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Dietmar Bartsch (Die Linke)
"Nur mit einer starken Linken wird es ein soziales Korrektiv geben"

Höherer Mindestlohn, höhere Vermögenssteuer, Kindergrundsicherung: Viele auch von SPD und Grünen formulierten Ziele seien nur mit einem progressiven Bündnis durchzusetzen, sagte der Linken-Politiker Dietmar Bartsch im Dlf - und zeigte sich mit Blick auf die Wahl optimistisch: „Rot-Rot-Grün ist kein Schreckgespenst.“

Dietmar Bartsch im Gespräch mit Johannes Kuhn |
Dietmar Bartsch, Spitzenkandidat der Partei Die Linke
Dietmar Bartsch, Spitzenkandidat der Partei Die Linke, wirbt für ein Rot-Rot-Grünes Bündnis (picture alliance/dpa | Danny Gohlke)
Das Ziel der Linken bei der Bundestagswahl im September sei ein zweistelliges Ergebnis, sagte Dietmar Bartsch im Interview der Woche. Der Ko-Vorsitzende der Bundestagsfraktion Die Linke und Ko-Spitzenkandidat zeigte sich zuversichtlich: Im Moment sei seine Partei zwar nicht auf einem Umfragehoch, doch die letzten beiden Wochen vor der Wahl seien entscheidend und nun, wo man näher an die Wählerinnen und Wähler herankomme auch im konkreten Wahlkampf, sehe er durchaus Chancen. "Ich glaube, dass wir deutlich machen können, dass viele Ziele nur mit einer starken Linken durchzusetzen sein werden. Wir sind die Partei, die in besonderer Weise das soziale Gewissen im Bundestag widerspiegeln will", so der Linken-Politiker.
Janine Wissler, Parteivorsitzende der Partei Die Linke, und Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke, stellen sich als Spitzenkandidatenduo für die Bundestagswahl vor.
Die Linke
Das zentrale Thema der Linkspartei im Bundestags-Wahlkampf: Soziale Gerechtigkeit – egal ob beim Klima, der Vermögenssteuer oder im Gesundheitssystem. Spitzenkandidaten sind Janine Wissler und Dietmar Bartsch.
Er warb für ein progressives Bündnis, das auch für viele Menschen durchaus vorstellbar sei. Das aktuelle Politbarometer zeige, dass "Rot-Rot-Grün kein Schreckgespenst ist, sondern in der Bevölkerung die Option mit der zweitmeisten Zustimmung". Eines der wichtigsten Ziele sei es, die Union abzuwählen. Sie habe staatspolitisch versagt und gehöre in die Opposition. Insofern müsse unbedingt verhindert werden, dass ein Schwarz-Rotes Bündnis fortgeführt werde. Und wichtige Ziele auch von SPD und Grünen wie etwa ein höherer Mindestlohn, eine höhere Vermögensbesteuerung und eine Kindergrundsicherung sei auch mit der FDP nicht erreichbar. "Nur mit einer starken Linken wird es ein soziales Korrektiv geben, was wirklich zu einem progressiven Bündnis wird", betonte Bartsch.
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Bei der bevorstehenden Bundestagswahl gibt es diesmal mehr als die sonst gewohnten zwei Hauptkandidaten. Wofür stehen Annalena Baerbock, Olaf Scholz und Armin Laschet? Was versprechen die Parteien, welche Koalitionen erscheinen möglich?
Das jetzige Auseinanderdriften von Einkommen und Vermögen in Deutschland dürfe so nicht weitergeführt werden, warnte der linke Spitzenkandidat. Und wer nun verspreche, mehr zu investieren und gleichzeitig die Steuern zu senken, sage die Unwahrheit. "Wenn wir für Ausgleich sorgen wollen, wenn wir Herausforderungen bewältigen wollen, müssen wir auch sagen, wo Geld herkommen soll. Unsere Konzepte sind durchgerechnet." Die Vermögenssteuer nannte er ein wesentliches Element. "Wir brauchen eine große Steuerreform, die Kleine entlastet".

