Stephanie Gebert: Schul-Clouds – machen sie das Leben von Schülern und Lehrkräften tatsächlich leichter? Die Skepsis bleibt, und die Suche nach Lösungen geht weiter, auch wenn es darum geht, wie Lern- und Lehrmaterialien nicht nur im Schulkosmos geteilt, sondern für alle zugänglich gemacht werden können. Stichwort Open Educational Ressources, kurz OER. Pädagoge Jöran Muuß-Merholz hat an einer aktuellen Studie zu OER für die UNESCO die Lage in Deutschland analysiert. Ich grüße Sie!
Jöran Muuß-Merholz: Hallo!
Gebert: Wir haben gerade gehört von einer bunten Landschaft von Schul-Clouds in Deutschland. Ist diese Vielzahl an Angeboten und Möglichkeiten Gift für die eigentliche Idee des Open Educational Ressource?
Muuß-Merholz: Es ist Fluch und Segen gleichzeitig, denke ich. Mit dem Internet haben wir tatsächlich etwas, was der englische Pädagoge Martin Weller mal eine Pädagogik des Überflusses genannt hat. Wir haben nicht mehr die Sorge, wir haben nicht genug Material oder zu einseitiges, sondern wir haben in Hülle und Fülle Materialien und Werkzeuge und Tools und Plattformen und so weiter und müssen jetzt tatsächlich als Lernende und als Lehrende lernen, wie wir mit dieser großen Fülle klarkommen, daraus auswählen, filtern, für uns das Notwendige und Hilfreiche heraussuchen. Und Open Educational Ressources trägt sowohl dazu bei, dass diese Vielfalt größer wird, aber auch dazu, dass wir es besser für uns anpassen können. Weil der große Unterschied ist ja, dass Open Educational Ressources diese Anpassung für meine eigenen Zwecke erlauben, was die nicht Open Educational Ressources ja nicht tun.
"Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Angeboten fehlt"
Gebert: NRW und Baden-Württemberg wurden genannt, haben es versucht, für sich anzupassen, und eine landesweite Schul-Cloud zu erstellen. Aber es hat sich auch gezeigt, da ist jede Menge Geld verbrannt worden, weil die Plattformen so nicht funktioniert haben, wie man das wollte. Ist man da am Datenschutz und am Urheberrecht gescheitert?
Muuß-Merholz: Ich glaube, es ist tatsächlich eine ganz gemeine Mischung aus Datenschutz, aus Urheberrecht, aus Technik, auch aus Vorbehalten auf allen Ebenen, wo bestimmte Akteure dann gesagt haben, sie wollen das nicht. Das Ganze macht klar, dass so eine Schul-Cloud nicht nur so ein kleines Add-on ist, was man zusätzlich an das bestehende Schulsystem dranklebt, und die meisten können weitermachen wie bisher, sondern es ist tatsächlich eine Frage, die alle betrifft und wo es sehr ans Eingemachte geht. Und daher kommen auch tatsächlich diese ganz unterschiedlichen Fragen, die sich dann miteinander vermischen.
Gebert: Eine Lösung wäre ja eine einheitliche bundesweite Cloud. Sehen Sie da auch die Gefahren, die wir gehört haben, wie fehlende Flexibilität, und dass man sich da von einem Anbieter abhängig macht?
Muuß-Merholz: Ich teile die Sorge insgesamt. Ich glaube, als Erstes würde ich tatsächlich fragen, woher kommt denn die Argumentation, dass, wenn ein Bundesland es nicht schafft, dass wir es dann besser schaffen, wenn 16 Bundesländer sich erst mal gemeinsam einigen und all ihre Fragen dann auch noch zusammenwerfen und da eine gemeinsame Lösung draus entsteht. Da wäre ich nicht so optimistisch. Da würde ich vor allem das unterstützen, was in dem Beitrag der Richard Heinen gesagt hat, nämlich dass die Durchlässigkeit zwischen diesen vielen verschiedenen Angeboten fehlt. Das ist jetzt technisch gesehen ein bisschen langweilig, aber tatsächlich sehr elementar, dass es so was wie offene Schnittstellen gibt, dass diese Systeme miteinander reden können. Das kann im Moment so aussehen, dass es im schlimmsten Fall bedeutet, ich muss mich dreimal irgendwo abmelden und anmelden und Material neu hochladen und so weiter. Es muss nicht alles in einer zentralen Wolke zusammengefügt sein. Sie müssen nur miteinander sprechen können, diese unterschiedlichen Wolken.
"Viele kleine Boote und nicht einen riesigen, schweren Tanker"
Gebert: Das klingt aber alles danach, als seien wir noch im Entdeckermodus, auch die Politik noch völlig im Entdeckermodus, und nicht, dass die Politik das Heft des Handelns in der Hand hat. Welchen Eindruck haben Sie?
Muuß-Merholz: Ich glaube, dass man anerkennen muss, dass es kein großes Defizit ist, dass wir im Entdeckermodus sind. Denn Digitalisierung ist ja etwas, was sich rasant und relativ unvorhersehbar verändert. Und insofern sind wir da so ein bisschen gesamtgesellschaftlich im Entdeckermodus. Und auch da muss man sagen, es ist wahrscheinlich nicht sinnvoll, zu sagen, wir setzen alles auf eine große Karte und hoffen, dass das dann die nächsten zehn Jahre die richtige Lösung ist, und hoffen, dass in zehn Jahren sich nicht die digitalen Welt noch mal ganz stark verändert hat. Von daher würde eigentlich auch aus dieser Sicht viel dafür sprechen, viele kleine Boote zu haben, und nicht einen riesigen, schweren Tanker, den man dann nur bedingt umsteuern kann, wenn man neue Entwicklungen hat.
Gebert: Haben Sie das Gefühl, dass die Politik mit dabei ist, mit im Boot ist, wenn wir schon mal bei dem Bild bleiben?
Muuß-Merholz: Ja, ich würde erst mal tatsächlich sehr Positives über die Politik sagen, weil wenn man Maßstäbe von Bildungspolitik anlegt, dann hat sich zumindest für Open Educational Ressources in den letzten fünf Jahren das fast mit Lichtgeschwindigkeit entwickelt. Wir haben von einem Status 2011, wo niemand auch nur diesen Begriff kannte in Deutschland, hin zu 2018 sehr viele Commitments und Befürwortungen und Positionspapiere, wo die KMK und HRK, OECD und Europäische Kommission et cetera, von all denen liegen so etwas wie "Wir finden das sehr gut und wollen das"-Papiere vor. Das Problem ist nur, Commitments kosten nichts. Das, was jetzt kommt, kostet Geld. Das ist so was wie Infrastruktur, das ist die Frage, wer solches Material und die Entwicklung eigentlich bezahlt. Das sind Rahmenbedingungen: Gibt es so was wie Entlastung für Lehrer, die sich da sehr hervortun et cetera? Und das sind eigentlich die härteren Bretter, die da noch vor uns liegen.
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