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Digitales Lernen
Coronakrise macht Defizite an den Schulen deutlich

Die Coronakrise macht ein seit Jahren bestehendes Problem an den Schulen deutlich: Viele Bundesländer schaffen es nicht, eine funktionierende digitale Schulplattform aufzubauen. Die Schul-Cloud des Hasso-Plattner-Instituts stünde zur Verfügung. Doch nicht alle Bundesländer wollen sie nutzen.

Von Kai Rüsberg |
Smartphone mit der Anmeldeoberfläche für das Schulcloud-Portal
Brandenburgische Schulen nutzen eine Cloud des Hasso-Plattner-Instituts (dpa / Monika Skolimowska)
Thomas Nolte war als Lehrer an seinem Gymnasium in Moers am Niederrhein immer digitaler Pionier. 2018 ging er aber frustriert in Pension - drei Jahre vorzeitig. Zu oft fühlte er sich ausgebremst.
"Auch ein WLAN in der Schule einrichten, was ja nötig wäre, um wirklich produktiv zu arbeiten, das scheitert dann an Sicherheitsproblemen, dass dieses WLAN dann von außen womöglich gehackt werden könnte. Oder dass sich da Leute rein begeben, die nicht zur Schule gehören und so weiter. Und deswegen ist das alles so schwierig. Ich hätte sehr gerne mit Schülern gearbeitet. Die Schüler wären auch dazu bereit gewesen, aber ohne WLAN kriegen sie das nicht hin."
Bundesweit jeweils mehr als die Hälfte der Schüler bemängeln die schlechte technische Ausstattung und sehen den Einsatz von digitalen Medien als dringlichste Aufgabe, ergab eine repräsentative Umfrage des IT-Branchenverbands Bitkom - noch vor der Corona-bedingten Schließung.
Logineo – seit zwölf Jahren Pilotprojekt in NRW
Schon vor zwölf Jahren führte Noltes Schule als Pilotprojekt das in Nordrhein-Westfalen eigenentwickelte Lernsystem Logineo ein. Doch es stockte von Anfang an, wie Thomas Nolte berichtet:
"Das läuft bis heute, hat allerdings auch so seine Mucken, dass E-Mails nicht ankommen oder dass der Server nicht erreichbar ist oder es ist überlastet. Ich habe das noch so mitbekommen, dass man es als Lernplattform hätte nutzen können. Aber das wollte an der Schule niemand. Wenn man Schüler fragt, die wären da wohl aufgeschlossen gegenüber digitalem Unterricht oder digital gestütztem Unterricht."
Seit einer gesamten Schülergeneration wird in NRW an Logineo gearbeitet. 60 Millionen Euro hat das Land investiert, ohne dass es zufriedenstellend läuft. Von den 6.000 Schulen sind bislang 465 dabei, weitere 120 warten auf den Zugang zu einem deutlich gegenüber den Planungen abgespeckten System.
Hasso-Plattner-Institut bietet Cloud für alle Länder
In dieser Situation bietet nun das renommierte Hasso-Plattner-Institut HPI an, die mit Geld vom Bundesbildungsministerium geförderte Schul-Cloud in allen Bundesländern zu nutzen. Projektleiter und Direktor des Exzellenz-Zentrums, Christoph Meinel, sieht dadurch auch nicht die Kulturhoheit der Länder gefährdet:
"Es sollte eine einheitliche Lösung für alle Bundesländer sein, weil das hat mit dem Bildungsauftrag noch gar nicht viel zu tun. Sondern das hat was damit zu tun, dass wir unsere Schulen in die Lage versetzen müssen auch digitale Angebote nutzen zu können, wenn das ein Lehrer aus pädagogischen Gründen für sinnvoll hält. Da gibt es technische Fragen zu klären der Infrastruktur und der Geräteanschluss, da gibt es die Notwendigkeit sie zu schaffen und auch natürlich eine ganze Reihe datenschutzrechtlicher Dinge zu beachten."
Bislang arbeiten 128 Schulen in Brandenburg, Niedersachsen und Thüringen mit der Schul-Cloud. Sie ermöglichst es, digitale Lernangebote verschiedener Anbieter zu nutzen und bietet außerdem Tools für das gemeinsame Arbeiten zum Beispiel an Texten oder Präsentationen im Klassenverband. Meinel sieht sich in der Lage, an die Schul-Cloud in kurzer Zeit alle Schulen in Deutschland anschließen zu können:
"Das ist natürlich alles jetzt mit einer gewissen Hektik. Die drei Bundesländern hatten da jetzt mehrjährige Programme aufgesetzt, um dieses Ausrollen der Schul-Cloud sicherzustellen. Jetzt soll das in wenigen Wochen geschehen. Wir geben uns die beste Mühe."
Schulministerium NRW hält an eigenem Projekt fest
Trotzdem würde es einige Wochen dauern, um den Anmeldeprozess für jede Schule und jeden einzelnen Schüler im System abzuwickeln. Zudem müssten auch die Lehrer auf das System geschult werden. Dafür hat das HPI eine eigene Plattform aufgebaut, sagt Meinel:
"Da es in Deutschland in vielen Bereichen keine Erfahrung gibt, wie mit digitalen Inhalten im Schulunterricht gut umgegangen wird, braucht man schon noch auch ein Stück Weiterbildung oder Ideen, Best-Practice-Beispiele, um den Lehrern jetzt gerade in dieser schwierigen Situation, wo Schulen geschlossen sind, auch schon Hinweise zu geben, wie sie das machen können, wie sie das nutzen können."
Im Schulministerium NRW äußert man sich skeptisch zu dem Angebot von der Bundesebene. Einerseits seien die Schulen selbst verantwortlich und man wolle keine Vorgaben machen, aber andererseits habe man mit Logineo NRW eine eigene Plattform für digitales Arbeiten und sicheres Kommunizieren entwickelt, hieß es aus dem Schulministerium NRW.
Zitat: "Durch die Schaffung eines landeseigenen Angebots besteht aus Sicht des Ministeriums für Schule und Bildung kein Grund, den flächendeckenden Einsatz der HPI-Schul-Cloud von Seiten des Landes zu empfehlen."
Studienrat Thomas Nolte kennt dies aus seiner Zeit als Lehrer nur zu gut: "Wir haben 16 Bundesländer und da macht auch wieder jeder seins." Trotzdem ist an den Schulen eine Aufbruchstimmung zu spüren, die Corona-Krise als Chance zu ergreifen, um die digitale Schulbildung voranzubringen.