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DIHK-Präsident befürwortet Steuerreform

Deutschland habe sehr lange gut vom Export gelebt, künftig werde die Binnenwirtschaft die Konjunktur stützen müssen, sagt Hans Heinrich Driftmann, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Steuerentlastungen könnten dies befördern und seien möglich.

Hans Heinrich Driftmann im Gespräch mit Günter Hetzke |
    Das Interview mit Hans Heinrich Driftmann hören Sie am Sonntag ab 11.05 Uhr im Deutschlandfunk.

    Günter Hetzke: Herr Driftmann, Aktienhändler und Analysten an der Börse haben ja die Aufgabe, einen Blick in die Zukunft zu werfen und zu beurteilen: Wie entwickelt sich eine Branche oder die Geschäftslage eines Unternehmens. Und da hatte sich ja in den vergangenen zwei Wochen häufig gezeigt, dass eine Firma ganz hervorragende Halbjahresbilanzen vorgelegt hat mit Rekordumsätzen und mit Rekordgewinnen, und trotzdem an der Börse abgestraft wurde. Also der Aktienkurs sank, weil - so die Begründung - die Aussichten für den weiteren Geschäftsverlauf eingetrübt seien, das Wirtschaftswachstum werde sich abschwächen. Teilen Sie diese Prognose?

    Hans Heinrich Driftmann: Weder die Prognose im Inhalt, wie die Mittel, die dazu angewandt werden, zu solchen Prognosen zu kommen. Wir halten es da dann doch lieber mit der ganz normalen Empirie, machen Umfragen und schauen uns um, was denn nun eigentlich wirklich passiert. Und da müssen wir sagen: Die gute Konjunkturentwicklung, so wie wir sie jetzt kennengelernt haben, setzt sich weiter fort, wenngleich eben weniger schwungvoll als etwa zum Jahresanfang. Aber das ist eine recht normale Entwicklung, die wir zu verzeichnen haben. Die bringt bei uns den Adrenalinspiegel nicht hoch, wir gehen nach wie vor von einem BIP-Plus von 3,5 Prozent in diesem Jahr aus. Und das ist schon eine ganz solide Zahl.

    Hetzke: BIP ist das Bruttoinlandsprodukt. Und was erwarten Sie fürs nächste Jahr?

    Driftmann: Das können wir noch nicht genau sagen, aber wir glauben, dass sich die Konjunkturentwicklung auf etwas niedrigerem Niveau, aber immer noch positiv stabilisiert. Also es gibt keine Veranlassung, Trübsal zu blasen oder sich übermäßig Sorgen zu machen.

    Hetzke: Das ist ja schon mal eine gute Nachricht. In den USA, der größten Volkswirtschaft der Welt, soll ja künftig der Schuldenberg verringert werden, es wird gespart. Das ist seit dieser Woche beschlossen. Und gleichzeitig zeigte sich auch, dass die Wirtschaft des Landes weiterhin nur langsam wächst, viel zu langsam. Schuldenabbau und Konjunkturschwäche in den USA, befürchten Sie dadurch Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft?

    Driftmann: Also, zunächst mal müssen wir sagen: Wir haben sehr lange gut vom Export gelebt, jetzt wird die Binnenwirtschaft zunehmend so eine Art konjunkturelle Stützungsfunktion übernehmen müssen. Das wird auch funktionieren, weil die Unternehmen kräftig investieren. Sie stellen auch nach wie vor kräftig ein. Das macht deutlich, dass man schon mit einer guten Geschäftsentwicklung rechnet, macht aber eben auch deutlich, dass der Erfolg jetzt etwas woanders herkommt. Und damit muss man sich abfinden, und das ist eigentlich auch etwas völlig Normales. Wir haben allerdings, das will ich nicht verschweigen, eine ganze Reihe von Konjunkturrisiken, die wir im Blick behalten müssen. Ich nenne hier nur die hohen Energie- und Rohstoffkosten, die uns zu schaffen machen und die uns auch weiterhin zu schaffen machen werden.

    Hetzke: Bevor sich eine schwächere Konjunkturentwicklung abzeichnet oder wir in diese Phase geraten, dann sollte man ja schleunigst etwas unternehmen, um das abzufedern oder aufzufangen, also um der Konjunktur Schwung zu verleihen, und zwar eben jetzt, also zu einem Zeitpunkt, an dem es nach Ihren Aussagen ja gut läuft. An welchen Schrauben müsste denn Ihrer Ansicht nach gedreht werden, nennen Sie doch mal einige Stichpunkte.

