Zwei junge Frauen in der CDU. 37 Jahre alt die eine, 38 die andere. Als Angela Merkel vor bald 21 Jahren CDU Vorsitzende wurde, waren beide noch nicht wahlberechtigt. Jetzt geht es um das Erbe der einstigen Vorsitzenden und scheidenden Bundeskanzlerin. Die beiden jungen Frauen wollen daran mitwirken, die Weichen für die Zukunft ihrer Partei zu stellen – in ganz unterschiedliche Richtungen.
"Ok, ich bin die Dominique Emerich. Ich bin seit über 20 Jahren politisch aktiv. Und mittlerweile im Landesvorstand der CDU, also das höchste Gremium von Baden-Württemberg. Und ich habe Anfang des Jahres die Initiative "Wir Frauen für Friedrich Merz" gegründet", sagt Dominique Emerich.
Sie ist Rechtsanwältin in Konstanz, Spezialgebiet: Wasserecht für Grundstückseigentümer mit eigenem Seezugang am Bodensee. Am 14. März kandidiert Emerich selbst bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg. Ihr Lebensgefährte ist Tilman Kuban, der Bundesvorsitzende der Jungen Union.
Die Nachwuchsorganisation der Partei hatte sich bei einem Mitgliedervotum Anfang November für Friedrich Merz als neuen CDU-Chef ausgesprochen. Die andere junge Frau, die das verhindern will, sitzt in Linz am Rhein zum Videointerview vor ihrem Bildschirm:
"Mein Name ist Ellen Demuth. Ich bin 38 Jahre alt. Ich komme aus dem Rheinland, aus Rheinland-Pfalz. In der CDU bin ich Abgeordnete im Landtag von Rheinland-Pfalz. Und sehr aktiv im Team von Norbert Röttgen."
Ellen Demuth ist bereits seit neun Jahren Mitglied im Landtag von Rheinland-Pfalz. Nach dem Betriebswirtschaftsstudium hatte sie zuvor in einer Stadtverwaltung gearbeitet. Die alleinerziehende Mutter ist Katholikin, Mitglied im Karnevalsverein, stellvertretende Vorsitzende des CDU Bezirksverbandes Kobelnz-Montabaur. Norbert Röttgen hat sie als "Chefstrategin" seines Teams auf die bundespolitische Bühne geholt.
Die zwei Richtungen
Ellen Demuth und Dominique Emerich stehen nicht nur für zwei verschiedene Kandidaten im Wettstreit um den CDU Vorsitz, sondern auch für die ganz unterschiedlichen politischen Ziele, Strategien und gesellschaftlichen Idealbilder, zwischen denen sich die CDU bei der Wahl am Samstagvormittag entscheiden muss. Eigentlich – bevor der Parteitag auf eine rein digitale Wahlversammlung reduziert wurde - sollte die Personalentscheidung auch mit einer symbolträchtigen Sachabstimmung verbunden werden, nämlich über den Vorschlag, eine Quotenregelung für die Besetzung von Parteiämtern und Wahllisten in der CDU einzuführen.
"Die reine, reine Quote sehe ich überhaupt nicht so", sagt die Merz-Unterstützerin Emerich:
"Sie müssen auch bedenken, die Ämter sind immer besetzt von Männern. Ja, das heißt, wenn ich jetzt Handwerker wäre, männlich, und wäre Quereinsteiger, hätte ich ja gar keine Chance in der CDU jetzt irgendwie ein Amt zu bekommen. Und das finde ich per se schon als Männerdiskriminierung. Es steht außer Frage, dass wir zu wenig Frauen haben, aber ich glaube, da mit anderen Ansatzpunkten angehen und nicht per se über Quoten."
Dominique Emerich gehört zu einer Generation von jungen Frauen, die besonders das Bild der Jungen Union in den Merkel-Jahren geprägt haben: selbstbewusst konservativ, entschieden gegen "diese Quote" und das, was in weiten Teilen der Jugendorganisation mit "Genderwahn" und linksliberalem Mainstream in Verbindung gebracht wird.
"Ich stehe auf der anderen Seite", sagt dagegen die Röttgen-Unterstützerin Ellen Demuth:"Ich habe die Quotenentscheidung in der Struktur- und Satzungskommission befürwortet. Ich setze mich seit langem in der Partei dafür ein, dass es mehr Beteiligung von Frauen gibt. Und wenn nötig auch die Krücke einer Quote nutzen, um diese umzusetzen. Ich glaube, dass wir uns stärker öffnen müssen, um die Gesellschaft zu erreichen. Mehr abbilden müssen, wie die Gesellschaft draußen aussieht, welche Realitäten sich dort abbilden. Und die müssen wir auch in die Partei übertragen."