Verhandlungen mit den Taliban unumgänglich

In Bezug auf Afghanistan plädierte Dietmar Bartsch dafür, mit den neuen Machthabern der Taliban zu verhandeln. Man müsse alles dafür tun, um die Menschen zu retten, die für die Bundeswehr oder andere Organisationen gearbeitet hätten. Dafür werde man mit der Taliban-Miliz reden müssen.
Dies werde für Deutschland ein teures Geschäft, ergänzte Bartsch. Langfristig sei es wichtig, den neuen Machthabern deutlich zu machen, was mit Deutschland möglich sei und was nicht. So könne man eine Einführung der Scharia natürlich niemals anerkennen, betonte er.

Das Interview im Wortlaut:
Johannes Kuhn: Herr Bartsch, lassen Sie uns zuerst über Afghanistan reden. Die Ereignisse der vergangenen Tage und Wochen haben viele Menschen bewegt, haben auch viele politische Fragen aufgeworfen. Wir haben es in den Nachrichten gehört: Die Situation ist vor Ort unabsichtlich. Die deutsche Rettungsmission ist beendet. Laut Medienberichten sind nur um die 100 Ortskräfte und ihre Familien evakuiert worden. Wobei diese Zahl noch nicht endgültig ist. Was kann und sollte die Bundesregierung jetzt tun, um den vor Ort Zurückgebliebenen zu helfen?
Dietmar Bartsch: Wir haben in Afghanistan eine katastrophale Situation. Das sind verheerende Bilder. Und es muss alles getan werden, dass sowohl die noch dort befindlichen Deutschen, die wollen, aber auch die Ortskräfte, auch Frauenrechtlerinnen, Politikerinnen evakuiert werden. Und da gibt es jetzt nur die Möglichkeit, auch mit den Taliban zu reden. Und ich werbe dafür, dass nicht nur über die in Kabul, sondern auch in Kundus oder in Kandahar gesprochen wird. Es ist Ergebnis einer langen Kette von Fehlern, die gemacht worden sind. Lange hätten diese Personen ausgeflogen werden können. Und jetzt gibt es teilweise Situationen, die für niemanden akzeptabel sind und wo wir selber uns fragen müssen: Was ist falsch geworden? Ich werbe sehr dafür, dass wir diese 20 Jahre Afghanistan aufarbeiten, und dass wir genau schauen, dass Derartiges sich nicht wiederholt. Denn am Ende ist das eine Niederlage. Nicht militärisch. Es ist eine moralische und eine politische Niederlage des Westens. Es ist ein Desaster für viele Menschen. Und es ist das Scheitern der Interventionspolitik des Westens.

"Wir müssen alles tun, diese Menschen zu retten"

Kuhn: Um noch mal auf die Gespräche mit den Taliban zurückzukommen. Wie weit sollten die gehen? Es könnte ja sein, dass die Taliban sagen: Gut, wir geben Kontingente frei, wir lassen weitere Ortskräfte, Menschen, die Deutschland aufnehmen will, die lassen wir ausfliegen. Aber gleichzeitig verlangen wir, dass wenn dann eine Regierung gebildet ist unter Führung der Taliban, dass die dann anerkannt wird. Sollte sich die Bundesregierung auf so etwas einlassen?
Bartsch: Also, das Thema Anerkennung ist nicht das allererste Thema. Aber da meine These war, wir müssen alles tun, diese Menschen zu retten … die haben mit der Bundeswehr, mit der Polizei, mit Menschenrechtsorganisationen, mit der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit gearbeitet. Und dann haben wir eine Verpflichtung. Und die ist nicht nur moralisch. Die ist auch politisch. Und deshalb sage ich: alles tun. Und das wird für Deutschland ein teures Geschäft werden. Aber ich sage auch, wenn ich das vergleiche mit den über zwölf Milliarden, die in 20 Jahren dort in Afghanistan vom Steuerzahler aufgebracht werden mussten, versenkt worden sind - und zwar völlig falsch, wie wir heute sehen - ist dieser Bereich dringend notwendig. Also, in den Verhandlungen, die werden nicht offiziell geführt werden, da werden wir nicht informiert werden, das ist auch richtig so, sollte man alles, ich wiederhole, alles tun, um die Leute dort rauszuholen.

