Elif Senel: Warum stagniert die Zahl der Habilitationen seit Jahren?
Bernhard Kempen: Also zunächst mal sind wir froh darüber, dass wir immerhin ein schmales Wachstum von einem Prozent haben, aber zufrieden sein dürfen wir damit nicht. Und wenn man nach Erklärungen sucht, warum das doch mehr oder weniger stagniert in den letzten Jahren, dann darf man, glaube ich, die Augen nicht davor verschließen, dass die Rahmenbedingungen für das, was wir den wissenschaftlichen Nachwuchs nennen, in Deutschland nicht gerade ideal sind. Zu diesen Rahmenbedingungen gehört, dass wir einen Flaschenhals haben, durch den alle durch müssen, um am Ende ihrer höchsten Qualifikation dann auch eine sozusagen berufliche Beschäftigung zu finden im Wissenschaftssystem. Und dieser Flaschenhals ist deutlich zu eng. Das heißt, um es mit anderen Worten auszudrücken: Wir haben schlichtweg zu wenig Professorinnen- und Professorenstellen. Die Leute sehen ja auch, dass diejenigen, die sich vor ihnen habilitiert haben, was aus denen geworden ist. Und da ist das schlimme Wort vom wissenschaftlichen Prekariat, das ist leider keine Übertreibung. Wir haben es auch mit ganz hoch qualifizierten, habilitierten Personen zu tun, die am Ende ganz ohne Beschäftigung dastehen und die sich dann Gedanken darüber machen, wie man Hartz-IV-Formulare ausfüllt.
Senel: Und wer aber an einer Universität lehren will, braucht ja heutzutage nicht unbedingt eine Habilitation anzufertigen, sondern kann schon – seit 2002 ist das der Fall – als Juniorprofessor einsteigen. Könnte das auch vielleicht einer der Gründe sein?
Kempen: Das ist richtig, wobei das aber nicht alles erklärt. Wir haben zwar Juniorprofessuren, wir begrüßen das auch sehr, dass es diesen zusätzlichen alternativen Qualifikationsweg gibt, aber die Erwartungen, die damit verbunden waren ursprünglich, dass es über 6000 Juniorprofessoren in Deutschland geben soll, diese Erwartungen haben sich nicht erfüllt. Wir liegen irgendwo noch immer unter 1000, die diesen Weg gegangen sind. Und wenn wir das jetzt konstrastieren mit den Habilitationen, dann erklärt das also nicht alles. Das ist also nicht einfach nur eine Verschiebung der Qualifikationswege, dann wäre es ja gut. Nein, es ist insgesamt schon ein gewisser Rückgang zu beobachten.
Senel: Worin würden Sie die wesentlichen Unterschiede zwischen Juniorprofessur und einem Professor mit Habilitation sehen?
Kempen: Na, der Unterschied ist folgender: Der Juniorprofessor ist formal Professor, das heißt, er ist weisungsunabhängig, er kann selbstständig forschen und lehren. Er muss kein zweites dickes Buch schreiben, das heißt, er muss nicht noch eine Habilitationsschrift fertigen und sich einer weiteren mündlichen Prüfung stellen, er wird allerdings evaluiert. Nach drei Jahren und dann wiederum nach sechs Jahren wird er evaluiert, und dann wird – Daumen rauf oder runter – festgestellt, ob er erfolgreich Juniorprofessor war. Und er kann sich dann auf eine Lebenszeitprofessur bewerben. Der Habilitand ist weisungsabhängig, er muss also Dienstleistungen in einem Institut oder gegenüber einem Professor oder einer Einrichtung erbringen, aber von ihm wird erwartet, dass er eine weitere Prüfung absolviert und insbesondere, dass er ein weiteres dickes Buch, nämlich eine Habilitationsschrift fertigt. Und der Witz ist jetzt der, dass wir sehen, dass viele Juniorprofessoren sich trotzdem habilitieren. Das machen sie also trotzdem, weil sie sagen, doppelt genäht hält besser, wir brauchen auch diese weitere formale Qualifikation, weil wir sehen, dass wir am Markt sonst keine guten Chancen haben. Also es gibt da wie gesagt auch Effekte, mit denen man ursprünglich so gar nicht rechnen konnte und auch gerechnet hat. Fakt ist jedenfalls, dass die Juniorprofessur jetzt nicht etwa der Habilitation den Rang abgelaufen hat – das kann man überhaupt nicht sagen –, sondern sie ist eine – allerdings willkommene – Ergänzung zur Habilitation.
