"Es ist ein echter Schau- und Kampfplatz."
Nils Minkmar, "Spiegel"-Journalist und intensiver Twitter-Nutzer mit mehr als 11.000 Followern. Es ist der 3. September, der Abend des TV-Duells zwischen Angela Merkel und Martin Schulz.
"Einen schönen guten Abend hier live aus Berlin. Und herzlich willkommen auch im Namen meiner drei Kollegen zum TV-Duell 2017."
Minkmar hat den Schlagabtausch gleich zwei Mal verfolgt. Im Fernsehen, wie alle anderen auch. Und, auf dem Second Screen, also über das Smartphone, mit Twitter in der Dauerschleife. Eine wahre Flut von Kommentaren ergoss sich da. Teilweise direkt aus den Parteizentralen, von Anhängern, aber auch von politischen Gegnern.
"Die sozialen Netzwerke spielen schon eine sehr wichtige Rolle gerade bei den Unentschiedenen, die noch nicht wissen, die auch selbst abwägen, die auch für verschiedene Interpretationen offen sind, weil sie unterschiedliche Argumente hören, unterschiedliche Hinweise. Und wenn man dann eine Deutung hat, die lustig ist und es auf den Punkt bringt, so nach dem Motto, das habe ich mir irgendwie auch gedacht, ich habe es nur nicht so ausdrücken können – mir geht es oft so - dann ist es schon wichtig."
Der Abend des TV-Duells – ein Höhepunkt des digitalen Wahlkampfs. Sicher, es gibt einen Wahlkampf jenseits des Netzes. Die Plakate hängen an jeder Straßenkreuzung, Werbespots im Fernsehen sind ein sichtbares Zeichen, dass die Parteien immer noch auf die klassischen Werbemittel setzen. Doch damit ist es schon längst nicht mehr getan. 83 Prozent aller Deutschen ab 14 Jahren sind laut ARD/ZDF-Onlinestudie wenigstens gelegentlich im Internet, je jünger desto höher ist der Anteil.
"Das Digitale ist immer mehr in alle Bereiche der Kampagne eingezogen. Ich mache das seit acht Jahren, dass das Digitale und der Online-Wahlkampf mittlerweile in jedem Bereich der Kampagne zu finden sind."
Sagt der Chef der Digital-Kampagne der SPD, Tobias Nehren. Der digitale Wahlkampf ist also bei Weitem keine neue Entwicklung, doch in diesem Jahr zeigt sich, wie ausdifferenziert die Instrumente inzwischen geworden sind: Livestreams von Auftritten in sozialen Netzwerken, Merkel und Schulz bei Youtube oder als Facebook live. Bilder und kurze Videos zum Teilen sind zentral. Hinzu kommt der Messengerdienst WhatsApp, wo politische Botschaften direkt aufs Handy gespült werden.
Digitaler Wahlkampf ist wichtig geworden
Digitaler Wahlkampf ist: Spielplatz für Kreative, Kampfplatz für Meinungsbildung und Sammelplatz für Daten. Allein auf die klassischen Medien – Zeitungen, Radio, Fernsehen – kann und will sich kein Kampagnenmacher mehr verlassen.
"Eine Partei versucht mit uns, auf Augenhöhe zu kommunizieren."
Das ist der Subtext des Online-Wahlkampfes, der vor allem bei jüngeren Wählern ankommen soll, sagt Marco Buschmann, Bundesgeschäftsführer der FDP. Chancen und Herausforderung gibt es im Netz auch für die Kandidaten.
"Ich fand einen ganz lustigen Kommentar, den müsste ich ewig suchen: Siehst gut aus, Eric! Das fand ich ganz nett."
Nicht oft, aber manchmal hat der Bundestagskandidat Eric Vohn doch ein bisschen Spaß mit seinem Profil auf Facebook. Er tritt als Direktkandidat für die FDP in Brandenburg an und auf Platz 3 der Landesliste. Wird knapp für mich, sagt der 30-Jährige. Und so kämpft er auch online um jede Stimme. Er will auffindbar, für Fragen von potenziellen Wählern erreichbar sein. Er klickt sich durch die Kommentarzeilen unter seinem Foto:
- "Die Dummen sterben nicht aus."
