Blühende Jahre waren das, als Musik digitalisierbar wurde, als man mp3 erfand, als Computer so schnell rechneten, dass sie viele synthetische Stimmen ruckfrei parallel führen konnten. Die Programmierer entwickelten immer ausgefeiltere Methoden, Effekte wie Hall oder Chorus, ja ganze Gitarrenverstärker samt Mikrofonierung digital im Rechner nachzubilden.
Jeder Notebook-Computer ist heute in der Lage, ein ganzes Klanguniversum entstehen zu lassen. 20 Kilogramm schwere – und schwer programmierbare – Synthesizer gehören der Vergangenheit an. 99 Prozent aller Musik wird heute, selbst wenn sie der Musiker mit einem anfassbaren Instrument einspielt, im Computer verarbeitet; von den Tausenden Musikstudios haben aus diesem Grund nur einige wenige überlebt.
Zu den letzten Musikmessen sind mehr und mehr Aussteller aus der Branche der digitalen Musik nicht mehr nach Frankfurt gekommen. Man hätte erwarten können, dass sich diesmal Apple wieder blicken lässt, denn es wimmelt auf dem iPhone geradezu von kleinen Programmen zum Musikmachen. Aber Apple meidet Messen immer mehr und setzt lieber auf selbstgemachte Events, die stets auch im Internet stattfinden. Warum auch soll ein Computer-Musiker nach Frankfurt pilgern, um sich über die Stärken einer neuen Musiksoftware zu informieren? Das Internet informiert ihn viel schneller.
Der weißhaarige Brite, der hier einen midi-fizierten, also computertauglich gemachten Flügel testet, wirkt, wie das Instrument selbst, wie aus einer anderen Zeit.
Etwas weiter hinten in derselben Halle 5.1 ist die Hölle los. Hier stellen altehrwürdige Plattenspielerfirmen wie Technics, HiFi-Experten wie Pioneer und Mixer-Hersteller wie Numark ihre 'Decks' vor. Decks, das sind Anlagen für DJs, zum Mischen, zum Cutten, zum Scratchen. Die Digitalisierung ist hier abgeschlossen. Kaum ein DJ bringt mehr Vinyl oder CDs mit auf die Bühne, sondern seinen Notebook-Computer, meist einen von Apple, oder – auch solche Lösungen sind hier auf der Messe zu sehen – nur noch seinen USB-Stick mit einigen tausend Tracks, also: Musikstücken drauf.
An einem winzigen Stand steht ein junger Gitarrist aus Hongkong und spielt ein Fünfsekunden-Solo nach dem anderen auf seiner Gitarre. Warum? Weil er ein Gitarreneffektgerät vorstellt, in welches man den iPod einstecken und zur iPod-Musik jammen kann. Keine wirkliche Innovation – iPod-Halter kennt man seit langem, digitale Effektgeräte noch länger, und die Kombination aus beidem wird in der Szene kein Beben auslösen, auch dass der iPod die Gitarre mit aufnimmt, nicht.
Die große Innovation, die in den letzten Monaten auf dem Gebiet der digitalen Tonbearbeitung passiert ist, wurde nicht auf der Musikmesse bekannt gegeben, sondern kam einfach so auf den Markt, im November. Melodyne Editor heißt das Programm und stellt sich hier in Frankfurt nun einem Messepublikum. Melodyne gibt es schon seit fast zehn Jahren; die Software gehört heute zum Studiostandard, wenn es um das natürliche Nachstimmen von Gesang oder Soloinstrumenten im Computer geht, also Einzelspuren einer digitalen Aufnahme. Melodyne Editor geht nicht einen Schritt weiter, sondern überspringt gleich einige Barrieren und greift in komplexes Tonmaterial ein. Im folgenden Beispiel hören wir Chet Baker "My Funny Valentine" spielen. Das Werk liegt uns nicht in einzelnen Spuren vor, sondern die Trompete ist Teil des ganzen Klangmaterials.
Melodyne Editor untersucht das Stück nun nach Tonhöhen und Klangcharakteristika und stellt sie in Form von Wölkchen auf dem Bildschirm dar. Eines dieser Wolkenvölkchen gehört zu Chet Bakers Trompete, und mit sehr wenig Aufwand können wir sie durch Ziehen mit der Computermaus diese Trompete umstimmen – ohne, und darauf kommt es an, den Rest der Musik, Bass, Schlagzeug und so weiter anzutasten. Lassen wir die Band also weiterspielen, aber stimmen wir die Trompete zum Beispiel einmal ganz langweilig auf einen einzigen Ton.
Die Konsequenzen dieser Idee sind noch gar nicht abzuschätzen. Wem gehört das Copyright für dieses Stück?
