Eine ganze Generation von Neu-Filmern scheint mit der Tradition zu brechen: Vom Stummfilm vor 100 Jahren bis zu Youtube, vom Lichtspielhaus bis zum HD-Heimbildschirm heute sehen wir die Welt im Breitformat, 4:3 oder 16:9 – und eben nicht 9:16. Vermutlich waren die nordamerikanischen Prärien für das dominierende breite Bildformat verantwortlich. Zufällig passt das auf die Geometrie unserer Tage, nämlich den Kunstrasen des Fußballfelds, aber auch nur, wenn man ihn unparteiisch von der Längsseite her betrachtet, nicht aus der Südkurve heraus.
Horizontales oder eben auch vertikales Filmen scheint kein großes Diskussionsthema zu sein. Seltene Ausnahme: Ein wenig bedeutendes Musikerduo namens Hochkant Tones nimmt minimalistische Songs im Hochkantformat auf und präsentiert sie im Internet:
"Moin moin, weil wir natürlich unserem Konzept treu bleiben wollen, stellen wir euch unseren neuen Song 'einfach weg' natürlich wieder im Hochkantformat vor. Viel Spaß!"
Vorn ganz groß das Gesicht des Pianisten, direkt dahinter, darüber, der Sänger. Ob sie in der Küche oder im Wohnzimmer musizieren, keine Ahnung. Rechts und links von den beiden sind dicke schwarze Balken, in der Summe vier mal so breit wie das Video selbst. Reine Platzverschwendung, kritisieren – eigentlich alle, auch die, die privat oft Clips hochkant aufnehmen, ohne darüber nachzudenken, und sich dann wundern: Hä, warum ist das so schmal?
Es wimmelt von Besserwissern mit ihren Zeigefingern: "He, jetzt nimm mal bitte so auf, wie wir das von Film und Fernsehen seit 1000 Jahren gewohnt sind!"
Gegen das Diktat der alten Leinwand
Das mit sechs Millionen Klicks beliebteste Video dieser pädagogischen Art stammt von 'Glove and Boots' und heißt "Vertical Video Syndrome". Es zeigt eine traurig dreinschauende Handpuppe, schmal in der Bildmitte. Aus dem schwarzen Bereich rechts und links tauchen zwei lustigere Puppen auf, die die deprimierte mittlere fröhlich brainwashen: "Sag nein zu Hochkant-Videos! Hochkant-Videos passieren, wenn du deine Handykamera falsch hältst."
Als könnte man eine Kamera falsch halten!
"Turn your phone 90 degrees" – ein Song von Ifht, wo Anna Toth einen Typen, der sie beim Gitarre spielen in der Prärie hochkant filmt, auffordert, sein Phone um 90 Grad zu drehen. Als er's nicht tut, schießt sie ihm ins Bein.
Es ist das Diktat der alten Leinwand, das mit einer neuen Ergonomie kollidiert, nämlich dem bequemen Halten des Smartphones in einer Hand. Mit den kleinen Handys und ihren immer besseren Kameras müssen sich die Videoportale im Internet, wo immer mehr vertikale Videos hochgeladen werden, auseinandersetzen. Es ist technisch und ästhetisch ganz einfach, ein Video auf einer Webseite attraktiv hochkant einzurichten, ohne den Makel der schwarzen Balken. Einige wenige tun es schon, der Plauderkanal Snapchat etwa. Andere, wie Vine und Instagram, fahren zurzeit einen Kompromiss: quadratische Filme. Fauler Kompromiss.