Martin Zagatta: Wenn die Bundestagsabgeordneten sich ihre Diäten erhöhen, dann sorgt das regelmäßig für Aufregung, fast schon ein Ritual. Nach einem anderen Verfahren wird deshalb seit Jahren gesucht, eine Lösung ist aber immer noch nicht in Sicht, und dass die Erhöhung jetzt ziemlich üppig ausfallen soll, sorgt schon wieder für Empörung.
Und wir bleiben in Berlin: Im Bundestag, da sieht sich die geschrumpfte Opposition ja einer übermächtigen Mehrheit der Regierungskoalition, der Großen Koalition gegenüber und pocht deshalb auf Minderheitenrechte, die ihr offiziell formell eigentlich nicht zustehen. Union und SPD haben sich nun auf einen Entwurf geeinigt, der dem zumindest teilweise Rechnung trägt.
Mitgehört hat Dietmar Bartsch, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion. Herr Bartsch, mehr Redezeit und das Recht, Untersuchungsausschüsse zu erzwingen, das haben wir ja in dem Beitrag jetzt schon gehört. Warum ist das dennoch kein Kompromiss, mit dem Sie sich anfreunden können?
Dietmar Bartsch: Das liegt vor allen Dingen daran, dass wir meinen, dass es nicht vom Wohlwollen der Regierung abhängig sein darf, wie Entscheidungen getroffen werden. Deswegen fordern wir, dass die Oppositionsrechte auch in den entsprechenden Gesetzen festgemacht werden. Wir haben die Situation – ja, das ist das Einzige, wo Herr Grosse-Brömer recht hat -, es ist halt von den Wählerinnen und Wählern so entschieden worden, und ich kann hier nur appellieren, das nächstes Mal zu verändern. Aber dieses Höchstrecht, dass die Opposition die Kontrolle der Regierungsmacht durchführen muss und soll – das ist auch ein Auftrag -, da, finde ich, sollte uns die Regierungskoalition nicht nur entgegenkommen, sondern sie sollten demokratisch handeln.
Zagatta: Berufen Sie sich da jetzt auf Formalien, denn im Regierungslager sagt man ja, man kommt Ihnen schon weit entgegen, beispielsweise mit dem Recht, Untersuchungsausschüsse zu erzwingen. Sind Sie da nicht auch ein bisschen undankbar?
"Ein Stück weit Arroganz der Macht"
Bartsch: Nein, das hat überhaupt nichts mit undankbar zu tun, und wir scheuen uns ja überhaupt nicht, diese Frage eben nicht vom Wohlwollen der Regierungskoalition, sondern dann gegebenenfalls auch von entsprechenden Gerichten überprüfen zu lassen. Wir haben die Situation, dass Menschen, die davon sehr viel verstehen, davon ausgehen, dass zum Beispiel die Frage der Normenkontroll-Klage, das ist das Königsrecht, und wenn das die Opposition nicht mehr hat, weil an 25 Prozent der Abgeordneten gebunden, ist das ein Problem. Wenn auch Untersuchungsausschüsse und Sondersitzungen, Anhörungen letztlich zwar geregelt sind grundsätzlich, aber dann doch wieder vom Wohlwollen abhängig sind, das können wir so nicht akzeptieren. Deswegen wollen wir Regelungen in der Geschäftsordnung und wir wollen es in den entsprechenden Gesetzen festmachen. Da ist ja der vernünftige Ansatz, dass zwei Fraktionen, die nicht der Bundesregierung angehören, oder sie nicht tragen, dass die dazu in der Lage sind. Das finde ich sehr vernünftig. Wir hatten ja eine ähnliche Situation; da war allerdings die FDP noch dabei und da reichte es für 25 Prozent. Das hat im Übrigen der Großen Koalition in dem Sinne nur gutgetan, weil ansonsten neigen solche Koalitionen immer mehr zur Selbstherrlichkeit. Das merken wir an anderen Stellen. Die haben sich hier sofort Personal zugeschanzt, mehr Staatssekretäre, über die Diätenerhöhung will ich gar nicht reden. Das sind alles Dinge, wo man merkt, es beginnt schon nach wenigen Wochen so ein Stück weit Arroganz der Macht, und deswegen jetzt gesetzliche Regelungen. Und wenn die das nicht machen, dann werden wir das auch entsprechend von den Gerichten, zur Not auch vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen.
"Hier geht es um ein grundsätzliches parlamentarisches Recht"
Zagatta: Gemeinsam mit den Grünen? Sind Sie da in der Opposition sich einig, haben Sie sich da abgestimmt, oder müssen Sie da im Alleingang handeln?
