Jürgen Liminski: Die Schuldenkrise Griechenlands zwingt die Eurozone erstmals in ihrer elfjährigen Geschichte zu einer Rettungsaktion für ein Mitgliedsland. Die Euro-Länder erklärten sich gestern beim EU-Gipfel, dem Sondergipfel in Brüssel, dazu bereit, dem Land beizustehen, um die Stabilität des Euro zu bewahren. Das strauchelnde Mitglied der Eurozone musste sich aber abermals zu verpflichten, seinen drastischen Sparplan umzusetzen und notfalls noch härtere Einschnitte vorzunehmen. Darüber hat mein Kollege Jürgen Liminiski mit Joachim Fritz-Vannahme gesprochen, dem Leiter des Europaprogramms der Bertelsmann-Stiftung, und ihn gefragt, was die Ankündigung der Unterstützung für Griechenland wert ist.
Joachim Fritz-Vannahme: Nun, was sie wert ist, darüber werden vermutlich in den nächsten Tagen die Märkte einfach entscheiden, denn die werden sagen, eure politische Rückendeckung, die ja zunächst erst mal eine psychologische ist, ist tatsächlich etwas, was uns vom Spekulieren erst mal abhält, oder wir suchen uns vielleicht für unsere Spekulationen dann das nächste Opfer, den nächsten Gegenstand.
Darüber hinaus ist diese politische Rückendeckung ein notwendiger Akt der Solidarität in einer EU-27 und auch innerhalb der Eurozone, aber mehr ist eigentlich nach den Spielregeln der Verträge nicht drin und nicht zu machen. Man kann sich jetzt natürlich vorstellen, dass man eventuell um die Verträge herum über Anleihen und so weiter den ein oder anderen Kniff noch versucht. Das werden aber die Märkte nur bedingt mitmachen. Also die entscheidende Frage ist, haben die Märkte in diese psychologisch-politische Rückendeckung jetzt tatsächlich so viel Zutrauen, dass sie sagen, na ja, wir lassen es jetzt mit Griechenland und gehen vielleicht nach Spanien oder nach Portugal oder nach Irland oder nach Großbritannien.
Liminski: Schon eine gute Woche vor dem Gipfel wurde der griechische Haushalt unter europäische Kontrolle gestellt. Das war und ist ein einmaliger Vorgang, ein Eingriff in die Souveränität des Landes. Reicht das oder wird nicht doch irgendwann der IWF mit seinem Instrumentarium, sprich mit Krediten eingreifen müssen?
Fritz-Vannahme: Ich will auch Letzteres nicht ausschließen, aber bei dem Wort Eingriff in die Souveränität des Landes gerate ich ein bisschen ins Schmunzeln. Denn das Prinzip des Euro ist ja, dass Regierungen in der Eurozone weder über die Geldpolitik noch über die Wechselkurspolitik weiterhin frei verfügen können und ja nach den Maastricht-Kriterien ja auch einen genau vorgegebenen Budgetspielraum und Schuldenspielraum nur noch haben. Also die Souveränität ist so oder so eingeschränkt, sobald ich bei dieser gemeinsamen Währung mitmache. Von daher dürfen sich die Griechen an dem Ende eigentlich auch nicht beschweren. Sie dürfen sich eigentlich auch nicht beschweren, dass sie jetzt unter Kuratel gesetzt werden, was die Beobachtung angeht, denn sie haben nachweislich in der Vergangenheit über Statistiken betrogen. Und das unter Partnern ist nun eine sehr unfeine Art und Weise. Also da würde ich in diesen Punkten den Schwarzen Peter nach wie vor in Athen sehen als irgendwo anders.
Liminski: Es geht um den Euro, um seine Stabilität – wäre denn ein Rausschmiss Griechenlands aus der Eurozone eine Lösung?
Fritz-Vannahme: Na gut, dann würde sich wahrscheinlich das internationale Kapital auf den Märkten, wie ich vorhin angedeutet habe, das nächste Opfer suchen, das innerhalb der Eurozone ja gefunden werden kann.
