"Wir möchten überleben." Alfred Neven DuMont, 87 Jahre alt, Verleger der Berliner Zeitung, des Kölner Stadt-Anzeigers und der Hamburger Morgenpost.
"Wer sind unsere Gegner? Das sind die Anstalten öffentlichen Rechts, gar keine Zweifel. Aber viel schlimmer: Das ist Facebook, das ist vor allem Google, mit dem wir uns natürlich auseinandersetzen. Da ist genauso Ebay und Twitter. Alle nagen sie an unserem Topf."
Auf dem Jahreskongress des Bundesverbandes deutscher Zeitungsverleger Anfang des Monats in Berlin blickte die Printbranche wieder einmal skeptisch in die Zukunft. Durch die Digitalisierung hat sie mehr Konkurrenten als je zuvor; mehr Konkurrenz im Kampf um die Aufmerksamkeit ihrer Leser.
Und die Printbranche tut sich schwer damit, Geschäftsmodelle im Internet zu entwickeln, die ihre klassischen Erlösquellen – den Zeitungs- und Anzeigenverkauf - zumindest ergänzen. Die Verleger, so sagt Horst Röper vom Dortmunder Formatt-Institut, hätten immer noch nicht verwunden, dass sie durch das Internet ihre führende Rolle im Geschäft mit Nachrichten und Werbung verloren haben.
"In der Tat sind sie in einer Zwickmühle. Sie müssen den Übergang schaffen zum reinen Internetzeitalter und dies finanzieren noch über das Printmedium. Das Printmedium hat aber eben die beiden Probleme, zum einen nachlassende Auflagen, zum anderen schon seit über zehn Jahren eben nicht mehr die Werbeumsätze wie früher. Und das alles in den Griff zu kriegen, fällt den Häusern schwer. Manche haben auch nicht damit gerechnet, dass beispielsweise die Umsätze im Werbemarkt im letzten Jahr noch mal so stark runtergehen würden wie sie es dann getan haben, eben mit der Folge, dass ihre Kassenlage nicht mehr stimmt."
Einsparungen, Entlassungen und sinkende Auflagen
Und wirklich: Die Nachrichten, die in den letzten Wochen die Printbranche betrafen, klingen alarmierend. Die Mediengruppe Darmstädter Echo baut mehr als die Hälfte ihrer Arbeitsplätze ab. Von derzeit 300 Vollstellen werden nur noch 140 erhalten bleiben. Die Funke Mediengruppe hat für drei Lokalausgaben der WAZ und vier der Westfälischen Rundschau in Dortmund, Schwerte, Lünen und Castrop-Rauxel Insolvenz angemeldet. Die gemeinsame Auflage: 30.000 Exemplare. Die Westfälische Rundschau hatte schon seit 2013 keine eigene Redaktion mehr.
Die Geschäftsführung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kündigte an, in den nächsten Jahren 200 Stellen in Verlag und Redaktion abzubauen. Bis 2017 müssten jährlich 20 Millionen Euro in allen Bereichen eingespart werden. Betriebsbedingte Kündigungen könnten nicht ausgeschlossen werden. Gerade die FAZ leide unter dem Verlust der Stellenanzeigen, die nicht mehr in der überregionalen Presse geschaltet werden, meint Bülend Ürük, Chefredakteur des Fachdienstes Newsroom.de. Dazu kämen Versäumnisse aus der Frühphase des Internets.
"Die FAZ ist ja relativ spät erst ins Netz gegangen, also Anfang der 2000er, und damals gab es ja sogar zwei unterschiedliche Internetauftritte, das eine für die Abonnenten (...) und einmal ein kostenfreies Online-Angebot. Das ist dann erst später zusammengeschlossen worden. Es ist natürlich schwer: Wir haben eine Online-Übermacht von der Bild-Zeitung, vom Spiegel, die Süddeutsche Zeitung ist online sehr aktiv mit innovativen Formaten, da ist es sehr, sehr schwierig, sich dem Kampf um die Leser zu stellen."
Medienexperte Bülend Ürük glaubt, dass die derzeit schwierige Lage für viele Zeitungen von den Verlegern selbst verursacht wurde. Jahrzehntelang seien sie mit hohen Gewinnmargen verwöhnt worden und hätten die Zeichen der Zeit zu spät erkannt.
"Der Verleger selbst ist darauf bedacht, dass er jedes Jahr seine gemütliche zweistellige Rendite rauszieht, aber im seltensten Fall will er halt auch noch tatsächlich investieren."
