Mitte der 20er-Jahre schrieb in dem galizische Städtchen Drohobycz ein Zeichenlehrer namens Bruno Schulz an seinem Buch "Die Zimtläden"; es machte ihn 1933 zu einem der beliebtesten Schriftsteller Polens. Wegen seiner surrealen, traumschweren Prosa gilt Schulz als ein "polnischer Kafka". Der Maler und Zeichner musste in seinen letzten Lebensjahren "für Brot" malen – als "Leibjude" des SS-Hauptscharführers Felix Landau, des Verantwortlichen für die "Endlösung" in der Stadt. Bruno Schulz wurde 1942 von NS-Besatzern ermordet. Ein Freskenzyklus im Kinderzimmer der Landau-Villa war sein letztes Werk. Nach dem Krieg gerieten die Wandbilder in Vergessenheit; jahrelang suchten Kunsthistoriker vergeblich nach ihnen. Erst 2001 wurden sie von dem deutschen Dokumentarfilmer Benjamin Geissler entdeckt. Seither hatten sie ein im Wortsinn "bewegtes Schicksal", und nun sind sie – scheinbar – wieder da.
Wer bis ans Ende der Sammlung Falckenberg geht, dann mehrere Stufen abwärts, erreicht einen Raum, der wie eine altjüdische Mikwe anmutet, ein Ritualbad. Hier hat Benjamin Geissler seine virtuelle Bilderkammer installiert. Ein kleiner, quadratischer Raum, an dessen vier Wänden – in stetigem Wechsel und zögernder Wandlung wie ein rätselhaftes Menetekel – Bilder aufscheinen: Ein Reiter und eine Alte, Schneewittchen und bärtige Zwerge, ein zerklüfteter Wald, eine Kutsche, gelenkt von einem Ritter mit Helm, eine Katze... – Bilder-Inseln, die plötzlich versinken, rohes Mauerwerk taucht auf, dann wieder rätselhaft-neblig verschwimmende Schemen.
"Hier in der Bilderkammer kann man jetzt etwas sehen, was es so nicht mehr zu sehen gibt, denn die Fragmente, drei in Israel und die fünf in der Ukraine, sind nicht mehr in ihrer Gesamtkomposition zu betrachten."
Benjamin Geissler meint jene Bild-Fragmente, die vor elf Jahren von Restauratoren der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem aus dem Putz des Hauses in Drohobycz gebrochen und in einer Nacht- und Nebel-Aktion nach Israel verbracht wurden. Auch ukrainische Kunstsachverständige entnahmen später Bruchstücke, die inzwischen im Museum hängen. Der Original-Raum der historischen Fresken aber ist für immer verloren.
"Aus der Verantwortung für meinen Fund war es mir wichtig, jetzt zum 120. Geburtstag von Bruno Schulz eine Rekonstruktion zu liefern, weil ich der einzige war, der alle diese Materialien gesammelt hatte, die Wände abgefilmt, abfotografiert hatte."
Was auf den ersten Blick aussieht wie Motive aus den Märchen der Brüder Grimm, sind jedoch wahrscheinlich Figuren aus der realen Umgebung von Bruno Schulz: Bekannte und Familienmitglieder, sein Vater und seine Mutter sind zu erkennen, auch sein Peiniger und Brotherr Felix Landau und dessen Geliebte, vielleicht auch der nahe Wald mit den Gruben, wo 11.000 Juden ermordet wurden.
"Die Bedeutung dieses Werkes wird jetzt durch die virtuelle Rekonstruktion wieder sichtbar, dass es eine Gesamtkomposition gab, und die hat eine Meta-Ebene, eine personifizierte Darstellung der Shoa! Das war mir wichtig darzustellen. Ich glaube, man kann das nicht so behandeln wie das Leichentuch Christi, und nimmt sich wie bei einer Devotionalie einfach ein Stück daraus."
Wie in seinem literarischen Werk hat Bruno Schulz auch hier surreal-mythische Figuren geschaffen. Benjamin Geissler betrachtet seine digitale 3D-Videoprojektion der Wandmalereien nicht als Akt kunstwissenschaftlicher Kontextualisierung, sondern als historische Lehr- und Erinnerungsarbeit:
"Es zieht an uns vorbei wie in einem Film, es ist ein Loop. Bruno Schulz hat von der Mythologisierung der Wirklichkeit gesprochen, auch dass wir unsere Zukunft auf den Ruinen der vergangenen Generationen aufbauen. Es ist eine Wiederholung wie Geborenwerden und Sterben, eine Geschichte, die von der Shoa bis in die Zerstörungen unserer Gegenwart reicht."