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Kuhn: Also, alles bedeutet auch im Zweifelsfall, die Taliban als Regierung anerkennen, auch wenn sie nicht durch Wahlen legitimiert sind, auch wenn sie zum Beispiel sie Scharia einführen wollen?
Bartsch: Natürlich wird man niemals anerkennen, dass eine Scharia in einem Land eingeführt wird. Aber ehrlich gesagt, wir verhandeln mit Saudi-Arabien. Auch ein mittelalterliches, feudalistisches Land. Und die Taliban sind die Machthaber. Und da führt nichts an einem Dialog vorbei. Es wird so sein, dass wir mit denen reden müssen und deutlich machen müssen, was mit Deutschland nicht geht. Aber ich wiederhole, in dieser Situation haben wir eine Verpflichtung. Es ist das Ergebnis von Politik. Es ist das Ergebnis von Versagen deutscher Politik. Aber nun muss trotzdem gehandelt werden.

"Ein sehr schludrig vorgelegtes Mandat"

Kuhn: Die Linke sieht sich im Fall Afghanistan auf der richtigen Seite der Geschichte. Das hört man auch ein bisschen raus bei Ihnen. Sie waren gegen den Krieg. Sie waren gegen Abschiebungen nach Afghanistan. Sie waren schon früh dafür, Ortskräfte auszufliegen. Jetzt wurde am Mittwoch über die Rettungsmission, die Evakuierungsmission der Bundeswehr abgestimmt. Und die Linke war neben der AfD die einzige Fraktion, die nicht zugestimmt hat. Sie fordern also einerseits den Schutz der Menschen vor Ort, aber verweigern dann, dass ihnen geholfen wird. Das erweckt den Eindruck, dass, wenn es konkret wird, die Linke keine Verantwortung übernehmen will.
Bartsch: Ich finde diese These, die jetzt von unseren politischen Konkurrenten und leider auch ansonsten vielfach geäußert wird, völlig falsch. Erst mal will ich darauf verweisen: Es hat einen 20-jährigen Afghanistan-Krieg gegeben. Und diejenigen, die über Jahre dort zugestimmt haben und die jetzt dieses Ergebnis sehen, Millionen Flüchtlinge. Nach 20 Jahren sind 72 Prozent der Afghaninnen und Afghanen unterhalb der Armutsgrenze. 59 tote Bundeswehrsoldaten. Viele sind traumatisiert. Und all diejenigen, die jetzt über dieses Mandat reden – ich komme gleich dazu – sie sollten sich fragen, wie sie denn denjenigen, die Opfer sind, in die Augen schauen. Das ist ein Ablenkungsmanöver. Ich finde das unanständig, wenn diejenigen, die Verantwortung tragen, jetzt versuchen einen Schwarzen Peter wegzuschieben. Und nun komme ich gern zu dem Mandat. Das Mandat war am Mittwoch im Bundestag. Am Donnerstag war die Mission bereits zu Ende. Und ich würde gerne über den Mandatstext reden. Denn dort ist nicht von Ortskräften die Rede. Da ist eine Frist bis zum 30.09. drin. Das ist ein sehr schludrig vorgelegtes Mandat und deshalb haben wir uns enthalten. Wir haben als Allererstes gesagt: Bitte die Leute dort rausholen. Wir haben einem entsprechenden Antrag der Grünen zugestimmt. Wir haben dort selbst die FDP unterstützt. Und jetzt zu sagen, die Linke ist diejenige, die vielleicht nicht an der Seite der Leute steht, das ist wirklich so was von absurd. 24 Stunden bevor die Mission zu Ende ist will man das jetzt an dem Mandat festmachen. Dann hätte man ein solides, ein vernünftiges Mandat vorlegen müssen. Das wäre richtig gewesen und nicht die Schludrigkeit und das Versagen von 20 Jahren jetzt versuchen anderen zuzustimmen. Ich finde das ungehörig. Ich finde insbesondere ungehörig, dass gerade aktuell Sozialdemokraten und Grüne, die als Erste diesen Einsatz beschlossen haben, jetzt auf einmal davon sprechen, dass die Linke moralisch Probleme hätte. Nein, die haben ein moralisches Problem. Sie sollten über ihre Jahre nachdenken, wo sie Verantwortung getragen haben. Sie sollten über die Menschen reden, die dort alle umgekommen sind und dann vielleicht über ein Mandat, das eh zu Ende war, reden.