Stattdessen werde Personalabbau zum alleinigen Mittel der Wahl, wenn es um die Finanzierung des Medienwandels gehe. Um Journalismus zu betreiben, um Recherche zu gewährleisten, um nicht nur Pressemitteilungen von Politik, Verbänden und Wirtschaftslobbyisten ungeprüft abschreiben zu müssen, brauche es aber Zeit, Geld, und vor allem Mitarbeiter. Sogar Kanzlerin Angela Merkel sah sich gezwungen, die Zeitungsverleger auf ihrer diesjährigen Tagung vor weiteren massiven Einsparungen in ihren Redaktionen zu warnen.
"Ohne Investitionen in anspruchsvollen Journalismus geht die Kernkompetenz der Verlage verloren. Und die ist dann nur sehr schwer aufzubauen."
Doch nicht nur bei vielen Zeitungen wird abgebaut, auch Europas zweitgrößter Zeitschriftenkonzern Gruner + Jahr will mindestens 400 Mitarbeiter entlassen. Stefan Endter, Hamburger Geschäftsführer der Journalistengewerkschaft djv:
"400 Stellen, das ist eine Größenordnung, die man so nicht erwarten konnte und eigentlich kann man auch nur an Gruner + Jahr appellieren, dieses Konzept zu überdenken, denn Arbeitsplatzabbau bringt in der Regel keinen wirtschaftlichen Erfolg."
Medienexperten: Verleger haben zu spät reagiert
Auch der Verlagsführung von Gruner + Jahr werden von Medienbeobachtern Versäumnisse aus der Frühzeit des Internets vorgeworfen. Die kurzfristige Rendite sei auch hier wichtiger gewesen als Investitionen in die Zukunft, meint Bülend Ürük. Beispielsweise sei die Entwicklung der eigenen Suchmaschine Fireball viel zu früh abgebrochen worden.
"Fireball war ein Weg, den man hätte beschreiten können, um jetzt z.B. in diesem Suchmaschinengeschäft eine große Nummer zu sein. Das wurde versäumt, weil gesagt wurde: Wir verbrennen Geld, das wollen wir nicht, wir wollen lieber Dividende an die Gesellschafter auszahlen. Und das rächt sich heute."
Andere Zeitungs- und Zeitschriftenverlage wie Springer und Burda setzten schon früh auf das Internet und glichen ihre Verluste im Print-Anzeigengeschäft damit aus, dass sie Anzeigenportale im Netz gründeten oder aufkauften. Gleichzeitig investierten sie in Verkaufsseiten und machen heute einen Großteil ihrer Geschäfte beispielsweise mit Tiernahrung. So quersubventionieren sie ihre journalistischen Angebote. Die Verlegerfamilie Jahr reagierte währenddessen auf den rapiden Einnahmenrückgang bei Gruner + Jahr mit dem Verkauf ihrer Anteile an den Bertelsmann-Konzern. Das Ende einer Verlegerära. Sogar das repräsentative Gebäude des Verlages am Hamburger Baumwall könnte weiteren Sparmaßnahmen zum Opfer fallen.
Keine zwei Kilometer von Gruner + Jahr entfernt liegt das ebenfalls futuristisch designte Hochhaus des Spiegel-Verlages. Auch hier herrscht Krisenstimmung. Die Werbeeinnahmen aus Print und Online sind seit Jahren rückläufig, die Auflage des gedruckten Spiegel sinkt. Gleichzeitig sorgen sich die Mitarbeiter um das Renommee des Blattes.
Auf Kosten der Qualität
Wie lässt sich die Redaktionskultur des gedruckten Spiegel, in der noch Zeit und Geld für längere Recherchen vorhanden sind, mit der schnelleren und vom Aktualitätsdruck getriebenen Berichterstattung von Spiegel Online vereinbaren? Das ist die Frage, die sich Spiegel-Mitarbeiter stellen. Schon die Chefredakteure Mascolo und Müller von Blumencron waren vor zwei Jahren entlassen worden, weil sie kein Konzept für eine Zusammenführung fanden. Gegen die Pläne von Chefredakteur Wolfgang Büchner, dem nachgesagt wird, Spiegel Online für wichtiger zu halten als das Printprodukt, kam es sogar zu einem Aufstand der Redaktion. Und ein Ende der Auseinandersetzung ist noch nicht abzusehen.
