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Dietmar Bartsch (Die Linke)
"Wer SPD wählt, weiß, es kann wieder in der Großen Koalition enden"

Der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, sieht in der Kanzlerkandidatur von Martin Schulz keine klare Positionierung der SPD für ein rot-rot-grünes Bündnis. Die SPD habe schon vor der letzten Bundestagswahl eine Große Koalition abgelehnt - und sie dann doch geschlossen, sagte er im DLF.

Dietmar Bartsch im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
    Der Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke, Dietmar Bartsch, spricht im Bundestag zu den Abgeordneten.
    Der Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch am 18.01.2017 im Bundestag. (dpa/Kay Nietfeld)
    Insofern werde er die SPD weiter an ihren Taten messen, betonte Bartsch, "denn Worte habe ich genug gehört." Die Linkspartei strebe bei der Bundestagswahl im kommenden September ein Mitte-Links-Bündnis an, werde aber zunächst für eine starke Linke in den Wahlkampf ziehen.
    Der Linken-Fraktionschef forderte einen Politikwechsel für Deutschland und Europa. Entwicklungen wie der anstehende Brexit, die Finanzkrise und die hohe Jugendarbeitslosigkeit seien eine Gefahr für den sozialen Zusammenhalt.

    Das Interview in voller Länge:
    Ann-Kathrin Büüsker: Schauen wir auf einen potenziell neuen Koalitionspartner, je nachdem wie die Wahl am 24. September ausgehen wird: Die Linke. Am Telefon ist Dietmar Bartsch, Vorsitzender der Linksfraktion im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Herr Bartsch.
    Dietmar Bartsch: Guten Morgen, ich grüße Sie.
    Büüsker: Herr Bartsch, ist jetzt mit Martin Schulz als potenziellem SPD-Kanzlerkandidaten der Weg frei für Rot-Rot-Grün?
    Bartsch: Ich glaube, dass die Situation in dieser Frage genauso ist wie vorher. Da gibt es keine Veränderung. Schauen Sie, wenn Martin Schulz hier wirklich ein Zeichen setzen will, dann muss man folgendes tun im Deutschen Bundestag: Punkte, die der SPD sehr wichtig sind und wo es Übereinstimmung mit Linken und Grünen gibt, diese jetzt durchsetzen. Das wäre wirklich ein Zeichen. Ansonsten erinnert mich das sehr daran, was vor der letzten Wahl war. Union und SPD haben nachdrücklich ausgeschlossen eine Große Koalition und haben gesagt, das ist das Schlechteste fürs Land. Dann haben sie eine Große Koalition gebildet und es stimmt: Es war das Schlechteste fürs Land. Es ist Mehltau über dem Land, es gab kein großes Reformvorhaben und die Situation in Deutschland und in Europa ist ausgesprochen schlecht. Dafür tragen die beiden Parteien, im Übrigen auch Martin Schulz mit seiner Europapolitik Verantwortung.
    "In Deutschland ist der soziale Zusammenhalt gefährdet"
    Büüsker: Das heißt, es müsste aber auch in Ihrem Interesse sein, eine neue Große Koalition auf jeden Fall zu verhindern, damit es Deutschland gut geht?
    Bartsch: Selbstverständlich! Wenn wir die Situation in Europa anschauen, dann sehen wir, dass wir in einer der größten Krisen sind. Die Finanzkrise ist nicht bewältigt, der Brexit, die Jugendarbeitslosigkeit, Erstarken rechtsextremistischer Parteien und so weiter. Eine ganz schwierige Situation. In Deutschland ist der soziale Zusammenhalt gefährdet. Unermesslicher Reichtum, die Zahl der Milliardäre steigt. Auf der anderen Seite immer mehr Kinder in Armut. Wenn wir das verändern wollen, muss die Politik verändert werden.
    "Ich will die Sozialdemokraten an ihren Taten messen - Worte habe ich genug gehört"
    Büüsker: Aber, Herr Bartsch, auf der anderen Seite auch eine Wirtschaft in Deutschland, der es sehr gut geht.
    Bartsch: Wissen Sie, Wirtschaft ist Mittel zum Zweck. Wenn es der Wirtschaft gut geht und Kinder in Armut mehr werden, dann ist im Land etwas nicht in Ordnung, und in unserem Land ist etwas nicht in Ordnung und das betrifft nicht nur Kinder. Wir haben Altersarmut, wir haben in Deutschland auch Obdachlosigkeit. Wir dürfen die Augen nicht davor zumachen. Deswegen pranger ich ja diesen wahnsinnigen Reichtum an. Wenn die Zahl der Vermögensmillionäre jetzt bei 1,2 Millionen ist und ich will da anmerken, seit 20 Jahren bin ich im Deutschen Bundestag und in all den Jahren hat die SPD immer mitregiert, mit vier Jahren Ausnahme, dann muss man doch mal wirklich über seine Politik nachfragen. Da bin ich sehr gespannt, ob sich eine Veränderung ergibt. Ich will die Sozialdemokraten weiter an ihren Taten messen. Worte habe ich genug gehört, auch von Sigmar Gabriel. Wenn ich gesehen habe, wie das jetzt gelaufen ist. Vorsichtig gesagt: Gut vorbereitet sieht anders aus, erinnert mich an 9 und 13. Es ist leider ein Stück weit Chaos. Und wenn ich dann noch die Ministerübergänge sehe, das Wirtschaftsministerium wird mal so ein bisschen verteilt, …
