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Diesel-Fahrverbote
Grünen-Chefin wirft Bundesregierung Untätigkeit vor

Die Bundesregierung hätte mögliche Dieselfahrverbote verhindern können, sagte die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock im DLF. Themen wie eine bundesweite blaue Plakette oder die Nachrüstung der Hardware von manipulierten Autos seien von der Großen Koalition in den letzten Jahren regelrecht blockiert worden.

Annalena Baerbock im Gespräch mit Sandra Schulz | 27.02.2018
    Die Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) spricht am 09.12.2017 in Hamburg während der Landesmitgliederversammlung der Hamburger Grünen
    Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock wirft der Bundesregierung Tatenlosigkeit bei der Lösung der Diesel-Problematik vor. (picture alliance / Georg Wendt/dpa)
    Sandra Schulz: Schon am vergangenen Donnerstag, da schaute ja das ganze Land nach Leipzig höchst gespannt darauf, was das Bundesverwaltungsgericht dort entscheidet im Streit um die schlechte Luft in Düsseldorf und Stuttgart. Darum geht es ja in Leipzig, aber auch um die Grundsatzfrage nach möglichen oder unmöglichen Fahrverboten für Dieselautos. Da haben die Richter dann am Donnerstag die Spannung noch einmal erhöht und gesagt, wir entscheiden das noch gar nicht und vertagen uns auf Dienstag, also auf heute.
    Um zwölf Uhr soll das Urteil verkündet werden und darüber konnte ich vorhin mit Annalena Baerbock sprechen. Als erstes habe ich die Grünen-Vorsitzende gefragt, warum Baden-Württemberg, das ja von einem grünen Ministerpräsidenten regiert wird, erst verklagt werden muss, um für saubere Luft zu sorgen.
    Annalena Baerbock: Ja, weil die Bundesregierung seit drei Jahren hier einfach nichts dafür getan hat, dass das, was auf europäischer Ebene gilt, nämlich saubere Luft in den Städten, vor Ort so umgesetzt wird, dass die Menschen auch zu ihrem Recht kommen. Hier hätte es Bundesmaßnahmen geben müssen, zum einen, als diese ganze Dieselproblematik aufgekommen ist, eine klare Nachrüstung der manipulierten Autos. Dafür hätte es auf Bundesebene Weisungen bedarf. Und zum anderen Regelungen für die Kommunen, wie sie dann mit solchen entsprechenden Lagen umgehen. Natürlich ist das jetzt ein bisschen schwierig zwischen den Ebenen Bund, Land und Kommunen, aber hier ist vor allen Dingen …
    "Der Bund muss seiner einheitlichen Regelungspflicht nachkommen"
    Schulz: Frau Baerbock, über die Ebene Bund sprechen wir auch gleich noch. Wir sind zum Interview ja gleich verabredet mit Peter Ramsauer. Aber jetzt war doch die Frage nach der Verantwortung des Landes Baden-Württemberg, warum da nicht schon viel früher was passiert ist.
    Baerbock: Weil das Land Baden-Württemberg zurecht immer wieder darauf hingewiesen hat, dass wir hier eine bundesweite Regelung brauchen, mit Namen auch der blauen Plakette. Das heißt: Die Autos, die nicht nachgerüstet wurden, bei denen nach wie vor die Grenzwerte überschritten werden, dass es dafür dann Regelungen gibt, und für die Autos, die nachgerüstet wurden, gibt es eine blaue Plakette. Das hat das Land Baden-Württemberg, namentlich auch der grüne Verkehrsminister, immer wieder eingefordert, auch der grüne Ministerpräsident, und diese einheitliche Regelung hat es nicht gegeben.
    Jetzt ist die Frage, wie soll weiter damit umgegangen werden, und das Gericht wird entscheiden, ob jetzt Fahrverbote von den Kommunen umgesetzt werden müssen, wo sich auch das Land Baden-Württemberg natürlich an die Gerichtsentscheidung dann entsprechend und auch die Stadt Stuttgart halten werden wird, oder ob es jetzt noch mal unterstreicht, dass der Bund hier seiner einheitlichen Regelungspflicht im Sinne einer blauen Plakette und dann der Nachrüstung eigentlich hätte nachkommen müssen.