Seit Monaten nun mobilisieren Ellen Demuth und Dominique Emerich in einem Wettkampf, wie es ihn nie gegeben hat, für ihre unterschiedlichen Favoriten.
Wie sich die drei Kandidaten sehen
"Wir haben ab heute die Alternative zwischen Kontinuität und Aufbruch und Erneuerung", so hat Friedrich Merz die Wahl stilisiert.
"Was bringe ich mit für den Job, wie Sie ihn nennen? Eine ordentliche Ausbildung, Erfahrung in Sieg und Niederlage. Beides formt den Politiker", erklärt Norbert Röttgen.
"Ich bringe berufliche und politische Erfahrungen aus zwei Parlamenten, berufliche Erfahrungen national und international mit ein" - so beschreibt sich Friedrich Merz weiter.
"Ich bin Teamplayer. Und deshalb trete ich an im Team mit Jens Spahn. Wir waren nicht immer einer Meinung, aber CDU ist Zusammenhalt", sagt NRW-Ministerpräsident Armin Laschet über sich und seinen Teamkollegen.
In Videokonferenzen mit Orts- und Kreisverbänden, Gesprächen mit den wichtigen Interessenverbänden und sozialen Gliederungen der Partei, auch mit Telefonaktionen haben die drei Kandidaten für sich und ihren jeweiligen Kurs geworben.
Aber nicht alle in der CDU haben in den vergangenen Monaten den digitalen Wahlkampf auf Webex, Skype, Zoom, Twitter und Facebook mitgemacht.
Bernhard Vogel, ehemaliger Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Thüringen, hält sich klassisch, über das Telefon aus seiner Wohnung in Speyer, über das Geschehen in seiner Partei auf dem Laufenden. Mit dem Digitalen sei er nicht so vertraut, sagt der 88-Jährige. Aber es wird eben auch viel telefoniert in diesen Tagen und die Stimmen der Altvorderen haben Gewicht in der CDU. Zum ersten Mal wird Bernhard Vogel nicht mehr selbst als Delegierter an der Abstimmung teilnehmen.
Er sagt: "Trotzdem erlaube ich mir für den Kandidaten Sympathie zu haben, der erfolgreich Wahlkämpfe zu führen versteht, der über Regierungserfahrungen in einem großen Land der Bundesrepublik verfügt. Und der eben für mich die Chance Fortsetzung und Neubeginn in seiner Person zu vereinen ausweißt. Das ist der Armin Laschet, aber ich betone ausdrücklich, ich votiere für ihn, nicht weil ich gegen die beiden anderen Kandidaten bin, sondern weil ich ihn unter der jetzigen Situation für den geeignetsten Kandidaten halte."
Das "Weiter so" als besondere Qualität
Was andere Armin Laschet als bloßes "Weiter so" vorhalten, ist für Bernard Vogel eine der Qualitäten des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten. Vor allem in der Flüchtlingskrise 2015/16, die in der CDU nach wie vor als innerparteiliches Schleudertrauma nachwirkt, stand Laschet fest an der Seite der Kanzlerin. Nach Bernhard Vogels Einschätzung könnte sich Treue zu Merkel für die Partei auch in Zukunft noch auszahlen.
Vogel erklärt: "Ich nehme an, dass die Sympathie für Sie, wenn sie endgültig ausgeschieden sein wird, eher noch zunehmen wird. An diese Kontinuität muss der neue Parteivorsitzende anknüpfen und darf die nicht relativieren oder gar in Frage stellen. Kontinuität und Neubeginn sind gleichermaßen gefragt, nicht das eine oder das andere."
Noch vor einem Jahr war das in der CDU keineswegs so konsensfähig wie heute. Als "grottenschlecht" hatte Friedrich Merz die Perfomance der Bundesregierung kurz vor dem letzten Parteitag Ende 2019 abgekanzelt. Umfragen wie der ARD Deutschlandtrend stellten auch Anfang 2020 einen fortschreitenden Vertrauensverlust fest:
"Keine der Parteien können aktuell Lösungen in diesem Bereich Zuwanderung finden, als jeder fast vierte Deutsche. Und das ist eine Tendenz, die wir in allen Politikfeldern entdecken, die Koalitionsparteien, die verlieren an Vertrauen in ihre Problemlösungskompetenz. Die Oppositionsparteien können teilweise davon profitieren. Aber vor allem gibt es in allen Feldern die Bewegung, dass immer mehr Menschen sagen, keine der Parteien, die im Bundestag vertreten sind, können diese Probleme wirklich lösen", heißt es damals in Deutschlandtrend.