"Unsere Außenpolitik muss überdacht werden"

Kuhn: Aber die Grünen und die SPD, wenn die sich kritisch äußern, hat das natürlich mit einer möglichen Koalition mit Ihnen zu tun. Wenn wir gucken, es haben ja fünf Abgeordnete mit Ja gestimmt auch, aber von den neun Abgeordneten, die diese Mission abgelehnt haben, kamen sieben von der Linkspartei. Wie verlässlich ist dann Außenpolitik unter Rot-Rot-Grün? Sie sagen ja: Wir haben uns enthalten. Aber es war ja nicht mal einheitlich.
Bartsch: Entschuldigen Sie, beim letzten Afghanistan-Mandat, beim letztem Afghanistan-Mandat war das bei den Grünen so: Es gab 14 Ja-Stimmen. Es gab 14 Enthaltungen und der Rest hat Nein gestimmt. Das ist außenpolitische Zuverlässigkeit? Das war eine schwierige Entscheidung, wo abgewogen werden muss. Natürlich gibt es viele Aspekte auch zuzustimmen. Und zwar gar nicht zu schauen, was für ein Mandat es da gibt, sondern nur die Leute rauszuholen. Aber ich sage noch mal: Außenpolitische Zuverlässigkeit, die ist bei uns gegeben. Aber wir wollen nicht diese Linie fortsetzen. Es droht doch jetzt in Mali ein ähnliches Desaster. Wenn in Frankreich Präsidentschaftswahlen sind und vielleicht diejenigen, die in der Stichwahl sind, dann sagen, wir ziehen uns aus Mali zurück, dann steht Deutschland wieder blank da. Und deswegen müssen wir doch mal über unsere Politik dort nachdenken. Unsere Außenpolitik muss überdacht werden. Wir müssen Afghanistan dringend aufarbeiten. Dort gab es auch ein Versagen der zuständigen Minister. Dann aber den Schwarzen Peter versuchen anderen zuzuschieben und letztlich natürlich das, was die Union möchte, dass Grüne und SPD sagen: nein, nein, wir machen das schon alles mit, das finde ich unverantwortlich. Wir wollen mehr als ein Nachdenken, sondern Veränderung der Politik. Wer hat denn all die Jahre auch nach Afghanistan Waffen exportiert? Wer exportiert Waffen nach Pakistan, nach Katar auch nach Saudi-Arabien? Das ist alles unter der Verantwortung auch eines sozialdemokratischen Außenministers und auch eines Vizekanzlers geschehen. Vielleicht sollte man darüber mal nachdenken und nicht bei diesem Thema. Die Linke wird immer außenpolitische Zuverlässigkeit zeigen.

"Wie schaffen wir eine große Steuerreform?"

Kuhn: Ich muss noch mal zurückkommen auf die Zuverlässigkeit. Wie wollen Sie das garantieren? Sie können ja nicht in den Sondierungen oder in den Koalitionsverhandlungen garantieren, dass die Hänsels, die Dağdelens, die Hunkos, also dieser Teil der Linken, der sich eher – ich sage mal im linken Jargon – antiimperialistisch sieht, dass die wirklich bei außenpolitischen Entscheidungen, die auch aus Kompromissen entstehen können, wirklich dann nicht wieder machen, was sie wollen.
Bartsch: Schauen Sie, wenn es um Regierungshandeln gehen würde, wir sind davon weit weg – wir sind davon weit weg – dann kann ich Ihnen sagen, man sieht das dort, wo wir Regierungsverantwortung tragen, in Thüringen mit dem Ministerpräsidenten, in Berlin und Bremen, dass die Linke selbstverständlich verlässlich ist und zu Vereinbarungen steht. Aber jetzt sind wir im Wahlkampf und da werben wir für unsere Positionen. Und ich kann nur sagen: Wir haben eine Kontinuität in unseren Entscheidungen. Gerade, was Afghanistan betrifft. Ich war schon 2001 dabei, als wir dann beschimpft worden sind: Terroristenfreunde, nicht an der Seite der Amerikaner. Heute stellt sich heraus, dass unsere Positionen so falsch nicht gewesen sein könnten. Und deshalb werbe ich dafür, dass wirklich über die Strategie nachgedacht wird, dass wir aufhören mit den wahnsinnigen Waffenexporten. Dass wir nicht aufrüsten, sondern Abrüstung ist das Gebot der Stunde. Das sind außenpolitische Prioritäten. Und ich wiederhole: Verlässlichkeit bei der Linken ist angesagt. Und bei dieser Wahl geht es natürlich auch um Außenpolitik. Aber wesentlich wird diese Wahl hoffentlich bestimmt werden mit der Frage: Wer zahlt für diese Krise? Wie bewältigen wir die Pandemie? Wie wird die Rente reformiert? Wie schaffen wir eine große Steuerreform? Also das, was Menschen auch interessiert. Jetzt bedienen Sozialdemokraten und Grüne, wenn sie denn diese Linie fortsetzen, was ich nicht hoffe, denn der Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat dort ja eine klare Position gehabt. Der hat gesagt, dass selbstverständlich Recht und Ordnung gewährleistet sein müssen in Deutschland. Der hat gesagt, dass er einen Mindestlohn durchsetzen will – mit uns selbstverständlich, mit Freien Demokraten eher weniger. Er hat gesagt: eine höhere Besteuerung. Das sind alles Punkte, über die man reden muss. Und der Versuch, uns jetzt ins Abseits zu stellen, der wird fehlgehen. Wie werben für unsere Position im Wahlkampf, weil diese Position sich vielfach als richtig erwiesen hat.
Kuhn: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk. Zu Gast ist Dietmar Bartsch, Spitzenkandidat der Linkspartei im Bundestagswahlkampf. Herr Bartsch, Sie haben es ja schon angedeutet. Sie haben viel in Ihr Wahlprogramm geschrieben. Wenn ich sage, Sie haben das radikalste Umverteilungsprogramm aller Parteien, dann sehen Sie sogar das wahrscheinlich als Kompliment?
Bartsch: Wir haben das radikalste Umverteilungsprogramm. Das ist wahr. Wir wollen natürlich, dass unser Land sich nach vorn entwickelt. Wir wollen viel tun, um in die Zukunft zu investieren. Aber wir wollen vor allen Dingen auch den sozialen Zusammenhalt gewährleisten. Da haben wir große Probleme.