Ressortleiter sollten abgelöst werden zugunsten von Entscheidungsträgern aus der Online-Redaktion. Ein Kurs, der auch aufgrund der dann fälligen hohen Abfindungssummen von einer Mehrheit der Printredakteure als nicht durchdacht kritisiert wurde. Die Qualität des gedruckten Blattes sei in Gefahr. Eine selbstbewusste Mannschaft wie die des Spiegels für eine Veränderung der Redaktionsabläufe zu gewinnen, sei ohnehin eine diffizile Aufgabe, meint der Medienjournalist Kai-Hinrich Renner.
"Das ist sehr, sehr schwer. Das geht nicht per ordre de mufti, und ich denke, das ist einer der großen Fehler, die Wolfgang Büchner gemacht hat. Er hat versucht, Reformen von oben zu verordnen ohne Diskussion, ohne vernünftig zu kommunizieren."
Wer, wenn nicht wir, soll sich gegen den immer weiter fortschreitenden Niedergang der journalistischen Qualität stellen, fragen Spiegel-Mitarbeiter in Hintergrundgesprächen. Ihre Sorge, die sie allerdings nicht öffentlich äußern wollen: dass nachhaltige Berichterstattung und Recherche bald auch in ihrem Haus nicht mehr gefragt sein könnten.
Tendenziell gehorche Online-Journalismus anderen Gesetzmäßigkeiten als Print-Journalismus, glaubt auch der Zeitungsforscher Horst Röper. Ein Printredakteur sei nicht notwendigerweise ein guter Online-Redakteur und umgekehrt. Allerdings ist Röper skeptisch, ob das wirklich das Kernproblem der Auseinandersetzung in Hamburg ist.
"Das weiß ich nicht, ob das alles beim Spiegel so maßgeblich ist. Beim Spiegel haben wir ja die Sondersituation, dass die Printmedien-Redaktion über die Mitarbeiter-KG eben auch der wesentliche Eigner des Spiegels ist und damit eben auch an den Spiegel-Gewinnen partizipiert. Das gilt für die Online-Redaktion nicht. Nimmt man die Online-Redaktion mit ins Boot, würde man also künftig den Gewinn-Kuchen mit mehr Leuten teilen müssen. Auch das mag bei dem ein oder anderen durchaus ein Motiv sein, doch bei der strikten Trennung der beiden Bereiche zu bleiben. Dass das nicht durchzuhalten sein wird, sondern dass diese Online-Redaktion und die Printredaktion überall verheiratet werden, stärker ineinander gehen werden und künftig eben die Arbeit für beide Bereiche in den Redaktionen geleistet werden muss, das scheint mir sonnenklar."
Was immer aber der Kern der Auseinandersetzungen beim Hamburger Spiegel ist: Der ehemalige Vorreiter in der Internetwelt droht durch mangelnde Handlungsfähigkeit zum Nachzügler zu werden. Dabei war der Spiegel vor 20 Jahren weltweit das erste Magazin, das ein eigenes Internetportal lancierte – und mit Spiegel Online seitdem führend ist auf dem deutschen Nachrichtenmarkt im Netz.
Online-Angebote viel zu lange kostenlos
Zu spät, zu zögerlich, zu einfallslos stelle sich ein Großteil der Branche auf die neue Zeit ein, so die Kritik vieler Medienbeobachter. Inhalte, die ja durch Journalisten teuer erstellt werden, seien viel zu lange kostenlos im Netz verschenkt worden. "Komplettversagen" der Verlagsgeschäftsführer, so nennt das Kai-Hinrich Renner, Medienredakteur des Handelsblattes. Der Geschäftsführer seiner Zeitung, Gabor Steingart, lange Jahr selbst Journalist und jetzt zuständig für die wirtschaftliche Entwicklung der Verlagsgruppe Handelsblatt, würde so weit nicht gehen.
"Also Komplettversagen würde ich nicht sagen, aber es gibt ein wirklich historisches Versagen der Stunde null des Internets, die Chancen nicht gesehen zu haben. Zweites Versagen: dann alles umsonst herausgegeben zu haben. Wenn Becks Bier das getan hätte oder McDonalds oder Hanuta, wer auch immer, dann gäbe es diese Firmen nicht mehr. Also insofern ist es ein Wunder, dass es uns noch gibt."
