Susanne Luerweg: Killerspiel oder Kunst? Die Debatte, die sich um die digitale Spiele Kultur rankt ist so alt wie die Games selbst. Sobald ein Anschlag verübt wird, kocht die Diskussion hoch, welches Spiel der Täter zu Hause am PC gezockt hat. "Counterstrike", "World of Warcraft" - alles verdächtig. Aber digitale Spiele sind längst mehr als Folien für Fantasten. Es gibt Filme, die auf Computerspielen basieren, wie "Tomb Raider", "Assassin's Creed" und immer häufiger stoßen Spiele auch politische Debatten an. Gerade ist im Transcript Verlag eine interdisziplinäre Studie erschienen, die sich mit dem Thema digitale Spiele auseinandersetzt. Einer der Autoren ist der Historiker und Bioethiker Arno Görgen und ihn begrüße ich nun zum Corsogespräch. Schönen guten Tag.
Arno Görgen: Schönen guten Tag.
Luerweg: Herr Görgen, legen wir mal gleich mit der politischen Debatte los. Das Computerspiel "Kingdom Come: Deliverance", das sorgte in letzter Zeit für ziemlich großes Aufsehen. Das war nicht nur wegen seiner detailgetreuen und ästhetisch anspruchsvollen Nachbildung des Mittelalters, sondern: Der Spieleentwickler, der hat behauptet, Europa sei im Mittelalter komplett weiß gewesen. Es hätte keine Schwarzen gegeben. Da sagen jetzt die Verteidiger: Mensch, ist doch nur ein Spiel. Ist das so simpel? Kann man das sagen, ist doch nur ein Spiel?
Wir haben noch länger mit Arno Görgen gesprochen -
Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
Görgen: Ganz so einfach ist es nicht. Wenn man ein Spiel nimmt und einen Authentizitätsanspruch an das Spiel stellt und dann durch die Hintertür möglicherweise ideologische Untertöne einschmuggelt, ist das durchaus problematisch, besonders aus Sicht der Geschichtswissenschaften. Gerade bei "Kingdom Come: Deliverance " ist es so, dass ja durchaus behauptet wird, es würde eine realistische Darstellung des Mittelalters geliefert. Aber die ist ja aus der heutigen Sicht eigentlich nicht mehr möglich. Man hat ja immer eigentlich nur eine Interpretation des Mittelalters. Und diese Interpretation, die kann niemals zu 100 Prozent authentisch sein.
"Es gibt eine ethische Verantwortung"
Luerweg: Aber das ist ja generell das Problem bei Geschichte und auch bei Dingen, die Geschichtsbilder prägen, wie Spielfilme und inzwischen - würden Sie mir da zustimmen? - auch Games.
Görgen: Richtig, auch gerade bei Games, gerade weil dort dieser Authentizitätsanspruch auch ein Werbemittel ist, mit dem an die Massen herangetreten wird. Ein anderes Beispiel ist "Battlefield I", das, ich glaube, letztes Jahr erschienen ist. Auch hier wird ein Realitätsversprechen gegeben, das letztlich in der Form nicht haltbar ist. Hier kommt dann noch dazu, dass natürlich eine Diskrepanz, beispielsweise zwischen dem Leiden von Soldaten und dem Spiel-Spaß, der versprochen wird, entsteht - auch das ist aus Sicht der Geschichtswissenschaften oder der Politikwissenschaften höchst kritisch zu sehen.
Luerweg: Aber was heißt das denn jetzt in der Schlussfolgerung? Also bedeutet das nicht, dass auch die ethische Verantwortung von Spieleentwicklern inzwischen sehr viel größer ist als angenommen?
Görgen: Richtig. Es gibt eine ethische Verantwortung. Es würde schon ein guter Anfang sein, wenn man transparent dazu stehen würde, dass es sich einfach um eine Interpretation handelt oder eine künstlerische Ausgestaltung, die möglicherweise in geschichtlichen Fakten basiert oder aufgesetzt wird, aber die sich auch gleichzeitig von diesen Fakten löst. "Assassin's Creed Origins", was jetzt vor Kurzem erschienen ist, geht diesen Weg und sagt: Wir wissen nicht alles über das alte Ägypten. Dort, wo Lücken sind, haben wir auch mal zugunsten der Kunst entschieden und frei interpretiert und beispielsweise das Spiel diverser gestaltet, als es möglicherweise im alten Ägypten war.
