"Der Herr segne dich und behüte dich; der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der Herr erhebe sein Angesicht über dich und schenke dir Frieden."
Das ist der Aaronitische Segen aus der hebräischen Bibel, dem sogenannten Alten Testament. Segensformeln sprechen evangelische und katholische Pfarrer und Pastorinnen am Ende eines Gottesdienstes. Aber auch außerhalb von gestreamten Gottesdiensten und Andachten trifft man derzeit auf viele Segenssprüche. In sozialen Medien, auf Twitter und Websites. Segen für alle - das kannte man früher nur aus evangelikalen Kreisen.
"In den digitalen Medien begegnen uns viele Segenssprüche und viele Segensworte, die einfach in einem nicht-liturgischen Kontext stehen, nicht im Gottesdienst stehen. Und dadurch, dass sie dann in einem gefühlt säkularen Raum formuliert werden, fallen sie vielleicht mehr auf."
Viera Pirker, katholische Theologin von der Universität Wien. Offenbar gibt eine Sehnsucht nach Segen.
"Ich sehe im Moment auch viele Segnungen, viele Segenssprüche, Segenszusprüche. Ich glaube, das ist ein bisschen Ausdruck von der Unsicherheit der Zeit, in der wir leben oder der wir gerade ausgesetzt sind. Der Segen sozusagen als Gedanke, Gutes zuzusprechen, dass ein Mensch einem anderen Menschen etwas Gutes zuspricht. Das steckt ja im Segen drin."
"Gottes Zuspruch weitergeben"
Die Sehnsucht spiegelt sich auf den Websites der Landeskirchen und Bistümer wider. Ein spezieller Corona-Segen wird allerdings nicht angeboten. Man verweist lieber auf die Hygiene-Regeln des Robert-Koch-Instituts. Und dann erst kommen Segenswünsche und Gebete. Aber ist mehr Segen in der Welt, wenn man ihn häufiger nutzt oder konsumiert?
"Also ist es schwierig, ist mehr Segen da, wenn wir ihn stärker besprechen, wenn wir ihn stärker herbei sprechen? Ich denke, es ist ein Ausdruck der Sehnsucht der Menschen nach dem Segen. Es ist aber schwierig, den Segen so in der Form wirklich auf Dauer zu stellen und auf Dauer zu spenden."
Die evangelische Theologin Franziska Lindner von der Universität Graz. Segen und Segnen kennen alle Religionen. Im Christentum wird es vom lateinischen Wort "benedicere" abgeleitet.
"Also jemanden ihr Heil zusprechen, Segen zusprechen. Wohl zusprechen, daher kommt das. Und das heißt, eigentlich nichts anderes als Gottes Zuspruch weitergeben."
"Es wird nichts verzaubert"
Von Außen betrachtet, wirken Segenssprüche wie Zaubersprüche, denen eine Art magisches Denken zugrunde liegt. Aber das würde wohl jede Theologin zurückweisen.
"Nein, denn es wird nichts verändert, es wird nichts verzaubert. Es ist gar nicht der Mensch selbst, der etwas macht, sondern es ist in gewisser Weise Gott, aber auch nicht auf magische Weise."
Segenshandlungen sind immer auf andere bezogen. Im Christentum kann jeder Getaufte andere segnen, man braucht dafür keine Weihe oder Ordination. Aber auch im Judentum wird vieles gesegnet, nicht nur Brot und Wein, auch Menschen und Handlungen.
Die Wirksamkeit des gesprochenen Wortes
Aus der hebräischen Bibel stammt die Geschichte von Jakob, der sich den Segen des Erstgeborenen von seinem Vater erschleicht. Während sein Bruder Esau leer ausgeht. Der Segen war trotzdem gültig. Die Geschichten sind moralisch aufgeladen. Viera Pirker:
"Die erzählen natürlich von der Wirksamkeit oder von dem Glauben an die Wirksamkeit des Segens. Es ist aber auch der Glaube an die Wirksamkeit eines einmal gesprochenen Wortes und eines einmal gesprochenen Satzes, dass das, was ich sage, Gültigkeit hat und dass das, was ich sage, Gültigkeit erlangt und Wirklichkeit erlangen soll und kann, ist eine zutiefst menschliche Tradition."
Die katholische Theologin Viera Pirker verweist auf die jahrtausendealte mündliche Überlieferung der hebräischen Bibel, die dem gesprochenen Wort eine besondere Kraft zuweist.
"Die Frage, ob ein Segen wirkt, wenn die Hände ausgestreckt sind oder etwas berühren oder nicht. Natürlich gibt es solche magischen Transportgedanken, aber eigentlich gehört es nicht zur christlichen Tradition dazu, diese magischen Traditionen zu denken oder in den Vordergrund zu stellen."
Ob ein Segen wirkt oder gültig ist, darüber hat sich die katholische Kirche auch geäußert und immer wieder an neue Kommunikationsmittel angepasst. Aber bislang sei nicht geklärt, ob der Segen nur bei einer Live-Übertragung aus TV und Radio und Computer wirke oder auch aus Aufzeichnungen gültig sei, sagt Viera Pirker.
Der Segen darf keine "billige Gnade" sein
Bei den Segenssprüchen in den sozialen Medien fehlt noch eine andere Ebene. Die Segenshandlung ist nach Ansicht Franziska Lindners normalerweise in eine direkte Kommunikation eingebunden. Auf Websites und öffentlichen Posts falle das weg, weil die Teilhabe, die Interaktivität fehlt. Diese leibliche Erfahrung sei aber ganz wichtig. Die Theologin verweist auf Bonhoeffers Begriff der "billigen Gnade", wenn etwas zu einer billigen Floskel verkommt und nicht mehr mit der gebotenen Intention und Kraft getan wird. Nach dem Motto: Gott wird’s schon richten.
"Und ähnlich ist es, denke ich heute, wenn wir sagen: Du bist gesegnet oder der Segen Gottes sei bei euch bei allem, was ihr macht. Und wenn das nur noch als billige Floskel eingesetzt wird, dann hat sie keine Kraft mehr."
Ob der Segen nun mit Weihwasser oder ganz im Trockenen wirkt. Mit ausgestreckten Armen oder nur stumm gelesen statt laut gesprochen. Ob digitaler Segen tatsächlich wirksam ist, weiß niemand. Vermutlich kommt es auf den einzelnen Glaubenden an. Wer keinen Segen wünscht, kann den Segen auch zurückweisen. Autoritären Segen gibt es nicht.