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Dieter Wellershoff: "Was die Bilder erzählen"
Bilder eines Zeitzeugen

Dieter Wellershoff wird in Kürze 88 Jahre alt. Er gehört damit zu den wenigen Zeitzeugen, die noch bewusst den Alltag des Faschismus in den 1930er-Jahren und den Zweiten Weltkrieg erlebt haben. Er gilt als Begründer des Kölner Realismus. Nun schreibt er über die Bilder, die ihn geprägt haben.

    Der Schriftsteller Dieter Wellershoff steht in seiner Wohnung in Köln.
    Der Schriftsteller Dieter Wellershoff in seiner Wohnung in Köln. (picture-alliance/ dpa / Horst Ossinger)
    Dieter Wellershoff kam erst mit 40 Jahren zur Schriftstellerei und gilt seither als Begründer eines Kölner Realismus, aus dem Autoren wie Klaus Dieter Brinkmann und Niklas Born hervorgingen. Vielen Kritikern blieb dieser Realismus – vor allem der von Wellershoff selbst praktizierte - auf eine merkwürdige Weise fremd.
    Abgründiger Realismus
    Dabei muss dieser Realismus, der sich in seinen vielen Romanen entfaltet, als durchaus abgründig, irritierend und zuletzt auch als sich selbst transzendierend betrachtet werden. Dem Geiste des Existenzialismus der 1950er Jahre verhaftet, wollte Wellershoff nie breitflächig "erzählen". Er sah sich vielmehr schon früh mit dem Stigma der Moderne geschlagen: Die Kunst muss Fragment bleiben – auch da, wo erzählt wird. Es erscheint nicht verwunderlich, dass sich Wellershoff in diesem Schicksal mit der Malerei der Moderne verwandt sieht.
    Ein Bild sagt mehr als...
    Every picture tells a story – so röhrte einst der Rocksänger Rod Stewart voller Inbrunst. Inzwischen ist in einer CNN-Werbung für Breitwandfernseher zartstimmig zu hören dass mit der digitalen Revolution "Life in every pixel" eingekehrt sei – wo zuvor schon künstlich hergestellte Bilder als "Bigger than life" geadelt worden waren. Was also können Bilder? Glaubt man Skeptikern, so können sie vor allem eins: Die Sprache überflüssig machen oder zur Dienstmagd der Bilder herabwürdigen. Wie steht es um die Macht der Bilder und die Ohnmacht der Worte? Der Schriftsteller Dieter Wellershoff hat sich eine große Anzahl von Bildern aus dem Kanon der Malerei angeschaut und daraus ein Buch gemacht. Es trägt den Titel: Was Bilder erzählen. – inwieweit ist er da als wortmächtiger Schriftsteller mit im Spiel?
    "Ich wollte eigentlich die Bilder zum literarischen Sprechen bringen. Äußert euch durch mich! Und ich will mich über euch äußern. Da muss ich was zu sagen, da kann ich was zu sagen. Nicht, weil ich ein Gesamtschema von bildender Kunst vor Augen hatte, das ich belegen wollte. Sondern wahllos blätternd in vielen, vielen Bildern, über einzelne Bilder mir noch mal Gedanken machend und das dann wiedergeben."
    Kurzweilige Assoziationsvielfalt
    Freie Sicht auf das Sichtbare wird also geboten – das macht dieses Buch recht kurzweilig in seiner Assoziationsvielfalt, die es dem Leser erlaubt, der subjektiven Interpretation des Autors seine eigenen Erfahrungen mit den Bildern dagegenzustellen. Bei dem launigen Blick aber lässt es Wellershoff nicht bewenden. Dazu ist der Autor zu sehr an der Geschichte und den inneren Notwendigkeiten des Kunstgeschehens interessiert. Insbesondere am Kern dessen, was man die Moderne nennt. Welchen Anteil an der Moderne hatte die Malerei?