Hinter der Idee steckt ein Einzeltäter, Peter Neubäcker aus München. Ich bitte den kleinen Mann mit der langen grauen Mähne und dem freundlichen Blick raus, vor die Halle, wo es etwas ruhiger ist. Wir kennen Melodyne Editor inzwischen ein bisschen und haben auch angefangen, die Grenzen auszuloten. Mit Gesangchören kommt es überhaupt nicht zurecht, und auch mit dem Schlagzeug tut es sich schwer.
Peter Neubäcker:
"Im Moment ist die Software ja dafür optimiert, ein polyphones Instrument, sagen wir eine Gitarre, ein Klavier zu erkennen, nicht aber, wenn zum Beispiel ein Schlagzeug dazu spielt. Dann wird es nämlich schwierig, denn wenn man davon ausgehen kann, dass jedes Anschlaggeräusch auch einem Ton zugehört, wie es bei einem Instrument wäre, ist es natürlich konsistenter, als wenn man versuchen muss, herauszufinden, und das haben wir im Moment noch nicht eingebaut, gehört dieses Attack wirklich zu dem Ton, der dann kommt, oder ist es nur irgendwie dazwischen und stammt von etwas ganz anderem? Im Moment leistet das Programm eine Materialtrennung, so gut wie möglich, es ist aber noch viel zu verbessern, und darüber denken wir natürlich ständig nach."
Da stellt sich die Frage: Arbeiten in Melodyne Algorithmen über Wahrscheinlichkeiten, stochastische Modelle? Denkt das Programm, wir haben hier ein System, eine Komposition, die verhält sich jetzt so, also wird sie sich mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit später so verhalten?
"Nein, gar nicht. Ich würde eher sagen, deterministisch und erkenntnisbasiert. Mit der Statistik habe ich persönlich sogar ausgesprochene Schwierigkeiten, das ist für mich kein gültiger Zugang. Ich glaube, dass die Dinge, mit denen ich umgehe und umgehen will, einen Sinn haben, und diesen Sinn möchte ich herausfinden. Und das kann man über Statistik nicht."
Das ist also die große Erfindung der letzten Monate in der digitalen Musikwelt, Melodyne Editor. Jetzt kommt eine, die schon allein wegen ihrer Ästhetik und Anfassbarkeit viele Besucher anzieht: ein Tasten- und Blasinstrument, das nur über den Computer spielbar ist. Will Peter Neubäcker mit zum Stand von Eigenlabs kommen? Wäre so ein Instrument attraktiv für ihn?
"Nein, ein Instrument als Interface zum Computer zieht mich im Moment gar nicht an."
Na gut, dann geh ich eben alleine rüber, zu dem vollbärtigen Briten John Lambert. Der Mann hatte vor 20 Jahren ein Studio in London, spielte zu Technozeiten Ambient-Musik mit einem Atari ST-Computer, gründete eine der ersten, bald größten Firmen für die Programmierung von Webseiten, verkaufte diese mit hohem Gewinn und machte sich einen Traum wahr: die Entwicklung eines Instruments, was man gern in der Hand hält, gern die Tasten drückt, sie sind druckempfindlich in vier Richtungen, und dem Computer damit Klänge entlockt, wie das mit Maus und Tastatur nie ginge.
Das, was hier nach einer ganzen Band klingt, sind in Wirklichkeit zwei dieser Eigenharps in Aktion – Eigenharfe, in Anlehnung an den 'Eigenwert'. Der Klang kommt aus zwei Computern. Es lassen sich damit praktisch alle bekannten Soundprogramme ansteuern, auch die physikalischen Modelle realer Instrumente, etwa der Klarinette.
John Lambert:
"Wir haben für die Druckknöpfe und die Sensorik allein neun Patente angemeldet. Sie funktionieren auch nach vier Jahren Dauertests hervorragend. Das kleinste unsere drei Instrumente, die Eigenharp Pico, hat darüber hinaus noch vier Umschaltknöpfe und einen Sensorstreifen. Wenn man mit dem Finger an ihm entlang streift, kann man Tonhöhen oder Klänge stufenlos verändern. Und man kann auch rein blasen, um Sounds zu modulieren. Man steckt das Instrument in den Laptop, es wird von ihm mit Strom versorgt. Man kann damit also im Flugzeug oder im Zug sitzen und Musik machen oder komponieren. Es ist auch robust. Wir gingen bei der Entwicklung wie bei einem Mobiltelefon vor. Es übersteht auch 30 Abstürze aus 2,20 Meter Höhe auf Beton."
