Delaine Le Bas ist noch beim Aufbau - und in ihrem bunten Rock und der bestickten Jeansjacke sieht sie aus, als wäre sie selbst Teil der Installation. Und bei genauerem Betrachten ist sie es auch. "Witch Hunt", Hexenjagd, heißt ihre raumfüllende Installation - sie besteht aus einer "Stoffkapelle", einem begehbaren Zelt, das von bunten Schattenfiguren bevölkert ist: Selbstporträts der Künstlerin. Innen bestickte Stoffbilder, farbenfroh bekleidete Frauenpuppen um eine bunte Patchworkdecke. Eine nur scheinbare Idylle, immer wieder durchbrochen von Todessymbolen, Andeutungen von Schrecken und Gewalt. Delaine Le Bas:
"Es ist ein Text, den mein Sohn geschrieben hat, über eine Unterhaltung, die wir hatten. Es geht darin um die Situation bei uns zu Hause in England, verschiedene Arten von Hexenjagden, Ausgrenzungen, Diskriminierungen, die bis heute stattfinden. Es ist ein zeitloses Szenario, das wohl sich niemals verändern wird."
Vielfalt in Film, Musik, Kunst, Literatur
Die Künstlerin Delaine Le Bas gehört der britischen Minderheit der Romani Travellers an. Gemeinsam mit Moritz Pankok, der eine Galerie für Kunst der Sinti und Roma in Berlin betreibt, haben sie nicht nur die Ausstellung kuratiert, mit der die Akademie der Künste am Pariser Platz den Start des RomArchives begleitet. Beide sitzen auch im wissenschaftlichen Beirat des RomArchive, das morgen offiziell online geht. 14 Kuratoren aus 11 Ländern haben die Vielfalt der Romakultur - auf dem Gebiet des Films, der Musik, der Kunst, der Literatur - digitalisiert und zusammengetragen - wenn man denn von einem Label Roma-Kultur überhaupt sprechen kann. Moritz Pankok:
"Wenn man von der Romakunst spricht, dann muss man wissen, dass sie sehr unterschiedlich und sehr vielfältig in ihrer Form ist und das war uns auch wichtig, in dieser Ausstellung zu zeigen, dass es sehr unterschiedliche Positionen gibt. Es gibt bestimmte Klammern zwischen den Künstlern, und es gibt leider auch die Klammer der Ausgrenzungserfahrung und der Verfolgungserfahrung in den Familien."
"Wenn man von der Romakunst spricht, dann muss man wissen, dass sie sehr unterschiedlich und sehr vielfältig in ihrer Form ist und das war uns auch wichtig, in dieser Ausstellung zu zeigen, dass es sehr unterschiedliche Positionen gibt. Es gibt bestimmte Klammern zwischen den Künstlern, und es gibt leider auch die Klammer der Ausgrenzungserfahrung und der Verfolgungserfahrung in den Familien."
Deutungshoheit über eigene Kultur zurückgewinnen
Auch das will das RomArchive abbilden - aber nicht nur. Es will die Kunst und Kulturbeiträge der Sinti und Roma für die europäische Kulturgeschichte sichtbar machen - und vor allem die Deutungshoheit über die eigenen Kulturleistungen zurückgewinnen. Morgen wird das RomArchive in die Trägerschaft von ERIAC übergehen - dem gerade erst neu gegründeten "Europäischen Roma-Institut für Kunst und Kultur". Deren Direktorin, Timea Junghaus, Kuratorin des ersten internationalen Roma-Pavillons auf der Biennale in Venedig, steht für das neue Selbstbewusstsein der Sinti und Roma in Europa.
"Stellen Sie sich vor, für über 600 Jahre ist die Darstellung der Roma-Kultur in der Hand von Nicht-Roma gewesen. Und erst in den späten 60er Jahren haben Sinti und Roma angefangen, für sich selber die Autorenschaft zu beanspruchen. Ohne Bibliotheken, ohne Museen, ohne das Netzwerk von Kulturinstitutionen in Europa. Wir brauchen sie wirklich diese erste, mehrsprachige Plattform."
Kultur für spätere Generationen bewahren
Es lohnt sich, sich durch das Archiv zu klicken. In drei Sprachen - englisch, deutsch, romanés - birgt es auch historische Dokumente und Wissen aus privaten Archiven der Familien, Zeitzeugeninterviews von Holocaust-Überlebenden, Oral History-Tonaufnahmen aus dem Phonogramm-Archiv in Wien. Aus 350 Filmen wurden 35 als besonders repräsentativ ausgewählt. Der Musikwissenschaftler Gonzalo Montaño Peña, selber spanischer Gitano, hat Interviews mit Ikonen der Flamencomusik geführt, die sich sonst niemals in der Öffentlichkeit zu Wort melden. Für das RomArchive haben sie es getan.
"Es geht auch darum, die Kultur für spätere Generationen zu bewahren", betont Timea Junghaus.
Denn die droht im Zeitalter der Globalisierung verloren zu gehen. Wie die Sprache Romanés, die, in verschiedenen Dialekten in ganz Europa verbreitet, ein verbindendes Element darstellt. Auch sie ist in der Ausstellung in der Akademie der Künste zu hören, gesprochen von der Künstlerin und Holocaust-Überlebenden Ceija Stojka. "Haltet zusammen", lautet die Botschaft.
Multimediareportage: Das Leben des Sinto Zoni Weisz