    Zahlreiche Bilder der realistischen Malerei
    Wellershoff nimmt hier einen Point of View ein, den wir von ihm, dem Autor eines irritierenden Realismus, erwarten durften. Nicht zufällig ist einer der Großen der realistischen Malerei mit auffällig zahlreichen Bildern vertreten, der Künstler Adolf Menzel. Mitten in der Zeit des Wilhelminismus entwarf Menzel ein Panoptikum des Lebens, wobei seine Bilder wirklich etwas erzählen – wie beim berühmten Eisenwalzwerk, wo die frühe Industrialisierung als ein vitales Inferno entworfen wird. Auf der anderen Seite des gesellschaftlichen Spektrums steht das Balkonzimmer, ein Bild, das in seiner schwebenden Melancholie an ein Rilkegedicht erinnert. Menzel war äußerst kleinwüchsig und sicherlich dem Spott seiner Zeitgenossen ausgesetzt – aber das hinderte den Maler nicht daran, die Welt noch einmal, ohne die Seelenturbulenzen des Typus modernus zu zeichnen.
    "Man hat eigentlich Mitleid mit ihm. Aber mit diesem Menschen musste man kein Mitleid haben, der hat eine solche Kraft und einen solchen Blick. Eine so skeptische Beobachtung auf der Welt, dass er zu den wenigen gehört, die noch ein riesiges Ouvre geschaffen haben, das in sich zusammenhängend ist in seiner ganzen Vielfalt – es hat eine historische Vielfalt – Malerei als Geschichtsschreibung – als Weltbeschreibung.
    Munch als wunderbares und erschreckendes Beispiel
    Das sollte sich ändern zu Ende des neunzehnten Jahrhunderts. 1896 schuf Freud die Psychoanalyse. Schriftsteller wie Ibsen, Dostojewski und Nietzsche wirbelten die Gemüter ihrer Zeit auf, ebenso wie der Maler Edward Munch – sie alle wurden Zeugen der später von Georg Lukacs benannten transzendentalen Obdachlosigkeit des modernen Menschen.
    "Nichts mehr ist sicher, aber es gibt auch keinen anderen Anhaltspunkt objektiver Art mehr, es gibt sozusagen das eigene Empfinden und Soseinwollen, das in einem mächtigen befremdlichen Geschehen treibt – dafür ist Munch ein wunderbares und erschreckendes Beispiel ... Für mich am erschreckendsten ist der Nachtwanderer, ein spätes Bild von ihm. Da sieht man, dass er schwere Schlafstörungen hatte – er steht da in der Wohnung. Der Nachtwanderer hält es im Bett nicht mehr aus – aber er hält es in der Wohnung auch nicht aus und er bleibt dann stehen und weiß nicht weiter – das ist gemalt mit einer solchen Überzeugungskraft – wer einmal an Schlaflosigkeit gelitten hat, der kann dieses Bild nicht ohne Erschrecken sehen."
    Das Foto als Revolution der Malerei
    Ein gewichtiges Motiv in der Revolution der Malerei bildeten damals die Neuen Medien, vor allem das Foto. Die Malerei, eben noch Sachwalter der aristotelischen Poetik der Naturnachahmung, war nun der unüberbietbaren Genauigkeit des Fotos ausgesetzt – für sie eine Provokation.
    "Das war für die Künstler ein Schock. Sie haben natürlich sofort darauf reagiert. Viele haben versucht, dem Foto eine Dienstleistungsrolle zuzuweisen. Das war aber immer noch ein Bündnis zwischen Malerei und Fotografie. Das Foto lieferte sozusagen den dokumentarischen Blick und da konnte der Maler weiter mit malen. Aber die fundamentalere Reaktion ist, dass die Malerei damit begonnen hat, gar keine Konkurrenz bei der Abbildung der Welt zu machen, sondern zu sagen: Wir reflektieren unser eigenes Medium, in dem wir mit seinen Möglichkeiten spielen."