Dem Handelsblatt gehe es sogar gut, so Steingart. Ebenso wie der Wochenzeitung "Die Zeit" beispielsweise oder der Zeitschrift "Landlust" aus dem kleinen Landwirtschaftsverlag in Münster beispielsweise, die seit ihrer Gründung 2005 Spiegel und Stern in der Auflage hinter sich gelassen hat.
"Ich glaub ja, dass wir gar keine Zeitungskrise haben. Wir haben eine Krise unseres Selbstverständnisses, vielleicht; eine Krise des Verstehens, was rund um uns passiert. Wir sind eine Industrie in Transformation wie andere auch. Ich meine, wir verändern uns, ehrlich gesagt, viel, viel langsamer als die Autoindustrie. Zwischen den Karren Ford Capri und diesen ganzen Schüsseln aus den 70ern und dem, was heute automobiltechnisch gebaut wird, da ist solch ein Unterschied durch andere Fertigkeiten, die Produktionsabläufe rund um die Welt und Ähnliches. Und jetzt hat´s uns auch mal erwischt als Medien. Wir haben 100 Jahre Papier bedruckt, und jetzt sind wir in Veränderung begriffen, und das wird als Krise erlebt. Völlig zu Unrecht. Die Wahrheit ist: Wir haben unsere Leserzahlen allesamt miteinander verdoppelt. Dank der digitalen Technik, wir sind ja zur selben Zeit in Rio und in Schanghai und überall. Das ist easy, und man denkt gar nicht drüber nach. Man klickt seine Icons und ist dabei. Und insofern verstehe ich das Gejammer gar nicht."
Der überzeugte Neoliberale Gabor Steingart glaubt, dass sich Medienhäuser zu Kauf-Häusern wandeln müssen. Die digitale Technik mache es möglich, neben der online geschalteten Werbung auf den Zeitungsportalen auch Verkaufsbuttons für deren Produkte einzubinden.
"Wir sind noch zu schüchtern im Nutzen der neuen Technologie. Also was früher die Anzeige war, also ein Verkaufsschild: komm in meinen Laden und kauf den Ford Capri, in unserem Fall: kauf den Aktienfonds der DWS. Heute, mit diesen Geräten, könnt ich eigentlich nicht nur sagen: Da ist der Laden, ich könnte kaufen. Wir könnten ein Transaktionsmedium sein. Und genauso unabhängig wie Anzeigen könnten auch Transaktionen funktionieren: Man kriegt eine Provision von dem, was aus so einer Webseite heraus verkauft wird, und das wär wunderbar. Die Medien wären die größten E-Commerce-Kaufhäuser. Anbieterneutral. Wir verkaufen einfach, was die Leute mögen."
Doch was bedeutet das beispielsweise für den Journalismus im Handelsblatt? Lässt sich dann noch unabhängig berichten, beispielsweise über Daimler? Das sei kein Problem, sagt Gabor Steingart.
"Hinterher gibt's beim Aktionär zwei Regungen: kaufen oder verkaufen. Und jetzt kann er die Technologie wechseln und irgendwo anrufen, bei einer Bank oder einen Online-Account eröffnen oder er kann es direkt aus der Seite tun. So, das sind Dinge, die wir auch noch nicht am Start haben. Wir sind zu langsam. Wenn wir das nutzen würden: Zwischen Information und Kaufen und Buchen und Bestellen und weitere Dinge anfordern, das ist eigentlich eins. Die Technik ist da, aber wir hadern mit unserem Schicksal, das so, so viele Möglichkeiten offenlässt."
Die Trennung von Journalismus und Werbung verschwimmt
Die Verlagsgruppe Handelsblatt jedenfalls leidet nicht unter der Werbeflaute – sie bietet den Unternehmen einfach andere Möglichkeiten: Indem sie beispielsweise Veranstaltungen zu speziellen Themen organisiert, an denen sich Unternehmen beteiligen können. So wie es keine Zeitungskrise gebe, sagt Steingart, gebe es auch keine sinkenden Werbeerträge. Die Werbung suche sich nur andere Wege.
"Das heißt dort Sponsoring, Public Relation, Content Marketing. Die klassische Anzeige schrumpft – und alles andere wächst. Die Firmen geben ein irres Geld aus für Social Responsibility, für Golfturniere, für dit und für dat. In Summe gibt die Firma heute - jede Firma - mehr Geld aus als vorher."