    Driftmann: Zunächst einmal müssen wir uns um die öffentlichen Haushalte kümmern. Haushaltskonsolidierung ist wichtig. Wir haben Steuermehreinnahmen, das ist das Signal, dafür etwas unternehmen zu können. Wir haben Spielräume für eine Steuerreform zum Beispiel. Wir können ja nicht immer nur Erwartungen formulieren, und auch die Politik kann ja nicht nur Druck ausüben. Wir brauchen auch Anreizsysteme, und die werden häufig durch Spezialitäten, die wir im Steuersystem haben, konterkariert. Deswegen sind Steuerreformen enorm wichtig - motivational und psychologisch sehr, sehr wichtig, selbst dann, wenn sie Ausfälle in den öffentlichen Haushalten in dem Umfang eben nicht bringen.

    Hetzke: Steuerreform, Steuersenkung - das wird ja derzeit kräftig diskutiert, ist ja auch eine Möglichkeit, um die Kaufkraft zu stärken und eben das Binnenwachstum anzukurbeln. Die Bundesregierung hat sich ja festgelegt, dass es ab 2013 Steuerentlastungen geben wird, ohne allerdings Details zu nennen. Die sollen im Herbst kommen. Wie beurteilen Sie denn diesen Schritt, finden Sie das Vorhaben richtig und gut?

    Driftmann: Ich halte es für vernünftig. In der Tat müssen wir natürlich jetzt sehen, wie wir die Konjunktur stützen können. Das kann man dadurch, dass man das Steuersystem in sich stringenter gestaltet, dass man Dinge, die mit einer Steuerlogik nichts zu tun haben, wie etwa die Besteuerung von Kosten, dass man die wegnimmt, dass man den Mittelstandsbauch zumindest reduziert, dass man die kalte Progression einschränkt oder nach Möglichkeit wegbringt. Diese ganzen Maßnahmen kann man machen, die finanzieren sich zum Teil selbst. Sie bringen aber natürlich eine erhebliche Motivation, die die Wirtschaft stützen wird. Ich habe immer wieder betont: Wenn eine Steuerreform durchgeführt werden muss, weil sie vernünftig und logisch ist, und es scheitert an der Gegenfinanzierung, dann muss man sich über Subventionen Gedanken machen, selbst wenn es den einen oder anderen in der Wirtschaft, die eine oder andere Branche, nicht gerade erfreut. Aber dann sind wir bereit zu helfen und zu besprechen, wo man ansetzen kann, um eine gewisse Entlastung über diesen Weg zu erreichen.

    Hetzke: Auf eine Steuerreform warten wir ja aber eigentlich noch alle, also auf ein vereinfachtes Steuerrecht und auf Steuersparmodelle, dass da gestrichen oder dass da zumindest etwas reduziert wird. Wie enttäuscht sind Sie eigentlich, dass sich hier nichts tut?

    Driftmann: Ich habe schon ein gewisses Verständnis dafür. Steuerreformen sind meist nicht dazu geeignet, nun, die gesamte Klientel, von wem auch immer, zufrieden zu stellen. Es gibt immer Sieger und es gibt immer Unterlegene bei einem solchen Angang. Nur erforderlich ist es einfach, dass wir Steuerreformen transparenter machen. Das, was wir jetzt haben, ist für einen Verantwortungsträger in der Wirtschaft nicht mehr nachzuvollziehen und damit im eigentlichen Sinne auch kaum verantwortbar. Wir brauchen eine Vereinfachung, wir brauchen ein System, das nachvollziehbar ist, mit dem man sich auch identifizieren kann. Nur dann wird man auch genügend Steuerehrlichkeit erreichen.

    Hetzke: Also das sind die Punkte, die liegen Ihnen am Herzen, wenn da jetzt dran gebastelt wird. Es gibt ja auch noch eine andere Diskussion, die gerade geführt wird, nämlich die Steuersenkung mit Blick auf das Einkommen, um eben die Kaufkraft der Menschen zu erhöhen. Da gibt es ja gerade die Diskussion, dass Steuersenkungen nicht auf Pump finanziert werden sollen, sondern mit Ausgleichsmaßnahmen, also diese Diskussion "Steuererhöhungen für Spitzenverdiener", um damit untere Einkommen zu entlasten, wie das der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Norbert Barthle, ins Gespräch gebracht hat. Das findet ja breite Zustimmung auch in der Opposition. Auch Ihre?