Senel: Wem würden Sie unter diesen Umständen trotzdem nach der Promotion zu einer Habilitation raten?
Kempen: Ich würde jedem raten, in dem sozusagen innerlich das Feuer brennt, dass er sich für Wissenschaft und das heißt für Forschung, insbesondere aber auch für die Lehre begeistern kann. Wer diese Begeisterung in sich verspürt, der sollte sich nicht entmutigen lassen, der sollte sich allerdings auch darauf gefasst machen, dass es ein durchaus langer und steiniger Weg ist. Und ich füge hinzu: Er sollte sich auch Gedanken darüber machen, in welchem Fach er denn eigentlich unterwegs ist. Es gibt Fächer, in denen die Zukunftsaussichten für den wissenschaftlichen Nachwuchs so düster sind, dass man es wirklich dreimal überlegen müsste. Es gibt andere Fächer, wo man sagen müsste, mach doch mal, da sind eigentlich gar nicht so schlechte Chancen.
Senel: Gibt es denn für Sie europäische Nachbarländer, in denen es der wissenschaftliche Nachwuchs vielleicht leichter hat als in Deutschland?
Kempen: Unter den europäischen Nachbarländern fällt es mir ehrlich gesagt schwer. Ich glaube nicht, dass die Franzosen oder die Engländer, um mal zwei Beispiele zu nennen, dass die wirklich einen besseren, attraktiveren Weg haben. Aber wenn wir über den großen Teich nach Amerika schauen, dann stellen wir schon fest, dass die Amerikaner uns da eine deutliche Nasenlänge voraus sind. Denn das, was gerade unsere deutschen Wissenschaftsauswanderer dort so löblich finden, ist eine sehr frühe Unabhängigkeit, Selbstständigkeit, das Leiten eigener Arbeitsgruppen, das heißt die Übernahme von früher wissenschaftlicher Eigenverantwortung. Ich glaube, da können wir noch ein bissel was dazulernen, nicht nur bei der Juniorprofessur, sondern auch bei den Habilitanden.
Bernhard Kempen: Also zunächst mal sind wir froh darüber, dass wir immerhin ein schmales Wachstum von einem Prozent haben, aber zufrieden sein dürfen wir damit nicht. Und wenn man nach Erklärungen sucht, warum das doch mehr oder weniger stagniert in den letzten Jahren, dann darf man, glaube ich, die Augen nicht davor verschließen, dass die Rahmenbedingungen für das, was wir den wissenschaftlichen Nachwuchs nennen, in Deutschland nicht gerade ideal sind. Zu diesen Rahmenbedingungen gehört, dass wir einen Flaschenhals haben, durch den alle durch müssen, um am Ende ihrer höchsten Qualifikation dann auch eine sozusagen berufliche Beschäftigung zu finden im Wissenschaftssystem. Und dieser Flaschenhals ist deutlich zu eng. Das heißt, um es mit anderen Worten auszudrücken: Wir haben schlichtweg zu wenig Professorinnen- und Professorenstellen. Die Leute sehen ja auch, dass diejenigen, die sich vor ihnen habilitiert haben, was aus denen geworden ist. Und da ist das schlimme Wort vom wissenschaftlichen Prekariat, das ist leider keine Übertreibung. Wir haben es auch mit ganz hoch qualifizierten, habilitierten Personen zu tun, die am Ende ganz ohne Beschäftigung dastehen und die sich dann Gedanken darüber machen, wie man Hartz-IV-Formulare ausfüllt.
Senel: Und wer aber an einer Universität lehren will, braucht ja heutzutage nicht unbedingt eine Habilitation anzufertigen, sondern kann schon – seit 2002 ist das der Fall – als Juniorprofessor einsteigen. Könnte das auch vielleicht einer der Gründe sein?
