Dirk-Oliver Heckmann: Am kommenden Donnerstag stimmt der Bundestag über ein Gesetz ab, das das Gesundheitswesen erheblich verändern könnte. Sein Name: Digitales Versorgungsgesetz. Gesundheitsminister Jens Spahn von der CDU will es Patientinnen und Patienten möglich machen, Gesundheits-Apps auf Rezept zu erhalten, Online-Sprechstunden zu nutzen und auf das Datennetz im Gesundheitswesen zuzugreifen, bis hin zur lange erwarteten Elektronischen Patientenakte. Schon heute benutzen viele Patienten ja Apps, die helfen, Medikamente regelmäßig zu nehmen, oder, mit denen der Blutzucker dokumentiert werden kann. Die Kosten dafür sollen in Zukunft die gesetzlichen Krankenkassen tragen.
Am Wochenende ist aber auch ein Teil des Gesetzes bekannt geworden, der bei vielen Bauchschmerzen verursachen könnte. Spahns Gesetz sieht nämlich vor, dass die Daten der 73 Millionen gesetzlich Versicherten künftig an die Forschung weitergeleitet werden sollen - und das, ohne ihr Einverständnis einzuholen.
Maria Klein-Schmeink ist jetzt am Telefon. Sie ist gesundheitspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. Schönen guten Morgen.
Maria Klein-Schmeink: Guten Morgen!
Heckmann: Frau Klein-Schmeink, weshalb haben Sie damit ein Problem?
Klein-Schmeink: Grundsätzlich ist es ja richtig, Daten der Versichertengemeinschaft und der Versicherten und Patienten für die Forschung zugänglich zu machen. Das nützt ja für die Weiterentwicklung von Behandlungsmöglichkeiten und so weiter. Aber das muss natürlich unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte und der Selbstbestimmungsrechte passieren, und im Gesetz hat Herr Spahn eine Regelung vorgesehen, nach der ein großer Datenpool entstehen wird, weil alle Krankenkassen die Klardaten ihrer Versicherten an den Spitzenverband der Krankenkassen weiterleiten müssen. Da entsteht ein Pool und von da wird dann pseudonymisiert weitergeleitet an eine Forschungsstelle. Wir halten dieses Vorgehen so unter der Hand mal eben für einen weitreichenden Schritt, der nicht diskutiert worden ist, der auch keine wirklich klare Einschätzung durch den Datenschutzbeauftragten und alle Stellen für uns als Gesundheitspolitiker deutlich sichtbar macht, und da denken wir, so kann man das nicht machen, sondern man muss sicherstellen, dass die Versicherten erstens informiert sind und zweitens Widerspruchsmöglichkeiten haben.
"Haben keinerlei besondere Schutzregelung, die vorgesehen ist"
Heckmann: Frau Klein-Schmeink, Sie haben es selber gerade gesagt: Die Daten werden pseudonymisiert der Forschung zur Verfügung gestellt, das heißt faktisch anonymisiert. Weshalb haben Sie damit ein Problem?
Klein-Schmeink: Faktisch ist Pseudonymisierung und Anonymisierung ein Unterschied. Das muss man klar sehen. Es ist durchaus möglich, bei Pseudonymen auch wieder eine Rückverfolgung herzustellen. Deshalb braucht man ja auch die Vertrauensstelle dazwischen. Wir haben aber große Bedenken damit, dass vorab eben nicht eine Pseudonymisierung schon vonseiten der Krankenkassen bei der Weiterleitung passiert, sondern anders als heute wird das so geregelt, dass Klardaten der Versicherten an diese Stelle kommen, und damit entsteht erstmals im deutschen Gesundheitswesen ein Datenpool mit Klardaten der Versicherten, wo wir noch nicht mal als Gesetzgeber genau wissen, was genau an Daten da enthalten sein wird, weil das wird über eine Rechtsverordnung geregelt, die nur das Ministerium dann veranlassen wird.
Heckmann: Welche Gefahren sind damit konkret verbunden aus Ihrer Sicht, Frau Klein-Schmeink, wenn dieser große Datenberg entsteht? Das haben wir verstanden. Aber man könnte sich ja auch hinstellen und sagen, mir doch egal.
Klein-Schmeink: Wenn es um Versichertendaten und Klardaten geht, mit der Versichertennummer gibt es ja eine unmittelbare Rückverfolgung auf den Versicherten, und da geht es um Krankendaten, das heißt, es geht um meine Behandlungsdaten, das sind äußerst sensible Daten, die nicht auch nur ansatzweise in die Gefahr kommen dürfen, dass sie von irgendwem gehackt werden könnten oder irgendwie anderweitig missbraucht werden könnten. Wir haben keinerlei besondere Schutzregelung, die vorgesehen ist. Wir haben erstmalig dann auch tatsächlich die Möglichkeit, dass an einer Stelle alle Versichertendaten, und zwar mit den wirklich personenbezogenen Daten, dann vorhanden wären, und das sehen wir ausgesprochen kritisch.