    Driftmann: Das ist mir alles ein bisschen zu simpel. Man kann natürlich ohne Zweifel sich Gedanken machen, bei welcher Progression man sie besteuern will, nur auf der anderen Seite muss man eben sehen, dass unsere Wirtschaft in Deutschland mittelständisch strukturiert ist. Wenn Unternehmer nicht mehr genug verdienen, weil ihnen alles weggesteuert wird oder eben doch sehr viel, dann fallen Investitionen sehr viel geringer aus. Das wiederum führt dazu, dass die Konjunktur nicht gerade gefördert wird, das wiederum führt dazu, dass weniger Menschen eingestellt werden, das führt dazu, dass wir in eine Entwicklung hineinkommen, die gerade dem widerspricht, was wir als Erfolgskonzept im Moment international verkaufen können.

    Hetzke: Beim Streit um Steuersenkungen und Steuerreform sind viele Politikerstimmen derzeit zu hören, seltsamerweise nicht vom Bundesfinanzminister und auch nicht von der Bundeskanzlerin. Wundern Sie sich, dass da nichts kommt?

    Driftmann: Also ich weiß, dass diese Dinge in der Bundesregierung intensiv besprochen werden. Man kann nicht sagen, dass dort nichts passiert. Ich würde mir nur wünschen, dass möglichst zeitnah es auch Entscheidungen gibt, die eben motivational dazu führen, dass die Wirtschaft durchstartet und die positive Entwicklung fortsetzt. Ich sehe dazu aber Möglichkeiten, ich glaube, dass Chancen vorhanden sind. Und unsere Gespräche mit dem Bundeswirtschaftsminister, der nun in erster Linie als unser Ansprechpartner da ist, sind Erfolg versprechend und sind von großem gegenseitigen Vertrauen geprägt.

    Hetzke: Herr Driftmann, widmen wir uns noch mal einem anderen Aspekt. Sie hatten es ja schon angesprochen: Um die Wirtschaft anzukurbeln, könnte man eben auch die Binnenwirtschaft noch mehr als bisher schon stärken und eben das Konsumklima verbessern. Es ist jetzt ja nur bedingt Ihre Baustelle, trotzdem mal eine Frage zu den Löhnen. Die Wirtschaft boomt zurzeit in weiten Teilen wie selten zuvor, und die Reallöhne in Deutschland sinken auf breiter Front, und zwar nicht nur bei Geringverdienern, sondern auch bei Beziehern von mittleren oder überdurchschnittlichen Einkommen. Das ergaben Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Was läuft da eigentlich schief? Das macht doch Sinn, die Löhne kräftig zu erhöhen, zumal das doch auch die Konsumlaune und die Binnenwirtschaft stärkt.

    Driftmann: Wir haben keine Löhne abgesenkt. Wie Sie richtig sagen, ich bin dazu nicht in diesem Kontext verantwortlich. Ich kann mich dazu - wenn Sie so wollen - nur wissenschaftlich äußern. Ja, es gibt so etwas wie ein Absinken der Reallöhne, dieses wird sehr genau zu untersuchen sein. Da gibt es nämlich eine ganze Reihe von Aspekten. Ich kann nur dafür plädieren, dass wir die Kirche im Dorf lassen. Das, was wir als "die Wirtschaft" bezeichnen, gibt es so natürlich nicht. Es gibt viele, viele Unternehmen, die ganz unterschiedlich aufgestellt sind - bezogen auf Unternehmensgröße, auf Branche, auf Regionen, in denen sie tätig sind. Es gibt unterschiedliche Rechtsformen. Und ein Mittelständler hat natürlich ganz andere Probleme und andere Sorgen als ein Großunternehmen. Wir haben die Krise vor allen Dingen wegen des funktionierenden Mittelstandes so gut überstanden. Wir dürfen den nun nicht unter Beschuss nehmen und dem besonders Schwierigkeiten machen. Deswegen bin ich dafür, dass wir sehr sorgfältig überlegen, in welchem Zusammenhang und auf wen bezogen wir Lohnüberlegungen anstellen. Ich denke, dass die Kollegen von der BDA sich darüber ganz intensiv Gedanken machen.