Also Spanien hat ja nicht nur ein massives Defizit, sondern auch noch einen enorm hohen Schuldenstand, was die privaten Haushalte angeht, also da bieten sich dann andere sehr, sehr schnell an. Also ich glaube, da wäre nicht viel geholfen, der Euro wäre im Kern sehr beschädigt. Damit wäre natürlich auch unvergleichlich viel mehr Schaden angerichtet als im Augenblick. Also man muss dann immer auch mal die Relationen sehen, Griechenland, das sind noch nicht einmal drei Prozent in der Eurozone des gesamten Bruttoinlandsproduktes; die Bundesrepublik sind 27 Prozent. Das sind die Größenordnungen, über die wir reden. Dann, weil wir über die externe Staatsverschuldung eben kurz gesprochen haben, bei den Griechen liegt die irgendwo zwischen 200 und 300 Milliarden Dollar, bei den Deutschen bei fünf Billionen Dollar.
Das Grundproblem ist im Moment, dass richtige Rettungsaktionen der letzten anderthalb Jahre eigentlich überall die Haushalte völlig überschuldet sind, bis hin zu den Amerikanern, das ist ein weltweites Phänomen, betrifft also nicht nur die Eurozone. Und diesen Schuldenberg, diese Schulden-Bubble, die müssen wir jetzt einigermaßen konfliktfrei wieder auflösen, das ist die wirkliche Aufgabe.
Liminski: Konfliktfrei, geht das? Die Gewerkschaften blasen zum Generalstreik in Griechenland. Ist das der Auftakt oder kann das der Auftakt sein für soziale Unruhe?
Fritz-Vannahme: Ja, wobei ja die sozialen Unruhen auch in Griechenland in den letzten Jahren immer wieder mal aufgeflackert sind, das ist ein sehr, sehr unruhiges Partnerland gewesen, auch deswegen, weil viele, viele Reformen aus übergroßer Feigheit der Regierung überhaupt nicht angegangen worden sind, und da ja auch eine ganze Menge sich aufgehäuft hätte ohne die Verschärfung durch diese große Krise. Also da müssen einfach die Griechen erst mal die Hausaufgaben zu Hause machen, müssen gucken, wie sie mit ihrem aufgeblähten Beamtenapparat weiterhin umgehen, müssen auch sich überlegen, wie sie ihre jungen Griechen besser in Brot und Arbeit bringen. Das sind aber natürlich Stichworte, die sind anderen EU-Ländern vielleicht nicht ganz fremd.
Liminski: Ja eben, heute Griechenland, morgen Spanien, dann Portugal, später vielleicht noch Italien oder Osteuropa – kann der Funke sozialer Unruhen auch überspringen?
Fritz-Vannahme: Ja, ich schließe auch das nicht aus. Also die Spanier haben ja bereits ein riesiges Problem in den vergangenen Jahren aufgehäuft, sie haben eine Jugendarbeitslosigkeit, die mittlerweile irgendwo bei 25 bis 30 Prozent liegt, also das ist eine Zahl, die man allenfalls aus Dritte-Welt-Ländern sonst so kennt. Da ist einfach sehr, sehr viel einer hausverschuldeten, hausgemachten Untätigkeit auch zuzuschreiben, hat da nie das probate Mittel gefunden oder auch nie den probaten Willen gezeigt. Aber noch mal: Man muss nicht nur auf die Südränder oder nach Osten schauen. Ich meine, die Briten haben eine Neuverschuldung von 14 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, die Amerikaner liegen jenseits der zehn Prozent, haben in gigantischen Höhen hier Schulden aufnehmen müssen. Diese Schulden sind das Kernproblem der westlichen Wirtschaft, um es mal zusammenzufassen, und die westliche Wirtschaft wird sich in fast allen Ländern irgendwo was einfallen lassen müssen, um davon wieder wegzukommen.
Liminski: Griechenland, die Wiege der Demokratie. Glauben Sie, dass durch die Krise nicht nur der Euro gefährdet ist, sondern auch das politische System erschüttert werden kann?