Auseinanderdriften bei Einkommen und Vermögen nicht fortsetzen

Kuhn: Lassen Sie uns zum Beispiel mal über die Vermögenssteuer sprechen. Die SPD und die Grünen haben das auch. Die Linke will sie auch wieder aktivieren. Die wird ja seit den späten 90ern nicht mehr erhoben. Die Linken-Pläne gehen da am weitesten. Privatvermögen ab einer Million, Betriebsvermögen ab fünf Millionen werden progressiv von 1 bis 5 Prozent jährlich besteuert. Die Vermögensteuer gab es in den 90er Jahren in zwölf Ländern. Inzwischen wird sie nur noch in drei wirklich erhoben. Frankreich hat das 2018 abgeschafft. Und da wurde eine Zahl genannt. In 15 Jahren haben 10.000 Steuerpflichtige 35 Milliarden Euro außer Landes geschafft oder sind umgezogen, zum Beispiel von Paris nach Brüssel. Jetzt ist es ja so: Das ist ja nicht verboten. Als Dortmunder Unternehmer spricht nichts dagegen, wenn ich nach Luxemburg gehe und in Dortmund nur ein Filialgeschäft führe. Oder die Münchener Multimillionärsfamilie, die hat sicherlich auch kein Problem, über die Grenze nach Österreich zu ziehen.
Bartsch: Selbstverständlich haben wir die freie Wohnortwahl. Das Problem ist Folgendes: Wir haben in Deutschland ein Auseinandertriften, gerade bei Einkommen und Vermögen. Wir haben selbst in der Pandemie eine Situation, dass die zehn reichsten Familien ihr Vermögen um 246 Milliarden gesteigert haben. Wir haben inzwischen eine Situation, dass einzelne Milliardäre, ohne auch nur noch einen Finger zu krümmen, jeden Tag reicher werden. Und wir haben auf der anderen Seite in dem reichen Deutschland Kinder in Armut, Altersarmut nimmt zu. Und da muss gehandelt werden. Und die Vermögenssteuer ist ein Mittel. Es gab sie, wie sie richtig festgestellt haben, bis 1997, zu Zeiten einer schwarz-gelben Regierung. Und das Verfassungsgericht, nicht die Regierung, hat festgestellt, dass sie so nicht erhoben werden kann. Und wir wollen, dass hier ein Ausgleich geschaffen wird. Und Sie haben von den hohen Freibeträgen gesprochen. Das ist auch richtig so. Und ich frage mich, wie dann, um zwei Beispiele zu sagen, die Familie Albrecht dann ihre Aldi-Häuser mit nach Brüssel oder wo auch immer hin mitnimmt. Das sind die Milliardäre in unserem Land. Oder bei Lidl oder bei BMW. Wissen Sie, diese Drohkulisse: Da gehen die Leute in Größenordnung. Der Standort Deutschland lebt von hervorragenden Facharbeiterinnen und Facharbeitern, von Innovationspotenzial und von einer Infrastruktur. Da müssen wir investieren. Bei der Steuerpolitik, diese jetzt vorangetragene These, wir müssen auf der einen Seite die Schwarze Null einhalten, wir müssen mehr investieren und Steuer senken, das ist absurd. Wer das verspricht, sagt die Unwahrheit. Zwei plus zwei sind vier und werden nicht sechs sein. Und deswegen sagen wir, wenn wir denn für Ausgleich sorgen wollen, wenn wir die 450 Milliarden, die jetzt als Verschuldung neu aufgenommen worden sind, die 100 Milliarden, die im Finanzplan für nächstes Jahr stehen, wenn wir die Herausforderungen vor Deutschland, was den Klimawandel betrifft, was die Pandemien betrifft, wenn wir das bewältigen wollen, müssen wir auch sagen, woher Geld kommen soll. Andere Parteien machen das nicht. Unsere Konzepte sind durchgerechnet und es ist mehr im Haushalt. Und da ist ein Element die Wiedererhebung der Vermögenssteuer. Das ist nicht das zentrale Element, aber ist ein wesentliches Element. Wir brauchen eine große Steuerreform, die vor allen Dingen die Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen entlastet. Nach unserem Konzept werden alle bis 80.000 Euro allein veranlagt, entlastet. Darüber wird belastet. Das ist der richtige Weg. Denn das jetzige Auseinanderdriften bei Einkommen und Vermögen darf so nicht fortgesetzt werden.