Als AKK den Rücktritt ankündigte
Annegret Kramp-Karrenbauer war da gerade ein Jahr als Nachfolgerin Angela Merkels im Amt. Hin und Her gerissen zwischen den Flügeln der Partei, getrieben von der offenen Frage nach der Kanzlerkandidatur, Heckenschützen im Rücken, die Kanzlerin nicht als Beschützerin vor sich, ließ sich Kramp-Karrenbauer zermürben – und trat am 10. Februar den Rückzug an:
"Ich werde mich nicht um eine Kanzlerkandidatur bewerben", erklärte Kramp-Karrenbauer.
Seitdem ringt die CDU nun zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren auf offener Bühne um das Erbe Angela Merkels. Norbert Röttgen hatte als erster seine Kandidatur erklärt: "Es geht um die politische, also personelle und inhaltliche, strategische Positionierung der CDU", begründete Röttgen damals seine Kandidatur.
Die erste Überraschung aber war nicht eine Kandidatur, sondern ein Verzicht. Jens Spahn hatte 2018 noch selbstbewusst seinen Hut für die Merkel-Nachfolge im Parteivorsitz in den Ring geworfen. Jetzt ließ er sich von der Sorge bewegen, ein erneuter Machtkampf um den Vorsitz werde die Partei zerreißen.
"Wir befinden uns als CDU, als christlich-demokratische Union, in der größten Krise unserer Geschichte. Eine Krise des Vertrauens, des Zusammenhalts und der Zuversicht", sagte Spahn.
Fast auf den Tag genau fiel die Erklärung des Bundesgesundheitsministers mit der Ankunft der Corona-Pandemie auf der politischen Agenda zusammen. Spahn gewann als ernsthafter Krisenpolitiker im Regierungsamt an Profil. Friedrich Merz witterte unlauteren Wettbewerb. Armin Laschet gab sich unbeeindruckt:
"Ich sage mal, im richtigen Leben würde man vielleicht von einer Kartellbildung zur Schwächung des Wettbewerbs sprechen", sagte Merz.
"Also, Noten erteilen wir jetzt nicht über Mitbewerber", erwiderte Laschet.
Die Wunden des Wettbewerbs
Ein dreiviertel Jahr später, nach mehrfacher Verschiebung des Wahlparteitages wegen der Pandemie fühlen sich viele in der Sorge bestätigt, der neue Wettbewerb um den Vorsitz könne Wunden hinterlassen, die sich lange nicht heilen lassen. Einer von ihnen ist Peter Tauber. Bis Anfang 2018 war er Generalsekretär seiner Partei. Im Herbst tritt er nicht noch einmal zur Bundestagswahl an. Der promovierte Historiker sucht ein anderes Leben jenseits der Politik, vielleicht in der Wissenschaft. Die hohe Belastung in der Spitzenpolitik, Machtkämpfe, persönliche Angriffe hatten auch an seiner Gesundheit gezehrt.
"Wir fangen teilweise in der CDU an, über den jeweils anderen, den man nicht selber präferiert, so abfällig zu reden, dass man am Ende sich fragt, das kann doch nicht sein, dass wir in der Partei so über Spitzenleute reden", sagt Tauber.
Vor allem Friedrich Merz hat das Rad nach Taubers Ansicht in diesem Wahlkampf überdreht. Merz hatte vor allem ostdeutsche Landesverbände, Wirtschaftsliberale, einen großen Teil der Jungen Union und die Spitze der baden-württembergischen CDU auf sich eingeschworen und sich als Kämpfer gegen ein verkrustetes Parteiestablishment inszeniert.
"Die spannende Frage ist doch eigentlich, wer ist mit seinen Fähigkeiten in dieser Zeit der geeignete Mann? Und nicht diese wie es leider auch Anhänger von Friedrich Merz machen, die dann über Armin Laschet und Norbert Röttgen und auch Jens Spahn in einer Art und Weise reden, wo ich sage, das geht überhaupt nicht", meint Ex-Generalsekretär Tauber.
Das Merz-Klientel
Wie sehr der Wettbewerb um den Vorsitz auch ein Kampf um die Seele der CDU ist, erleben auch die beiden Unionspolitikerinnen Dominique Emerich und Ellen Demuth bei ihren Unterstützungskampagnen für Merz und Röttgen. "Wahnsinn" sei es, sagt Dominique Emerich, wie Merz an der Basis mobilisiere. In ihrem Frauennetzwerk für Friedrich Merz gehe es dabei immer wieder auch um eine Abrechnung mit der Politik der vergangenen 16 Jahre.