Fritz-Vannahme: Das sehe ich im Augenblick noch nicht. Also ich habe bisher immer noch den Eindruck, dass es zwar viel Ärger gibt, auch manchmal Wut, der sich auf der Straße Luft verschafft, aber so sind unsere modernen Gesellschaften nun mal leider gebaut. Ich habe bisher nicht den Eindruck, dass die Griechen von der Wahlurne nicht Gebrauch machen würden, das haben sie ja durch den Regierungswechsel hin zur Linken unlängst ja auch erst bewiesen. Man muss da vielleicht mit der richtigen Politik jetzt drauf antworten, und das ist jetzt die Aufgabe des griechischen Ministerpräsidenten Papandreou, man muss da einfach die richtige Politik, aber auch die richtige Psychologie walten lassen in einer sicherlich sehr, sehr angespannten Situation.
Joachim Fritz-Vannahme: Nun, was sie wert ist, darüber werden vermutlich in den nächsten Tagen die Märkte einfach entscheiden, denn die werden sagen, eure politische Rückendeckung, die ja zunächst erst mal eine psychologische ist, ist tatsächlich etwas, was uns vom Spekulieren erst mal abhält, oder wir suchen uns vielleicht für unsere Spekulationen dann das nächste Opfer, den nächsten Gegenstand.
Darüber hinaus ist diese politische Rückendeckung ein notwendiger Akt der Solidarität in einer EU-27 und auch innerhalb der Eurozone, aber mehr ist eigentlich nach den Spielregeln der Verträge nicht drin und nicht zu machen. Man kann sich jetzt natürlich vorstellen, dass man eventuell um die Verträge herum über Anleihen und so weiter den ein oder anderen Kniff noch versucht. Das werden aber die Märkte nur bedingt mitmachen. Also die entscheidende Frage ist, haben die Märkte in diese psychologisch-politische Rückendeckung jetzt tatsächlich so viel Zutrauen, dass sie sagen, na ja, wir lassen es jetzt mit Griechenland und gehen vielleicht nach Spanien oder nach Portugal oder nach Irland oder nach Großbritannien.
Liminski: Schon eine gute Woche vor dem Gipfel wurde der griechische Haushalt unter europäische Kontrolle gestellt. Das war und ist ein einmaliger Vorgang, ein Eingriff in die Souveränität des Landes. Reicht das oder wird nicht doch irgendwann der IWF mit seinem Instrumentarium, sprich mit Krediten eingreifen müssen?
Fritz-Vannahme: Ich will auch Letzteres nicht ausschließen, aber bei dem Wort Eingriff in die Souveränität des Landes gerate ich ein bisschen ins Schmunzeln. Denn das Prinzip des Euro ist ja, dass Regierungen in der Eurozone weder über die Geldpolitik noch über die Wechselkurspolitik weiterhin frei verfügen können und ja nach den Maastricht-Kriterien ja auch einen genau vorgegebenen Budgetspielraum und Schuldenspielraum nur noch haben. Also die Souveränität ist so oder so eingeschränkt, sobald ich bei dieser gemeinsamen Währung mitmache. Von daher dürfen sich die Griechen an dem Ende eigentlich auch nicht beschweren. Sie dürfen sich eigentlich auch nicht beschweren, dass sie jetzt unter Kuratel gesetzt werden, was die Beobachtung angeht, denn sie haben nachweislich in der Vergangenheit über Statistiken betrogen. Und das unter Partnern ist nun eine sehr unfeine Art und Weise. Also da würde ich in diesen Punkten den Schwarzen Peter nach wie vor in Athen sehen als irgendwo anders.
Liminski: Es geht um den Euro, um seine Stabilität – wäre denn ein Rausschmiss Griechenlands aus der Eurozone eine Lösung?
Fritz-Vannahme: Na gut, dann würde sich wahrscheinlich das internationale Kapital auf den Märkten, wie ich vorhin angedeutet habe, das nächste Opfer suchen, das innerhalb der Eurozone ja gefunden werden kann.
Also Spanien hat ja nicht nur ein massives Defizit, sondern auch noch einen enorm hohen Schuldenstand, was die privaten Haushalte angeht, also da bieten sich dann andere sehr, sehr schnell an. Also ich glaube, da wäre nicht viel geholfen, der Euro wäre im Kern sehr beschädigt. Damit wäre natürlich auch unvergleichlich viel mehr Schaden angerichtet als im Augenblick. Also man muss dann immer auch mal die Relationen sehen, Griechenland, das sind noch nicht einmal drei Prozent in der Eurozone des gesamten Bruttoinlandsproduktes; die Bundesrepublik sind 27 Prozent. Das sind die Größenordnungen, über die wir reden. Dann, weil wir über die externe Staatsverschuldung eben kurz gesprochen haben, bei den Griechen liegt die irgendwo zwischen 200 und 300 Milliarden Dollar, bei den Deutschen bei fünf Billionen Dollar.