Bartsch: Wir haben in dieser Frage ja die gute Situation, dass die Gesetzentwürfe, von denen hier im Beitrag gesprochen worden ist, die am Donnerstag vorliegen, gemeinsam – das eine ist ein Gesetzentwurf, das andere ist ein Antrag – von den Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken eingebracht werden. Da sind wir auch nicht futterneidisch, sondern das machen wir gemeinsam, weil hier geht es um ein grundsätzliches parlamentarisches Recht. Im Übrigen hätten wir das, Die Linke jedenfalls, genauso auch mit der FDP gemacht, weil das gehört sich so. Hier geht es überhaupt nicht um Politik, sondern hier geht es darum: Minderheitenrechte, parlamentarische Minderheiten sind zu schützen. Das ist ein Grundelement unserer parlamentarischen Demokratie.
Zagatta: Herr Bartsch, Sie haben es gerade auch schon angesprochen: Sie kritisieren jetzt auch diese Diätenerhöhung, die manche als deutlich bezeichnen. Was haben Sie dagegen einzuwenden? Ist die zu üppig ausgefallen, oder haben Sie da grundsätzliche Bedenken?
Bartsch: Auf jeden Fall ist sie erst mal sehr schnell vollzogen worden. Das ist ja für viele Abgeordnete ... Ich hatte heute früh in einem Arbeitskreis meiner Fraktion eine Tagung. Für viele war das ein Blitz aus heiterem Himmel.
Bartsch kritisiert die Form - wie schnell und drastisch - die Diäten erhöht werden
Zagatta: Das soll in dieser Woche schon eingebracht werden.
Bartsch: Sehr schnell, wird diese Woche eingebracht, fällt dazu auch noch drastisch aus. Also so geht das einfach nicht. Wir müssen doch zumindest auch dazu eine Debatte möglich machen. Der Punkt, dass man irgendwann den Nominal-Lohnindex aufruft, das ist ja etwas, worüber man vielleicht sogar reden kann. Aber so wird doch genau das, was wir alle gemeinsam nicht wollen können, nämlich ein Missmut in der Bevölkerung, die machen sich die Taschen voll, der wird nur geschürt, und das dürfen wir doch nicht zulassen. Es gibt so viele Dinge, wo der Missmut groß ist, und deswegen kritisiere ich das, dass in dieser Form so schnell und so drastisch die Diäten erhöht werden, es nur minimale Veränderungen bei den Pensionsregelungen gibt. Da ist ein anderer, ein größerer Entwurf notwendig. Und es ist kein Zufall, dass das nun ausgerechnet die Große Koalition und so schnell zu Beginn macht. Mit Regieren haben sie noch nicht begonnen, Gesetzentwürfe liegen nicht vor, aber in dieser Frage wird entschieden. Das ist schon ein bisschen komisch.
Zagatta: Sind Sie denn nicht nur in der Form dagegen, sondern Pensionen haben Sie angesprochen, die Erhöhung, die davor jetzt noch stattfinden soll, was man sich jetzt noch schnell genehmigen soll, ist das tatsächlich zu üppig, oder sind das wieder so die üblichen populistischen Reflexe, dass man sich immer darüber aufregt?
Bartsch: Erst mal weise ich übliche populistische Reflexe entschieden zurück, was Sie verstehen werden. Zweitens: Wenn wir uns mal die Reallohn-Entwicklung in Deutschland angucken, dann ist diese Diätenerhöhung davon völlig abgekoppelt. Wir hatten im letzten Jahr ein Wirtschaftswachstum von 0,4 Prozent, wir hatten teilweise ein Stagnieren der Reallöhne, und bei den Abgeordneten wird das anders gemacht. Nein, ich finde, das geht so nicht. Ich bin nicht jemand, der sagt, dass die Abgeordneten viel zu viel bekommen und so weiter. Da haben wir an anderen Stellen in Deutschland eine völlig schiefe Entwicklung. Die Schere zwischen Arm und Reich geht gewaltig auseinander. Vermögensmillionär wird man nicht als Abgeordneter, aber wir haben über eine Million in Deutschland. Und trotzdem: Gerade weil wir so in der Öffentlichkeit stehen, gerade weil wir eine Vorbildwirkung haben, ist so etwas nicht auf einem kurzen Hieb und in diesen Größenordnungen. Denn Sie wissen ja: Es wird jetzt innerhalb von einem halben Jahr zweimal erhöht, insgesamt um 830 Euro. Es gibt schon Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die für solche Erhöhungen zehn Jahre brauchen. Deswegen sage ich, hier hätte etwas mehr Sensibilität, etwas mehr Zeit, eine offene Debatte notgetan, weil es muss in unser aller Interesse sein, dass wir nicht in eine Situation kommen, dass sich die Menschen von der Demokratie abwenden.
Zagatta: Herr Bartsch, ich bedanke mich für das Gespräch. Mit der populistischen Debatte oder mit den populistischen Argumenten habe ich übrigens auf die Medien angespielt, gar nicht auf Sie. – Dietmar Bartsch, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion, war das. Herr Bartsch, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.
Bartsch: Ich danke Ihnen.
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