Emerich sagt: "Die Unzufriedenheit mit dem Merkel Regime, nenne ich es jetzt einmal oder einfach dieses…ich meine, es ist nur ein Akt der Humanität, keine Frage. Man hätte die Kommunikation mit Europa hätte halt anders laufen müssen zur Flüchtlingszeit. Ich glaube, das ist das was die Leute vorwerfen und wo es auch eine klare Kante von jemand haben möchte, vom Politiker."
Emerich ist überzeugt, dass es Merz wie keinem anderen der drei Kandidaten gelingen könne, auch Frauen für die CDU zu gewinnen. In ihrem Netzwerk für Merz ist von klaren Worten, Mut zu unpopulären Entscheidungen, christlichen Werten und männlicher Stärke die Rede. Das Spektrum reicht bis zur rechtskonservativen Basisvereinigung Werteunion.
"Ich wollte bewusst keine Leute von der Werteunion auf meiner Seite der Frauen haben. Ich habe aber trotzdem einige. Und das sind schon die klassischen Wähler, wo ich überzeugt bin, dass, wenn es Merz wird, die wieder bei der Stange sind", sagt Emerich.
Das Röttgen-Klientel
Ein ganz anderes Spektrum von Wählerinnen spricht Ellen Demuth an, wenn sie für Norbert Röttgen wirbt.
"Ich bin Mitglied in verschiedenen Frauennetzwerken über die Partei hinaus, gesellschaftlichen Frauennetzwerken, wo junge Frauen aus allen Teilen der Gesellschaft sind. Also, zwischen 30 und 45 Jahren sind die alt. Sie arbeiten als Ärztinnen im Krankenhaus, in der Wissenschaft, in den Schulen, in den Unternehmen. Und wir treffen uns regelmäßig und tauschen uns aus. Und wenn ich dort für Frauenpolitik, für Quote, für mehr Gleichstellung, auch für Infrastruktur, für Familie und Kinder eintrete, dann sagen die, ja, so jemand wie Dich wollen wir lauter in der CDU hören", sagt Demuth: "Viele sagen mir aber auch, sie haben Sorge, wenn Angela Merkel weg ist, dass es in der CDU nicht mehr so stark vorkommt. Und sagen mir auch, wir wissen noch nicht, ob wir zukünftig weiter CDU wählen."
Wie weit aber kann der Spagat reichen, mit dem die CDU als Volkspartei diese ganz unterschiedlichen Wählerinnen und Wähler in einer immer heterogeneren Gesellschaft erreicht? Friedrich Merz hatte seine Kampagne im Februar mit dem Versprechen gestartet, einen erheblichen Teil der an die AfD verlorenen Wähler in der Mitte des politischen Spektrums zu reintegrieren. Merz sagt:
"Deswegen möchte ich antreten mit der Zusage: Wir holen einen großen Teil dieser Wählerinnen und Wähler zurück. Das ist kein Rechtsruck, sondern das ist zurück in die Mitte und zurück dort, wo die Stammwähler der Union mal waren und wo sie leider uns verloren gegangen sind."
Der Aggregatzustand des Landes
Der politische und seelische Aggregatzustand des Landes aber hat sich seitdem verändert. In der Pandemie gewann Angela Merkel verlorenes Vertrauen für sich und ihre Partei zurück. Das ZDF Politbarometer zeigte im Frühjahr, die Krisenkanzlerin ist wieder da.
Für die CDU wird es mehr als vor einem Jahr zunächst wieder darum gehen, die Zustimmungswerte zu sichern, die ihr am Ende der Ära Merkel noch einmal zugewachsen sind. Vor diesem Hintergrund werde die CDU um Entscheidungen nicht umhinkommen, glaubt Nico Siegel vom Wahlforschungsinstitut infratest/dimap.
Er sagt: "Man wird nicht alles zugleich machen können. Einerseits jüngere städterische Wählerinnen und Wähler mit einem attraktiven Politikangebot ansprechen können, und gleichzeitig diejenigen, die gerne zurück würden zum Nationalstaat der 1970/1980er Jahre."
Die CDU und die Mitte
Siegel weist auf den Kursschwenk der CSU unter ihrem Vorsitzenden Markus Söder hin, der seine Partei ganz darauf einstellte, die Abdrift jüngerer und urbaner Wähler zu den Grünen zu stoppen, anstatt sich um die Rückgewinnung von Boden am konservativen Rand zu bemühen.