    Hetzke: In der Tat ist das natürlich die Baustelle von Arbeitgeber und Gewerkschaften. Ich habe Sie deshalb noch mal gefragt, weil da ja so zusagen auch Stimmung dahinter steckt. Da fragt man sich ja schon: Wo bleibt die Gerechtigkeit und letztendlich die Zufriedenheit der Arbeitnehmer. Und das ist ja doch für den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht zu vernachlässigen, wenn eben ordentliche Arbeit nicht mit ordentlichen Löhnen vergütet wird.

    Driftmann: Da haben Sie völlig recht. Allerdings habe ich so meine Zweifel über die Ergebnisse der empirischen Erhebung, die wir im Moment auf dem Tisch haben. Dem möchten wir schon noch etwas intensiver nachgehen. Die Arbeitszufriedenheit scheint mir nicht in dem Maße gemindert zu sein wie es scheint anhand der jüngsten Veröffentlichungen. Dem muss nachgegangen werden. Aber natürlich müssen wir dafür sorgen, dass unsere Mitarbeiter sich gerecht behandelt fühlen. Sie müssen wissen, warum ein Lohn in dieser Weise gefunden werden muss und gefunden worden ist. Dieses alles bedarf der Begründung, bedarf der Erläuterung. Und diese müssen wir geben.

    Hetzke: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk, heute mit Hans Heinrich Driftmann, dem Präsidenten des DIHK, des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Herr Driftmann, im Augenblick im Gespräch ist der Fachkräftemangel in Deutschland. Gibt es den überhaupt? In einer Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes von vor wenigen Tagen verlieren nach wie vor auch viele qualifizierte Fachkräfte ihren Job, also Menschen mit abgeschlossener Lehre oder mit Hochschuldiplom. Da scheint doch Potenzial vorhanden zu sein. Wie passt das zusammen - Klagen über Fachkräftemangel und viele Qualifizierte, die ihren Beruf verlieren. Lassen sich diese Menschen nicht aktivieren?

    Driftmann: Sie lassen sich in der Tat in aller Regel, wenigstens teilweise, aktivieren. Wenn wir von Fachkräften reden, dann müssen wir natürlich danach fragen, worin besteht der Sachverstand? Es gibt ja eine ganze Reihe von Branchen, die einfach im Moment nicht sehr gefragt sind. Das dortige Fachpersonal muss sich neu orientieren, muss umgeschult werden. Dafür haben wir Instrumente, die wir einsetzen können. Das wird auch geschehen, aber wir wissen natürlich anhand der demografischen Entwicklung, dass das alleine nicht ausreicht. Wir laufen in eine Entwicklung hinein, in der es immer mehr Fachkräftemangel geben wird. Es gibt ihn jetzt schon, aber er ist jetzt noch nicht so spürbar. Deswegen täuschen sich auch viele darüber hinweg und denken, so schlimm wird es schon nicht werden, wir müssen nur abwarten, dann regelt sich das von alleine. Das wird so nicht geschehen. Das heißt, die Maßnahmen, die in unserer Hand liegen, müssen wir auch tatsächlich anwenden.

    Hetzke: Inwieweit sehen Sie eigentlich die Wirtschaft selbst in der Pflicht, ihre Mitarbeiter zu qualifizieren und zu Fachkräften zu machen. Es gibt ja das Instrument Weiterbildung. Nutzen das die Unternehmen, oder scheuen sie die Kosten, die das verursacht?

    Driftmann: Nein, wir sind natürlich darauf angewiesen, selbst weiterzubilden, das ist ganz klar. Wir müssen sogar Schulabsolventen mit Nachhilfestunden weiterbilden, um sie überhaupt ausbildungsfähig zu machen. Leider trifft das in immer mehr Fällen zu. Das ist sehr schade. Ich plädiere ja immer dafür, die Lehrer, die ja nicht nur Unterricht erteilen müssen, sondern die auch die ganz normalen Berater von Schülern sein müssen, sein können am Ende der Schulzeit, so zu befähigen, dass sie auch beraten können, dass sie wissen, wie die Arbeitswelt aussieht, um die Schüler richtig und ausreichend auf die Arbeitswelt vorzubereiten. Dann wird es keine Fehlgriffe bei der Berufswahl geben in dem Umfang, wie wir sie leider jetzt feststellen müssen. Und dann wird manches leichter, was den Eintritt in die Berufswelt und das Arbeitsleben angeht.

