Jasper Barenberg: Am Telefon ist die Anwältin Stephanie Herzog. Im Deutschen Anwaltverein beschäftigt sie sich seit Jahren schon intensiv mit dem Thema der digitalen Hinterlassenschaft. Schönen guten Morgen, Frau Herzog.
Stephanie Herzog: Guten Morgen, Herr Barenberg.
Barenberg: Frau Herzog, warum ist das Verfahren über diesen Einzelfall hinaus heute von so großer Bedeutung?
Herzog: Weil wir uns letztendlich erhoffen, dass wir in diesem Bereich ein bisschen Rechtssicherheit bekommen. Wir haben einen unglaublich wichtigen Themenkreis eigentlich hier für die Nachlassabwicklung, die einfach nicht nur für die Erben wichtig ist, sondern im Grunde auch, damit wir geordnete Verhältnisse nach dem Tod auch weiterhin haben können. Dafür ist es wichtig, dass wir Unterlagen einsehen, die wir vielleicht bisher in Aktenordnern gefunden haben oder in irgendwelchen Dokumenten, die im Schrank oder im Safe lagen.
Und inzwischen haben im Grunde E-Mails eine Art Schlüsselfunktion. Wenn Sie an die E-Mails der Verstorbenen nicht rankommen, dann wissen Sie im, sagen wir mal, schlimmsten Fall noch nicht mal mehr, wo das Haus, das vielleicht finanziert war von der Familie, aber nur dem Verstorbenen gehörte, versichert ist oder wo es eigentlich finanziert war. Sie wissen nicht, wo die Wertpapiere liegen und so weiter und so fort. Sie kommen faktisch an gar nichts dran. Im Grunde gibt es auch Fälle, die ich aus meiner Praxis berichten könnte, da können Sie noch nicht mal mehr die Heizung regulieren, wenn Sie nicht irgendwie an die Daten des Verstorbenen rankommen. Insofern, glaube ich, ist das ganz wichtig.
"Man kommt als Erbe heute an diese Unterlagen nicht ran"
Barenberg: Nun habe ich die Sache aber so verstanden, dass die meisten Anbieter, sagen wir, von E-Mail-Accounts oder, sagen wir, von Telekommunikationsdienstleistungen oder so, dass die bei Vorlage eines Erbscheins ganz großzügig sind und sagen, selbstverständlich können die Erben, können die engsten Angehörigen dann auch Zugriff auf diese Dinge bekommen.
Herzog: Nein. Die Vorlage eines Erbscheins, das wäre ja kein Problem. Das ist ja der normale Gang nach dem Todesfall, weil man sich selbstverständlich als Erbe legitimieren muss. Aber genau so ist es eigentlich nicht. Es war bei manchen deutschen Anbietern so, weil die natürlich den Rechtshabitus gerne haben, den wir auch hier kennen. Aber gerade viele ausländische Anbieter haben teilweise irgendwelche Gerichtsverfahren mit stark formalisierten Dingen im Ausland gefordert, oder es liegt im freien Ermessen. Ich würde fast sagen, ohne das jetzt statistisch nachweisen zu können, eigentlich ist es die Mehrzahl, die überhaupt keinen Zugang ermöglicht.
Und seit dem Kammergerichtsurteil, wo wirklich dieses Fernmeldegeheimnis in Rede steht, ist es von der Tendenz her schlimmer geworden, dass kein Zugang gewährt wird, wofür ich größtes Verständnis habe, denn in dem Moment, wo ein Verstoß gegen Paragraf 88 Telekommunikationsgesetz vorliegen würde, wäre das strafbewährt, wenn die uns Zugang gewähren würden als Erben. Insofern verstehe ich das. Nur man kommt faktisch als Erbe heute eigentlich an diese Unterlagen nicht ran.
Barenberg: Und wenn Sie sagen, das Fernmeldegeheimnis ist Dreh- und Angelpunkt, dann ergibt sich ganz natürlich die nächste Frage daraus, denn es ist ja selbstverständlich heute für alle Angehörigen nach einem Todesfall, dass die Erben Briefe lesen können, Verträge einsehen können, in den Unterlagen, die man dann im Nachlass übernimmt. Warum ist das in der digitalen Welt nicht selbstverständlich? Wo liegt da der Unterschied?