- "Nein, dann wähle ich lieber einen Diktator."
"Da fragt man sich schon, warum kommt dann nur, wenn man sich vorstellt, so ein Kommentar?"
Aber Vohn lässt sich nicht abschrecken, er will sein Profil auf der Plattform behalten, gut 300 Nutzer haben seine Seite abonniert. Das ist nicht viel, aber für den ländlichen Raum in Brandenburg ganz ok, findet Vohn. Von 2,4 Millionen Fans wie Angela Merkel, 400.000 wie Martin Schulz oder knapp 200.000 Fans wie FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner kann Vohn nur träumen.
Deshalb kauft sich Vohn Reichweite dazu, als sogenannten gesponserten Post. Das Prinzip ist gängig: Der Nutzer bezahlt Geld und wird bestimmten Zielgruppen innerhalb der Netzwerke häufiger angezeigt. Allerdings, der Kontakt zum potenziellen Wähler ist dabei flüchtig.
"Gesehen ist nicht unbedingt angeklickt. Man hat ja die Timeline und wenn man mehrere Sekunden auf einem Bild verweilt."
Dann zählt das für Facebook schon als angezeigt, sagt Vohn. Wie viele Informationen in dieser Zeit beim Gegenüber wirklich ankommen, ist ungewiss. FDP-Kandidat Vohn probiert es weiter, mit Selfies vom nächtlichen Plakatieren im Wahlkreis.
"Alleine weil es privater aussieht, weil es persönlicher aussieht."
Der Mensch hinter dem Politiker soll erkennbar sein und den Nutzer via soziale Netzwerke begleiten. Sei authentisch, lautet eine Regel im digitalen Wahlkampf. Dabei geht es nicht nur darum was, sondern auch wie ein Kandidat kommuniziert. Darauf weist Politikwissenschaftler Thorsten Faas hin:
"Es geht eher um die Frage der Authentizität, würde man heute vielleicht sagen. Also passt dieses Medium zu ihm?"
Authentizität als wichtige Währung
Und schreiben die Kandidaten selbst? Denn was Eric Vohn aus eigener Kraft leisten kann, dürfte einem Martin Schulz schon schwerer fallen. Kandidaten sollen im Netz präsent sein, haben aber kaum Zeit. Thorsten Faas:
"Dieser Eindruck der Authentizität, der muss zumindest vermittelt werden. Wobei wir auch nicht wissen, wer twittert da eigentlich, sind sie es selber, sind es Teams? Manchmal ist das transparent, manchmal auch nicht."
Die unmittelbare Nähe, die eigentlich zwischen Kandidat und Interessent entstehen soll, fällt dann weg. Auch Martin Fuchs, der vielen Politikinteressierten durch Twitter und Facebook als Hamburger Wahlbeobachter bekannt ist, weiß um dieses Problem. In seinen Posts analysiert Fuchs die Onlineauftritte von Parteien. Er meint:
"Dann muss man sich überlegen, wo die Zielgruppen sitzen. Dann sind Facebook und Twitter zwei sehr spannende Tools. Facebook für die Breitenwirkung, Twitter eher für den politischen Diskurs mit Meinungsbildern, Journalisten, Bloggern anderen Politikern. Und gerade für die junge Bevölkerung, den jungen Erstwählern, sind natürlich Snapchat und Instagram die topwichtigsten Kanäle."
Hinzu kommen Werbeanzeigen bei Google und natürlich – als Basis - die Homepage der Partei.
Die meisten Menschen erreichen Parteien immer noch über Facebook mit rund 30 Millionen Nutzern, rund eine Million Deutsche sind außerdem bei Twitter aktiv. Die Fotoplattform Instagram erlebt laut dem Nachrichtenportal heise.de derzeit einen Boom in Deutschland mit 15 Millionen Nutzern. Auf Snapchat, immerhin, tummeln sich fünf Millionen – meist junge – Deutsche. Über diese App lassen sich kurze Filme mit lustigen Spielereien, sogenannten Filtern, produzieren, etwa mit Hundeschnauzen oder Regenbogen.