    Hetzke: Ich möchte aber, bevor wir über die Ausbildung sprechen, noch mal bei dem Mangel an Fachkräften bleiben und auch bei der Weiterbildung. Die Weiterbildung in den Firmen, die findet ja bei entsprechenden Bildungsträgern statt. Und Sie selbst hatten im Frühjahr geklagt, dass es dort wenig lohnenswerte Angebote gäbe, also die Bedürfnisse der Betriebe, die würden gar nicht berücksichtigt. Haben Sie da eigentlich kein Mitspracherecht, keinen Einfluss, den Sie geltend machen können als Nachfrager?

    Driftmann: Wir haben natürlich das Recht des Marktteilnehmers, bestimmte Dinge uns zu wünschen und auf Bedarf aufmerksam zu machen. Wir haben aber auch eigene Bildungsträger, die wir direkt beeinflussen können. Und da funktioniert das sehr gut. Und das ist schon deshalb wichtig, weil wir damit Beispiele geben können, an denen sich andere orientieren können - was auch geschieht. Da gibt es immer einen "time lack", aber das wird ausgefüllt. Darüber mache ich mir eigentlich am wenigsten Sorgen.

    Hetzke: Ein weiteres Mittel, um den Fachkräftemangel abzuwenden, ist ja die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland. Nun hatte ja vor kurzem die Bundesagentur für Arbeit eine erste Bilanz gezogen, da ging es um den Zuzug von Menschen aus Osteuropa auf den deutschen Arbeitsmarkt, die ja seit dem 1. Mai freien Zugang haben. Und da zeigte sich, es kommen gar nicht so viele Arbeitskräfte wie erwartet oder befürchtet. Und es kommen noch viel weniger Fachkräfte. Was läuft schief?

    Driftmann: Es läuft gar nichts schief. Das ist das, was wir prognostiziert haben. Es wird den einen oder anderen geben, dem wir ein attraktives Angebot machen können. Der wird auch kommen, aus dem Osten, vielleicht auch wo anders her, aus anderen Ländern. Aber das Angebot muss natürlich attraktiv sein. Und wir wissen, dass es eine große Barriere gibt, das ist die Sprachbarriere. Und auch da müssen wir uns was einfallen lassen, um den einen oder anderen, der uns interessiert, der bei uns marktkonform ist auf dem Arbeitsmarkt, an uns heran zu ziehen und einzuladen, ihn gut zu behandeln und richtig einzusetzen. Aber was den Fachkräftemangel und die Sicherung von Fachkräften angeht haben wir natürlich noch eine ganze Reihe anderer Optionen. Wir haben zum Beispiel die Älteren. Ich sehe immer wieder in den Unternehmen, dass es gelingt, Menschen länger in Arbeit in ihren bisherigen Funktionen zu halten. Das bringt eine ganze Menge an Ausweitung des Fachkräftepotenzials. Ältere Mitarbeiter haben ja nicht nur eine jahrelange Berufserfahrung, die sie weiter nutzen können. Sie haben auch Personenkenntnisse, sie haben Ansprechpartner, sie haben Netzwerke. Dieses alles kann sehr wohl in vielen Fällen - nicht in allen, aber doch immer mehr - genutzt werden, um länger in Arbeit zu bleiben und für die Unternehmen zur Verfügung zu stehen. Wir haben sehr viele Frauen, die gerne wieder in Arbeit, in Erwerbstätigkeit kommen möchten. Dafür müssen wir die Rahmenbedingungen auslegen.

    Hetzke: Wie können denn diese Rahmenbedingungen aussehen? Denn das ist ja genau der Punkt: Dass wir länger arbeiten sollen, das löst ja viel Unmut wenn nicht sogar Wut bei Gewerkschaften und vielen Arbeitnehmern aus. Wie wollen Sie da die älteren Arbeitnehmer motivieren? Es freuen sich doch die meisten auf den Ruhestand.