Herzog: Da fragen Sie die Richtige! Ich frage mich auch, warum das nicht in der digitalen Welt selbstverständlich ist. Für mich gibt es da keinen Unterschied, weil ich mir sage, im Grunde all die Dinge, die wir digital vorfinden, die finden wir in der, nennen wir es mal, analogen Welt auch. Ob Sie jetzt einen Brief nehmen oder eine E-Mail, wo ist eigentlich der Unterschied? Das Kammergericht sieht aber einen Unterschied, und das ist ja auch umstritten in der juristischen Diskussion. Die sind ja nicht alleine mit dieser Meinung. Weil man im Grunde sagt, na gut, bei solchen Dingen wie Briefen muss man es "hinnehmen", weil die nun mal in der Wohnung herumliegen, und da gibt es keine dritte Instanz oder so was, die das kontrollieren könnte. Aber wir haben die Besonderheit in diesen Online-Geschichten, jedenfalls dann, wenn das auf einem Server irgendwo gespeichert ist, dass wir eine solche Instanz haben, und das sind die Provider. Die werden jetzt, sagen wir mal, hochgeschwungen aus meiner Sicht zu irgendwelchen Kontrollfunktionen, für die sie meines Erachtens gar nicht zuständig sind.
"Ich frage mich, warum ist das im Internet anders?"
Barenberg: So formuliert es ja auch Facebook. Das Unternehmen drückt sein Mitgefühl für die Eltern aus in dem Fall, um den es heute geht, sagt aber auch, die Zugriffssperre schützt ja auch die Rechte der anderen Nutzer, der Facebook-Freunde zum Beispiel von diesem Mädchen damals, weil die davon ausgehen, dass private Nachrichten privat bleiben. Sollte dieser Grundsatz gekippt werden aus Ihrer Sicht?
Herzog: Na ja, auch da können wir doch die Parallele ziehen zu dem Brief. Wenn Sie jemand anderem einen Brief schicken, dann ist eigentlich auch klar, dass das möglicherweise private Inhalte haben kann. Aber wenn dieser andere stirbt, dann fällt der Brief in den Nachlass und andere können reinschauen. Das heißt ja noch nicht, dass die Erben in irgendeiner Weise Schindluder mit den Inhalten treiben dürfen. Aber reinschauen dürfen sie, weil sie den Nachlass durchforsten müssen: Was muss geklärt werden, was muss nicht geklärt werden. Und ich frage mich, warum ist das im Internet anders.?
Ich glaube, dass das Gefühl, was man vielleicht in diese Richtung hat, einfach daran liegt, dass wir vielleicht diesen Umgang mit diesem Medium Internet einfach noch lernen müssen, weil wir irgendwie das Gefühl haben, dass wir in dieser Anonymität des Internets alles geheim halten können. Aber um den Preis, jetzt irgendwelche privaten Details geheimhalten zu können, zu sagen, ich komme an gar keine digitalen Inhalte mehr ran und mache damit faktisch – das muss einem klar sein – eine Nachlassabwicklung in unserem Jahrhundert irgendwann unmöglich, das scheint mir das Kinde mit dem Bade ausschütten.
Barenberg: Haben Sie eine Einschätzung, wie der BGH mutmaßlich entscheiden wird? Sie haben gesagt, die vorige Instanz hat das Fernmeldegeheimnis sehr stark in Stellung gebracht und dem sehr hohen Wert beigemessen. Glauben Sie, dass der BGH dem folgt, oder ist es aus Ihrer Sicht nötig, dass man das relativiert?
Herzog: Ich kann nur meine Hoffnung ausdrücken. Ich hoffe, dass der BGH dem nicht folgt. Ich glaube, dass wir im Bereich von Paragraf 88 TKG gute Argumente auch für die Gegenansicht haben. Das zeigt sich ja schon darin, dass die Landgerichtsrichter in Berlin anders entschieden haben, und die haben sich ja mit dem Thema auch beschäftigt. Das heißt ja nicht, dass die etwas übersehen hätten.
Barenberg: Paragraf 88 TKG, da müssen Sie uns noch mal weiterhelfen.