    Das begann mit dem Impressionismus, wurde dann im zwanzigsten Jahrhundert Hauptmotiv für Künstler wie Magritte, Picasso oder Kandinsky.
    "Es wird die Novität angestrebt Man muss innovativ sein: Das sagt eben der Markt – das entspricht auch den Öffentlichkeitsriten, wo man etwas sehen will, was noch nicht da war."
    Radikalisierung der Bildsprache
    Wohin das im Extremfall führt, verdeutlicht Wellershoff am Schicksal der abstrakten Malerei. Die allmähliche Aufgabe des Gegenständlichen führt seit den 1930er Jahren zu Radikalisierungen in der Bildsprache, die auch das Kriterium der Erfahrbarkeit betreffen: Inwieweit bildet die erfahrene Welt noch den Hintergrund dieser abstrakten Malerei? Oder konstruieren die Bilder selbst eine neue Erfahrung? Am weitesten trieb es hier der amerikanische Maler Mark Rothko.
    "Rothko wollte zum Inneren der Malerei vordringen, zum Ausdruck der Fläche und der Farbe und nicht in einer bizarren Spielart, wie das früher auch mal bei Kandinsky und anderen der Fall war, die auch zur Moderne gehören, sondern ganz fundamental, ein fundamentales Farbfeld wurde sein Thema er kommt zum Wesentlichen. Was ist das Wesentliche in der Malerei? Ein Feld mit Farbe –aber dies war ein Schritt, der für ihn zutiefst berechtigt war. Er glaubte nämlich, in mystische Dimensionen vorzustoßen."
    Der Markt der Bilder
    Mit der Pop-Art wurde allerdings diese mystische Angestrengtheit in kühler Ironie und spielerischer Willkür unterlaufen. Das Serielle, oftmals auch am Markt Orientierte, schuf nun eine neue Aura um die Bilder. Wellershoff hält sich in seinem Urteil zu dieser Entwicklung merklich zurück – zuletzt auch da, wo er die Bilder des sphinxhaften Magiers Gerhard Richter betrachtet.
    "Er sagt, er beginnt damit eine weiße Fläche zu haben und dann macht er irgendwie etwas, einen blauen Fleck, einen gelben Strich und so weiter. Und dann tritt er zurück und schaut sich das wieder an und dann ergänzt er das und mischt er das. Und irgendwann tritt er zurück und sagt: Halt das lass ich jetzt so. Das ist eine spontane, vom künstlerischen Machen losgelöste erspielte Kunst."
    Wellershoff als kühler Beobachter
    Wellershoff changiert zwischen der Rolle des kühlen Beobachters und der eines in die Bilder versunkenen Kindes. Zusammen ergibt das jenen abgründigen Realismus, der für ihn selbst und sein gesamtes Werk steht. Gleichweit entfernt von l art pour lart und süffigem Erzählen ist Wellershoff sich und der Moderne über all die Jahre treu geblieben. Diese Moderne erlegt allen Künsten das Stigma des Fragmentarischen und Unabgeschlossenen auf.
    "Es gibt in einer Welt – und das gilt auch für die Literatur – keine verbindlichen Schlüsse mehr. Es ist eigentlich ein Willkürakt, Schluss zu machen. In der Literatur ist das Happy End, das alle Widersprüche löst, auch obsolet geworden. Es ist möglich, ein Problem eine Krise darzustellen, bis zu irgendeinen Punkt, wo man „Stop“ sagt. Dann ist sie noch da in einer Zufallsform und bleibt so stehen und ist nun dem Zuschauer oder dem Leser auferlegt, sich damit zu beschäftigen."
    Dieter Wellershoff, Was die Bilder erzählen – Ein Rundgang durch mein imaginäres Museum, Kiepenheuer & Witsch 2013, 368 Seiten, Preis: 39,99 Euro