Diese länglichen neuen Instrumente – sie kommen in drei Größen und kosten ungefähr zwischen 400 und 5000 Euro – kann man nur auf Messen richtig anfassen, nicht im Internet. Kann also sein, dass wir in einem Jahr doch wieder hier her kommen, zur Musikmesse nach Frankfurt am Main.
Jeder Notebook-Computer ist heute in der Lage, ein ganzes Klanguniversum entstehen zu lassen. 20 Kilogramm schwere – und schwer programmierbare – Synthesizer gehören der Vergangenheit an. 99 Prozent aller Musik wird heute, selbst wenn sie der Musiker mit einem anfassbaren Instrument einspielt, im Computer verarbeitet; von den Tausenden Musikstudios haben aus diesem Grund nur einige wenige überlebt.
Zu den letzten Musikmessen sind mehr und mehr Aussteller aus der Branche der digitalen Musik nicht mehr nach Frankfurt gekommen. Man hätte erwarten können, dass sich diesmal Apple wieder blicken lässt, denn es wimmelt auf dem iPhone geradezu von kleinen Programmen zum Musikmachen. Aber Apple meidet Messen immer mehr und setzt lieber auf selbstgemachte Events, die stets auch im Internet stattfinden. Warum auch soll ein Computer-Musiker nach Frankfurt pilgern, um sich über die Stärken einer neuen Musiksoftware zu informieren? Das Internet informiert ihn viel schneller.
Der weißhaarige Brite, der hier einen midi-fizierten, also computertauglich gemachten Flügel testet, wirkt, wie das Instrument selbst, wie aus einer anderen Zeit.
Etwas weiter hinten in derselben Halle 5.1 ist die Hölle los. Hier stellen altehrwürdige Plattenspielerfirmen wie Technics, HiFi-Experten wie Pioneer und Mixer-Hersteller wie Numark ihre 'Decks' vor. Decks, das sind Anlagen für DJs, zum Mischen, zum Cutten, zum Scratchen. Die Digitalisierung ist hier abgeschlossen. Kaum ein DJ bringt mehr Vinyl oder CDs mit auf die Bühne, sondern seinen Notebook-Computer, meist einen von Apple, oder – auch solche Lösungen sind hier auf der Messe zu sehen – nur noch seinen USB-Stick mit einigen tausend Tracks, also: Musikstücken drauf.
An einem winzigen Stand steht ein junger Gitarrist aus Hongkong und spielt ein Fünfsekunden-Solo nach dem anderen auf seiner Gitarre. Warum? Weil er ein Gitarreneffektgerät vorstellt, in welches man den iPod einstecken und zur iPod-Musik jammen kann. Keine wirkliche Innovation – iPod-Halter kennt man seit langem, digitale Effektgeräte noch länger, und die Kombination aus beidem wird in der Szene kein Beben auslösen, auch dass der iPod die Gitarre mit aufnimmt, nicht.
Die große Innovation, die in den letzten Monaten auf dem Gebiet der digitalen Tonbearbeitung passiert ist, wurde nicht auf der Musikmesse bekannt gegeben, sondern kam einfach so auf den Markt, im November. Melodyne Editor heißt das Programm und stellt sich hier in Frankfurt nun einem Messepublikum. Melodyne gibt es schon seit fast zehn Jahren; die Software gehört heute zum Studiostandard, wenn es um das natürliche Nachstimmen von Gesang oder Soloinstrumenten im Computer geht, also Einzelspuren einer digitalen Aufnahme. Melodyne Editor geht nicht einen Schritt weiter, sondern überspringt gleich einige Barrieren und greift in komplexes Tonmaterial ein. Im folgenden Beispiel hören wir Chet Baker "My Funny Valentine" spielen. Das Werk liegt uns nicht in einzelnen Spuren vor, sondern die Trompete ist Teil des ganzen Klangmaterials.
Melodyne Editor untersucht das Stück nun nach Tonhöhen und Klangcharakteristika und stellt sie in Form von Wölkchen auf dem Bildschirm dar. Eines dieser Wolkenvölkchen gehört zu Chet Bakers Trompete, und mit sehr wenig Aufwand können wir sie durch Ziehen mit der Computermaus diese Trompete umstimmen – ohne, und darauf kommt es an, den Rest der Musik, Bass, Schlagzeug und so weiter anzutasten. Lassen wir die Band also weiterspielen, aber stimmen wir die Trompete zum Beispiel einmal ganz langweilig auf einen einzigen Ton.
Die Konsequenzen dieser Idee sind noch gar nicht abzuschätzen. Wem gehört das Copyright für dieses Stück?