Vielleicht wollte Benjamin Geissler ja Walter Benjamins berühmtem "Engel der Geschichte" in den Arm fallen. Dieser fliegt unaufhaltsam rücklings in eine katastrophische Zukunft, und sieht, wie sich die Bruchstücke des Fortschritts zu einem Schutthügel türmen. Mit seiner maßstabsgetreuen Gesamtschau, einer Installation der Schulz-Bilder in Wohnzimmergröße, ist Christian Geissler dies frappierend gelungen, allerdings nur für einen kurzen Moment.
Wer bis ans Ende der Sammlung Falckenberg geht, dann mehrere Stufen abwärts, erreicht einen Raum, der wie eine altjüdische Mikwe anmutet, ein Ritualbad. Hier hat Benjamin Geissler seine virtuelle Bilderkammer installiert. Ein kleiner, quadratischer Raum, an dessen vier Wänden – in stetigem Wechsel und zögernder Wandlung wie ein rätselhaftes Menetekel – Bilder aufscheinen: Ein Reiter und eine Alte, Schneewittchen und bärtige Zwerge, ein zerklüfteter Wald, eine Kutsche, gelenkt von einem Ritter mit Helm, eine Katze... – Bilder-Inseln, die plötzlich versinken, rohes Mauerwerk taucht auf, dann wieder rätselhaft-neblig verschwimmende Schemen.
"Hier in der Bilderkammer kann man jetzt etwas sehen, was es so nicht mehr zu sehen gibt, denn die Fragmente, drei in Israel und die fünf in der Ukraine, sind nicht mehr in ihrer Gesamtkomposition zu betrachten."
Benjamin Geissler meint jene Bild-Fragmente, die vor elf Jahren von Restauratoren der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem aus dem Putz des Hauses in Drohobycz gebrochen und in einer Nacht- und Nebel-Aktion nach Israel verbracht wurden. Auch ukrainische Kunstsachverständige entnahmen später Bruchstücke, die inzwischen im Museum hängen. Der Original-Raum der historischen Fresken aber ist für immer verloren.
"Aus der Verantwortung für meinen Fund war es mir wichtig, jetzt zum 120. Geburtstag von Bruno Schulz eine Rekonstruktion zu liefern, weil ich der einzige war, der alle diese Materialien gesammelt hatte, die Wände abgefilmt, abfotografiert hatte."
Was auf den ersten Blick aussieht wie Motive aus den Märchen der Brüder Grimm, sind jedoch wahrscheinlich Figuren aus der realen Umgebung von Bruno Schulz: Bekannte und Familienmitglieder, sein Vater und seine Mutter sind zu erkennen, auch sein Peiniger und Brotherr Felix Landau und dessen Geliebte, vielleicht auch der nahe Wald mit den Gruben, wo 11.000 Juden ermordet wurden.
"Die Bedeutung dieses Werkes wird jetzt durch die virtuelle Rekonstruktion wieder sichtbar, dass es eine Gesamtkomposition gab, und die hat eine Meta-Ebene, eine personifizierte Darstellung der Shoa! Das war mir wichtig darzustellen. Ich glaube, man kann das nicht so behandeln wie das Leichentuch Christi, und nimmt sich wie bei einer Devotionalie einfach ein Stück daraus."
Wie in seinem literarischen Werk hat Bruno Schulz auch hier surreal-mythische Figuren geschaffen. Benjamin Geissler betrachtet seine digitale 3D-Videoprojektion der Wandmalereien nicht als Akt kunstwissenschaftlicher Kontextualisierung, sondern als historische Lehr- und Erinnerungsarbeit:
"Es zieht an uns vorbei wie in einem Film, es ist ein Loop. Bruno Schulz hat von der Mythologisierung der Wirklichkeit gesprochen, auch dass wir unsere Zukunft auf den Ruinen der vergangenen Generationen aufbauen. Es ist eine Wiederholung wie Geborenwerden und Sterben, eine Geschichte, die von der Shoa bis in die Zerstörungen unserer Gegenwart reicht."
Vielleicht wollte Benjamin Geissler ja Walter Benjamins berühmtem "Engel der Geschichte" in den Arm fallen. Dieser fliegt unaufhaltsam rücklings in eine katastrophische Zukunft, und sieht, wie sich die Bruchstücke des Fortschritts zu einem Schutthügel türmen. Mit seiner maßstabsgetreuen Gesamtschau, einer Installation der Schulz-Bilder in Wohnzimmergröße, ist Christian Geissler dies frappierend gelungen, allerdings nur für einen kurzen Moment.