Mitten in einer weitläufigen Plattenbausiedlung steht eine Art weißer Kubus: die Digitale Academie. Der einstöckige, lichtdurchflutete Flachbau beherbergt auf 450 Quadratmetern mehrere Studiensäle, einen Konferenzbereich, eine Bibliothek sowie eine winzige Cafeteria mit Getränkeautomat und Mikrowelle. 45 Studierende zählt die kommunale Einrichtung derzeit und ist damit proppenvoll. Heute geht es sehr ruhig zu: mancher weilt zu Semester-Abschlussprüfungen an der Hochschule, an der er eingeschrieben ist. Radouane Chettouh jedoch sitzt am Computer. Der 19-Jährige möchte Steuerberater werden.
"Im letzten Semester habe ich an der Uni in Paris studiert, ich hatte dort ein Zimmer gemietet. Aber meine Familie konnte ich so nur am Wochenende sehen. Jetzt bin ich drei Minuten von zuhause entfernt. So ist das Studium auch viel billiger."
Über 3.000 anerkannte Online-Diplome
767 Euro pro Jahr zahlt Chettouh für das Fernstudium, dafür hat seine Hochschule die Einschreibgebühr um die Hälfte reduziert. Auch Greg Luzolo profitiert von der Digitale Academie: Er absolviert online ein Bachelor-Studium.
"Wenn ich mit dem Lehrstoff nicht klarkomme, kann ich mich an meinen Professor auf der Onlineplattform wenden. Und zudem stehen uns hier in der Academie mehrere Coachs zur Seite."
Mehr als dreitausend anerkannte Diplome sind online verfügbar. Sei es ein Fachhochschulabschluss im Bereich Versicherung, Handel, Elektrotechnik. Seien es Vorbereitungskurse für Ausbildungen im medizintechnischen wie im sozialen Sektor oder auch herkömmliche Studiengänge bis hin zum Master. Und Paukkurse zum Einstieg in die Elite-Politikhochschule Sciences Po.
Pionierprojekt - weitere Academien sollen folgen
Audrey Zubietas Traumberuf ist Historikerin. Dabei hat sie als 15-Jährige die Schule geschmissen. Heute ist sie 25. Und nimmt an der Digitale Academie neu Anlauf.
"Im Gymnasium war mir nur ein Fachabitur als Krankenpflegerin eingefallen. Aber das habe ich mir bald gesteckt und dann nur noch rumgehangen. Bis ich mich für Geschichtskunde begeisterte. Jetzt mache ich für den Hochschulzugang eine Art Abitur nach."
Ein Überraschungsgast schneit herein: James Chéron, Bürgermeister von Montereau-Fault-Yonne und somit Chef der Digitale Academie. Die kommunale Einrichtung, landesweit ein Pionier-Unternehmen, liege ihm sehr am Herzen, sagt Chéron.
"Die Idee dazu entsprang einer Feststellung: In Montereau und dem Umfeld nimmt nur jeder zweite Abiturient ein Studium auf – in Paris sind es acht von zehn."
Jungen Franzosen auf dem Land eine Chance bieten
Die jungen Franzosen auf dem Land hätten von Haus aus schlechtere Startchancen als Gleichaltrige in Paris, sagt der Lokalpolitiker. Deshalb hat das Rathaus von Montereau-Fault-Yonne den Aufbau der Digitale Academie finanziert, die Ausstattung mit moderner Kommunikationstechnik, das Betreuer-Team. Mittlerweile fließen Subventionen vom Regionalrat und vom Staat: Die Bilanz nach dem ersten Jahr kann sich sehen lassen, erklärt James Chéron.
"75 Prozent derjenigen, die hier studieren, haben ihre Jahresprüfung bestanden. Viel mehr als bei normal Studierenden. Viel mehr als bei jenen, die zuhause allein ein Fernstudium betreiben."
Wenn die Studierenden nicht zur Uni kommen können, muss die Uni halt zu ihnen kommen, lautet das Motto in Montereau. Diese Chance möchte die Regierung auch Benachteiligten andernorts bieten: bis 2.022 sollen hundert Digitales Academies entstehen.