Kempen: Das ist richtig, wobei das aber nicht alles erklärt. Wir haben zwar Juniorprofessuren, wir begrüßen das auch sehr, dass es diesen zusätzlichen alternativen Qualifikationsweg gibt, aber die Erwartungen, die damit verbunden waren ursprünglich, dass es über 6000 Juniorprofessoren in Deutschland geben soll, diese Erwartungen haben sich nicht erfüllt. Wir liegen irgendwo noch immer unter 1000, die diesen Weg gegangen sind. Und wenn wir das jetzt konstrastieren mit den Habilitationen, dann erklärt das also nicht alles. Das ist also nicht einfach nur eine Verschiebung der Qualifikationswege, dann wäre es ja gut. Nein, es ist insgesamt schon ein gewisser Rückgang zu beobachten.
Senel: Worin würden Sie die wesentlichen Unterschiede zwischen Juniorprofessur und einem Professor mit Habilitation sehen?
Kempen: Na, der Unterschied ist folgender: Der Juniorprofessor ist formal Professor, das heißt, er ist weisungsunabhängig, er kann selbstständig forschen und lehren. Er muss kein zweites dickes Buch schreiben, das heißt, er muss nicht noch eine Habilitationsschrift fertigen und sich einer weiteren mündlichen Prüfung stellen, er wird allerdings evaluiert. Nach drei Jahren und dann wiederum nach sechs Jahren wird er evaluiert, und dann wird – Daumen rauf oder runter – festgestellt, ob er erfolgreich Juniorprofessor war. Und er kann sich dann auf eine Lebenszeitprofessur bewerben. Der Habilitand ist weisungsabhängig, er muss also Dienstleistungen in einem Institut oder gegenüber einem Professor oder einer Einrichtung erbringen, aber von ihm wird erwartet, dass er eine weitere Prüfung absolviert und insbesondere, dass er ein weiteres dickes Buch, nämlich eine Habilitationsschrift fertigt. Und der Witz ist jetzt der, dass wir sehen, dass viele Juniorprofessoren sich trotzdem habilitieren. Das machen sie also trotzdem, weil sie sagen, doppelt genäht hält besser, wir brauchen auch diese weitere formale Qualifikation, weil wir sehen, dass wir am Markt sonst keine guten Chancen haben. Also es gibt da wie gesagt auch Effekte, mit denen man ursprünglich so gar nicht rechnen konnte und auch gerechnet hat. Fakt ist jedenfalls, dass die Juniorprofessur jetzt nicht etwa der Habilitation den Rang abgelaufen hat – das kann man überhaupt nicht sagen –, sondern sie ist eine – allerdings willkommene – Ergänzung zur Habilitation.
Senel: Wem würden Sie unter diesen Umständen trotzdem nach der Promotion zu einer Habilitation raten?
Kempen: Ich würde jedem raten, in dem sozusagen innerlich das Feuer brennt, dass er sich für Wissenschaft und das heißt für Forschung, insbesondere aber auch für die Lehre begeistern kann. Wer diese Begeisterung in sich verspürt, der sollte sich nicht entmutigen lassen, der sollte sich allerdings auch darauf gefasst machen, dass es ein durchaus langer und steiniger Weg ist. Und ich füge hinzu: Er sollte sich auch Gedanken darüber machen, in welchem Fach er denn eigentlich unterwegs ist. Es gibt Fächer, in denen die Zukunftsaussichten für den wissenschaftlichen Nachwuchs so düster sind, dass man es wirklich dreimal überlegen müsste. Es gibt andere Fächer, wo man sagen müsste, mach doch mal, da sind eigentlich gar nicht so schlechte Chancen.
Senel: Gibt es denn für Sie europäische Nachbarländer, in denen es der wissenschaftliche Nachwuchs vielleicht leichter hat als in Deutschland?
Kempen: Unter den europäischen Nachbarländern fällt es mir ehrlich gesagt schwer. Ich glaube nicht, dass die Franzosen oder die Engländer, um mal zwei Beispiele zu nennen, dass die wirklich einen besseren, attraktiveren Weg haben. Aber wenn wir über den großen Teich nach Amerika schauen, dann stellen wir schon fest, dass die Amerikaner uns da eine deutliche Nasenlänge voraus sind. Denn das, was gerade unsere deutschen Wissenschaftsauswanderer dort so löblich finden, ist eine sehr frühe Unabhängigkeit, Selbstständigkeit, das Leiten eigener Arbeitsgruppen, das heißt die Übernahme von früher wissenschaftlicher Eigenverantwortung. Ich glaube, da können wir noch ein bissel was dazulernen, nicht nur bei der Juniorprofessur, sondern auch bei den Habilitanden.