Ulrich Biermann: Die 3. Istanbul Design Biennial fragte 2016: "Are we human?" Teil dieser Biennale war "Superhumanity", ein Online-Projekt, das Texte veröffentlichte zur Frage, wie Design nicht nur die Welt, sondern auch uns verändert und verändert hat. Initiiert durch die Kuratoren der Biennale und den Künstler Anton Vidokel sowie Nikolaus Hirsch. Architekt, ehemaliger Rektor der Frankfurter Städelschule, Kurator, Ausstellungsmacher. Die online publizierten Texte gibt es jetzt auch als Buch: "Superhumanity - Design of the Self". Willkommen zum Corsogespräch, Nikolaus Hirsch!
Nikolaus Hirsch: Ja. Hallo.
Ulrich Biermann: Ein riesiges Feld, Superhumanity, mit einer heiklen Frage: Dass Design unsere Technologien verändert, auch unsere Techniken, das würde niemand verneinen. Aber uns direkt selbst? Sie meinen bestimmt nicht aufgespritzte Lippen oder Sixpack oder Brustimplantate, oder?
Wir haben noch länger mit Nikolaus Hirsch gesprochen - hören Sie hier die Langfassung des Gesprächs
Nikolaus Hirsch: Das gehört natürlich auch dazu. Das meinen wir auch. Man kann sicherlich die Geschichte des Designs, so wie wir das tun, begreifen in einem Zeitraum von zum Beispiel dem Beginn der Steinzeit, also Keilwerkzeuge, die sicherlich die Art und Weise bestimmt haben, wie Menschen ihr Leben organisiert haben, wie sie geworden sind. Und sicherlich: Phänomene, wie Sie sie gerade nannten, aufgespritzte Lippen oder Designer-Babys und anderes als ein Phänomen von heute - und was sicherlich in Zukunft sehr viel stärker werden wird. Also ein Begriff von Design, der sehr weit gefasst ist und nicht mehr nur über das Design von Objekten wie der neuste Tisch, der neuste Stuhl geht.
Die Entwicklung des neuen Menschen
Ulrich Biermann: Mittlerweile gibt es neue, designte Materialen, selbst die Bausteine des Lebens werden neu designt. Biochemiker haben jetzt die Grundbausteine jedes irdischen Lebens, die Nukleinbasen Adenin, Thymin, Cytosin und Guanin
erweitert um zwei künftige Nukleinbasen
, die man dann in die DNA einschleußen kann und - so hofft man - dann, neue Kunststoffe mit lebenden Eigenschaften schaffen zu können. Macht Ihnen das nicht Angst?
Nikolaus Hirsch: Das ist natürlich ein beängstigendes Phänomen, und ich denke, ein Teil der Unsicherheit, die Menschen heute spüren - nicht nur in Deutschland, sondern weltweit - hängt nicht nur mit politisch-sozialen Fragen zusammen, sondern auch mit diesen dramatischen technischen Änderungen. Und diese technischen Änderungen gehen zunehmend auch in den Alltag hinein: In die Art und Weise, wie wir uns umgeben mit Handys, aber eben auch diese biochemischen Bausteine, die sie gerade erwähnt haben, die zunehmend das alte Bild des Menschen auch verändern. Mir scheint es so, als würde man im 21. Jahrhundert gewisse Themen aufgreifen und auch Versprechungen aus dem frühen 20. Jahrhundert, nämlich die Entwicklung des neuen Menschen. Und das ist natürlich eine beängstigende Entwicklung, aber auch eine Entwicklung, so denke ich, vor der man die Augen nicht verschließen kann.
Ulrich Biermann: Und da sind wir zwischen "Sonnenstaat" oder "Übermensch".
Nikolaus Hirsch: Genau. Der Begriff des Übermenschen in seiner Konnotation mit Friedrich Nietzsche hat natürlich hier die Fragen auch aufgeworfen, die hier relevant sind: Also sowohl als ein Modell der Selbstverwirklichung in gewissem Sinne und auch der Selbstbestimmung. Denn ich glaube dieses aufklärerische Moment ist auch dieser Tradition von Design. Aber natürlich gleichermaßen ein dystopisches Element: totale Überwachung, Vorherbestimmung, totale Planbarkeit - und das sind sicherlich die Bereiche, wo man auch sehr aufmerksam sein muss und sehr kritisch sein muss.
Verpflichtung zum Selbst-Design
Ulrich Biermann: Der Philosoph, Kunstkritiker und Medientheoretiker Boris Groys, darauf beziehen sie sich deutlich in Ihrem Buch, hat schon 2008 geschrieben "The modern subject now has a new obligation: the obligation to self-design." Also es gibt eine Verpflichtung, sich selbst zu designen. Worin liegt diese Verpflichtung?
Nikolaus Hirsch: Mit Verpflichtung meint Boris Groys eine zweifache Verpflichtung, nämlich einerseits natürlich, die Möglichkeit, Dinge tun zu können. Und gleichzeitig natürlich auch eine Erwartungshaltung der Gesellschaft, immer zu performen. Dieser Begriff von Performanz, der auch häufig auftaucht, ist eben auch gekoppelt an Design. Die Gesellschaft erwartet - auch unser Arbeitsleben zunehmend -, dass wir in einer gewissen Art und Weise kreativ sind. Als eine kleine Ich-AG, sozusagen. Zunehmend sind Arbeitsverhältnisse nicht mehr bei einer Firma aufgehoben, wo man im Prinzip nur eine kleines Rädchen innerhalb eines Mechanismus ist, sondern es wird zunehmend erwartet von einem, eigenständig zu sein, kreativ.
Algorithmen machen kompatibel mit dem Markt
Ulrich Biermann: Aber Design kann doch nicht heißen: Optimierung für den Markt.
Nikolaus Hirsch: Das ist natürlich das große Missverständnis und das große Versprechen - auch grade von Facebook und anderen sozialen Medien-, dass es hier um eine Form des Selbst geht, des Ausdrückens seiner Selbst für die individuellen Nutzer. Auf der anderen Seite ist es hier völlig offensichtlich, dass es hier um den Markt geht. Um Algorithmen, die sozusagen uns erst kompatibel machen mit dem Markt.
Ulrich Biermann: Verstehen Sie, wenn jemand sagt: Danke. Ab diesem Puntk für mich bitte kein Design mehr.
Nikolaus Hirsch: Ja, verstehe ich komplett. Ich glaube, diese Form von radikaler Haltung von Design, dass man sagt: Design ist überall inzwischen, ist so umfassend, dass ich versuche, mich dem zu entziehen. Das heißt dort eine kritische Haltung zu entwickeln und auch mit diesen neuen Design-Produkten - wenn ich sage Design, dann meine ich sehr stark Schnittstellen, also Interfaces, diese ganzen Tools, die uns umgeben wie Handys - da ist wirklich die Frage, wie kann man sich auch schützen davor? Wie konstruieren wir uns unsere Freiräume, wo wir uns dem Design - diesem Begriff von Design entziehen - und vielleicht Selbstbestimmung anders definieren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.