Das Grundproblem ist im Moment, dass richtige Rettungsaktionen der letzten anderthalb Jahre eigentlich überall die Haushalte völlig überschuldet sind, bis hin zu den Amerikanern, das ist ein weltweites Phänomen, betrifft also nicht nur die Eurozone. Und diesen Schuldenberg, diese Schulden-Bubble, die müssen wir jetzt einigermaßen konfliktfrei wieder auflösen, das ist die wirkliche Aufgabe.
Liminski: Konfliktfrei, geht das? Die Gewerkschaften blasen zum Generalstreik in Griechenland. Ist das der Auftakt oder kann das der Auftakt sein für soziale Unruhe?
Fritz-Vannahme: Ja, wobei ja die sozialen Unruhen auch in Griechenland in den letzten Jahren immer wieder mal aufgeflackert sind, das ist ein sehr, sehr unruhiges Partnerland gewesen, auch deswegen, weil viele, viele Reformen aus übergroßer Feigheit der Regierung überhaupt nicht angegangen worden sind, und da ja auch eine ganze Menge sich aufgehäuft hätte ohne die Verschärfung durch diese große Krise. Also da müssen einfach die Griechen erst mal die Hausaufgaben zu Hause machen, müssen gucken, wie sie mit ihrem aufgeblähten Beamtenapparat weiterhin umgehen, müssen auch sich überlegen, wie sie ihre jungen Griechen besser in Brot und Arbeit bringen. Das sind aber natürlich Stichworte, die sind anderen EU-Ländern vielleicht nicht ganz fremd.
Liminski: Ja eben, heute Griechenland, morgen Spanien, dann Portugal, später vielleicht noch Italien oder Osteuropa – kann der Funke sozialer Unruhen auch überspringen?
Fritz-Vannahme: Ja, ich schließe auch das nicht aus. Also die Spanier haben ja bereits ein riesiges Problem in den vergangenen Jahren aufgehäuft, sie haben eine Jugendarbeitslosigkeit, die mittlerweile irgendwo bei 25 bis 30 Prozent liegt, also das ist eine Zahl, die man allenfalls aus Dritte-Welt-Ländern sonst so kennt. Da ist einfach sehr, sehr viel einer hausverschuldeten, hausgemachten Untätigkeit auch zuzuschreiben, hat da nie das probate Mittel gefunden oder auch nie den probaten Willen gezeigt. Aber noch mal: Man muss nicht nur auf die Südränder oder nach Osten schauen. Ich meine, die Briten haben eine Neuverschuldung von 14 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, die Amerikaner liegen jenseits der zehn Prozent, haben in gigantischen Höhen hier Schulden aufnehmen müssen. Diese Schulden sind das Kernproblem der westlichen Wirtschaft, um es mal zusammenzufassen, und die westliche Wirtschaft wird sich in fast allen Ländern irgendwo was einfallen lassen müssen, um davon wieder wegzukommen.
Liminski: Griechenland, die Wiege der Demokratie. Glauben Sie, dass durch die Krise nicht nur der Euro gefährdet ist, sondern auch das politische System erschüttert werden kann?
Fritz-Vannahme: Das sehe ich im Augenblick noch nicht. Also ich habe bisher immer noch den Eindruck, dass es zwar viel Ärger gibt, auch manchmal Wut, der sich auf der Straße Luft verschafft, aber so sind unsere modernen Gesellschaften nun mal leider gebaut. Ich habe bisher nicht den Eindruck, dass die Griechen von der Wahlurne nicht Gebrauch machen würden, das haben sie ja durch den Regierungswechsel hin zur Linken unlängst ja auch erst bewiesen. Man muss da vielleicht mit der richtigen Politik jetzt drauf antworten, und das ist jetzt die Aufgabe des griechischen Ministerpräsidenten Papandreou, man muss da einfach die richtige Politik, aber auch die richtige Psychologie walten lassen in einer sicherlich sehr, sehr angespannten Situation.