Heckmann: Das Gesundheitsministerium, Frau Klein-Schmeink, hat auf Ihre Kritik bereits reagiert und diese Kritik zurückgewiesen und sichert einen restriktiven Umgang mit Patientendaten zu. Sie haben es gerade auch schon anklingen lassen: Eine Verordnung ist geplant, wo dann dieser Datenschutz gewährleistet werden soll.
Klein-Schmeink: Einmal gibt es keinerlei Erläuterung des Ministeriums dazu, warum wir abweichend zu bisherigen Verfahren diese Klardaten an den Spitzenverband weiterleiten. Das ist heute nicht der Fall und es ist in dem Sinne auch ein bedeutender neuer Schritt, der nicht erläutert wird. Das ist das eine.
Das Zweite ist, dass wir erst mit einer Rechtsverordnung dann genauer wissen, wie damit umgegangen wird. Diese Rechtsverordnung ist für den Gesetzgeber, nämlich den Bundestag nicht einsichtig, sondern das macht das Ministerium alleine.
Sozialdaten der Menschen müssen wirklich sicher sein
Heckmann: Und da wollen Sie mitreden?
Klein-Schmeink: Das halten wir für in einer so wichtigen Frage, einer so sensiblen Frage für einen nicht gehbaren Weg und gangbaren Weg. Wir rufen da alle Fraktionen auf, da wirklich sorgfältig umzugehen. Wir finden es ausgesprochen wichtig, dass wir mit der Forschung vorankommen, aber wir müssen jederzeit und gleichzeitig sicherstellen, dass die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland darauf vertrauen können, dass ihre Sozialdaten dann auch wirklich sicher sind.
Heckmann: Sie haben es gesagt: Die Weiterleitung dieser Daten soll ja auch dazu dienen, vor allem die Wissenschaft voranzubringen. Womöglich kann die Behandlung von chronisch Kranken verbessert werden. Vielleicht werden sogar neue Heilmethoden für schwere Krankheiten entwickelt. Müssen vor diesem Hintergrund nicht datenschutzrechtliche Bedenken etwas zurücktreten, auch wenn sie wichtig sind?
Klein-Schmeink: Wir müssen ja fragen, ob die Zielsetzung, die damit verfolgt werden soll, so überhaupt gewährleistet werden kann, und auch da haben viele Wissenschaftler uns gesagt, es nützt überhaupt nichts, wenn wir ein Datengrab haben, wo wir nicht qualifiziert mit den Daten dann umgehen können. Von daher stellen wir auch dieses Verfahren infrage, wo nicht vorher mit der Forschungsgemeinschaft genauer geguckt worden wäre, was brauchen wir eigentlich, wie können wir das realisieren und in welchem Kontext realisieren wir das. Wir mussten ja sogar erleben, dass nicht mal die Unikliniken in dem Kreis derer, die forschen dürfen, dann aufgenommen sind in der Liste. Das zeigt schon, dass insgesamt die Verankerung in der Forschungsgemeinschaft und sehr genau zu gucken, was wollen wir damit erreichen, um tatsächlich die Forschung zugunsten der Patientinnen und Patienten zu verbessern, das sehen wir so nicht gewährleistet. Von daher rufen wir wirklich dazu auf, diese Gesetzespassage zu überarbeiten.
"Die Beratung ist noch nicht abgeschlossen"
Heckmann: Sie rufen dazu auf. Am Donnerstag aber soll der Bundestag bereits abschließend beraten. Denken Sie denn, dass es eine Chance gibt, aus Ihrer Sicht, das Gesetz in Ihrer Absicht zu verändern?
Klein-Schmeink: Wir haben das ja öffentlich gemacht. Das ist das eine. Und wir sind ja auch nicht die Einzigen, die das tun. Auch der Bundesrat hat das angemahnt. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat seine Bedenken angemahnt und auf Twitter verkündet, dass es dazu auch noch ein Schreiben geben wird. Ich finde es ein bisschen spät, muss ich sagen, weil ich hätte mir das dann natürlich eher gewünscht. Aber trotzdem: Wir sind noch in der Beratung. Die Beratung ist noch nicht abgeschlossen. Dafür haben wir eine zweite und dritte Lesung. Deshalb hoffe ich, dass die Fraktionsmitglieder der Regierungsparteien im Gesundheitsausschuss da noch mal sehr genau hinschauen und eine Veränderung vornehmen, und es wäre ein leichtes, die Pseudonymisierung dann gesetzlich zu verankern. Das ist lediglich eine Klarstellung, die gemacht werden müsste.
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