    Büüsker: Herr Bartsch, lassen Sie uns ein bisschen auf die Zukunft schauen. Sie haben eben gesagt, Sie wollen Taten in den Vordergrund stellen und nicht Worte. Wir sind aber im Wahlkampf, da zählen erst mal vor allem Worte, und ich würde ganz gerne kurz einen Ausschnitt aus der gestrigen Rede von Martin Schulz hören, wo er ja hat durchklingen lassen, dass Gerechtigkeit für ihn das große Thema ist. Hören wir kurz rein:
    O-Ton Martin Schulz: "Wir wollen, dass die hart arbeitenden Menschen in diesem Lande, die sich an die Regeln halten, sicher und gut in Deutschland leben können. Wir wollen, dass es gerecht und fair zugeht. Wir wollen, dass die Menschen sich respektiert fühlen, dass es in diesem Land eine sichere Zukunft für ihre Kinder gibt und dass sie darauf vertrauen können, dass die Demokratie, die sie, die Menschen respektieren, auch umgekehrt dafür da ist, dass die Menschen das Gefühl haben, respektiert zu sein."
    "Wir kämpfen nicht für ein Bündnis, sondern wir kämpfen für eine starke Linke"
    Büüsker: Herr Bartsch, Martin Schulz setzt auf Gerechtigkeit. Machen Sie sich vor diesem Hintergrund ein bisschen Sorgen, dass die SPD Ihnen als Linke vielleicht Wähler abgraben könnte?
    Bartsch: Wissen Sie, ich mach mir keine Sorgen ums Abgraben. Ich begrüße das, was Martin Schulz gesagt hat, und was ich auch begrüße ist, dass die SPD offensichtlich wirklich noch entschlossen ist, einen Kanzlerkandidaten aufzustellen und nicht einen Vizekanzlerkandidaten. Aber warum soll ich mir Sorgen machen, wenn es zunächst mal verbal eine Annäherung an Positionen an Die Linke gibt? Ich wünsche mir und trete seit Jahren für ein Mitte-Links-Bündnis ein, was einen Politikwechsel hinbekommt. Aber im Wahlkampf ist auch völlig klar: Wir kämpfen nicht für ein Bündnis, sondern wir kämpfen für eine starke Linke. Wenn wir viel Gewicht auf die Waage bringen, dann kann auch eine Große Koalition unwahrscheinlicher werden, denn aktuell ist es the same Procedure wie bei den letzten beiden Wahlen: viel geredet über Eigenständigkeit und am Ende gibt es dann doch eine Große Koalition. Natürlich wissen Union und SPD, sagen sie das vorher, kann es vielleicht selbst dafür nicht mehr reichen, und deswegen will ich erst an Taten sehen, wenn sich wirklich eine Veränderung vollzieht.
    Büüsker: Sie wünschen sich ein Linksbündnis auf Bundesebene. Halten Sie es denn für wahrscheinlich?
    Bartsch: Um das noch mal klar zu bezeichnen: Ich wünsche mir ein Mitte-Links-Bündnis. Wissen Sie, die SPD ist in Regierungsverantwortung. Die SPD handelt. Wenn sie wirklich in Richtung links geht, dann, bitte, sehr schön. Wir haben im Bundestag auch jetzt eine Mehrheit jenseits der Union. Ich wünsche mir ein Mitte-Links-Bündnis. Wir streben das selbstverständlich auch an. Aber genau das, was Martin Schulz formuliert hat, das müsste dann auch eintreten. Aber ich wiederhole: Wir regieren mit den Sozialdemokraten in drei Bundesländern erfolgreich. Ja, wir wollen auch die Veränderung, damit das große Projekt Europa als Projekt des Friedens erhalten bleibt. Und wir wollen die Wiederherstellung des Sozialstaates und einen fortschrittlichen Politikwechsel. Wenn das passiert, immer auch mit uns, aber da kann ich nur sagen, wer die SPD wählt weiß, es kann wieder in der Großen Koalition enden. Wer Die Linke wählt weiß eines ganz genau: Angela Merkel wird mit unseren Stimmen keine Fortsetzung der Kanzlerschaft erhalten.
    Büüsker: So die Einschätzung von Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag. Herr Bartsch, vielen Dank für das Gespräch.
    Bartsch: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.