Nicht jeder sieht die enge Verzahnung von wirtschaftlichen Möglichkeiten und Journalismus allerdings als so unbedenklich an wie Gabor Steingart das tut. Der Zeitungsforscher Horst Röper meint:
"Das, was die Gruppe um das Handelsblatt da macht, das ist in meinen Augen schon ein, ja ein Ritt auf einer sehr scharfen Klinge. Wir sind jahrzehntelang gut damit gefahren, dass wir den Journalismus und Werbeeinnahmen getrennt haben, also den Journalismus unabhängig gehalten haben von solchen Werbeeinflüssen. Nun wird das hier sogar sehr forciert angestrebt. Ich hoffe nicht, dass sich das durchsetzen wird."
Doch die Branche denkt längst laut über sogenanntes Native Advertising nach, ein Trend, der aus den USA kommt. Doch was ist Native Advertising? Eine Arbeitsgruppe des BDZV, also des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger, definiert es so:
"Native Advertising ist vom Anzeigenkunden bezahlter, redaktionell anmutender Inhalt, der auf die Interessen der Nutzer abzielt und sich nahtlos in redaktionelle Umfelder einfügt."
Durch die genauen Messmethoden, die die Digitalisierung möglich gemacht hat, ist den Werbekunden inzwischen klar geworden, dass ihre Anzeigen, die sie online schalten, wenig Wirkung zeigen. Mit Artikeln oder Videos, die nach journalistischer Art aufbereitet sind und unterhaltsam erzählt sind, lassen sich Internetnutzer viel besser ansprechen. Nicolas Fromm, Geschäftsleiter Digitale Medien der medienholding:nord, einem Zeitungsverbund aus Flensburg, auf der Jahrestagung des BDZV.
"Es geht darum, Leser zu erreichen mit einer Werbebotschaft und vor allem, es geht darum, Geschichten zu erzählen, die letztendlich das Herz unserer Konsumenten erobern, und ich glaube, das ist das, was unsere Kunden brauchen, und das ist aber auch das, was wir in unserer Content-Strategie zukünftig brauchen werden. Denn wenn wir ehrlich sind – like it or not – 'native advertising' ist einer der Bestandteile unserer Branche, nicht nur in der amerikanischen Branche, sondern eben auch schon bei uns."
Im Januar hatte die Firma Dell auf der Homepage der New York Times an prominenter Stelle ihre erste Native-Werbung – journalistische Artikel über die Arbeitsgewohnheiten der jungen Generation. Für die Zeitung und den Computerhersteller eine sogenannte Win-win-Situation, wie Nicolas Fromm meint:
"Das war eine große Geschichte, was sich sehr in die DNA der Seite NewYorkTimes.com eingefügt hat, allerdings in einer schönen 12-Punkt-Schrift darüber: Paid for and posted by Dell. Wenn man's sich so anschaut: Ich glaube, wir dürfen unsere Leser nicht unterschätzen: Das kriegen die schon klar im Kopf, dass das kein typischer Content der New York Times ist."
Sven Gösmann, Chefredakteur der Deutschen Presseagentur, erinnert daran, dass auch die großen Journalisten und Verleger anderer Epochen nach wirtschaftlicher Rendite gestrebt haben, Journalismus also immer auch einen ökonomischen Aspekt gehabt hat.
"Naja, ist Rudolf Augstein kein Unternehmer gewesen? Joseph Pulitzer? Also, es gibt ganz viele, die mit einer guten journalistischen Idee ein Unternehmen von zum Teil Weltruf gegründet haben, und damit sehr guten Journalismus ermöglicht haben."
Doch was geschieht mit dem Journalismus, wenn sich Zeitungen und Zeitschriften auf der einen Seite immer mehr den Interessen der Werbekunden annähern und auf der anderen Seite für Recherche und Berichterstattung immer weniger Geld auszugeben bereit sind? Ist eine Kontrolle der Mächtigen in Wirtschaft, aber auch Politik, dann überhaupt noch möglich oder überhaupt gewollt? Nicht nur Gabor Steingart vom Handelsblatt, auch Mathias Müller von Blumencron, Chefredakteur Digitale Medien der FAZ, glaubt an die Kontrolle durch die Leser. Denn genauso, wie die Werbekunden inzwischen überprüfen können, ob ihre Anzeigen genutzt wurden, könnten die User heute besser als früher kontrollieren, wie Journalisten arbeiten. Blumencrons Fazit:
"Unsere einzige Überlebenschance in diesem digitalen Wettbewerb um Aufmerksamkeit, in dem wir sind, ist: Glaubwürdigkeit, Glaubwürdigkeit, Glaubwürdigkeit."