Entwickler wollen Kunden nicht verlieren
Luerweg: Was würden Sie denn sagen, Herr Görgen, hat das zugenommen, dass letztendlich Games politische Botschaften durch die Hintertür versuchen dem Spieler unterzujubeln? Also man denke jetzt nur an den nächsten Teil der "Far Cry"-Reihe, der diesmal in Amerika spielt und da soll dann der Spieler gegen eine Sekte weißer religiöser Fanatiker kämpfen. Oder "Wolfenstein" - "Make America Nazi-Free Again" - versucht man da, etwas zu transportieren, was vielleicht am Anfang der digitalen Spielekultur so noch nicht vorhanden war?
Görgen: Ich weiß nicht, ob das am Anfang noch nicht vorhanden war. Aber es stimmt, dass diese politischen Inhalte sehr viel stärker in den Vordergrund treten. Gleichzeitig ist es bei vielen Spielen so, dass dann von Seiten der Entwickler beschwichtigt wird, dass es sich nicht um politische Spiele handle, dass das Spiele sind, die nur dem Spaß dienen. Und aus diesem Widerspruch erwächst eigentlich das Problem, dass man möglicherweise Zielgruppen verärgern könnte mit politischen Nachrichten.
Luerweg: Ja, das heißt ja so ein bisschen, wenn ich Sie richtig verstehe: Man opfert quasi die Seriosität zugunsten von, sage ich mal, Verkäufen. Also lieber keinen verärgern und lieber so tun, als wäre alles nur ein Spiel und sonst nichts, oder?
Görgen: Ganz genau. In "The Division" ist es so, also das ist ein Spiel, das vor zwei Jahren erschienen ist - in diesem Spiel ist in New York eine Pocken-Epidemie ausgebrochen und ganz Manhattan wird abgeriegelt und man muss in so einer "Law-and-Order"-Politik als Schläfer-Agent sich durch diese Stadt kämpfen und wieder die Ordnung herstellen. Allein schon diese Kurzzusammenfassung zeigt, dass das eigentlich ein hochpolitisches Thema ist. Ubisoft, der Entwickler, hat damals aber verlautbaren lassen, dass es eben kein politisches Spiel ist und es werden keine Messages weitergegeben - aus der Angst heraus, dass man dadurch Kundschaft vergraulen könnte.
Frauenbild etwas realistischer
Luerweg: Und in Zeiten wie diesen kommen wir nicht ohne die Gender-Debatte aus. Da gab es ja diesen sogenannten Gamer-Gate-Skandal, der liegt ein paar Jahre zurück. Und auch das ist Thema in dem Buch: "Wie werden Frauen in Computerspielen heutzutage dargestellt?", fragt Hannah Fink. Die Situation hat sich nicht grundlegend verbessert, wenn ich den Aufsatz richtig verstehe.
Görgen: Ja, das ist auch mein Eindruck. Was man einerseits hat, ist natürlich in der Industrie selbst, da fängt es schon an: Man hat relativ wenige Entwicklerinnen, die Spiele schreiben. Das wird, meiner Meinung nach, langsam besser. Es gibt vielleicht sogar eine kleine Szene, die sich da entwickelt. In den Spielen selbst ist es weiterhin so, dass Frauen übersexualisiert dargestellt werden. Aber auch hier gibt es aber zunehmend Spiele, die sich um eine realistische Darstellung von Frauenbildern bemühen, beispielsweise das Spiel "Life Is Strange".
Luerweg: Arno Görgen Mit-Autor der aktuellen interdisziplinären Studie "Digitale Spiele", die im Transcript Verlag erschienen ist zum Stand der Forschung. Herr Görgen, vielen Dank für das Corsogespräch.
Görgen: Ja, vielen Dank auch. Und tschüss aus Ulm.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Christoph Hust (Hrsg.): Digitale Spiele. Interdisziplinäre Perspektiven zu Diskursfeldern, Inszenierung und Musik.
Transcript Verlag, 422 Seiten, 34,99 €.
Transcript Verlag, 422 Seiten, 34,99 €.