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Dieter Dorn inszeniert
Becketts "Endspiel" in Salzburg

Mit der Inszenierung von Samuel Becketts "Endspiel" haben die Salzburger Festspiele begonnen. Das Stück des irischen Schriftstellers entwirft postapokalyptische Katastrophenszenarien und ist zugleich auch eine Komödie. Der 80-jährige Regisseur Dieter Dorn inszeniert mit Liebe zum Detail und hält sich mit Interpretation vornehm zurück - aber das ist nicht nur von Vorteil.

Von Sven Ricklefs |
    Dieter Dorn bei einer Fotoprobe seiner Inszenierung von Kleists "Käthchen von Heilbronn" am 9.11.2011 im Münchner Residenztheater, dem letzten Stück, das er als Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels im auf die Bühne brachte.
    Dieter Dorn bei einer Fotoprobe einer anderen Inszenierung (picture-alliance / dpa / Tobias Hase)
    "Ende. Es ist zu Ende. Es geht zu Ende. Es ist – vielleicht – zu Ende."
    Vielleicht, hat Samuel Beckett einmal gesagt, das Wort "Vielleicht" sei das Schlüsselwort zu seinen Texten. Und tatsächlich geht vielleicht auch das Spiel in seinem "Endspiel" nur vielleicht zu Ende, wie auch die Welt vorab nur vielleicht untergegangen ist. Draußen, so sagen sie jedenfalls, die sich in diesem Endspiel eine ewig wiederkehrende Abfolge von Dialogen und Ritualen liefern, so als sei das Leben eine Spirale bis zum Tod: dort draußen sei nichts mehr, nicht einmal mehr Licht oder Dunkelheit. In den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts, kurz nach dem Weltenbrand der zwei Weltkriege und während der Periode des Kalten Krieges, des Wettrüstens und der atomaren Bedrohung konnte man sich solche postapokalyptischen Katastrophenszenarien sicherlich nur allzu gut vorstellen. Zwar bezeichnete Beckett selbst sein Stück als einen "Gruselschocker", zugleich aber schrieb er vor allem auch eine Komödie, in der der Mensch nur noch als kleiner Witz durchs Weltall geistert.
    "Ich hab einen Floh
    Einen Floh? Gibt es noch Flöhe?
    Auf mir ist einer! Es sei denn, es ist eine Filzlaus.
    Von da aus könnte sich ja die Menschheit neu entwickeln. Fang ihn um des Himmels Willen."
    Parodistisches Endzeiträtsel
    Ein Floh als Keimzelle einer neuen Menschheit. Schon der Philosoph Theodor W. Adorno biss sich nur zu gern die Zähne aus an Becketts ebenso geheimnisvollem wie parodistischem Endzeiträtsel, das vier unterschiedlich Versehrte in einen Raum sperrt. Da sind die beiden Alten Nell und Negg, die noch immer höllisch darüber lachen können, dass ihnen ein gemeinsamer Fahrradunfall die Beine amputierte. Sie hausen in nebeneinander stehenden Mülltonnen, die ihnen nicht nur als Lebensraum, sondern auch als Stätte der Notdurft dienen. Und wenn Joachim Bissmeier und Barbara Petritsch da immer mal wieder über den Rand lugen, dann liefern sie im wahrsten Sinne des Wortes ein hinreißendes Kopftheater:
    "Mein Zahn ist ausgefallen.
    Wann denn?
    Gestern hatte ich ihn noch.
    Ach gestern."
    Und dann ist da Hamm, der König des Stückes, der zwar lahm ist und blind, der aber zugleich die Macht hat über den Vorratsschrank und der auf seinem Thron sitzt, mitten auf der Bühne und das Spiel mehr oder minder dirigiert. Für ihn darf Nicolas Ofczarek wirklich alle seine virtuosen Register ziehen, wobei man zugleich immer auch merken soll, das sie alle dort diese Spiele schon seit Langem spielen und dass sie dies auch immer weiter tun werden, auch wenn Clov der vierte im Bunde, ständig betont, dass er die anderen verlassen will. Clov ist der Einzige, der sich bewegen kann. Auch wenn er von sich sagt, dass auch seine Augen und seine Beine immer schlechter werden.
    Michael Maertens lässt diesen Clov dementsprechend auch steifbeinig schlurfen, er lässt ihn gekrümmt gehen, manchmal auch ziemlich clownesk hampeln. Und so zeigt sich leider ausgerechnet an seiner Figur, wie dieses Theater, das der 80-jährige Regisseur Dieter Dorn da bei aller Liebe zum Detail auf die Bühne bringt, wie sein Theater auch gefährdet ist durch diese Form von Schau-Spielen, das durchaus heute auch als Form eines Overacting eines zu viel Spielens - ankommt und das vielleicht gerade durch Fesselung der anderen Schauspieler an ihre Plätze ansonsten dankenswerter Weise vermieden wird. Darüber hinaus buchstabiert die Regie von Dieter Dorn - wie von ihm gewohnt - den Text aus und hält sich mit jeglicher Interpretation vornehm zurück. Dabei läuft Dorn allerdings Gefahr, dass man auch nach gut zwei Stunden nicht wirklich weiß, ob einen dieses Endspiel wirklich noch betrifft oder betroffen macht, oder ob man da nicht einfach vier Schauspielern über weite Strecken gern beim Schau-Spielen zugeschaut hat. Aber selbst das ist ja schon viel.