Stephanie Gebert: Der Digitalpakt ist eines der großen Versprechen der neuen Bundesregierung in der Bildungspolitik. Wer sich aber die nackten Zahlen anschaut und ein bisschen rechnet, der wird schnell merken, die versprochenen 3,5 Milliarden Euro des Bundes werden nicht reichen, um allen Schülern ein Laptop vor die Nase zu stellen. Deshalb wird das Motto wohl eher sein: "Bring your own device". Schülerinnen und Schüler sollen also ihre eigenen Endgeräte zum Unterricht mitbringen. Dieses Konzept ist nicht ganz neu und schon an einigen Schulen erprobt, untersucht unter anderem von Richard Heinen. Er ist bei der Montag-Stiftung Jugend und Gesellschaft zuständig für Bildung im Digitalen Wandel. Ich grüße Sie!
Richard Heinen: Guten Tag!
Breitbandanschluss, WLAN, Beamer, Whiteboards
Gebert: Die Bundesregierung hatte auf Anfrage der FDP gerade dieses Modell der eigenen Endgeräte favorisiert. Die Liberalen kritisieren das, ihr Argument ist, damit ist Bildungsgerechtigkeit passé, weil die Teilnahme am Unterricht vom Geldbeutel der Eltern abhängt. Was sagen Sie dazu?
Heinen: Das kann man eigentlich so nicht sagen, denn wenn man sich anschaut, was heute in den Rucksäcken und Schultaschen zu finden ist, dann ist das ganz viel Digitaltechnik, die aber im Moment systematisch aus dem Unterricht ausgeschlossen wird. Das heißt, die Technik ist eigentlich da, wir müssen nur anfangen, mit den Kindern auch damit zu arbeiten und ihnen auch einen kompetenten Umgang damit zu ermöglichen. Und dafür, und das macht der Digitalpakt, ist es dann aber wiederum wichtig, in der Schule eine gute Infrastruktur zu haben, Breitbandanschluss, WLAN, Präsentationsmedien wie Beamer oder Whiteboards und dergleichen.
Empfehlungen für einen Quasi-Standard
Gebert: Aber lässt sich denn das Argument vom Tisch wischen, dass heterogene Ausstattung - ein gutes Handy, ein vielleicht weniger gutes oder älteres Handy - für Begehrlichkeiten sorgt unter den Schülern und auch Druck ausübt auf Eltern?
Heinen: Einerseits ja. Andererseits ist es erstaunlich, wenn man wirklich mit Schülern zu dem Thema arbeitet, auch festzustellen, wie kritisch die dann manchmal auch auf vermeintlich bessere und teurere Geräte gucken und dann wirklich genau sagen, sag mal, dein Gerät, was kann das eigentlich, was mein Gerät zu einem niedrigeren Preis auch kann. Also das gleicht sich aus.
Und das Wichtige noch mal ist aber, glaube ich, wirklich zu sagen, lasst uns damit anfangen und lasst uns dann auch in der Schule, wenn wir das überhaupt erst mal eingeführt haben mit den Geräten, die da sind, überlegen, und da gibt es Schulen, die das dann auch machen, zu sagen, können wir Eltern nicht Empfehlungen geben, wenn ihr was anschafft, schafft das und das an, dass man zu einem Quasi-Standard kommt.
Oder auch zu überlegen, können wir diese Anschaffung in der Schule nicht vielleicht gemeinschaftlich machen, sodass man dann eben auch sagen kann, wenn es tatsächlich mal irgendwo nicht reicht, dass dann auch ein sozialer Ausgleich geschaffen werden kann. Denn das ist das Entscheidende, dass ja auch ganz oft ich sag mal bildungsfernere Elternhäuser gerade die Bedeutung und die Wichtigkeit dieses Themas sehen und dafür gern auch dann einiges möglich machen.
Den Kindern Vor- und Nachteile beibringen
Gebert: Und sind sie dafür, dass man dieses Smartphone - bleiben wir mal bei dem Beispiel - dann herausholt zu einem bestimmten Unterricht, wenn man Medienpädagogik, Medienunterricht gibt, oder soll das flächendeckend in allen Unterrichtsfächern möglich sein, das einzusetzen?
