgeht. Das heißt, die Demokratien müssen selber verantwortungsbewusst mit dieser Veröffentlichung umgehen, damit wir diese neue Qualität, die jetzt mit diesem Revolutionsstoß angefangen hat, auch eine neue Chance bekommt, das zu nutzen, was uns diese moderne Elektronik geschenkt hat.

    Raith: Aber sie nutzt es ja nicht, wenn sie es wegsperrt, so wie im Falle Frankreich zum Beispiel?

    Duve: Ja, darum sage ich ja, diese Zensur kann ich nicht akzeptieren.

    Raith: Offiziell geht es ja um den Vorwurf der Spionage, des Geheimnisverrats, deswegen wird in Anführungszeichen "zensiert". Für wie subjektiv gefärbt halten Sie denn diese Debatte?

    Duve: Sie ist sehr subjektiv gefärbt. Die Vorstellung, dass man auch eine Form entwickeln muss, in der demokratische Verantwortung organisiert werden muss wie in der parlamentarischen Demokratie und im Rechtsstaat, dass der Rechtsstaat dann auch Kontrollmöglichkeiten haben muss. Da ist einfach ein neuer Aufbruch in etwas, was wir gar nicht im Griff haben. Und jetzt müssen wir alle daran arbeiten: Schafft diese neue Technologie eine Möglichkeit, so Brutaldiktaturen wie China und andere, vor allen Dingen auch in einigen der arabischen Staaten, wirklich durchzugreifen, sodass die westlichen Staaten mit diesen Diktaturen, dass wir die Menschenrechte da wahrnehmen?

    Raith: Sagt der Politiker und Publizist Freimut Duve, er war fünf Jahre lang erster Beauftragter für die Freiheit der Medien bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.