Herzog: Ach so! Das ist quasi die Norm, die dieses Fernmeldegeheimnis, was hier betroffen ist, ausdrückt. – Ich glaube, es gibt gute Argumente für beide Ansichten rund um diesen Paragrafen 88 TKG. Ich hoffe, dass der BGH in die Richtung des Landgerichts Berlin zurückentscheidet. Das kann man, glaube ich, auch. Allerdings muss man dafür viele erbrechtliche und andere Vorfragen klären, die das Kammergericht gemeint hat, offenlassen zu können, und da bin ich nicht sicher, ob das möglich ist.
Barenberg: Da kommt dann die Politik spätestens ins Spiel. Würden Sie sagen, da haben die Verantwortlichen in den Parlamenten bisher die Hände in den Schoß gelegt und ein Problem ignoriert?
Herzog: Na ja, die Hände in den Schoß gelegt kann man natürlich so nicht sagen. Sicherlich wird es in dem Moment, wo der BGH jetzt entschieden hat und wir wissen, was dann jetzt im Moment offensichtlich Rechtslage ist, meines Erachtens wirklich Aufgabe der Politik sein zu überprüfen, ist das das Ergebnis, was die Politik haben will, oder ist das das Ergebnis eben nicht. Hände in den Schoß gelegt würde ich nicht sagen. Wir haben ja 2012 mit unserer Initiativstellungnahme vom Deutschen Anwaltverein dieses Thema, ich will nicht sagen, erstmalig, aber dann doch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht, und wir haben gerade mal fünf Jahre später und das Thema ist vom Gesetzgeber durchaus auch aufgenommen worden.
Zum Beispiel gibt es eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die maßgeblich auch vom Land Nordrhein-Westfalen ins Leben gerufen ist, die dieses Thema durchaus auf dem Schirm haben und jetzt auch diese Bundesgerichtshofentscheidung abwarten. Auch der Koalitionsvertrag der Großen Koalition hat in dem Koalitionsvertrag geregelt, dass man diese Dinge rechtssicher regeln möchte. Das finde ich schon mehr, als ich damals erwartet habe.
"Europäische und weltweite Dimension"
Barenberg: Dann erläutern Sie uns noch bitte: Was wären wichtige Kernpunkte einer gesetzlichen Regelung, die Sie für nötig halten?
Herzog: Im Grunde glaube ich, dass es ausreichen würde, die Problematik um Paragraf 88 TKG, um das Fernmeldegeheimnis zu regeln. Denn die Vorfragen, die da zu klären sind, ist das von der Erbfolge erfasst, was ist mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, da weiß ich nicht, ob nicht weniger mehr ist, wenn wir da anfangen, das Erbrecht zu reformieren, ob das dann so viel besser wird. Ich glaube, das wirft dann zu viele Folgeprobleme auf.
Aber tatsächlich gibt es im Fernmeldegeheimnis eine Vorschrift, die sagt, es muss ein explizites Gesetz geben, was klarstellt, dass mit folgendem nicht gegen das Fernmeldegeheimnis verstoßen wird, und eine solche Klarstellung würde, glaube ich, ganz stark helfen, jedenfalls was das deutsche Recht angeht. Ich meine, wir müssen natürlich auch noch sehen, dass das eine gewisse europäische und weltweite Dimension hat. Aber wir haben ja in dem Facebook-Fall gesehen, dass es trotz der ausländischen Provider möglich ist, sowohl zu deutschen Gerichten als auch zur Anwendbarkeit des deutschen Rechts zu kommen. Wenn wir so eine Klarstellung hätten, würde das dazu führen, dass alle Beteiligten auch wissen, was sie zu tun haben, ohne Sorge davor zu haben, sich irgendwie strafbar zu machen. Wichtig wäre sicherlich bei so einer Regelung klarzustellen, dass das schon immer so war, dass es wirklich eine klarstellende Regelung war, denn ansonsten haben wir natürlich das Problem, dass das nur greift ab dem Moment, wo die Regelung in Kraft tritt. Mit Rückwirkung zu arbeiten, das wird dann gesetzgeberisch zumindest schwieriger.
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