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Dieselskandal
"Die Industrie hat die Tragweite der ganzen Sache nicht begriffen"

Die SPD-Politikerin Kirsten Lühmann fordert im Dieselskandal mehr Druck auf die Autoindustrie. "Wir haben schon viel zu viel Zeit verloren", sagte die verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion im Dlf. Die Autobauer hätten wohl geglaubt, mit einem blauen Auge aus der Sache herauszukommen.

Kirsten Lühmann im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
    Die SPD-Verkehrspolitikerin Kirsten Lühmann.
    Die SPD-Verkehrspolitikerin Kirsten Lühmann. (dpa/Bernd von Jutrczenka)
    Jörg Münchenberg: Daimler-Chef Dieter Zetsche steht im Abgasskandal massiv unter Druck, denn es gibt den Verdacht, dass auch Daimler wie Volkswagen verbotene Abschalteinrichtungen in den Motoren installiert haben soll. Die Folge: ein deutlich höherer Stickstoffdioxid-Ausstoß als eigentlich erlaubt, und zwar auch bei Fahrzeugen mit neuester Technik nach Euro VI. Schon vor zwei Wochen musste Zetsche deshalb bei Verkehrsminister Andreas Scheuer vorsprechen. Der Minister, so hieß es dann anschließend, soll ziemlich erbost gewesen sein. Heute ist Zetsche wieder zum Rapport beim Verkehrsminister.
    Zugehört hat die Verkehrsexpertin der SPD im Bundestag, Kirsten Lühmann. Frau Lühmann, einen schönen guten Morgen.
    Kirsten Lühmann: Guten Morgen, Herr Münchenberg.
    Wegducken funktioniert nicht
    Münchenberg: Frau Lühmann, muss die Geschichte im Dieselskandal neu geschrieben werden, dass nicht nur Volkswagen betrogen hat, sondern auch namhafte andere Hersteller wie Daimler etwa?
    Lühmann: Sie muss nicht neu geschrieben werden, denn es war uns von Anfang an klar, dass umstrittene Technik verbaut worden ist. Ob es sich um einen bewussten Betrug wie bei Daimler handelt, oder ob es nur das Ausnutzen von Gesetzeslücken ist, da ist Daimler und das Ministerium sich noch nicht ganz einig. Aber klar war uns von Anfang an, das haben ja auch die Untersuchungen gezeigt, dass manipuliert wurde in dem Sinne, dass die Autos nicht so sauber sind, wie wir uns das eigentlich vorgestellt haben, wurde auch bei anderen.
    Münchenberg: Wir reden ja hier auch über neue Modelle, die mit Motoren nach Euro-VI-Norm auf den Markt gekommen sind. Wenn trotz Dieselskandal weiter mit verbotenen Abschalteinrichtungen gearbeitet wird, was sagt Ihnen das über die Haltung der Industrie zu dem ganzen Thema?
    Lühmann: Das sagt mir, dass sie daraus nicht gelernt haben. Die Automobilindustrie in Deutschland ist eine sehr große und auch eigentlich sehr gute Industrie, die hervorragende Autos auf der ganzen Welt verkaufen, und aus meiner Sicht haben sie geglaubt, dass sie, sagen wir mal, mit einem blauen Auge aus der ganzen Sache herauskommen, wenn sie sich nur wegducken, und das zeigt jetzt, dass es nicht funktioniert. Auch die Haltung – Sie haben es eben in der Moderation erklärt – zu den Hardware-Nachrüstungen zeigt ja sehr deutlich, dass die gesamte Industrie die Tragweite der ganzen Sache nicht begriffen hat.
    Münchenberg: Aber, Frau Lühmann, vielleicht hat die Industrie ja auch nur auf den Schutz der Politik vertraut, denn bislang, muss man sagen, hat das ja ganz gut funktioniert.
    Lühmann: Seit Bekanntwerden der Vorfälle bei VW kann man nicht von einem Schutz reden, sondern wir haben ja zwei Dimensionen. Das eine ist ein wissentlicher Betrug. Da laufen ja auch Verfahren. Das kann auch noch strafrechtliche Folgen haben. Und das andere, was wir danach festgestellt haben, ist, dass unsere Gesetze zumindest unterschiedlich ausgelegt wurden. Wir haben das ja jetzt auch bei Daimler. Das KBA sagt, es sind unzulässige Abschalteinrichtungen. Daimler sagt, nein, das wird noch von der Richtlinie gedeckt.
    Arbeitsplätze und Gesundheit im Blick behalten
    Münchenberg: KBA heißt Kraftfahrtbundesamt, um das nur zu erklären.
    Lühmann: Das Kraftfahrtbundesamt.
    Münchenberg: Trotzdem hat man oder haben Kritiker vielfach den Eindruck, dass der Politik der Erhalt von Arbeitsplätzen am Ende doch wichtiger ist als die Gesundheit der Bürger.
    Lühmann: Wir müssen beides im Blick haben, sowohl die Arbeitsplätze als auch die Gesundheit. Wir haben ja gerade eine Diskussion auf europäischer Ebene, wie weit wir den CO2-Ausstoß der PKW-Flotten reduzieren, und genau diese Diskussion haben wir dort auch. Wir haben Klimaschutzziele, die wir einhalten müssen, und die Frage, die wir uns da stellen, ist, wie halten wir sie ein. Unsere Meinung ist, dass die Automobilindustrie da noch mehr zu beitragen kann, als sie bis jetzt getan hat.
    Münchenberg: Lassen Sie uns jetzt noch mal konkret auf Daimler zu sprechen kommen. Dieter Zetsche ist ja heute bei Verkehrsminister Scheuer. Was erwarten Sie von Scheuer jetzt bei dem Treffen mit Daimler-Chef Zetsche?