    "Die Bundesregierung blockiert das Thema seit drei Jahren"
    Schulz: Den Schritt würde ich gerne noch mal zurück machen, denn diese blaue Plakette, das ist ja ein Vorschlag unter anderem von den Grünen, ist aber auch ein Vorschlag, von dem wir schon seit langer Zeit wissen, dass es dafür keine Mehrheit in Berlin gibt oder keine Neigung der Bundesregierung bis zur Wahl und, so wie es sich jetzt möglicherweise abzeichnet, mit einer Fortsetzung von Schwarz-Rot, dass dieser Vorschlag schlichtweg nicht aufgegriffen wird. Muss dann nicht ein Land aktiv werden?
    Baerbock: Das Land ist ja auch aktiv geworden in dem Sinne, indem es mit den Kommunen immer wieder auch darüber diskutiert hat, was wollen wir an Luftreinhalteplänen machen. Aber noch mal: Wenn wir das große Problem haben, dass Autos manipuliert wurden und diese Autos eigentlich nachgerüstet werden müssten, dann kommen wir eigentlich um diese Fragestellung nicht herum, und da ist es halt ein Problem, dass die Bundesregierung seit drei Jahren einfach diese Thematik blockiert. Und bei der blauen Plakette: Ja, das haben wir die ganze Zeit gefordert, aber nicht nur wir, sondern das hat der ADFC, unterschiedliche Organisationen haben das ebenso gefordert, und jetzt scheint da ja auch ein bisschen Bewegung in die Sache reingekommen zu sein. Deswegen ist mal abzuwarten, was nach dem Gerichtsurteil sich auch auf Bundesebene da noch mal bewegt. Aber klar: Wenn man in der Opposition ist, auch wenn man aus den Ländern mit grüner Regierungsbeteiligung Forderungen aufstellt, aber die Bundesregierung das dann nicht umsetzt, das heißt ja nicht, dass die Forderung dann falsch geworden ist, sondern wir müssen den Druck da weiter aufrecht erhalten.
    "Wenn die Regierung weiter wegschaut, wird es Fahrverbote geben"
    Schulz: Wobei die Bundesregierung die Forderung nach einer blauen Plakette jetzt nicht einfach nur so ablehnt, sondern mit der Begründung, so heißt es aus der CSU, das sei eine kalte Enteignung, weil ja wirklich von jetzt auf gleich möglicherweise Millionen von Dieselfahrzeugbesitzern betroffen wären und mit ihren Fahrzeugen nicht mehr in die Innenstadt fahren könnten. Was das dann für Handwerker hieße, für Kleinunternehmer, das spielt für die Grünen dann keine Rolle?
    Baerbock: Natürlich spielt das für uns Grüne eine Rolle. Deswegen sagen wir auch ganz klar, man kann von Seiten des Verkehrsministers sowohl die Kommunen, aber auch die Autofahrer(innen), auch die Handwerker nicht im Regen stehen lassen. Nur die Regierung kann ja die Problematik nicht wegzaubern, sondern sie muss sich der Verantwortung stellen. Deswegen machen wir ja Politik, weil die Fahrverbote werden sonst vom Gericht umgesetzt. Die Frage zur sauberen Luft, das ist ja nicht irgendwie so eine Regelung, sondern das ist europäisches Recht, was umgesetzt werden muss. Hinzu gekommen ist die Manipulation der Autokonzerne und hier muss die Bundesregierung aktiv werden, weil wenn sie einfach nur weiter wegschaut wie die letzten drei Jahre, dann wird es zu Fahrverboten kommen. Und sie hat ja den Dieselgipfel gemacht, aber das alles nur halbherzig, weil sie sich nicht getraut hat, wirklich diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen wie die Konzerne, die hier Verantwortung tragen.
    Das trifft halt am Ende – Sie haben den Handwerker angesprochen, vielleicht gibt es jetzt für den Ausnahmeregelungen, aber auch die vierköpfige Familie, die sich von diesen halbgaren Zwischenlösungen, die auf dem Dieselgipfel vereinbart wurden, wie die Umtauschprämie, wo man 10.000 Euro bekommt, wenn man sich für 15.000 einen Neuwagen kauft, davon hat eine vierköpfige Familie überhaupt gar nichts, die sich das nicht leisten kann. Deswegen ist das aus unserer Sicht nicht nur eine Frage von sauberer Luft, sondern auch von sozialer Gerechtigkeit am Ende.