Hinter der Idee steckt ein Einzeltäter, Peter Neubäcker aus München. Ich bitte den kleinen Mann mit der langen grauen Mähne und dem freundlichen Blick raus, vor die Halle, wo es etwas ruhiger ist. Wir kennen Melodyne Editor inzwischen ein bisschen und haben auch angefangen, die Grenzen auszuloten. Mit Gesangchören kommt es überhaupt nicht zurecht, und auch mit dem Schlagzeug tut es sich schwer.
Peter Neubäcker:
"Im Moment ist die Software ja dafür optimiert, ein polyphones Instrument, sagen wir eine Gitarre, ein Klavier zu erkennen, nicht aber, wenn zum Beispiel ein Schlagzeug dazu spielt. Dann wird es nämlich schwierig, denn wenn man davon ausgehen kann, dass jedes Anschlaggeräusch auch einem Ton zugehört, wie es bei einem Instrument wäre, ist es natürlich konsistenter, als wenn man versuchen muss, herauszufinden, und das haben wir im Moment noch nicht eingebaut, gehört dieses Attack wirklich zu dem Ton, der dann kommt, oder ist es nur irgendwie dazwischen und stammt von etwas ganz anderem? Im Moment leistet das Programm eine Materialtrennung, so gut wie möglich, es ist aber noch viel zu verbessern, und darüber denken wir natürlich ständig nach."
Da stellt sich die Frage: Arbeiten in Melodyne Algorithmen über Wahrscheinlichkeiten, stochastische Modelle? Denkt das Programm, wir haben hier ein System, eine Komposition, die verhält sich jetzt so, also wird sie sich mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit später so verhalten?
"Nein, gar nicht. Ich würde eher sagen, deterministisch und erkenntnisbasiert. Mit der Statistik habe ich persönlich sogar ausgesprochene Schwierigkeiten, das ist für mich kein gültiger Zugang. Ich glaube, dass die Dinge, mit denen ich umgehe und umgehen will, einen Sinn haben, und diesen Sinn möchte ich herausfinden. Und das kann man über Statistik nicht."
Das ist also die große Erfindung der letzten Monate in der digitalen Musikwelt, Melodyne Editor. Jetzt kommt eine, die schon allein wegen ihrer Ästhetik und Anfassbarkeit viele Besucher anzieht: ein Tasten- und Blasinstrument, das nur über den Computer spielbar ist. Will Peter Neubäcker mit zum Stand von Eigenlabs kommen? Wäre so ein Instrument attraktiv für ihn?
"Nein, ein Instrument als Interface zum Computer zieht mich im Moment gar nicht an."
Na gut, dann geh ich eben alleine rüber, zu dem vollbärtigen Briten John Lambert. Der Mann hatte vor 20 Jahren ein Studio in London, spielte zu Technozeiten Ambient-Musik mit einem Atari ST-Computer, gründete eine der ersten, bald größten Firmen für die Programmierung von Webseiten, verkaufte diese mit hohem Gewinn und machte sich einen Traum wahr: die Entwicklung eines Instruments, was man gern in der Hand hält, gern die Tasten drückt, sie sind druckempfindlich in vier Richtungen, und dem Computer damit Klänge entlockt, wie das mit Maus und Tastatur nie ginge.
Das, was hier nach einer ganzen Band klingt, sind in Wirklichkeit zwei dieser Eigenharps in Aktion – Eigenharfe, in Anlehnung an den 'Eigenwert'. Der Klang kommt aus zwei Computern. Es lassen sich damit praktisch alle bekannten Soundprogramme ansteuern, auch die physikalischen Modelle realer Instrumente, etwa der Klarinette.
John Lambert:
"Wir haben für die Druckknöpfe und die Sensorik allein neun Patente angemeldet. Sie funktionieren auch nach vier Jahren Dauertests hervorragend. Das kleinste unsere drei Instrumente, die Eigenharp Pico, hat darüber hinaus noch vier Umschaltknöpfe und einen Sensorstreifen. Wenn man mit dem Finger an ihm entlang streift, kann man Tonhöhen oder Klänge stufenlos verändern. Und man kann auch rein blasen, um Sounds zu modulieren. Man steckt das Instrument in den Laptop, es wird von ihm mit Strom versorgt. Man kann damit also im Flugzeug oder im Zug sitzen und Musik machen oder komponieren. Es ist auch robust. Wir gingen bei der Entwicklung wie bei einem Mobiltelefon vor. Es übersteht auch 30 Abstürze aus 2,20 Meter Höhe auf Beton."
Diese länglichen neuen Instrumente – sie kommen in drei Größen und kosten ungefähr zwischen 400 und 5000 Euro – kann man nur auf Messen richtig anfassen, nicht im Internet. Kann also sein, dass wir in einem Jahr doch wieder hier her kommen, zur Musikmesse nach Frankfurt am Main.