Die 800.000 Lehrer in Deutschland sollen möglichst zügig mit Dienst-Laptops ausgerüstet werden - entsprechende Schritte zur Finanzierung haben Bundeskanzlerin Merkel, Bildungsministerin Karliczek, SPD-Chefin Esken und die Kultusminister der Länder bei einem Treffen in Berlin verabredet. Bekräftigt wurde bei dem Treffen im Kanzleramt außerdem, dass sich der Bund mit 500 Millionen Euro an den Kosten zur Ausbildung und Finanzierung von Administratoren beteiligt, die sich um die Technik an den Schulen kümmern sollen. Der Vorsitzende der Lehrergewerkschaft, Udo Beckmann, sieht darin noch keinen Durchbruch. Gute Signale habe man mit den Beschlüssen allerdings gesetzt. Jetzt müsse die Politik auch einen Zeitstrahl liefern, bis wann was leistbar sei, sagte er im Dlf.
Das Interview im Wortlaut:
Stefan Heinlein: Herr Beckmann, ein Laptop für jeden Lehrer – ist das der Durchbruch für die Digitalisierung der Schulen?
Udo Beckmann: Ich denke, den Durchbruch haben wir gestern nicht geschafft. Es sind gute Signale. Dass natürlich jetzt endlich das, was schon lange versprochen worden ist, dass die Lehrer auch mit Endgeräten ausgestattet werden sollen, das ist richtig. Aber sechs Monate nach dem Lockdown, wenn man das gestern mal betrachtet, befinden wir uns immer noch im Stadium der Absichtserklärungen. Und ich finde vor allen Dingen, Politik muss sich ehrlich machen. In der Öffentlichkeit entsteht ja der Eindruck, jetzt fließen die Millionen ohne Ende und morgen sind die Schulen alle gut ausgestattet. Die Eltern haben hohe Erwartungen. Aber an den Schulen ist bis jetzt ja kaum etwas angekommen.
"Lehrer möchten sich fortbilden, aber auch hier mangelt es an Angeboten"
Heinlein: Woran liegt es, dass diese fünf Milliarden beziehungsweise diese halbe Milliarde für Laptops nicht ankommen an den Schulen?
Beckmann: Das liegt vor allen Dingen an dem bürokratischen Aufwand, der damit verbunden ist. Wir wissen, dass zum Beispiel bei den Geldmitteln, die aus dem Digitalpakt abgerufen werden müssen, das ja auch über die Schulträger laufen muss. Die Schulträger leiden oft selbst unter zu wenig Personalausstattung, so dass das alles sehr schleppend vorangeht. Deswegen sage ich, Politik muss hier auch mal einen Zeitstrahl aufmachen, bis wann was leistbar ist. Der Druck auf die Schulen nimmt enorm zu, insbesondere auch auf die Schulleiter, weil die Erwartungen so hoch sind, aber die Schulen fühlen sich dabei im Regen stehen gelassen.
Heinlein: Sie zeigen mit dem Finger auf die Politik. Sind aber vielleicht auch die Schuldirektoren, die einzelnen Lehrer zu träge, sich umzustellen auf die neue digitale Welt? Man arbeitet lieber weiter mit dem Bewährten, mit Kreide und Tafel?
Beckmann: Dem möchte ich deutlich widersprechen. Wir haben regelmäßig in den letzten Jahren durch Forsa repräsentative Lehrerbefragungen und Schulleiterbefragungen durchgeführt. Es ist genau das Gegenteil. Lehrerinnen und Lehrer erwarten sich ja durch die Unterstützung von digitalen Medien auch Möglichkeiten, den Unterricht individueller und anders gestalten zu können. Sie möchten sich auch gerne fortbilden, aber auch hier mangelt es an den Angeboten. Ich verwahre mich dagegen, wenn der Fingerzeig wieder Richtung Schulen geht, die sollen alles lösen. Nein, hier ist die Politik in der Pflicht, vernünftige Angebote zu machen und dafür zu sorgen, dass wir einen klaren Zeitstrahl haben, wann was zur Verfügung steht.
Auch junge Lehrer sind nicht ausreichend vorbereitet
Heinlein: Können denn alle Lehrer tatsächlich mit den Laptops, die jetzt kommen werden, etwas anfangen? Sind sie bereit und fähig für den Online-Unterricht, oder gibt es da gewaltige Unterschiede beim Thema Digitalisierung zwischen alten Lehrern, die kurz vor der Pensionierung stehen, und jungen Lehrkräften, die frisch von der Uni kommen?
Beckmann: Auch hier müssen wir feststellen, dass das nicht zwangsläufig altersbedingt ist, ob man dem Digitalen aufgeschlossener ist oder nicht. Nein, wir sehen grundsätzlich, dass Lehrerinnen und Lehrer darauf warten, dass sie diese Unterstützungsmöglichkeiten durch digitale Medien bekommen. Woran es mangelt sind die entsprechenden Angebote in der Fortbildung, und wir stellen auch fest, dass junge Lehrerinnen und Lehrer, die von den Universitäten kommen beziehungsweise aus dem Referendariat kommen, auch nicht hinreichend vorbereitet sind auf die neuen Herausforderungen durch digitale Medien. Hier gibt es eine Menge zu tun.