    Fahrverbote hängen vom Gerichtsurteil ab
    Schulz: Was ändert sich ab heute, wenn das Gericht die Fahrverbote ermöglicht?
    Baerbock: Dann werden die Kommunen das umsetzen, weil es sind ja Gerichtsurteile, die sie umsetzen nach ihren eigenen Vorstellungsmaßnahmen, und es wird dann sicherlich in einigen Städten Fahrverbote geben, weil das der letzte Weg ist, wie an den ganz krass belasteten Straßen die Menschen überhaupt noch saubere Luft bekommen können. Aber noch mal: Dafür ist dann die Bundesregierung, die SPD und auch die Union, namentlich der Verkehrsminister verantwortlich, weil seit drei Jahren wissen wir, dass es hier ein Problem gibt. Es liegen Vorschläge auf dem Tisch, blaue Plakette und vor allen Dingen Hardware-Nachrüstung, und das hat sie einfach nach wie vor nicht getan. Deswegen, um Fahrverbote zu verhindern, müsste dann eine Hardware-Nachrüstung der manipulierten Fahrzeuge unverzüglich kommen, damit man Fahrverbote vermeiden kann.
    "Man kann Fahrverbote verhindern"
    Schulz: Darüber wollen ja auch Schwarz-Rot, wenn es zur nächsten Koalition kommen sollte, beraten. Da gibt es jetzt eine Expertenkommission, die sich über diese Frage beugt. Zuletzt hat es ja schon Bewegung gegeben aus der Bundesregierung. Da sollen jetzt die Weichen gestellt werden für punktuelle Fahrverbote (möglicherweise ganz ähnlich wie die Fahrverbote, die Leipzig heute ermöglicht). Ergibt das nicht Sinn, dass man sagt, punktuell, da wo es am schmutzigsten ist, da wird dann je nach Tageszeit die Straße mal gesperrt für Dieselfahrzeuge?
    Baerbock: Das wird folgen, wenn vorher nicht was anderes passiert wie die Nachrüstung der manipulierten Autos. Deswegen gibt es ja dieses Gerichtsurteil. Und wir als Grüne haben immer gesagt, wenn das der letzte Schritt sein muss, um die Menschen zu ihrem Recht auf saubere Luft kommen zu lassen - an diesen ganz stark belasteten Straßen, dann werden wir als Grüne das natürlich auch mit umsetzen. Aber noch mal: Man hätte das verhindern können, oder man kann es auch verhindern, wenn endlich von Seiten der Bundesregierung eingesehen wird, dass man auch andere Maßnahmen wie die Hardware-Nachrüstung umsetzen kann.
    "Es gab ja Hardware-Nachrüstungen für exportierte Autos"
    Schulz: Wobei die Bundesregierung sicherlich antworten wird, wir haben das Thema mit größter Priorität angepackt, wir stecken eine Milliarde Euro in das Thema. Das zählt nichts?
    Baerbock: Na ja, wenn man drei Jahre nichts getan hat, dann ist das für mich nicht größte Priorität, sondern man hat einfach die Augen da zugemacht. Noch mal: Es hat ja diese Dieselgipfel gegeben, wo man genau darüber gesprochen hat, mit auch den Kommunen, aber auch mit den Herstellern, was können wir tun, und da lagen diese Vorschläge auch von Seiten von uns Grünen immer wieder auf dem Tisch, blaue Plakette, aber auch Hardware-Nachrüstung, um diese Fahrverbote zu vermeiden. Dem wollte sich einfach die Bundesregierung nicht stellen, aus Sorge vor den Konzernen, und ich finde das halt so absurd und reite da auch immer wieder drauf herum, weil es gab ja Hardware-Nachrüstungen für exportierte Autos. Die Autos, die nach Kanada und in die USA gegangen sind, die wurden nachgerüstet auf Kosten der Konzerne. Deswegen ist es mir absolut unverständlich, dass man das nicht auch für deutsche Autos macht.
    Schulz: Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock heute Morgen im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank.
    Baerbock: Ebenso. Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.