    Driftmann: Ich habe den Eindruck, dass sich wirklich nicht alle nun unbedingt auf einen frühen Ruhestand freuen. Viele sind durchaus bereit und haben sogar ein Interesse daran, länger zu arbeiten. Wir können natürlich auch, um sie fit zu halten, für Ältere geeignete Fortbildungsmaßnahmen starten. Darauf sind wir sehr wohl vorbereitet. Und wir können natürlich andere Anreizsysteme von zusätzlichen Sabbaticals, um das Haushalten mit den Kräften zu erleichtern, mit Prämien, mit Boni - wir haben jede Menge Möglichkeiten, im jeweiligen Rahmen der Funktion, die ausgeübt wird, Anreizsysteme zu schaffen. Wir müssen es nur tun.

    Hetzke: Aber rein wirtschaftlich nachgefragt, sind ältere Fachkräfte für die Wirtschaft nicht viel zu teuer, da sie ja oft nun mal gar nicht mehr die Produktivität eines jungen Menschen haben, aber häufig hohen Lohn beziehen durch die lange Betriebszugehörigkeit zum Beispiel. Also, macht das wirklich Sinn und ist das machbar?

    Driftmann: Es geht nicht darum, so etwas auf breiter Front zu erzielen. Aber in der einen oder anderen Tätigkeit gibt es sehr wohl Sinn. Jemanden länger zu beschäftigen und dafür relativ hohe Löhne oder Gehälter zu zahlen ist die eine Seite. Jemanden auszubilden kostet eben auch Geld. Jemanden auf eine Funktion vorzubereiten, je nachdem, wie schwierig die auszuführen ist, ist aufwendig. Und jeder Aufwand kostet auch Geld. Das muss man im Einzelfall sehr sorgfältig überlegen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ein Mix von Jung und Alt den Unternehmen gut tut und alle sind aufgefordert dazu, sich darüber Gedanken zu machen, wo das denn in Praxi zutrifft.

    Hetzke: Aber es gibt noch einen weiteren Aspekt, der mich so ein bisschen zweifeln lässt. Schon bei der Rente mit 65 scheiden ja viele Arbeitnehmer vorher aus dem Berufsleben aus. Jeder Vierte wird derzeit vor dem Erreichen des Renteneintrittsalters berufsunfähig. Das ist eine sehr hohe Zahl, wie ich finde. Und die zeugt ja nicht gerade von einer Fürsorgepflicht von Unternehmen. Ich frage mich immer, wenn das jetzt schon nicht klappt, was macht Sie da so optimistisch, dass das künftig besser werden könnte als bisher?

    Driftmann: Es gibt eine grundsätzliche Erfahrung, die ich im Zusammenhang mit Problemen habe: Die Not wird es richten. Und wenn uns Fachkräfte fehlen, dann müssen wir uns Gedanken machen, wo wir sie her bekommen. Und das kann in einem Fall eben auch als Modell dienen, Ältere länger zu beschäftigen. Das trifft nicht in jedem Fall zu, nicht in jeder Branche zu, aber wir müssen diese Option nutzen. Es ist ja nicht unsere einzige Option.

    Hetzke: Ja, eine hatten Sie ja noch angesprochen, eine weitere große Bevölkerungsgruppe, die ja immer wieder ins Spiel gebracht wird, um eben den drohenden Fachkräftemangel abzuwenden, nämlich die vermehrte Einstellung von Frauen. Ist das nicht illusorisch angesichts der Tatsache, dass Frauen oft auch die Kinder erziehen und deshalb flexible Arbeitszeiten benötigen, von fehlenden Kinderbetreuungsplätzen ganz zu schweigen. Abgesehen von Behörden oder öffentlichen Arbeitgebern vielleicht, winken da Unternehmen nicht ab, weil ihnen das einfach zu kompliziert und zu wenig planbar ist?

    Driftmann: Es gibt eine ganze Reihe von Beispielen - ich habe in meinem Unternehmen auch Erfahrungen damit gesammelt. Wenn man das will, dann geht das durchaus. Man muss entsprechende Vereinbarungen treffen. Das kann man. Es gibt viele Möglichkeiten, dass Frauen auch einen Großteil ihrer Arbeit zu Hause leisten. Die Informationstechnologie macht das möglich. Es gibt auch eine ganze Reihe von Möglichkeiten, Frauen näher bei den Kindern zu belassen, indem man Betriebskindergärten eröffnet, die möglichst nah an den Arbeitsstätten der Frauen liegen. Viele Dinge müssen da vorbereitet werden und zu Ende gedacht werden. Aber Möglichkeiten gibt es. Und dort, wo wir, wo ich auch als Unternehmer Entscheidungen getroffen habe in dieser Richtung, da sind die sehr wohl aufgegangen. Also warum soll das nicht woanders auch gehen?