Heinen: Na ja, das ist ja, wenn Sie einfach sich den Bildungsauftrag von Schule angucken, dann geht es ja darum, Kinder und Jugendliche auf ein Leben in unserer Gesellschaft vorzubereiten, und dazu gehört dieser kompetente Umgang. Und es wird wahrscheinlich auch so sein, dass ein Physiker mit solchen Geräten arbeiten muss in Zukunft. Also macht es eigentlich Sinn, es wirklich auch in die Fächer zu geben und auch da, ganz wichtig, zu sagen, in die Entscheidungshoheit der Kinder, zu sagen, ich muss den Kindern beibringen, was kann ich damit, was kann ich damit nicht machen, welche Vorteile hat das eine, welche Vorteile haben auch mal Papier und Bleistift. Und dann muss eigentlich die Entscheidungshoheit der Kinder sein, zu sagen, wann arbeite ich mit einem digitalen Gerät, und wann arbeite ich mit einem analogen Gerät.
Dänemark, Schweden, Niederlande mit IT-Experten an Schulen
Gebert: Sie haben gerade schon angesprochen, dann muss aber, bevor ich das tatsächlich tun kann als Lehrer, als Lehrerin, die Infrastruktur definitiv stimmen in den Klassenräumen.
Heinen: Ja, selbstverständlich ist das eine Voraussetzung, weil wenn ich sage, du darfst da dein Handy benutzen, um dir jetzt ich sag mal im Mathematikunterricht Erklärvideos anzugucken, und das dann aber den Kindern ihr schmales mobiles Datenvolumen leer saugt, dann würden die irgendwann sagen, nein, dann lieber doch nicht. Das heißt, eine Internetanbindung und dergleichen muss da sein. Und was auch ganz wichtig ist, und das ist eine Lücke, finde ich, im Digitalpakt, zu sagen, wie funktioniert es denn dauerhaft mit Support und Wartung dieser Infrastruktur? Denn die wird noch viel zu oft einfach nur auf wenige Lehrerinnen und Lehrer abgewälzt, die dann im besten Fall ein, zwei Entlastungsstunden dafür bekommen. Und wenn man international guckt, nach Dänemark, Schweden, in die Niederlande, dann haben Schulen dafür einfach auch ausgebildete Fachleute, die in den Schulen arbeiten und sich um diese Technik kümmern.
"Mal kurz auf WhatsApp gucken, nimmt ganz viel Druck weg"
Gebert: Sprechen wir noch mal über den Unterricht selbst. Es braucht natürlich klare Regeln, wann das Smartphone eingesetzt werden darf und wann nicht. Gleichzeitig kann es aber bei einer Unterrichtseinheit mit dem Smartphone auch passieren, dass sich Schüler ins WLAN einloggen, aber nicht, um dem Unterricht zu folgen, sondern WhatsApp zu nutzen, Snapchat und wie die nicht alle heißen.
Heinen: Das kann in der Tat passieren. Das ist aber grundsätzlich ja die Frage, ob Schüler unabhängig von digitaler Technik immer aufmerksam im Unterricht sind, was das auch wieder bedeutet, ist die Frage. Und wir haben aber in den Klassen, die wir beobachtet haben, festgestellt: Die Möglichkeit, auch in einem Lernprozess mal kurz auf WhatsApp zu gucken, nimmt ganz viel Druck weg im Vergleich dazu, zu wissen, ich darf heute von morgens acht bis mittags um zwei in der Schule überhaupt nicht drauf schauen. Und, was auch noch mal wichtig ist, ist, glaube ich, zu sagen, wie organisiere ich denn meinen Unterricht? Denn wenn ich da Phasen habe, in denen Schüler immer individueller, immer selbstgesteuerter in Gruppen und Projekten arbeiten, dann stört es vielleicht auch gar nicht mal, wenn ich mal kurz was anderes mache. Also, wenn ich denen gute Arbeitsthemen, gute Projekte gebe, dann erledigt sich das Problem oft von allein.
Gebert: Mit dem eigenen Smartphone ins Klassenzimmer. Die Vor- und Nachteile habe ich besprochen mit dem Lernforscher Richard Heinen von der Montag-Stiftung. Danke schön!
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