"Wir brauchen höhere Löhne"

Kuhn: Sie haben für abhängig Beschäftigte, Arbeitnehmer einiges geplant. 13 Euro Mindestlohn. Ich muss auf den Zettel gucken. Sie sehen, es war zu vieles. Abschaffung der Rente mit 67, Rechtsanspruch auf Vollzeitstelle, Ende von Leiharbeit und sachgrundlosen Befristungen, Überführung von Minijobs in Sozialversicherung, Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohnausgleich, mittelfristig nur noch 30 Arbeitsstunden pro Woche und 36 Tage Urlaubsanspruch. Das ist jetzt ein sehr langer Wunschzettel. Wo sagen Sie, das muss unbedingt kommen, sonst gibt es keine Koalition, wenn es denn die Mehrheit gibt?
Bartsch: Also, Fakt ist, wir müssen dringend beim Mindestlohn etwas tun. Ich bin sehr stolz, dass meine Partei die erste war, die überhaupt für den Mindestlohn eingetreten ist. Da waren viele Gewerkschaften, auch Sozialdemokraten und Grüne, Union und FDP sowieso dagegen. Jetzt gibt es ihn, aber er ist viel zu niedrig. Für mich ist auch klar: Wir müssen alles dafür tun, dass es mehr tarifliche Jobs gibt. Das ist dringend notwendig. Wir brauchen höhere Löhne. Das hat dann auch damit zu tun, dass wir ordentliche Renten zahlen können. Das sind für mich zentrale Forderungen. Dass die Arbeitszeit verkürzt werden muss, das ist im Übrigen etwas, was Normalität ist. Also, ich will nur einige Jahrzehnte zurückgehen. Es gab mal Zeiten, da gab es eine 60-Stunden-Arbeitswoche. Und sie wird runtergehen und sie wird irgendwann – und das ist auch gut so – durch erhöhte Produktivität bei 30 Stunden liegen. Das ist aber etwas, was Stück für Stück und vor allen Dingen von den Tarifpartnern durchgesetzt wird. Und dass wir auch mehr Freiheiten, sprich mehr Freizeit brauchen, ist für mich unabdingbar. Die Kernaussage ist: Wir brauchen gute Löhne. Wir brauchen gute Arbeit. Das ist für uns dringend. Denn wir haben gesehen, dass die Leistungsträger in der Krise, jetzt gerade in der Pandemie, die Pflegerinnen, die Paketboten, die Fernfahrer, die Polizisten, die haben nicht mehr bekommen. Dort ist es so, dass viel geklatscht worden ist, aber real ist es in den Portemonnaies nicht angekommen. Das wollen wir dringend ändern. Und wir sehen – ich habe das eben schon gesagt – diese wahnsinnigen Vermögenszuwächse. Dieser Ausgleich ist dringend notwendig, damit der Zusammenhalt in Deutschland realisiert werden kann. Deswegen: Alle diese Punkte sind programmatische Forderungen. Aber klar ist auch, dass die in vier Jahren, selbst wenn wir die absolute Mehrheit hätten, vermutlich nicht umgesetzt werden können. Aber die Richtung ist klar beschrieben. Und die Lohnfrage ist eine zentrale, weil sie korrespondiert mit der Rentenfrage. Und weil sie im Übrigen auch korrespondiert mit dem Thema Armut. Denn Kinderarmut, mein Herzensthema, hat häufig auch mit Elternarmut und mit niedrigen Löhnen zu tun. Deswegen müssen wir da dringend ran.