    Hetzke: Sie haben es schon angesprochen, die Fachkräfte von morgen sind die Auszubildenden von heute. Nun hören wir immer wieder, die Lehrstellen sind da, allein es fehlen Bewerber. Auch hier wird ja inzwischen darüber nachgedacht, arbeitslose Jugendliche aus Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit anzuwerben wie Spanien oder Griechenland. Nur: Noch immer gibt es junge Menschen in Deutschland, die noch keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Woran liegt das?

    Driftmann: Das hat nicht unbedingt nur etwas mit intellektueller Kompetenz zu tun, das hat auch sehr viel mit sozialer Kompetenz zu tun. Wenn man ein Unternehmen hat und dieses Unternehmen erfolgreich führen will, dann muss man darauf achten, dass man Mitarbeiter hat, die richtig motiviert sind, die engagiert sind, die ihre Funktion richtig wahrnehmen. Wer etwas verkaufen will, der muss in der Lage sein, sich zu artikulieren und die Vorteile eines Produktes darzustellen, nicht nur schriftlich als Essay, sondern auch mündlich. Das alles muss gelernt werden. Dafür muss eine Grundbereitschaft vorhanden sein und auch eine gewisse Grundfähigkeit, so etwas im Detail in der Sache zu erwerben. Das ist nicht in jedem Fall gegeben. Da müssen wir ganz ohne Zweifel auf Curricula oder Lehrpläne Einfluss nehmen, damit das besser als bisher geschieht.

    Hetzke: Lassen Sie uns noch einen kurzen Schwenk machen, und zwar zur Energiepolitik und der eingeleiteten Energiewende der Bundesregierung, von der nun alle Unternehmen betroffen sind. Ist Deutschland Ihrer Ansicht nach in der Lage, die Wende zu schaffen?

    Driftmann: Deutschland ist ganz ohne Zweifel in der Lage, die Wende zu schaffen. Wir haben ein definiertes Ziel, das im übrigen schon lange besteht. Wir wollen aus der Kernenergie raus. Ein Ziel zu definieren ist allerdings nicht alles. Man muss sich auch darüber Gedanken machen, muss genau konstruieren, welcher Weg denn dort hin führt. Da steht uns eine Riesenarbeit, ein Riesenberg an Entscheidungen bevor. Dem müssen wir uns aber unterziehen, und da muss noch einiges geschehen, denn wir dürfen nicht vergessen, wir bewegen uns auf einem gemeinsamen europäischen Markt, wir bewegen uns in einer Welt, die durchaus andere Ziele verfolgt, und die auch zu anderen Mitteln greift, als wir das nun im Moment vorhaben. Und wir müssen dafür sorgen, dass es zu jeder Zeit genug und bezahlbare Energie gibt. Und das ist eine Riesenaufgabe, vor der wir stehen. Da müssen wir allen Sachverstand bündeln und wir müssen auch allen guten Willen bündeln, damit das tatsächlich erfolgreich absolviert wird.

    Hetzke: Vieles auf dem Energiemarkt wird ja derzeit politisch vorgegeben wenn nicht gar vorgeschrieben. Schränkt das eigentlich aus Ihrer Sicht die Freiheit der Energieunternehmen zu sehr ein? Ist da eigentlich noch Platz für Marktwirtschaft, oder wird da schon sozusagen eine Grenze der Zumutbarkeit überschritten?

    Driftmann: Ich will hier nicht von Überschreitung reden, aber in der Tat wird schon das Äußerste abverlangt. Und es wird auf die Ausprägung des weiteren Vorgehens ankommen, ob die Sorgen, die Sie eben geäußert haben, Realität werden. Tatsache ist aber, dass wir von dem Ziel, das zu erreichen ist, ja nicht überrascht worden sind, sondern nur von der Geschwindigkeit, die jetzt vorgelegt wird. Ob wir die einhalten können, ob wir das so schaffen, dass kein volkswirtschaftlicher Schaden entsteht, das kann ich Ihnen nicht beantworten.

    Hetzke: Und mit dieser Stellungnahme sind wir am Ende. Das war Hans Heinrich Driftmann, der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Herr Driftmann, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch genommen haben.

    Driftmann: Gerne. Danke schön.