Nicht zu vergessen: die Video-Plattform Youtube. Viel beachtet wurden die Interviews von Merkel und Schulz mit vier jungen Youtubern – ein Novum in diesem Wahlkampf:
- "Haben Sie ein Lieblings-Emoji?"
Angela Merkel: "Das Smiley."
- "Wir können ja mal einen Realitätscheck machen, wie nah Sie an den kleinen Leuten dran sind. Was kostet denn ein Liter Milch bei Aldi?"
Martin Schulz: "Der Milchpreis ist deutlich angestiegen, um die 70 Cent."
"Das ist ziemlich gut. 68 Cent."
Niedrigschwelliges Angebot für die Wähler
Zusammen kommen die beiden Videos auf über zwei Millionen Aufrufe. Präsenz zeigen und Wählerschichten erreichen, die sich sonst mehr für Beauty-Blogs und weniger für Politik interessieren – so das Ziel der Kandidaten. Politikberater Fuchs:
"Es ist eine niedrigschwellige Ansprache von Leuten, die sich halt überhaupt nicht für Politik interessieren, die aber die Möglichkeit dadurch bekommen, überhaupt erst mal den Kontakt zur Politik zu kriegen. Und da dann die Hoffnung zu haben, dass sie sich über weitere Kanäle über Politik informieren."
Die wichtigsten Instrumente, die den digitalen Wahlkampf in diesem Jahr prägen, sind Fuchs zufolge:
"Extrem viele Bewegtbilder plus der Funktion des Live-Streamings. Wir werden eine viel stärkere Echtzeit-Wahlkampf-Kommunikation sehen, als wir das vor vier Jahren gesehen haben. Man kann auf allen relevanten Plattformen von Instagram über Snapchat, WhatsApp, Facebook kann man live streamen."
Interviewerin: "Kann man das Telefon nicht abstellen?"
Am Anfang ruckelt das Mikro, das Telefon klingelt, Der improvisierte Charakter des Videos ist aber durchaus gewollt. "Was möchtest du von Bernd Riexinger wissen?" 20 Minuten nimmt sich der Parteichef der Linken auf Facebook Zeit für die Fragen der Bürgerinnen und Bürger. 20.000 schauen zu.
"Lisa Rubin möchte wissen: Was sagen Sie zum Wahlrecht ab 16 Jahren?"
Bernd Riexinger: "Wir sind da absolut dafür. Mit 16 fängt man oft zu Arbeiten an und ist schon relativ erwachsen."
FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner macht es technisch noch einfacher. Auf dem Rückweg von einer Wahlkampfveranstaltung filmt er sich kurz mit dem Handy, verbreitet bei Facebook, das Auto-Video als immer wiederkehrendes Element bei ihm.
"Gerade war ich in Böblingen und bin gefragt worden, was macht die FDP eigentlich bei der Rente. Deshalb hier ein kleines Programm. Erstens: Wir brauchen eine dynamische Wirtschaft, weil ... "
Bild verwackelt, Ton mäßig. Egal, am Ende stehen 600.000 Aufrufe. Das Video aus dem Auto, immer wiederkehrendes Element bei Lindner. Denn das kurze Video erfüllt eine weitere Grundregel des modernen Online-Wahlkampfs: mobil sein.
Auch Smartphone ist wichtig
Das gilt für Parteien wie Nutzer. Laut einer Online-Studie von ARD und ZDF nutzen 28 Prozent der deutschen Bevölkerung täglich unterwegs das Internet, sei es in der Bahn, im Café oder bei Freunden – das sind zehn Prozentpunkte mehr als noch im Vorjahr. Das Smartphone war 2016 das meistgenutzte Gerät für den Internetzugang. Zwei Drittel der Bevölkerung und nahezu jeder 14- bis 29-Jährige geht mobil ins Netz. Das Smartphone als Schlüssel zum Internet – da ziehen die Parteien nach.
