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Digitales Logbuch: Wiki-Friedhof

Letzte Woche wurde die deutsche Wikipedia zehn Jahre alt. de.wikipedia.org reifte zur größten deutschsprachigen Enzyklopädie heran, und mit ihr reiften auch die Wikipedialeser und -autoren.

Von Maximilian Schönherr |
    In zehn Jahren werden viele Menschen geboren, viele sterben, und die Wikipedia hält für ihre verstorbenen Autoren, deren Leben die Wikipedia war, den Wikipedia-Friedhof bereit. Er heißt "Gedenkseite für verstorbene Wikipedianer" und liegt (rein organisatorisch) zwischen dem Wikigerümpel am Dachboden oben und den Geburtstagen von Autoren.

    Am letzten Samstag zum Beispiel wurde Schmiddtchen, Informatiker an der TU Dresden, 26. Glückwunsch nachträglich, Schmiddtchen! Schmiddtchens wahren Namen kennen wir nicht; er ist seit sechs Jahren Wikipedia-Autor, und wir wissen, dass ihn am Abend des 8. Februar 2011 der Schock traf: Er las, der Wikipedianer "Geos" sei tot.

    Auch Geos Realnamen kennen wir nicht; er war am 22. Januar 2011 im Alter von 49 Jahren verstorben. Vermutlich kannten ihn viele, weil er an Wiki-Stammtischen in Frankfurt teilnahm. Die meisten kannten ihn aber sicher nur als Administrator, also als jemanden, der andere berät und zum Beispiel Wiki-Seiten vor Vandalismus schützt.

    Geos schrieb an Artikeln über steinzeitliche Kraggewölbe mit und beteiligte sich an Diskussionen auf italienischen, ungarischen, chinesischen Wiki-Seiten. Zahllos sind die Kondolenzschreiben an ihn. Wikipedianerin Juliana etwa hat Geos "als guten und umsichtigen Benutzer, Admin, Mentor und Mensch kennengelernt" und ist "sehr traurig und kann es ehrlich gesagt noch gar nicht richtig fassen! Machs gut."

    Der deutsche Wiki-Friedhof ist klein; die meisten Autoren sterben außerhalb der Wikipedia. Den ältesten Grabstein, von 2006, gibt es für DemonDeLuxe, Dominique Toussaint hieß er im realen Leben; von ihm stammt unter anderm der Artikel über die "Unmögliche Lattenkiste", eine optische Täuschung aus Holz. Der prominenteste Grabstein, ein einfacher Text mit schwarzem Kreuz und schwarzem Rahmen, gilt Günter Werner Dörr alias Günter Freiherr von Gravenreuth. Der Münchner Rechtsanwalt erschoss sich am 22. Februar letzten Jahres kurz vor Antritt einer Haftstrafe. Er war so umstritten, dass sich die Wikipedianer selbst über die Inschrift des Grabsteins stritten, bis ein System-Administrator die Seite stilllegte – für immer.