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Dieter Birnbacher vs. Wolfram Höfling
Organspende - Reicht der Hirntod als Kriterium?

Organspenden können das Leben anderer Menschen retten, wirklich viele sind dazu aber nicht bereit und verweigern sich als Organspender. 2017 sank ihre Zahl auf den historischen Tiefstand von 769. Dafür gibt es mehrere Gründe - doch wie berechtigt sind sie?

Moderation: Mirko Smiljanic |
Organspendeausweis und Rettungswagen
2017 war die Zahl der Organspender so gering wie noch nie zuvor (imago stock&people)
Viele Menschen haben Angst, etwa nach einem schweren Unfall nicht lebenserhaltend behandelt zu werden, weil Ärzte bewusst oder unbewusst die Möglichkeit einer Organtransplantation "einplanen".
Erschwerend kommt hinzu, dass als Kriterium für die Entnahme von Niere, Leber und Lunge der Hirntod gilt. Hirntote Menschen haben zwar kein funktionierendes Gehirn mehr, vieles andere arbeitet aber noch, sodass für viele Menschen der Verdacht im Raum steht, Ärzte entnehmen noch Lebenden Organe.
Was für und gegen Organspende spricht
Hierzu einige Zitate:
"Es geht darum, dass hirntote Patienten noch zahlreiche integrierte Lebensfunktionen haben. Das Herz braucht keine Steuerung des Gehirns und schlägt bei einem Hirntoten noch selbstständig."
"Das zentrale Organ für das Fühlen, für die Emotionen, für die Kommunikation und für den Austausch mit der Umwelt ist das Gehirn. Und wenn das Gehirn in seiner Komplettheit für immer ausgefallen ist, dann ist das Ich, dann ist der Mensch nicht mehr existent."
"Weitere Funktionen, die häufig noch funktionieren, sind die Verdauung, der gesamte Stoffwechsel, zum Teil werden noch Infektionen bekämpft, beispielsweise indem der Körper Fieber produziert, es gibt zum Teil noch so etwas wie Wundheilung."
"Es war von vornherein ja ein Kriterium, was spät genug im Sterbeprozess sein muss, um die geforderte Sicherheit zu haben, andererseits aber noch früh genug, weil allen klar war, dass man die allermeisten Organteile nicht einer Leiche entnehmen kann."
"Dann hat man inzwischen mehrere Fälle von hirntoten Schwangeren, die bis zu drei Monate ihre Schwangerschaft noch aufrechterhalten haben, also mit künstlicher Beatmung, und dann am Ende mit Kaiserschnitt von einem gesunden Kind entbunden worden sind."
Ein Mann in grüner OP-Kleidung trägt einen Styropor-Behälter für den Transport von Spenderorganen an einem Operationssaal vorbei.
Ein Spenderorgan wird in einem keimfreien Behälter schnellstmöglichst in ein Transplantationszentrum zum Patienten transportiert. (dpa / Soeren Stache)
Pro: Professor Dieter Birnbacher
Dieter Birnbacher ist Professor für Philosophie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben e. V. sowie Mitglied der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer.
"Das Hirntodkriterium oder besser: das Kriterium des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls ist ein überzeugendes Kriterium für den Tod des Menschen, weil es den Punkt markiert, an dem der Organismus die Fähigkeit verliert, sein eigenes Funktionieren aufrechtzuerhalten. Die Hauptfunktionen des Körpers, Atmung und Blutkreislauf, werden bei einer Organentnahme allein von einem externen Mechanismus, in der Regel einem Beatmungsgerät, aufrechterhalten.
Dagegen könnte man einwenden, dass viele Menschen etwa auf einen Herzschrittmacher zur Lebenserhaltung angewiesen sind, und diese Abhängigkeit uns nicht dazu bringt, sie für tot zu halten. Aber dieser Einwand berücksichtigt nicht, dass diese Patienten über Bewusstseinsfähigkeit verfügen. Es ist es durchaus möglich zu leben, ohne bewusstseinsfähig zu sein. Aber niemand kann bewusstseinsfähig sein und zugleich tot."
Contra: Professor Wolfram Höfling
Wolfram Höfling ist Direktor des Instituts für Staatsrecht der Universität zu Köln, Leiter der Forschungsstelle für das Recht des Gesundheitswesens und Mitglied des Deutschen Ethikrates.
"Ein Mensch, dessen Herz und Lunge, dessen Leber und Pankreas, dessen Nieren und Dünndarm als vitale Organe auf einen anderen Menschen übertragen werden können - ein solcher Mensch ist keine Leiche, auch wenn seine Hirnfunktionen irreversibel ausgefallen sind. Der letztgenannte Umstand allein liefert kein tragfähiges Kriterium dafür, ihn als tot zu qualifizieren. Zwar wäre er ohne medizinische Unterstützung zweifelsohne tot, aber unter Beatmung ist ein solcher Mensch in der Lage, unterschiedliche Organsysteme zu einem funktionellen Ganzen zu integrieren. Kurzum: Sogenannte hirntote Menschen sind Lebende!"