"Mobile first. Wir denken alles, was wir tun, vom Handy aus. Alles muss auch auf dem Desktop funktionieren, aber wir denken alles vom Smartphone her."
Sagt Robert Heinrich, der Wahlkampfmanager der Grünen.
"Damit reagieren wir auf die Trends der letzten vier Jahre. Die da heißen: Erstens Inhalte müssen noch kürzer werden. Zweitens, wir erleben ja die Rückkehr des Stummfilms, das heißt, die Leute schauen sich Sachen auf dem Handy an, das heißt, stumm, weil sie unterwegs sind. Das heißt, es muss auch ohne Ton funktionieren."
Das gilt auch für den Wahlspot, der vornehmlich für mobile Endgeräte entwickelt wurde und quasi nebenbei auch noch im Fernsehen läuft. Die Grünen setzen einige Akzente im digitalen Wahlkampf und nutzen beispielsweise WhatsApp. Interessierte können sich registrieren und bekommen alle paar Tage Nachrichten, Fotos oder Videos der Spitzenkandidaten. Das klingt dann so:
"Hallo, hier ist Katrin. Schön, dass du dabei bist, dass ich dich hier über meinen Wahlkampf auf dem Laufenden halten darf."
Katrin Göring-Eckhardt: der Ton locker, fast vertraulich. Ein sinnvoller Ansatz, findet Politikberater Fuchs. Denn WhatsApp hat einen hohen Verbreitungsgrad, 40 Millionen Nutzer in Deutschland und viele unterschiedliche gesellschaftliche Schichten. Außerdem gilt:
"Die Öffnungsraten von WhatsApp-Nachrichten, auch die Klickraten von Links, die man da versendet, sind extrem groß. Weil das Gefühl bei vielen Nutzern ist, dass diese Nachricht in meinem privaten Umfeld stattfindet. Das heißt, Familienchats, die man hat, mit Freunden, mit Sportverein - und dazwischen ist dann ein Kanal von der Partei, vom Kandidaten."
WhatsApp als direkter Kanal zu den Wählern
Mehrere Tausend Abonnenten gebe es mittlerweile für die WhatsApp-Inhalte, sagt Grünen-Wahlkampfmanager Heinrich, und nein, es seien eben nicht alles nur Journalisten, wie in Berlin gerne gelästert werde. Wie viele genau es sind, sagt er aber auch nicht. Hinzu kommt: Die App steht häufig wegen ihres schwachen Datenschutzes in der Kritik.
Außerdem kommt bei den Grünen eine sogenannte Netz-Feuerwehr dazu, die die Kommentarspalten der Grünen-Profile moderiert. Das sind 3.000 Freiwillige, die versuchen, online mit Argumenten gegen Populismus vorzugehen, und die die schlimmsten Hass-Kommentare löschen. Und davon gibt es eine Menge. Kaum ein Post, unter dem sie nicht stehen: "Ökofaschisten", "Deutschland-Hasser", so die Wortwahl. Hundertfach.
"Sie können sich vorstellen, dass das Community-Management eines grünen Accounts keine reine Spaßveranstaltung ist."
Rund 900.000 Euro nehmen die Grünen laut Bayerischem Rundfunk für den Online-Wahlkampf in die Hand. Zur Schwerpunktsetzung im Budget Robert Heinrich:
"Wo ich es relativ trennscharf kommunizieren kann, ist bei den reinen Werbeausgaben, die ich für Anzeigen ausgebe. Da ist es die Hälfte des Geldes, das wir in die Plakatierung stecken und die andere Hälfte fließt ins Netz."
Politikberater Fuchs sieht bei den Online-Werbeformen insgesamt ein sinnvolles Preis-Leistungsverhältnis. Zum Beispiel bei gesponserten, also gekauften Facebook-Posts:
"Über den Daumen gepeilt, zum Beispiel wenn ich sage, ich habe eine Zielgruppe von 3.000 bis 4.000 Leuten, die das Posting einmal angezeigt bekommen sollen, das kostet in etwa 15 bis 30 Euro. Das sind sehr, sehr kleine Beträge, wenn man das im Vergleich sieht, was so Großveranstaltungen mit einem Spitzenpolitiker auf dem Marktplatz kostet, das ist sehr viel teurer."