"Wir wollen an die großen Konzerne ran"

Kuhn: Aber es bedeutet auch höhere Belastungen für Unternehmen. Ganz viel von dem, was ich genannt habe, belastet in der Summe natürlich die Unternehmen, zumal da eben Vermögenssteuer, Vermögensabgabe, Körperschaftssteuer wollen Sie auch erhöhen von 15 auf 25 Prozent. Privilegierung von Betriebsvermögen bei der Erbschaftssteuer soll wegfallen. Da muss man ja nicht der BDI sein, um als Unternehmen zu sagen: Das als Gesamtpaket, das ist nicht leistbar. Also, wenn ich Kleinunternehmer wäre, ich glaube, ich würde zu machen, würde in eine abhängige Beschäftigung gehen. Dann hätte ich dann vielleicht auch bald 36 Urlaubstage.
Bartsch: Schauen Sie, wenn Sie Kleinunternehmer wären, würden Sie nach unserem Konzept entlastet werden. Das ist doch der Punkt. Wir wollen ja nicht Unternehmen belasten. Wir wollen insbesondere an die großen Konzerne ran. Sie haben von den entsprechenden Freibeträgen geredet. Und da geht es um Nettovermögen, nicht Betriebsvermögen, Nettovermögen. Und wenn es ein Nettovermögen von fünf Millionen gibt und danach beginnt eine Steuer mit 1 Prozent, dann ist das nicht eine unangebrachte Belastung. Also, es wird ja damit unterstellt, das Ziel der Linken wäre, Unternehmen kaputtzumachen. Das Gegenteil ist der Fall. Aber Deutschland lebt mit Innovation, mit hervorragend ausgebildeten Beschäftigten, mit einer Unternehmenskultur, die eben, ja, auch Wachstum, aber eben auch immer auf Fortschritt, auf ökologischen, auf sozialen Fortschritt ausgerichtet ist. Und wer dann sagt, also, vor allen Dingen muss es darum gehen, Unternehmen nicht zu belasten, das würde ja heißen in Konsequenz, am besten man zahlt überhaupt nichts. Dann ist ja Bangladesch das Top-Modell. Dort sind die Löhne ganz niedrig… das ist der falsche Weg. Nein, anders herum wird ein Schuh daraus. Sie können auch innerhalb Deutschlands schauen. Die höchsten Löhne gibt es in Baden-Württemberg. Die niedrigsten gibt es in meinem Heimatland Mecklenburg-Vorpommern. Und das kann also nicht das Modell sein, dass da, wo die niedrigen Löhne sind, es besser läuft. Anders herum wird ein Schuh draus.

"Unser Ziel ist zweistellig"