Heinlein: Ein Beschluss von gestern in dieser Richtung, was Sie jetzt fordern, ist ja die Anforderung, dass man jetzt sagt, die bestehenden Strukturen der Lehreraus- und Fortbildung sollen ausgebaut werden, um ein, wie es heißt, "praxisorientiertes Kompetenzzentrum für den digitalen Unterricht zu schaffen." – Sind Sie zuversichtlich, dass das der richtige Weg ist, um die Schwachstellen bei der Aus- und Fortbildung, die Sie ja genannt haben, auszugleichen?
Beckmann: Ja. Es ist sicherlich ein Weg, dass Lehrerinnen und Lehrer mehr Unterstützung bekommen in dieser Hinsicht und dass sie die Möglichkeit haben, qualifizierte Fortbildungsangebote wahrnehmen zu können. Aber wir müssen sowohl in die erste Phase der Lehrerausbildung gucken, dass sich hier etwas verändert, wie in die zweite und auch in die dritte Phase. Hier ist ein Gesamtpaket zu schnüren und wir warten darauf, dass es die entsprechenden Signale aus der Politik gibt. Das heißt nicht nur Absichtserklärungen, sondern Umsetzung.
Schüler-Flatrate: Vernünftige Regelungen mit Telefonanbietern notwendig
Heinlein: Ein Ergebnis von gestern ist ja auch, dass man eine Schüler-Flatrate für zehn Euro auf den Weg bringen will. Wie sinnvoll ist das aus Ihrer Sicht, aus Sicht der Lehrer?
Beckmann: Ja, das muss man mit Sicherheit machen, weil man sonst nicht alle Schülerinnen und Schüler erreichen kann. Insbesondere Kinder, die eh schon benachteiligt sind, brauchen solche Unterstützung, und ich erwarte, dass die Bundesregierung beziehungsweise die Länder hier mit den Telefonanbietern vernünftige Regelungen treffen.
Heinlein: Sind tatsächlich sozial benachteiligte Kinder nicht in der Lage, einem Online-Unterricht zu folgen?
Beckmann: Einem Online-Unterricht zu folgen, will ich damit nicht sagen, aber sie haben vielleicht nicht die Möglichkeiten und die Voraussetzungen dafür. Und damit kein Kind ausgeschlossen wird, muss man hier nach Lösungen suchen.
Heinlein: Das Stichwort Digitalisierung zeigt die wachsende Schere zwischen Arm und Reich auch im Klassenzimmer?
Beckmann: Auch das zeigt sich im Klassenzimmer, und wenn wir Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit umsetzen wollen, ist die Politik gefordert, hierfür die Voraussetzungen zu schaffen.
Schwachstellen im personellen Bereich
Heinlein: Hat denn insgesamt die Pandemie, wenn Sie jetzt auf die letzten Wochen und Monate zurückblicken, die Schwachstellen, die digitalen Schwachstellen im deutschen Bildungssystem gnadenlos aufgedeckt?
Beckmann: Na ja, nicht nur die Schwachstellen im digitalen Bereich. Vor allen Dingen auch im personellen Bereich die Schwachstellen deutlich gemacht. Jetzt fällt uns natürlich das, was in der Vergangenheit passiert ist, dass wir einen riesigen Personalmangel haben, natürlich doppelt auf die Füße, und auch hier gilt es, sich Gedanken zu machen, wie wir das in Zukunft verändern wollen. Schulen brauchen vor allen Dingen auch Unterstützung durch andere Professionen, sogenannte multiprofessionelle Teams, also Schulsozialarbeit, Schulpsychologie etc. Auch hier muss etwas getan werden, wenn man Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit sicherstellen will.
Heinlein: Nun gibt es ja Länder, Herr Beckmann, nicht nur in Asien, auch bei uns in Europa, Skandinavien oder dem Baltikum, wo man schon seit geraumer Zeit sehr erfolgreich in den Schulen digital arbeitet. Warum nimmt man das an deutschen Gymnasien, an deutschen Schulen nicht als Blaupause für die Digitalisierung in unseren Klassenzimmern?
Beckmann: Wir wissen, dass die skandinavischen Länder in diesen Bereichen schon weiter sind. Es gibt auch andere Länder und ich glaube, eine einfache Blaupause zu machen ist nicht ganz einfach, weil die Systeme natürlich sehr unterschiedlich sind. Aber ich gebe Ihnen insofern recht, dass eine Menge an Zeit verschlafen worden ist. Bereits 2016 hat die Kultusministerkonferenz schon ein Strategiepapier herausgegeben, Bildung in der digitalen Welt, und wenn ich gucke, was da alles drinsteht, dann deckt sich das mit den Absichtserklärungen, die gestern auf dem Schulgipfel verkündet worden sind.
"Föderale Strukturen machen manches noch viel schwerfälliger"
Heinlein: Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass unser Bildungssystem föderal aufgestellt ist? Bildung ist ja bekanntlich Ländersache und nicht wie in den meisten Ländern Skandinaviens alles zentral organisiert und angeordnet.
Beckmann: Ja, in diesen Zeiten zeigt sich natürlich, dass durch die föderalen Strukturen manches noch viel schwerfälliger ist. Gestern waren 16 Schulminister auf dem Schulgipfel. Die sind jetzt alle nachhause gefahren und entdecken jetzt wieder ihre eigenen Regelungen. Von daher wünscht man sich natürlich, dass wir gerade in solchen Situationen wie jetzt mehr bundeseinheitliche Regelungen haben, und das ist ja auch der Wunsch der Gesellschaft, wenn man sich erinnert nach der ifo-Umfrage von letzter oder vorletzter Woche.
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