Grundregel: Kenne deine Anhänger
Doch die Parteien setzen digitale Instrumente nicht nur ein, um ihre Wähler zu informieren, sondern im Gegenzug auch, um Informationen über die Nutzer zu sammeln. Kenne deine Anhänger: So lautet eine weitere Grundregel des digitalen Wahlkampfs. Viel diskutiert wurde in diesem Zusammenhang die App der CDU mit dem Namen Connect 17. Sie soll den Christdemokraten in diesem Jahr dabei helfen, den Haustürwahlkampf zu professionalisieren. Fuchs:
"Was haben ihnen die Leute gesagt, welche Probleme wurden ihnen aufgetragen?"
Peter Tauber: "Wir haben es im letzten Jahr immer gesagt: Dieser Wahlkampf wird anders. Und deswegen machen wir Dinge anders."
CDU Generalsekretär Peter Tauber steht zufrieden neben Conrad Clemens, dem Bundesgeschäftsführer der Jungen Union. Für die Parteien sei es wichtig, zu wissen, in welchen Stadtvierteln sie Hochburgen haben. Clemens erklärt die App:
"Vielleicht erst mal den Anfangsbildschirm. Man kommt relativ einfach rein."
Ziel ist es, Ressourcen zu schonen und an Infos zu gelangen. Über Connect 17 können Wahlkämpfer genau angeben, wo es sich lohnt, Haustürwahlkampf zu machen:
"Und dann ist diese Tür-zu-Tür-Erfassung, nicht nummerngenau, aber Straßenzuggenau. Die erfasst so ein bisschen die Reaktion, die Stimmung an der Tür. Ist es positiv, neutral, oder wird einem die Tür vor der Nase zugeschlagen. Das ist dann eher negativ."
Rückfluss von Infos an die Partei, Mobilisierung der Wähler, Ansporn für Freiwillige im Wahlkampf über ein spielerisches Element - die CDU setzt große Hoffnung in Connect 17. Auch die Linke hat vor wenigen Tagen eine App namens Partisanin vorgestellt, die Freiwillige vernetzen soll.
Noch einen Schritt weiter geht das sogenannte Microtargeting. Damit ist die zielgenaue Ansprache vor allem von Facebook-Nutzern gegen Bezahlung gemeint. Also die Strategie, auf die beispielsweise FDP-Kandidat Vohn setzt und Nutzer regional auswählen kann. Möglich ist das auch nach bestimmten politischen Präferenzen.
Microtargeting wird immer wichtiger
Besonders nach dem US-Wahlkampf und dem Sieg von Donald Trump wurde auch hierzulande heftig über den Einfluss von Microtargeting diskutiert. Ob aus den Profilen – mit Vorlieben für Filme, Musik, Produkte – auch politische Haltungen abgeleitet werden können. Verbunden mit der Sorge, ob im digitalen Zeitalter derjenige Wahlen gewinnt, der über mehr und bessere Daten der Bürger verfügt. Manipulation statt Inhalte? Der Berliner Politikberater Julius van de Laar wiegelt ab.
"Der fundamentale Unterschied in Deutschland ist, dass ich keine personenbezogenen Daten erwerben kann."
Van de Laar hat selbst mehrere Jahre für Barack Obama Wahlkampagnen mitorganisiert und weiß, wie sich aus den US-Wählerregistern und käuflichen Konsumentendaten sehr präzise Wähleranalysen erstellen lassen. In Deutschland gebe es zwar auch Kunden-Bonusprogramme etwa Payback-Angebote oder Vielflieger-Punkte, außerdem verfüge der Postdienstleister Post direct über viele demografische Daten, aber diese Daten blieben immer bei den Dienstleistern. Diese Angaben ließen sich also nicht wie in den USA mit Daten aus den sozialen Netzwerken verknüpfen, so van de Laar.
