Mario Dobovisek: Er war ein Großer des politischen Kabaretts, vielleicht sogar der größte: Dieter Hildebrandt. Den Politikern hielt er stets einen satirischen Spiegel vor, ob in der Münchner Lach- und Schießgesellschaft oder im Scheibenwischer. In der Nacht zum Mittwoch ist er im Alter von 86 Jahren gestorben. Mein Kollege Peter Kapern würdigte ihn am Abend im Gespräch mit der Kabarettistin Maren Kroymann. Seine erste Frage lautete: Bruno Jonas hat gesagt, Dieter Hildebrandt war einmalig. Was genau hat diese Einmaligkeit ausgemacht?
Maren Kroymann: Ich fand bei Dieter Hildebrandt einmalig die Mischung aus Intellekt und Haltung. Weil wenn man heute jetzt guckt auf die Comedy-Szene oder das, was man irgendwie unter Kabarett im weitesten Sinne versteht: Es gibt ja viele Leute, die irgendwie lustige Sketche machen, auch politische Sketche. Der Intellekt ist durchaus da, aber die Haltung ist oft gar nicht mehr zuordenbar.
Es gibt diese Titanen von damals, es gibt noch Werner Schneider, es gibt Richard Rogler, es gibt Georg Schramm, Bruno Jonas gehört auch dazu. Es gibt die, wo das Kabarett aus einer bestimmten Haltung, die sie auch als Mensch haben, herausgekommen ist. Aber es gibt auch die anderen, und die sind sehr zahlreich. Die würde ich als Unterhaltungsprofis bezeichnen, während Dieter Hildebrandt ein Mensch mit einer Haltung war, der selbstverständlich ganz nebenbei und beiläufig hoch professionell war. Aber das ist ein ganz entscheidender Unterschied.
Peter Kapern: Was ist das genau, diese Haltung? Ist das eine persönliche politische Meinung, oder was macht so eine Haltung aus?
Ein Mensch mit Haltung
Kroymann: Das ist schon eine politische Analysefähigkeit, und er hat natürlich politische Vorlieben gehabt, die man auch erkannte, aber das war nicht unbedingt immer erkennbar parteipolitisch, sondern das Wort Haltung bezeichnet etwas Größeres, als nur „ich bin für eine Partei und ich bin Unterstützer für die oder die Partei“, sondern es hat auch was mit Integrität zu tun, es hat was mit Loyalität zu tun, es hat was mit nicht abgefuckt sein zu tun. Es hat was damit zu tun, dass man nicht für Geld zum Beispiel alles macht.
Es gibt Kabarettisten, oder die sich so nennen, oder Comedians – man macht ja Galas, man muss irgendwie Geld verdienen -, die machen, was weiß ich, für die Pharmaindustrie Werbung oder machen Galas oder leihen ihre Stimme oder ihr Gesicht der Autoindustrie oder was weiß ich, oder arbeiten eng mit der "Bild"-Zeitung zusammen, oder machen einen Spot für die "Bild"-Zeitung, wo sie sagen, ich sage ja zu "Bild", weil oder so. Das hätte Dieter Hildebrandt nie gemacht.
Kapern: Christian Ude hat gesagt, Hildebrandt sei ein unerbittlicher Aufklärer gewesen. Ist politisches Kabarett eigentlich heute noch Aufklärung, wo doch schon alles öffentlich ist und nichts mehr im Verborgenen?
Kroymann: Ich finde ja immer schön und auch unterhaltsam, wenn man was kapiert, wenn einer Witze macht. Die besten Exemplare von politischen Texten, auch in Scheibenwischer bei Dieter Hildebrandt, waren so, dass man nebenbei, neben dem Lachen noch eine Aufklärung geliefert bekommen hat. Natürlich ist viel zu sehen, aber das ist vielleicht ja gerade das Problem heute in Zeiten des Internets. Wir haben so viel, was wir sehen, dass wir gar nicht auswählen können, was ist jetzt eigentlich wichtig. Man sieht das ja daran, wie gering der Aufschrei ist bei dieser ganzen NSA-Sache. Das ist irgendwie alles normal und wir sind dermaßen reizüberflutet, dass wir gar nicht mehr uns aufraffen können zu protestieren.
Und da den Fokus zu setzen, das ist eine Aufgabe von politischem Kabarett oder überhaupt von Kabarett, und das tun ja auch einige wieder. Ich habe das Gefühl, der Dieter Hildebrandt hat durchaus Nachfolger, die sind vielleicht gar nicht in seiner eigenen Sendung, Nachfolgesendung von Hildebrandt in der ARD, sondern bei der "Heute-Show" finde ich den Geist wieder und auch die Haltung. Ich weiß gar nicht, wie Dieter selber dazu stand. Aber die Frechheit auch, das Anarchische und wirklich sich was zu trauen, auch die Katholische Kirche mal zu kritisieren oder so, das alles sind Auswüchse von Haltung, und ich glaube, das wird ein Revival haben oder es hat schon angefangen.
Die Nachfolger von Dieter Hildebrandt
Kapern: Hinter der "Heute-Show", da stehen Bataillone von Gagschreibern. War das bei Dieter Hildebrandt auch so, oder war das jemand, der seine Dinge selbst geschmiedet hat?
Kroymann: Das ist natürlich eine völlig andere Art, eine Sendung zu produzieren. Hildebrandt war der Autor und der Interpret, so wie das beim klassischen Kabarett eigentlich üblich war, und das hat sich natürlich mit den modernen Produktionsformen, Comedy-Sendungen, Gags und so weiter, Gag affin, alle drei Sekunden muss ein Lacher sein, verändert und vor allem auch mit den Privatsendern und mit dem Fernsehen, das andere Prioritäten gesetzt hat. Das meine ich übrigens auch mit Haltung.
Ich fand die schönsten Momente, wenn ich Dieter Hildebrandt gesehen habe, zum Beispiel auch in Scheibenwischer, wenn er einen Hänger hatte, und das passierte oft, weil die am Abend vorher noch mal die Texte wegen der aktuellen Situation umgeschrieben haben. Dann hat man nämlich die Substanz bei ihm gesehen. Der konnte improvisieren. Der hat mit einer gewissen Lust sich rumgehangelt mit dem Partner, den er gerade hatte. Die haben irgendwie geeiert, wussten, jetzt hängen wir, wer ist dran, und haben aber die Kurve gekriegt und haben auch das mit großer verbaler Kultiviertheit und aber auch einem Sinn fürs Kalauern zelebriert.
Und da sieht man einfach, wer es hat und wer es nicht hat. Ich will das gar nicht schlecht reden, dass man einen Gagschreiber hat. Diese moderne Formen von Sendungen gehen nicht ohne. Aber da müssen eben die Pointen kommen, das ist dann sozusagen Teleprompter gespeist, die Verbalattacke. Aber schön ist es auch, wenn man sieht, da denkt einer gerade im Moment noch selber.
Dobovisek: Zum Tod Dieter Hildebrandts die Kabarettistin Maren Kroymann. Die Fragen stellte Peter Kapern.
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