"Damit folgte er eigentlich einem Rat, den die meisten empirischen Wahlforscher, Politikforscher, Demoskopen im Endeffekt der CDU rein aus statistischen Gründen geben müssen. In der Mitte des politischen Spektrums ist einfach deutlich mehr zu gewinnen, als man unter Umständen zurückgewinnen könnte an ehemaligen Wählern, die mittlerweile zur AfD abgewandert sind. Diese Abwanderungspotentiale sind natürlich auch nicht so einfach zurückzugewinnen", sagt Siegel: "Sie sind sehr unterschiedlich [*] aufgestellt. Da gibt es harsche Kritiker in der Europäischen Union. Harsche Kritiker einer Zuwanderungspolitik, die selbst die CDU so programmatisch beschreibt. Und insofern ist die parteistrategische Orientierung ein Kurs der modernen Mitte, und das ist ja der Anspruch auch der CDU programmatisch, deutlich plausibler, als der Versuch, oder der einseitige Versuch, im rechten Spektrum die AfD zu schwächen, dadurch, dass man Positionen von ihr einnimmt."
Ob es am Ende solche strategischen Überlegungen sind, die die 1.001 Delegierten der CDU bei der Abstimmung am Samstagvormittag leiten werden, wagt kaum ein Kenner der Partei mit Gewissheit vorherzusagen. Parteitage haben ihre ganz eigene Dynamik. 2018 waren es die Reden, die im knappen Stichentscheid zwischen Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz den Ausschlag gaben. Peter Tauber erinnert sich an die damalige Stimmung in der Hamburger Messehalle – und weiß nur, dass dieses Mal alles anders sein wird, wenn erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ein Parteivorsitzender auf einem rein digitalen Parteitag gewählt wird.
Tauber sagt: "Das war eben spürbar im Saal. Da haben die Delegierten sich angeschaut: Meine Güte ist die heute gut. Und da hat Friedrich Merz eher so: Was ist denn heute mit ihm. Den kennen wir doch ganz anders. Und diese Stimmung, die mögen sie vielleicht individuell am Rechner wahrnehmen, aber ob das zu einem Umdenken in ihrer Wahlentscheidung, die sie ja dann auch noch per Briefwahl treffen, sie können also danach noch mit fünf Freunden telefonieren. Was diese Effekte wirklich machen, bei der Abstimmung, da tue ich mir ganz schwer mit einem Urteil. Deswegen ist das wirklich etwas ganz Neues, was die CDU da versucht und sehr sehr spannend, wie ich finde."
Die K-Frage bleibt unbeantwortet
Und die Spannung wird bleiben. Denn wenn die CDU ihren neuen Vorsitzenden gewählt hat, wird nach wie vor genau die Frage unbeantwortet im Raum stehen, die Annegret Kramp-Karrenbauer als einen der quälenden Faktoren für ihren Rückzug benannt hatte: Wird der CDU Vorsitzende auch als Kanzlerkandidat der Unionsparteien in den Bundestagswahlkampf ziehen? Der nächste Machtkampf und die erste Bewährungsprobe für den neuen Vorsitzenden zeichnet sich also bereits ab. Auch Bernhard Vogel zögert zunächst, welchen Rat er der neuen Parteiführung geben würde.
"Wohl mehr spricht nach meiner Überzeugung dafür, da nichts zu schnell zu entscheiden sondern möglicherweise erst nach den Landtagswahlen vom März", sagt Vogel.
Auch die Pandemie kann in den kommenden Wochen noch einmal alles verändern. Und ohnehin haben selbst hartgesottene Politiker in den vergangenen Jahren gelernt, dass fast alles, was einst als eherne Gesetzmäßigkeit der Politik galt, in dieser Zeit kaum noch Verlass bietet.
"Meine politische Erfahrung der letzten Jahre sagt mir eigentlich, dass Vieles nicht vorstellbar ist und meistens geschieht es dann", sagt Peter Tauber.
Der digitale Parteitag der CDU beginnt am Freitagabend. Volker Bouffier, der hessische Ministerpräsident, wird die Abschiedsrede auf die scheidende Vorsitzende Annegret Kramp Karrenbauer halten. Es wird Grußworte der Bundeskanzlerin, des CSU Chefs und der EU Kommissionsvorsitzenden geben. Am Samstagmorgen stellen sich die drei Kandidaten vor. Erster Wahlgang gegen elf, dann – wahrscheinlich – Stichwahl. Merz gegen Laschet, vielleicht aber auch Röttgen.
[*] An dieser Stelle wurde ein Wort des O-Ton-Gebers falsch verschriftlich. Dies haben wir korrigiert.