Dennoch bleibt das Thema umstritten. In einem TV-Beitrag des Bayerischen Rundfunks warnte etwa der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar davor, dass Parteien zu viele Daten von potenziellen Wählern anhäuften:
"Es ist ein kleiner Schritt dahin, Wähler eben nicht mehr offen anzusprechen in transparenter Weise, sondern sie zu manipulieren, indem man das Vorwissen, das man über bestimmte Personen hat, einsetzt."
Und auch der Blog netzpolitik.org warf den Parteien vor, zu intransparent mit gesponserten Posts umzugehen, Fragen dazu nicht zu beantworten.
Kritik an den Netzaktivitäten von Politikern und Parteien entzündet sich darüber hinaus auch daran, dass auf diesem Weg Journalisten als kritische Zwischeninstanz bewusst umgangen werden.
Etablierten Medien bieten Kandidaten oft kaum Raum
Doch was für Donald Trump ein Machtinstrument ist, sieht Bundestagskandidat und FDP-Mann Eric Vohn für sich gewissermaßen als Notlösung, um überhaupt mit einer breiteren Öffentlichkeit kommunizieren zu können. Das Interesse der Regionalzeitung, des Rundfunks an ihm sei anfänglich sehr begrenzt gewesen. Eric Vohn:
"Vor allem, wir als FDP haben jetzt auch in den letzten vier Jahren festgestellt, dass wir gar nicht mehr so oft selbst von denen angesprochen werden. Selbst wenn man denen Pressemitteilungen schickt, die werden nicht gedruckt. Wir brauchten also ein anderes Medium."
"Es gibt Politiker, die sagen mir ganz offen, sie brauchen im Grunde kein Interview zu geben, weil ihre Zielgruppe, die sie aufgebaut haben, ihre Community, die erreichen sie dadurch. Sie haben ihre 20.000, 30.000 Leute im Wahlkreis, die sie auf den verschiedenen Plattformen erreichen. Und das sind die relevanten Leute, die auch die Position in die Freundeskreise tragen. Sie brauchen eigentlich mit der Lokalzeitung nicht mehr zu reden."
Sagt Medienexperte Martin Fuchs. Der Journalismus, werde so zwar nicht komplett ausgehebelt, aber ...
"... was man aber schon sieht, ist, dass eigene Kanäle, die man sich schafft, dazu führen, dass man natürlich die Berichterstattung auch einordnen und besser kommentieren kann."
Es ist eine Taktik, dieses Pingpong-Spiel zwischen etablierten und sozialen Medien, die insbesondere die AfD von Anfang an konsequent verfolgt hat. Sie nutzt vor allem die direkte Onlinekommunikation mit ihren Anhängern und nimmt gerne in Kauf, dass ihre Provokationen dann von etablierten Medien aufgegriffen werden. Parteichefin Frauke Petry erklärte die Strategie der AfD in der ARD-Dokumentation "Nervöse Republik":
"Die sozialen Medien haben natürlich für uns den großen Vorteil, dass kein Filter zwischen uns als politischem Sender und dem Bürger oder auch der Konkurrenz als Empfänger der Botschaft vorhanden ist."
Die Strategien im digitalen Wahlkampf sind unterschiedlich, die Bemühungen groß. Was davon wird sich am Ende wirklich in Wählerstimmern niederschlagen?
"Das ist die große Master-Frage, die sich viele Menschen in vielen Parteizentralen auch schon seit vielen Jahren stellen. Da gibt es total viele Sachen, die da reinspielen. Man kann eine Wahlentscheidung oder auch ein Interesse für politische Programme oder Positionen nicht aufgrund eines Tools ableiten. Das geht nicht. Dafür sind auch Wahlentscheidungsprozesse viel zu komplex, als dass man das so linear abbilden könnte."
Gibt sich Politikberater Fuchs abwartend. Für die Parteien heißt das am Ende: Mit niedrigschwelliger Ansprache online Aufmerksamkeit erlangen und dann auf das Beste hoffen. Oder wie es Robert Heinrich, der grüne Wahlkampfmanager formuliert:
"Am Ende ist aber Wahlkampf auch immer Trial-and-Error."