    Lühmann: Ich erwarte von ihm, dass er deutlich macht – und das hat er ja vor 14 Tagen schon getan -, dass wir jetzt nicht jedes einzelne Daimler-Fahrzeug testen müssen, um jede einzelne Veränderung nachzuweisen, sondern dass der Konzern selber die Karten offenlegt. Denn sehr lange haben sich die Autobauer ja selbst geweigert, dem Kraftfahrtbundesamt die Motorsteuerungs-Software zur Prüfung zur Verfügung zu stellen. Das ist schon unter der letzten Regierung verändert worden und jetzt muss das auch Auswirkungen haben, denn so eine Prüfung dauert sehr lange und wir können jetzt nicht warten, noch ein halbes Jahr, ein Jahr, zwei Jahre, bis wir auch das letzte Daimler-Fahrzeug überprüft haben mit der Software. Ich erwarte, dass Daimler die Karten auf den Tisch legt, und wenn nicht, dass entsprechende Konsequenzen angekündigt werden.
    Münchenberg: Sie sagen, Daimler soll die Karten auf den Tisch legen. Auf der anderen Seite ist ja von Daimler schon zu hören, das mit den verbotenen Abschalteinrichtungen, dieser Vorwurf sei so nicht richtig. Da hat man schon eher den Eindruck, Daimler streitet die Vorwürfe weiter ab.
    Lühmann: Dann muss es zu einem Verfahren kommen. Ich fände das sehr gut, denn wir haben auch von anderen Autobauern gehört, dass ihre Abschalteinrichtungen von der EU-Richtlinie gedeckt werden. Wir sind anderer Meinung. Bis jetzt stand da Aussage gegen Aussage. Bis jetzt haben auch die Autobauer freiwillig die umstrittenen Fahrzeuge mit einer Software upgedatet. Wenn jetzt Daimler das auf ein Gerichtsverfahren ankommen lässt, bin ich guter Hoffnung, denn auch die Kommission hat ja schon im letzten Jahr eine Auslegung der Richtlinie bekannt gegeben, indem auch die Kommission gesagt hat, nein, die Richtlinie ist davon ausgegangen, dass zum Beispiel diese umstrittenen Thermofenster nicht rechtmäßig sein sollen. Wenn das jetzt mal von einem Gericht geklärt wird, ich hätte nichts dagegen, und ich bin auch guten Mutes, dass die Bundesregierung dabei siegen wird.
    Münchenberg: Sind denn Strafen der richtige Weg? Angeblich hat Herr Scheuer angedroht, bis zu 5000 Euro pro Fahrzeug könnten da fällig werden. Wäre das trotzdem ein Weg, um hier noch mehr Druck zu machen?
    Lühmann: Der Weg ist absolut richtig, um Druck zu machen. Er hat ja nicht gesagt, dass er diese Strafen sofort erlassen wird, sondern er hat sie nur in Aussicht gestellt, wenn nicht kooperiert wird. Die Problematik bei den Strafen ist allerdings genauso wie bei der Frage, ist eine Abschalteinrichtung legal oder nicht legal. Herr Dobrindt hat erklärt, dass solche Strafen nicht oder nur sehr schwer möglich sind. Herr Scheuer droht sie jetzt an, das finde ich sehr gut. Trotzdem muss man erst mal feststellen, darf so eine Strafe überhaupt ausgesprochen werden oder nicht, denn das ist ja genau das Problem, das auch die Kommission mit uns hat, indem sie gesagt hat, Deutschland hat ja gar keine gesetzlichen Regularien, um dort der Automobilindustrie richtig die Daumenschrauben anzulegen.
    Autoindustrie verweigert Nachrüstung
    Münchenberg: Umstritten, Frau Lühmann, sind ja auch Hardware-Nachrüstungen. Das klang im Vorgespräch auch schon an. Der Verkehrsminister lehnt das ab. Selbst das Kraftfahrtbundesamt hält das jetzt offenbar für machbar. Muss Scheuer hier seinen Widerstand aufgeben?
    Lühmann: Ja, auf alle Fälle. Wir haben schon viel zu viel Zeit verloren. Hätten wir damals, als die ersten Vorwürfe bekannt geworden sind, uns sofort um das Thema Hardware-Nachrüstung gekümmert, dann würden jetzt schon geprüfte und zugelassene Techniken zur Verfügung stehen. Die Automobilindustrie hat abgestritten, dass es überhaupt technisch geht. Sie haben in der Moderation angesprochen, es gibt eine Firma, aber nicht nur eine, es gibt inzwischen drei Firmen, die entsprechende Nachrüstsätze entwickelt haben, und zwar nicht die Automobilindustrie, sondern die private Wirtschaft. Die Schwierigkeit, die sie jetzt haben, ist das komplizierte Zulassungsverfahren, das auch teuer ist. Immer noch weigert sich die Automobilindustrie. Ich glaube, dass die noch nicht begriffen haben, in welcher Situation sie sind. Sie glauben noch, wenn sie einen Diesel nicht verkaufen, können sie einen Benziner verkaufen. Wir sind bei dem Thema Klimaschutz deutlich weiter. Mit dieser Art und Weise kann man nicht mehr mit den Kunden und Kundinnen umgehen. Und wenn wir jetzt keine Diesel mehr verkaufen, werden wir in kurzer Zeit ein Problem mit unserem CO2-Ausstoß haben. Das ist sehr kurzsichtig, was da gerade passiert bei der Automobilindustrie.
    Münchenberg: … sagt die Verkehrsexpertin der SPD, Kirsten Lühmann. Frau Lühmann, vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.
    Lühmann: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.