Kuhn: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit Dietmar Bartsch. Herr Bartsch, machen Sie bei einem Fußball-Tippspiel mit?
Bartsch: Gerne.
Kuhn: Machen Sie bereits jetzt bei einem mit? Wie sind Sie so im Fußball-tippen zum Beispiel?
Bartsch: Na ja, ich bin sehr fußballinteressiert, gehe auch hin und wieder auf den Fußballplatz. Jetzt durch den Wahlkampf leider etwas weniger. Aber mein letzter Wahltermin wird halt in Rostock in meinem Wahlkreis sein, wenn am Sonnabendabend der FC Hansa gegen Schalke spielt.
Kuhn: Ich frage deshalb, weil Ihre politischen Prognosen … da kann man ja drüber streiten. Vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt haben Sie gesagt, das wird für die Linke die Trendwende. Jetzt hat dort keine Partei so viel verloren wie die Linke. Jetzt für den Bundestagswahlkampf haben Sie gesagt, wir werden zweistellig. Im Moment ist man bei den Umfragen zwischen 6 und 8 Prozent und häufiger bei 6 Prozent als bei 8 Prozent.
Bartsch: Also, kurz auf Sachsen-Anhalt … ich will nur feststellen: In Sachsen-Anhalt sind wir drittstärkste Partei geworden – im Gegensatz zu manchen Prognosen. Denn ich sehe noch den Deutschlandtrend kurz vor der Wahl. Da waren … SPD war vor uns, die Grünen gleichauf. Die Grünen sind dann sechststärkste Partei geworden. Ja, wir sind im Moment nicht auf einem Umfragehoch. Sie haben das richtig beschrieben. Die Wahl wird entschieden in den letzten 14 Tagen. Unser Ziel ist zweistellig und wir kämpfen darum. Und ich merke, dass es jetzt, wo man näher an die Wählerinnen und Wähler kommt, auch im konkreten Wahlkampf, dass wir dort eine Chance haben. Und ich sehe ganz deutlich, dass im Moment politische Konkurrenten versuchen, uns in eine Ecke zu stellen und insbesondere auch Sozialdemokraten und Grüne dahin zu bringen: Na, mit denen eher nicht. Ich glaube, dass wir deutlich machen können, dass viele Ziele, die jetzt von Herrn Scholz, Frau Baerbock aufgezeigt werden, nur mit einer starken Linken durchzusetzen sein werden. Wir sind die Partei, die in besonderer Weise das soziale Gewissen im Bundestag widerspiegeln will. Und deswegen: Ich würde nicht um Wahlergebnisse wetten, aber unser Ziel ist klar und eindeutig. Wir kämpfen darum und ich bin zuversichtlich, dass wir das hinkriegen.

"Rot-Rot-Grün wahrhaftig kein Schreckgespenst"

Kuhn: Haben Sie den Eindruck, dass die Wähler mit Rot-Rot-Grün, Grün-Rot-Rot eine gesellschaftliche Idee verknüpfen? Sie haben es ja gesagt: SPD, Grüne, Frau Baerbock, Herr Scholz, die schließen das zwar nicht aus, geben sich aber dann durchaus distanziert. Es wird ja jetzt mehr darüber geredet, welche Rolle die FDP spielen könnte. Und Sie sind eigentlich die Einzigen, die sagen: Wir brauchen ein progressives Bündnis. Das sagen die anderen ja gar nicht.
Bartsch: Wir brauchen ein progressives Bündnis. Wenn man sich das letzte Politbarometer anschaut, sieht man ganz klar, dass Rot-Rot-Grün wahrhaftig kein Schreckgespenst ist, sondern in der Bevölkerung die Option mit der zweitmeisten Zustimmung. Ich kann nur sagen: Wenn die Sozialdemokraten und die Grünen einen höheren Mindestlohn mit der FDP durchsetzen wollen: bitte schön. Wenn sie eine höhere Vermögensbesteuerung durchsetzen wollen: bitte schön. Wenn sie eine Kindergrundsicherung mit der FDP durchsetzen wollen: bitte schön. Das alles wird nicht möglich sein. Es wird nur möglich sein, wenn es einen entsprechenden Druck gibt. Und ich kann auch nur sagen: Die rot-grüne Regierung von 1998 bis 2002, die hat Afghanistan auf den Weg gebracht. Die hat die Hartz-4-Gesetzgebung auf den Weg gebracht. Nur mit einer starken Linken wird es ein soziales Korrektiv geben, was wirklich zu einem progressiven Bündnis wird. Ansonsten droht im Übrigen bei allen Konstellationen am Ende wieder das, was Sozialdemokraten immer vor Wahlen ausschließen, nämlich ein Bündnis mit der Union. Das hat Herr Schulz ausgeschlossen. Das hat Herr Steinbrück ausgeschlossen. Nur am Ende war es immer ein schwarz-rotes Bündnis. Und ich möchte, dass das genau nicht fortgesetzt wird. Die Union gehört in die Opposition. Die hat staatspolitisch versagt. Maskendeals, Aserbeidschan-Affäre, Andi Scheuers Milliarden, die versenkt worden sind. Die gehören abgewählt. Das ist eines der wichtigsten Ziele. Aber mir geht es im Wahlkampf ausschließlich um eine starke Linke und das ist möglich.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.